Mein liebster Ernst!
Konstanz, 29.1.43
Wenn dieser Brief in Deine Hände kommt, wirst Du sicher
schon einige Tage im Besitz meiner gestrigen Zeilen sein, in denen ich Dir
mitteilen musste, dass Kurt gefallen ist. Man kann es noch gar nicht glauben.
Vor kurzem war er doch noch hier. Ich sehe ihn noch vor mir, als er auf Urlaub
kam. Ganz bepackt kam er an. Er saß dann noch eine Weile am Tisch und erzählte.
Ganz gegen seine Gewohnheit von früher. Ich weiß auch noch so genau, wie wir an
die Bahn gegangen sind und wie er abfuhr. Nun liegt er schon in fremder Erde. Man
kann sich das gar nicht vorstellen.
Gestern Abend so gegen ½ 9 Uhr klingelte es. Ich habe die
Haustür aufgeschlossen, da war es Vater. Er machte erst so Handbewegungen, dass
ich gleich merkte, es musste etwas geschehen sein, und dann sagte er „Kurt ist tot.“ Glaubst du, ich konnte es
nicht fassen. Die Kinder kamen gleich wieder aus den Betten gesprungen, als sie
hörten, was geschehen war. Wir haben alle geweint. Ich sagte dann zu Vater,
dass ich gleich zu Paula runter gehen wollte, denn sie hängt doch auch sehr an
ihm. Auf der Treppe kam sie mir entgegen, und als ich ihr die Nachricht
brachte, setzte sie sich gerade auf die Treppe und weinte. Sie sagte dann, ich
sollte doch mit in die Stube kommen Da hat sie dann erst sehr geweint, ehe sie
den Brief lesen konnte, den ich ihr mitgenommen hatte. Sie sprach von seinem letzten
Urlaub und wie schwer er wieder fort gefahren sei. Er habe gar nicht fort
wollen. Ich fragte dann, ob sie vielleicht an Nanni schreiben könnte. Sie
meinte, vielleicht sei es am besten, sie würde selbst hinfahren. Sie könnte
sich gar nicht denken, wie Nanni es aufnehmen würde. Sie befürchtete, dass sie
krank wird. Sie habe ihr im letzten Brief geschrieben, sie habe sich sehr
gefreut, dass er sie in seinem letzten Urlaub besucht habe. Sie habe ihn ungern
wieder gehen lassen und es sei ihr gewesen, als habe sie noch etwas an ihm
versäumt.
Ich bin dann wieder zu uns gegangen. Vater saß mit den
Kindern in der Stube. Ich habe dann die Kinder zu Bett gebracht und habe dann
mit Vater noch zusammen gesessen. Vor allen Dingen haben wir an Dich
geschrieben. Es ist da so schwer, zu schreiben. Man ist zuerst wie betäubt. Für
Dich wird es hart gewesen sein, als Du die Nachricht bekamst. Vater sagte, es
würde ihm doch auch nichts erspart. Nun sei es schon das zweite Mal, dass er
die Nachricht vom Tode eines seiner Kinder erhalten habe. Er habe zu gar nichts
mehr Lust, mag alles kommen, wie es will. Er habe sich schon manchmal überlegt,
wie lange Jahre es wohl noch dauern werde, bis er einmal stirbt.
Lieber Ernst, ich warte jetzt direkt auf einen Brief von
Dir. Es ist, als wäre ich dann nicht mehr so allein, als würdest Du mit mir
reden.
Lieber Ernst, bleib Du gesund und komm immer gesund wieder
heim. Das ist mein größter Wunsch.
Lass mich für heute schließen. Morgen schreibe ich sicher
wieder mehr. Recht viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.
P.S.: Sobald wir die amtliche Bestätigung haben lässt Vater
eine Todesanzeige in die Zeitung setzen, denn Kurt hatte ja Bekannte, die wir
nicht persönlich kennen.
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