Dienstag, 16. Januar 2018

Brief 496 vom 13.1.1943


Mein liebster Ernst!                                                                                              Konstanz, 13.1.43

Gestern bin ich leider nicht zum Schreiben gekommen. Ich war am Abend so müd, dass ich schon um 9 Uhr schlafen gegangen bin. Vorgestern hatte ich Dir ja einen langen Brief geschrieben, aber von meinem Kinobesuch hatte ich noch nichts berichtet. Ich war doch in dem Farbfilm „Die Goldene Stadt“. Es war sehr schön, bestimmt. Ich lege Dir davon einen Zeitungsausschnitt bei. Darin wird noch geschrieben, dass die Verführungsszene peinlich gewirkt habe. Mir ist es nicht so ergangen, denn meines Erachtens sollte diese Szene doch gerade zeigen, dass sich das Mädel nicht aus Leichtsinn weggeworfen hat, sondern dass dieser Prager Cousin ein gerissener Halunke war, der durch das Mädchen in den Besitz des Hofes kommen wollte. Als der Vater sie aber dann aufs Pflichtteil gesetzt hat, ließ er sie ohne Skrupel fallen. Ich wünschte, dass Du den Film einmal sehen könntest. Ich kann mich für die Farbfilme begeistern. Wie das Mädchen vor sich hin träumt und sich die goldene Stadt Prag vorstellt, das war herrlich gemacht. Die ganze Stadt mit ihren Türmen und dem Hradschin in einem goldenen Glanz, wie ein Märchen, wie eben Träume sein können.
Als ich aus dem Kino kam standen die Kinder schon da. Wir haben dann noch eingekauft und die Kinder haben ¼ Gebäck bekommen. Das hatte ich ihnen versprochen, wenn sie alles richtig gemacht hätten und brav waren.
Gestern Morgen habe ich noch etwas Gebäck gebacken. Einen Teil habe ich für uns behalten, den anderen habe ich in das Päckchen an Dich hinein getan. In diesem Päckchen, das ich nun heute wegschaffe, ist auch der Ständer für den Füllfederhalter drin. Die anderen Sachen von Papa habe ich wunschgemäß hier behalten, nur das Reclamheft habe ich noch bei gepackt. Am Nachmittag war ich nähen. Die Kinder hatten ihren Schlitten mitgenommen und haben die meiste Zeit ihre Freude am Fahren gehabt. Später sind sie dann eine Weile reingekommen und haben gemalt. Zeichenblocks hatten sie sich von zuhause mitgenommen. Nach ½ 6 sind wir heimgegangen. Wir haben dann bald gegessen, ich habe aufgeräumt und als die Kinder im Bett waren, habe ich mich auch fertig gemacht und bin schlafen gegangen.
Gestern hatte es wieder geschneit, sodass das Eis etwas bedeckt wurde. Da rutschte man nicht mehr so aus. Heute Morgen war wieder Matsch. Das ist ein dummes Wetter. Wie wir in der Wochenschau sahen, ist es im Osten aber auch so. Einmal musste in dem Graben Eis aufgehackt werden, am nächsten Tag war er zugeschneit, am übernächsten war alles getaut und die Soldaten standen beim Ausschöpfen bis an die Waden im Schneewasser.
Heute kam Helga heim und hatte mir „was ganz Wichtiges“ zu erzählen. Sie hatte heute eine Klassenkameradin abgeholt, die in den Kasernenhäusern wohnt. Da haben sie auch vom Matsch geredet und da meinte das Mädel, ihr Vater habe es auch geschrieben, dass es in Russland genau so sei, ihr Vater sei in Ch.  (Charkow)
Helga meinte, es habe ihr einen ganzen Riss gegeben, als das Mädel, Frick heißt sie, von dem Ort geredet habe.
Heute erhielt ich einen Brief von Papa. Sicher wirst Du auch den Durchschlag bekommen. Ich hatte doch bei Papa angefragt, warum er keinen Baum gemacht habe. Er schreibt nun, dass ihn der doch zu sehr an Mama erinnert haben würde und außerdem müsste er auch ein wenig Rücksicht auf seine jetzige Frau nehmen. Dann schreibt Papa, abends, wenn seine Frau im Bett wäre, und er noch in der Stube sitze und arbeite, würde er oft das Bild von Mama vom Brett herunter nehmen und sie anschauen. Er könne sie eben nicht vergessen „aber, wie gesagt, ich bin auch hierbei eben Lotte Rücksicht schuldig“ trotzdem sie ihm immer wieder sage, dass sie es ihm nicht übel nehmen würde, wenn er Mamas Andenken in Ehren halte. Dann beklagt er sich noch ein Bisschen, dass Siegfried im Urlaub nie zu ihnen in die Wohnung gekommen sei, er tue doch alles, um ihm eine Freude zu machen. Das glaube ich ihm gern, aber es ist eben auch wieder so, dass Siegfried sich bei ihm nicht zuhause fühlt und deshalb keine Lust hat, hinzukommen. Es ist doch auch wie bei fremden Leuten. Papa schreibt nun „und wie ich zur Liebe zu unserer Mama denke, mag Dir das beiliegende Gedichtchen zeigen.“ Ich schicke es Dir einmal mit.
Helga will Dir heute auch noch schreiben. Sie hatte gestern Abend schon angefangen, ist aber bald darüber eingeschlafen. Da habe ich sie ins Bett geschickt. Heute ist sie munterer dazu.
Nun lass mich schließen. Unsere Lauser kommen gleich heim, da wollen wir essen. Helga hatte schon um 10 Uhr Schulschluss. Sei wieder vielmals recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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