Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 470 vom 15.12.1942


Mein liebsterErnst!                                        Konstanz, 15.12.42

Der Tag hat ja heute gleich gut angefangen. Am Morgen, als ich im Bett lag, hörte ich Rufen von Kindern. Nanu, denke ich noch halb im Traum, wieso lassen die denn Kinder schon um 5 Uhr auf die Straße? (Wie ich gerade auf 5 Uhr gekommen bin, weiß ich auch nicht.) Da durchzuckt mich der Gedanke, willst Du nochmal genauer auf die Uhr sehen? Na, glücklicherweise habe ich das dann auch getan. Um ½ 8 war es. Aber ich raus, Helga gerufen und dann ging alles flink hintereinander. Ich habe noch mein Rad geholt und habe Helga in die Schule gefahren. Vorm Haus fuhr ein Soldat vorbei. Da ich doch eigentlich Helga nicht mehr mit mitfahren darf, bin ich immer ein Bisschen vorsichtig. Wir haben also gewartet, bis er vorbei war, und sind dann losgefahren. Als wir auf der Wollmatingerstraße unten beim Bismarckturm vorbei fuhren, stand da der Soldat, der vom Rad abgestiegen war und sagte zu den Kindern auf der Straße, sie sollten rechts gehen. Ich schaute richtig hin, da ist es einer von der Polizei. Die haben ja fast eine ähnliche Uniform und dabei auch ein Schiffchen auf, sodass man  das im Dämmerlicht gar nicht richtig erkennen konnte. Ich bin aber mit Volldampf vorbeigebraust. Wir waren schon ein Stück gefahren, da sagt Helga, er steigt wieder auf´s Rad. Da habe ich noch Tempo zugelegt, bis wir an der Ecke vom Schützen waren. Da ist Helga abgestiegen und ich habe gewendet und bin Heim gefahren. Als ich aufstieg, kam gerade der Mann. Ich nehme ja Helga sonst nicht mehr auf´s Rad, aber das war ja ein Notfall. Aber dafür haben die Leute von der Polizei ja kein Verständnis. Wie ich dann feststellen konnte, hatte der Wecker nicht geklingelt. Der Drücker war nur halb heraus gegangen, er wird ein wenig altersschwach. Außerdem hatte mich Jörg heute Nacht geweckt, da er so einen schlechten Traum gehabt hatte. Er wollte erst nicht mehr in sein Bett. Ich bin dann aufgestanden und habe ihm gut zugeredet. Da hat er sich dann doch wieder einpacken lassen. Aber wenn ich in der Nacht aufstehe, werde ich früh nicht zur rechten Zeit munter.
Als ich Heim kam, war Jörg schon aufgestanden und hatte einen riesigen Hunger. Er meinte, er fiele bald um. Wir haben dann gleich gegessen und dann habe ich meine übliche Arbeit erledigt. Als der Briefträger kam, erhielt ich Deinen lieben Brief vom 7./8.12. Leider musste ich lesen, dass Du sehr viel Ärger hast. Ich hatte heute Mittag schon gleich einen Brief geschrieben, aber ich will ihn doch lieber nicht fortschicken, denn dieser Kaffer, der das endlich fertiggebracht hat,  dass Du nicht mehr im Kasino essen kannst, ist nicht gut darin weggekommen. Ich hatte eine elende Wut. Wie ich lese, ist das Essen dort, wo Du jetzt isst
nicht mehr so kräftig, wie bisher. Es ist gerade so, dass man satt wird. Das wird jetzt vorläufig das Wichtigste sein, aber wenn du etwas von uns brauchen solltest, so schreibe nur. Soweit es möglich ist, schicken wir Dir sehr gern was. Ich dachte erst, das Essen sei überall im Osten sehr gut. Ich dachte nicht, dass so ein Unterschied zwischen Offiziers- und Mannschaftsessen besteht. Kurt hat mir auch in dieser Beziehung so allerhand erzählt. Aber es ist besser, ich schreibe das nicht so. erzählen werde ich es Dir später mal, und ich hebe auch den Brief auf, den ich heute erst geschrieben hatte. Da hatte ich Dir die Sachen nämlich auch  mitgeteilt.
Sehr schade ist es, dass immer die guten Kameraden fort kommen und die anderen, die nur schikanieren können, die bleiben, oder kommen sogar. Jedenfalls ist dieser Mann, von dem hier die Rede ist, ein feiner Kamerad, das muss man schon sagen. Aber diese Leute legen darauf ja gar keinen Wert, sie haben ihren Standesdünkel, ob sie nun im Frieden oder Krieg leben. Aber vielleicht geht es denen auch mal anders. Dich bitte ich, nimm Dir diese Bosheit nicht gar so zu Herzen. Ich weiß, Du beißt Dich schon wieder durch. Es gibt aber Tage, wo einem alles noch schwerer erscheint. Du bleibst doch der, der Du bist, da können die Launen verschiedener Leute auch nichts ändern. Aber wenn es Dir mal schwer ist, so schreibe mir. Dich erleichtert es und ich will doch auch das Schwere mit Dir zusammen erleben.
Nun kannst du die Marmelade doch noch verwenden. Wenn Du noch genügen Brot erhältst, so hast Du gleich was zum Schmieren und etwas Heimatliches.
Die Zeichnungen hat Jörg aus sich heraus gemalt. Sie sind nicht schlecht. Er hat hier am Tisch gesessen und hat sie gemalt. Ich habe ihm Dein Lob ausgesprochen, und er hat sich sehr darüber gefreut. Dass Du einen Rasierpinsel bekommen hast, freut mich. Ich konnte hier absolut keinen bekommen. Einige Rasierklingen habe ich noch hier, die schicke ich bei Gelegenheit mit.
Du entschuldigst Dich ja direkt, dass Du mir nichts großes zu Weihnachten schenken könntest. Du lieber, dummer Kerl, da warte ich doch gar nicht drauf. Ich habe mich wirklich ganz fest gefreut, als ich das Kölnisch Wasser, das Mundwasser und die Seife von Dir erhielt. Nun hast Du auch noch die Pralinen und die Bonbons geschickt. Was meinst Du, wie unbescheiden ich bin? Ich hatte überhaupt nicht gedacht, dass Du etwas schicken könntest. Und wie hast Du mich früher immer verwöhnt, das reicht noch für mehrere Weihnachten.
Deinen letzten Brief hatte Kurt noch nicht erhalten. Ich habe ihn nun den Durchschlag lesen lassen, damit er Bescheid weiß.
Nach dem Mittagessen sind wir heute zum Zahnarzt. Am Omnibus trafen wir Resi mit den Kindern, die auch zum Zahnarzt gingen. Nicht zum Beck. Ich fragte sie gerade mal, ob sich Fritz schon einmal wegen der höheren Schule erkundigt hat. Sie meinte, wahrscheinlich werde sie Ingrid in die Luisenschule schicken. Da sind 4 Klassen Grundschule, dann teilt es sich. Es gibt eine wissenschaftliche und eine hauswirtschaftliche Richtung. Die ersten lernen noch einige Sprachen usw. , die anderen haben Hauswirtschaft, Kinder- und Krankenpflege usw. Sie hegten nur die Befürchtungen, dass die Lehrerinnen sich bei der Beurteilung der Kinder sehr nach dem Beruf des Vaters, und weniger nach den Kenntnissen der Kinder,  richten. Das wäre ja weniger schön.
Wir sind zum Zahnarzt gegangen. Das hat heute doch ziemlich wehgetan. An einem Zahn eine, am anderen 2 Stellen hat er gebohrt. Zwischendurch hat er erst mal Helga dran genommen, weil es gar so arg geblutet hat. Es war fast unterm Zahnfleisch. Bei Helga war ein Zahn kaputt, der auch wehgetan hat. Geschrieben hat sie nicht, nur die Tränen sind ihr gekommen. Jörg war am besten dran. Ihm ist nur ein ganz lockerer Zahn gezogen worden. Nun sind wir wieder für eine Weile erlöst und sind froh. Wir sind dann langsam heimgegangen. Unterwegs sahen wir schon Tannenbäume stehen. Sie werden aber erst ab Donnerstag verkauft. Donnerstag, Freitag und Samstag für Familien mit Kindern bis zu 10 Jahren gegen Kleiderkarte und Haushaltungskarte. Am Montag und Dienstag für Familien mit Kindern bis 18 Jahren und am Mittwoch für Alle, natürlich auch gegen Kleiderkarte.
Als wir heimkamen, hat Helga noch Schulaufgaben gemacht, und dann haben wir Abendbrot gegessen. Wir mussten doch wegen unserer Zähne bis um 6 Uhr warten. Das ist heute besonders Helga sehr schwer gefallen. Im Briefkasten steckte heute Abend der große Brief von Dir mit Schreibpapier. Ich danke Dir dafür. Ich habe ja jetzt ziemlich da. Danach kannst Du jeden Tag einen Brief von mir bekommen.
Morgen werden Dir wahrscheinlich die Kinder auch wieder schreiben. Sie gehen mit zum Nähen. Da haben sie Zeit und Ruhe dazu. Sie wollten es eigentlich heute schon tun, aber die Zeit war zu kurz.
Nun lass mich schließen, Den Kindern konnte ich leider die Küsse von Dir noch nicht geben, denn ich bin wieder erkältet, da möchte ich sie nicht anstecken. Ich hole es aber bald nach.
Nun grüße und küsse ich Dich wieder recht herzlich (da es nur im Geist ist, kann ich es ja schon tun, ohne Dich anzustecken) und bleibe immer Deine Annie.

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