Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 483 vom 28.12.1942


Mein liebster Ernst    !                                               Konstanz, 28.12.42

Gestern habe ich Dir den Neujahrsbrief geschrieben, aber Dir Deinen lieben Brief vom 16.12. noch nicht beantwortet, den ich gestern erhielt. Ich habe mich so sehr darüber gefreut, denn, wie ich Dir schon im vorhergehenden Brief schrieb, habe ich ganz fest darauf gewartet. Wie ich aus Deinem Brief lesen konnte, hattest Du schon 5 Päckchen erhalten. Vielleicht sind die restlichen bis Weihnachten auch noch eingetroffen.
Das Päckchen Nr.51 mit den Puppen ist heute angekommen. Für die Batterie und den Käse danke ich Dir. Mit den Puppen hast Du den Kindern eine große Freude gemacht. Sie haben sich riesig gefreut. Dass Jörg keinen Gefallen daran hätte, das brauchst Du nicht befürchten. Am liebsten hätte er sie alle beide genommen. Gerade jetzt sind die Kinder noch mit den Puppen beschäftigt. Die haben ja direkt einen Aufruhr in der Puppenfamilie verursacht. Die armen Puppen haben ja keine Eltern mehr und kommen aus Russland. Jetzt müssen sie adoptiert werden. Zuerst haben sie mal Deutsche Namen bekommen. Sie heißen Kurt und Annemarie. Dann muss ihnen ja die Deutsche Sprache beigebracht werden. Außerdem brauchen sie ein Bett und wir sind vorhin gleich auf den Speicher gegangen und haben die kleine Wiege und das Bett herunter geholt. Damit die Betten auch Platz haben, hat Helga sogar auf ihre Puppenküche verzichtet und sie mit rauf getragen. Du siehst also, die Freude über das Erscheinen der Puppenkinder war groß. Jörg hat vor allem imponiert, dass der Kurt sogar eine richtige Fellmütze hat.
Beim Nähen haben wir jetzt auch bis zum 4.Januar Ferien. Das ist ganz gut, denn um die Feiertage rum hat man doch ziemlich viel Arbeit.
Der Frau Diez habe ich in letzter Zeit kein Bild unseres Lausers geschickt. Ein ganz neues habe ich eigentlich auch nicht. Auf den neueren Bildern ist immer ein Besuch mit drauf, entweder Erna oder Papa.
Ob der neue Regenmantel viel abhält, weiß ich auch noch nicht. Ich habe mal nicht den teuersten genommen. Die anderen, die fast doppelt so teuer sind, sind etwas geschmeidiger, aber auch noch dünner. Vielleicht reißen die auf dem Rad noch viel eher. Garantie für die Haltbarkeit übernehmen die Geschäfte nicht. Ich fragte nach der Haltbarkeit. Die Verkäuferin meinte, es kommen manchmal welche, die sind sehr gut haltbar, manche dagegen wieder weniger. Jedenfalls dachte ich, ich probiere es mal.
An den Zeichenblocks und Buntstiften haben die Kinder wirklich Freude. Sie haben schon allerhand gemalt und Jörg hat zu seinem Bild sogar ein Märchen geschrieben. Wenn wieder etwas schwerere Briefe erlaubt sind, schicke ich es Dir mal mit. Eigentlich sollte heute schon in der Zeitung stehen, welche Beschränkungen im Feldpostverkehr aufgehoben worden sind, jedenfalls sagten sie das im Radio. Aber bei uns haben sie´s scheinbar verschlafen. Ich will Dir nun heute die Hülle für das Besteck schicken. Eingepackt habe ich es mal. Ich weiß aber nicht, ob es mehr als 100g wiegt und ob ich es schon schicken kann. Ich habe doch noch mehrere Sachen von Weihnachten hier liegen, auch den Ständer für den Füllfederhalter, aber dazu brauche ich schon eine Zulassungsmarke von Dir, da kann ich alles zusammen senden. Hast Du schon wieder eine Marke?
Dir gefällt also auch ein Kaleidoskop? Siehst Du, als Kind war ich da besser dran, wie Du, denn ich hatte eins bekommen. Das hat mir auch immer so gefallen und als ich es jetzt sah, dachte ich, das muss ich für die Kinder kaufen. Helga hat Dir ja geschrieben, dass Du auch durchsehen darfst, wenn Du wieder auf Urlaub kommst. Kurt hat das Kaleidoskop auch einige Male in der Hand gehabt, und auch er meinte, er hätte als Kind gern mal sowas gehabt, nur bekommen hat er es nie.
Du sollst nicht immer davon reden, dass Du mir nur Kleinigkeiten hättest schicken können. Mich haben alle Sachen wirklich fest gefreut. Außerdem kommt es doch nicht nur auf den Geldeswert an, trotzdem die Sachen sicher auch nicht billig waren, sondern vor allem darauf, dass ich sehe, Du hast immer an mich gedacht und hast zugesehen, dass Du etwas für mich bekommst. Und außerdem hast Du mir ja noch so viel Geld geschickt, dass ich mir wirklich die Wünsche, die ich habe, erfüllen kann, vorausgesetzt, dass es etwas in den Läden zu kaufen gibt. Und wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm. Da warten wir eben bis nach dem Krieg. Was ich nötig brauche, das habe ich ja, vor allem auch dank Deiner liebevollen Fürsorge in den letzten Jahren.
Die Besteckhülle konnte ich leider nicht kleiner machen, als sie ist. Das Messer ist eben doch ziemlich lang. Wenn Du die Hülle daheim hast, kannst du sie flach legen. Da nimmt sie fast keinen Platz weg. Wenn du sie tragen musst, so kannst Du sie so zusammenbinden, wie ich sie Dir geschickt habe. Hoffentlich entspricht sie Deinen Wünschen. Wenn nicht, so schreibe mir, wie Du sie Dir denkst und ich mache Dir eine andere.
Doch, Helga hat das Treppe putzen schon zu meiner Zufriedenheit gemacht. Sie wird ja jetzt schon groß und will auch zeigen, dass sie was kann.
Ein Bild von Kurt schicke ich Dir heute mit. Es ist das, von dem ich Dir schon im Urlaub sprach. Er wollte es Dir schon voriges Mal geben, hat es aber dann vergessen. Kurt war heute Morgen nochmal in der Stadt und hat die Sache wegen der Kriegsbesoldung geregelt. Ich kann nun jeden Monat das Geld für Vater abheben. Gerade war er hier und hat mein Rad wieder gebracht, mit dem er heute in der Stadt war. Paula brauchte ihres heute selber. Er hat gleichzeitig Abschied genommen. Wir gehen ja auf die Bahn, abe richtig auf Wiedersehen sagt man am besten zuhause. Von den Kindern hat er auch noch Küsse bekommen. Es ist Kurt auch nicht ganz leicht, fort zu fahren. Ich muss immer so daran denken, wie du vom letzten Urlaub fort gefahren bist, wie schwer war das doch auch. Vater war gestern Abend ganz still. Ihm ging der Abschied auch nahe.  Eigentlich wollte Kurt von 6 – 7 Uhr herkommen und dann wieder runter gehen. Vater war auch da, aber Kurt kam nicht. Er war am zeitigen Nachmittag schon da und sagte, dass er noch nach St. Kathrinen eingeladen worden sei. Wenn es ein wenig später werden sollte, so wüsste ich ja Bescheid und sollte es Vater sagen. Am Mittag hatte Kurt auch noch einen Brief  von einem Mädel aus dem Geschäft bekommen, weißt Du, von der, die nicht schön aussieht, aber sonst ganz gut sein soll. Kurt will doch von ihr nichts mehr wissen. Er hatte ihr geschrieben, sie soll ihm nicht mehr so oft schreiben, denn aus ihnen könnte nichts werden, wie er ihr auch schon gesagt habe. Nun schrieb sie gestern, sie sei enttäuscht gewesen, das er sie an der Weihnachtsfeier von der Standart nicht einmal kameradschaftlich begrüßt hätte. Ob sie ihm irgendwie zu nahe getreten sei, oder ob er auch Anspielungen von den Kollegen hätte hören müssen, wie sie. Er sei so ernst da gesessen und sie weiß, er müsse sich sicher mit irgendwelchen Dingen rumschlagen, die ihn so ernst machten. Sie wollte ihn nicht ohne einen Gruß aus der Heimat lassen. Kurt hat dann dem Bruder, oder wer es war, der den Brief gebracht hat, gesagt, sie sollte um 3 Uhr sich mit ihm treffen. Kurt meinte, er nimmt sie mit nach Kathrinen, da wäre er wenigstens nicht mit ihr allein. Vater saß nun gestern da und wartete und wartete. Kurt kam nicht. So sind wir bis 12 Uhr gesessen. Dann ist Vater heimgegangen und ich bin noch bis zum Briefkasten mit und habe die Briefe weggeschafft. Wie ich zurück komme und bis am Friedhof bin, kommt Kurt. Ich habe gleich Vater gerufen und bin ihm ein Stück nachgerannt. Ich meinte, dass Kurt nun gleich mit Vater besprechen kann, wann er fährt, denn sonst hätten die Kinder heute runtergehen müssen. Zu meiner Verwunderung kehrt Vater nochmals um und sagt zu Kurt, er käme nochmals mit her. Da haben sie dann noch ein paar Sachen besprochen, ob er dies und das noch mitnehmen wollte, und wann er wegfährt. Dann sind sie gegangen. Wenn Vater heimgeht, warte ich doch immer, bis er auf der festen Straße ist. , weil er schon ein paar Mal in die Wiese reingetappt ist. Wie ich nun gestern noch an der Türe stehe, meint Vater auf einmal: „Geh nur rein und schließ zu.“ Aber in welchem ton. Ich habe mich erst so geärgert. Und weißt Du, warum er das sagte, weil er noch schnell Kurt hinterher laufen wollte und mit ihm sprechen. Ich habe es noch gesehen, weil Kurt schon weg lief und Vater noch schnell hinterher sprang. Ich habe es aber Kurt vorhin gesagt, dass ich schließlich nicht stehen geblieben bin, um zu sehen, was Vater mit ihm spricht und dass ich das ja schließlich nicht riechen kann, dass er noch mit ihm gehen will. Das ist mir doch schließlich auch ganz egal, ob er noch mit die Austraße rum geht oder nicht. Da braucht er doch kein Geheimnis draus zu machen.
Wenn wir heute in die Stadt gehen, nehmen wir gleich das Weihnachtsgeld mit auf die Sparkasse. 50Pfg. habe ich den Kindern noch so geschenkt, dass sie sich dafür kaufen können, was sie freut. Da sind sie ganz glücklich und wollen heute alle Läden daraufhin ansehen.
Nun lass mich schließen. Ich mache jetzt noch das Mittagessen ganz fertig und dann gehen wir fort. Ich grüße und küsse Dich ganz herzlich, Deine Annie.

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