Mein lieber Ernst!
Konstanz, 28.1.43
Vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 15.1. Die Frage
wegen des Reviers hast Du ja ausführlich beantwortet. Noch ausführlicher ging
es bestimmt nicht. Jetzt ist ja auch diese Streitfrage geklärt.
Dass Du nicht jeden Brief der Kinder extra beantworten
kannst, das wissen sie schon und verlangen es auch gar nicht. Ich erzähle ihnen
ja immer aus Deinen Briefen. Wenn Du ab und zu einmal schreibst, genügt es
schon und sie freuen sich sehr.
Du hast Dich so gefreut, dass Du wieder Öl für mich bekommen
hast. Deine Freude kann ich nur teilen, und Du weißt ja, geteilte Freude ist
doppelte Freude. Es ist ja so eine Beruhigung, wenn man weiß, man hat noch
etwas Reserve da. Ich kann Dir leider immer nur wieder so im Brief danken, aber
Du weißt sicher, wie sehr ich mich freue.
Die Wochenschau von Weihnachten haben wir hier auch gesehen.
Es waren wirklich schöne Bilder von Kindern, wie sie zu den Kerzen schauen. Uns
hat es sehr gefallen. Den Film „Die Entlassung“ habe ich leider nicht gesehen,
gespielt ist er hier auch worden. Aber wahrscheinlich kommt er später wieder
einmal.
Ich war gestern wieder nähen. Ich will doch auch eine
Kleinigkeit in diesem Kampf beitragen. Es ist ja so wenig, was man tun kann.
Dass man den Soldaten in Stalingrad nicht helfen kann, ist so hart. Wie lange
wird sich dieser Kampf noch hinziehen?
So lange es noch geht, leiste ich mir einmal in der Woche
das Vergnügen, zum Baden und Schwimmen zu gehen. Die anderen Tage habe ich ja
immer zu arbeiten. Wenn die Anforderungen des Krieges noch größer werden, kann
ich ja auch darauf noch verzichten, aber einstweilen behalte ich es bei. Heute
ist ja unser Badetag. Jörg will wieder fest schwimmen. Er hat jetzt Freude
daran bekommen. Er hat schon gesagt, er will mit mir zusammen schwimmen,
natürlich nicht im Tiefen.
Von unserem Küchenzettel habe ich Dir diese Woche noch gar
nicht berichtet. Am Sonntag hatten wir grüne Bohnen, Kartoffeln und Hackbraten,
am Montag weiße Bohnen mit Bratkartoffeln, am Dienstag Kartoffelbrei mit
Wienerle, am Mittwoch Rahmkartoffeln mit Gurkenwürfeln, heute gibt es Möhren
mit Kartoffeln.
Wenn ich nun weiter schreibe, ist der Mittag vorbei. Wir
sind gerade mit essen fertig. Helga wäscht mir gleich ab, damit wir gleich fort
können. Jörg ist nämlich heute erst spät heim gekommen, ½ 2 Uhr, so dass wir
auch erst spät zum Essen kamen. Er ist mit seinen Schulkameraden wieder über
die Wiese heimgegangen, da ist ein Mann mit einer Peitsche gekommen und hat sie
runter gejagt. Sie dürfen doch nicht über die Wiese, aber wie Jungens sind,
immer wieder versuchen sie es. Heute haben sie lange Beine gemacht, damit sie
heil davon kamen, was auch gelungen ist. Durch den großen Umweg ist aber die
Zeit vergangen.
Hast Du auch schon daran gedacht? Alice wollte uns doch
schreiben, bis jetzt ist es aber noch nichts geworden. Sie verspricht auch nur.
D.h. so wild bin ich gar nicht drauf.
Lieber Ernst, ich weiß gar nicht, was ich noch schreiben
soll. Soeben habe ich mich wieder so über Jörg ärgern müssen. Du solltest nur
seine Schuhe wieder sehen. Gestern habe ich sie hergerichtet, heute hat er
schon wieder Gummi weg, und dreckig sind die Schuhe, es ist einfach
schauderhaft. Das kommt natürlich wieder vom Laufen durch die Wiese. Da ist so
ein Schlamm. Aber immer wieder geht er durch. Ich weiß nicht mehr, was ich mit
Jörg machen soll. Soll ich dauernd zuschlagen? Ich weiß mir nicht mehr zu
helfen. Ich kann doch nicht jeden Tag Schuhe reparieren. Und liederlich
rumlaufen kann ich ihn doch auch nicht lassen.
Jetzt hast Du sogar noch was von meinem Ärger hören müssen.
Und bist doch gar nicht schuld daran. Nimm es mir bitte nicht übel. Gerade
versucht Jörg, sich selber Eisen (die er auch noch verloren hat) und Gummi
aufzunageln. Er will mich versöhnen.
Nun lass mich schließen. Sei ganz fest und herzlich gegrüßt
und geküsst von Deiner Annie.
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