Freitag, 13. Januar 2017

Brief 272 vom 12./14.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                     Konstanz, 12.1.42

Spät komme ich heute wieder zum schreiben, aber vorher hatte ich absolut keine Zeit, trotzdem wir schon zeitig aufgestanden sind. ½ 7 bin ich aufgestanden, habe dann die Kinder geweckt und mich noch ganz fertig gemacht. Als ich dann die Zeitung holte und reinschaute, stand drin, daß die Ferien um weitere 8 Tage bis zum 19. verlängert sind. Jetzt wird es schon bald den Kindern zuviel, denn Beide haben gemault. Sie hatten sich wirklich schon auf die Schule gefreut. Jörg auch besonders auf die Flaggenhissung, die ja immer nach den Ferien vorgenommen wird. Na, nach und nach haben sich die Kinder über die Ferien getröstet und sind den ganzen Tag beim Schlittenfahren gewesen. Ich habe am Vormittag die übliche Hausarbeit gemacht und bin dann einkaufen gefahren.  Am Nachmittag habe ich dann die Schuhe der Kinder in Ordnung gebracht. Außerdem habe ich noch etwas gewaschen. So ist der Tag schnell vergangen.
Gestern Abend kam Vater noch kurz herauf und brachte die Ölflasche herauf, damit ich ihm Öl von Tengelmann mitbringe. Das Klosett ist bei Vater auch wieder kaputt. Da er ja nicht zu dem Fischer hingehen kann, habe ich heute Morgen gleich angerufen, damit es bald repariert wird.
Gestern habe ich noch an Papa und Kurt geschrieben. Die Durchschläge schicke ich Dir anbei mit.
Da wir dachten, daß Jörg heute wieder zur Schule müßte, habe ich ihm gestern Abend noch die Haare geschnitten. Aber ein kleines Schaf ist Jörg doch. Jedes Mal macht er vorher ein Theater und sträubt sich wie wild, um hinterher dann einzusehen, daß es gar nicht schlimm war. Soviel ich mich erinnern kann, hat er sich die Haare nur ein einziges Mal freiwillig und ohne Sträuben schneiden lassen.
Während ich hier schreibe, halt Helga gleich abgewaschen, damit ich nachher noch ein bißchen stricken kann. Man sieht manchmal doch, daß man schon größere Kinder hat.
Kalt ist es bei uns immer noch. Eine ganz rot gefrorene Nase hat man jedes Mal, wenn man fort war. Man ist froh, wenn man richtig einheizen kann.
Vor einigen Tagen ist bei Jörg auch der 2. obere Zahn rausgegangen. Das sieht jetzt ganz lustig aus. Da habe ich jetzt öfter was zum lachen und Jörg lacht fest mit. Ich habe bei den Kindern auch einmal die Zähne wieder nachgesehen. Ich glaube, bei Jedem muß bald wieder ein Zahn plombiert werden. Ich werde in nächster Zeit mal mit ihnen zum Zahnarzt.
Ich will nun schließen und den Brief noch fortbringen. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni. 

Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, 14.1.42

Gestern habe ich einen Tag mit dem schreiben ausgesetzt. Du wirst denken, „aha, sie wird schreibfaul“, dem ist aber nicht so, doch ich hatte gestern den ganzen Tag so festes Kopfweh, daß ich zu gar nichts Lust hatte. Arbeit ist auch nicht viel fertig geworden. Gestern Abend ließen dann die Kopfschmerzen etwas nach. Da habe ich mich erst einmal ans Flicken gesetzt, denn Jörg vor allen Dingen hatte, trotzdem er immer „soo aufpasst“ wieder Dreiangel und Löcher in seinem Trainingsanzug und in den Handschuhen. Natürlich waren auch die Schuhe und Strümpfe ganz durchgeweicht, so daß ich auch die Strümpfe noch durchwaschen mußte. Bis ich mit allem fertig war, war es bald 12 Uhr. Da bin ich dann gleich schlafen gegangen.
Post habe ich ja auch gestern nicht von Dir bekommen. Ich hoffe aber fest, daß der Briefträger nachher etwas bringt. Am schönster wäre es, wenn er die Nachricht brächte, Du kommst in den nächsten Tagen auf Urlaub.
Gerade kamen Deine beiden lieben Brief vom 8.  und 9.1. Ich danke Dir sehr dafür.
Als im Radio am 8. „´s ist Feierabend“ gespielt wurde, war ich auch noch munter. Ich bin da wieder so an das Begräbnis erinnert worden. Alles trat mir wieder vor Augen. Gleich nach dem Lied glitt der Sarg langsam in die Tiefe.  Ich werde  das alles ja nie vergessen.
Wenn ich den Kindern jetzt manchmal von früher erzählt habe, dachte ich auch oft daran, wie man früher immer gebangt hat, ob die Arbeit noch etwas länger geht und jedes Mal war man froh, wenn es noch um ein paar Wochen weiter ging und man mit einem Verdienst rechnen konnte. Und wenn es mal nichts mit Arbeit war, bist du in den Wald gegangen und hast Holz usw.  zusammengesucht. Das hat uns ja alles mit geholfen. Richtig froh warst Du aber doch nur, wenn Du schaffen gehen konntest, denn es hat Dich oft bedrückt, wenn ich ins Geschäft ging und Du mußtest zu hause sitzen. Und als dann Helga geboren wurde, sagtest Du, daß ich nun nicht mehr schaffen gehen sollte, denn eine Frau gehört heim zum Kind und es müßte gehen. Du wärst ja schließlich dazu da, die Familie zu ernähren.  Es ist ja dann auch gegangen und wir können ja stolz auf das Erreichte sein.
Auf der Kasse hat Vater  jetzt 600,- eingezahlt. Außerdem spart er ja eisern. Er freut sich immer darüber, daß er nicht mehr so ärmlich dasteht. Ich gönne es ihm auch gern, er soll doch auch ein bißchen Freude haben.
Leider können wir nur ein Mal im Monat richtig baden. Die anderen Wochen müssen wir uns mit abwaschen behelfen.  Du weißt es ja schließlich noch von früher, oder hast Du es schon vergessen? Du hast es natürlich schöner, wenn Du oft baden kannst. Das würde mir auch gefallen.  Aber sauber halten wir uns auch so, das darfst Du ganz bestimmt glauben.
Die Kinder freuen sich, wenn Du nochmals eine Kokosnuß kaufen kannst. Sind die dort eigentlich sehr teuer? Auf die Mandarinen freuen wir uns auch schon. Diese Sachen bekommen ja hier die meisten Leute nicht einmal zu Gesicht. Ich danke Dir für die viele Mühe, die Du Dir immer mit der Besorgung gibst.
Die Kinder nützen das Winterwetter richtig aus. Fast den ganzen Tag sind sie draußen. Aber das ist ja gesund und darum freue ich mich darüber.
Daß Jörg nun immer brav sei, kann ich nicht gerade sagen.  Der Dickkopf tritt nicht gerade so viel in Erscheinung wie vor kurzem, aber er stellt auch so noch genug an. Ich wäre manchmal froh, wenn Du mir etwas von der Erziehung abnehmen könntest. Er hat einen ziemlich großen Mund und dann fuchst er oft die Helga, die sich natürlich auch wehrt, so daß sie sich oft in den Haaren liegen. Bös ist er nicht, aber flegelig. Ich fahre natürlich schon oft dazwischen und ich habe auch schon ein paar Mal zugewichst, aber es macht einen doch ziemlich kaputt. Helga ist natürlich auch kein Engel. Sie ist auch ein wilder Kerl, aber sie folgt doch noch eher.  Einen guten Kern haben ja Beide, denn auch Jörg kann sehr lieb sein. Ich habe sie auch Beide gleich lieb. Es ist ja bei allen Kindern so, daß sie nicht immer brav sind, wir waren es ja schließlich auch nicht. Aber Du fehlst eben, daß Du mal ein Machtwort sprechen könntest. Aber solange der Krieg dauert, werde ich mich schon durchbeißen.  Ein kleines bißchen ist Helga auch jetzt noch manchmal ungeschickt. Aber ich glaube, daß sich das mit der Zeit geben wird. Man kann Kinder eben nicht umkrempeln. Das liegt eben in ihnen.
Von dem Ahnenpaß schrieb ich Dir ja vor kurzem, daß ich ihn hier gefunden habe. Meinst Du, daß Du während des Krieges weiterkommst? Versuchen kann man es ja einmal.
Der Gärtner Reiber ist gestern an einem Schlaganfall gestorben.  Wir haben heute wieder 5 - 6 Grad Kälte. Das Wetter hält also eine ganze Weile an. Schöner ist es ja auf alle Fälle als Nebel und Nässe, wie Ihr es dort vielmals habt.
Nun laß mich wieder schließen. Kannst Du bald auf Urlaub kommen? Schreib wieder mal ein Wort davon. Schon die Aussicht darauf macht froh. Viele herzliche Grüße und Küsse von Deiner Anni.

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