Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 474 vom 19.12.1942


Mein liebsterErnst!                                        Konstanz, 19.12.42

Einen Brief kann ich Dir heute nicht beantworten, denn ich habe keinen erhalten. Aber sonst habe ich Dir allerhand zu erzählen.
Der Vormittag ist heute hingegangen, wie alle Vormittage meist, mit putzen, aufräumen und kochen. Für die Kinder war heute der letzte Schultag. Eigentlich war ihnen ja am Donnerstag gesagt worden, Freitag sei der letzte Schultag, aber am Freitag wurde es plötzlich vom Direktor widerrufen, und so sind sie eben heute nochmals in die Schule gegangen. Aber den Vater hat Helga gestern doch spielen können, und das war ihr ja die Hauptsache. Jetzt freuen sich beide, dass sie Ferien haben und malen sich schon in den schönsten Farben aus, wie fein es ist, wenn man früh ausschlafen kann und nicht aufstehen muss.
Heute wurden doch WHW-Abzeichen verkauft. Aber die sind herzig. Es sind lauter Kinderspielsachen, und man möchte sie alle gern haben. Es gibt Kanonen, Lokomotiven, Schaukelpferde, Steckenpferde, Gänse, Häuschen, Soldaten, Mädchen, Bäume. Also wirklich wunderschöne Sachen.
Am Nachmittag bin ich in die Stadt gefahren. Den Kindern habe ich gesagt, dass ich „Die Post“ holen will, was ja durchaus zutraf, aber hauptsächlich wollte ich nochmals zu der Spielwarenausstellung und zusehen, ob ich was für sie kaufen kann. Erst bin ich bald umgefallen vor Schreck. Standen da Leute vorm Konzil, trotzdem schon ein ganzer Schub reingelassen worden war. Ich habe mich also auch angestellt. Nach ¾ Stunde Warten kam auch ich an die Reihe. Die Panzer, von denen ich einen für Jörg kaufen wollte, waren schon weg. Einen Flieger habe ich noch bekommen können. Dann habe ich mich wegen Helga umgesehen. Sie hätte doch gern so eine Puppenschaukel mit 2 Bänken drin gehabt. Ich fragte nun, ob ich auch für mein Mädel was bekommen könnte, sie wäre aber schon älter als 8 Jahre. Der Hitlerjunge meinte, so genau würden sie es nicht nehmen, das ginge schon einmal zu machen. Ich habe also die Puppenschaukel bekommen. Das Geld kommt ja gleich in die WHW-Sammelbüchse. Ganz billig waren ja die Sachen nicht, der Flieger hat 3.-Mk., die Puppenschaukel 3,50Mk. gekostet. Aber erstens haben sich ja die Kinder viel Arbeit mit den Sachen gemacht und zweitens sind die Sachen, die man jetzt (ausnahmsweise mal) bekommt, noch teurer, ich meine die im Laden. Nun bekommen aj unsere Lauser alles, etwas zum anziehen und Spielsachen. Als ich vorm Konzil stand, kamen gerade Lämmels raus, sie hatten auch für ihre Kinder eingekauft. Frau Lämmel hat ganz große Augen gemacht, dass ich jetzt auch kurze Haare habe. Im ersten Moment wusste ich erst gar nicht, warum sie so schaut, weil mir meine Frisur jetzt schon zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Glaubst Du, in der Spielwarenausstellung behalten sie kein Stück zurück, das meiste ist heute schon weg, und die morgen kommen, werden nicht mehr viel erhalten. Die großen Objekte wie die großen Burgen und Puppenküchen werden versteigert. Einen schönen Ausspruch hörte ich heute in der Ausstellung von einer Frau: „Nein, die Sachen sind mir zu teuer, das zahle ich nicht. Da sauf ich mir lieber einen Rausch an, da hab ich mehr davon.“ Ich hab erst direkt nochmal geschaut, ob es tatsächlich eine Frau war, die so reden konnte. Das muss eine schöne Mutter sein, wenn sie das Geld lieber für Saufen ausgibt, als dass sie ihren Kindern eine Freude bereitet.
Heute bekam ich von der Stadt 16.-Mk. für die Kinder als Weihnachtszuwendung, wie im vergangenen Jahr auch.
Von Erna erhielt ich einen Brief. Sie bedankt sich für mein Päckchen und sie hofft, dass mir ihr Päckchen auch Freude bereitet. Zu Weihnachten wird Siegfried sicher auch nicht daheim sein. Zu Neujahr ist es noch nicht sicher. Erna schreibt, dass sie nicht gern in die Mockauerstraße geht, denn es ist ihr dort jetzt alles fremd. Sie versucht so gut als möglich mit der Frau auszukommen, aber fremd würde sie ihr immer bleiben. Mit der alten Frau Ludwig kommt sie soweit aus. Sie muss ihr eben helfen ins Bett und aus dem bett zu gehen. Da wird sie öfter mal auch nachts gerufen.
Heute hat Jörg einen Bauernhof zum Spielen mit runter genommen. Dafür, dass der Richard mitspielen durfte, musste er ihm ein Heft „Was jeder vom U-Boot wissen muss“ geben. Ich bin nur gespannt, was er da in der nächsten Woche noch alles anbringt, wenn er noch mehr Zeit zum Spielen hat. Übrigens, die Tankstelle haben wir heute noch erheblich verbessert. Ich male sie Dir mal auf. Wir haben jetzt noch vor, ein Tankauto zu bauen. Mal sehen, wie wir´s fertig bringen.
Denke Dir, heute hat mir Helga wieder die Treppe gewischt. Es macht ihr viel Freude, dass sie es schon kann. Später wird sie nicht mehr so viel Lust dazu haben.
Nun lass mich schließen. Ich grüße und küsse Dich wieder ganz herzlich und fest, Deine Annie.

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