Montag, 29. Januar 2018

Brief 506 vom 24.1.1943


Mein liebster  Ernst!                                                     Konstanz, 24.1.43

Siehst Du, meine Hoffnung hat mich nicht getäuscht. Gleich 3 Briefe hab ich heute von Dir bekommen, für die ich Dir recht herzlich danke. Da hab ich wieder was zu beantworten und Du musst nicht mit ein paar Linien zufrieden sein. Aber es ist wirklich manchmal so, man weiß einfach nichts zu schreiben. Es waren heute Deine lieben Briefe vom 11., 12. und 17.1.
Unser Sparkonto hat wirklich zugenommen. Es ist ja auch gut so. Ich meine immer, es hat keinen Wert, unnötige Sachen zu kaufen, die doch nicht wichtig sind. Bei den Sachen zum Anziehen schaue ich schon, dass ich etwas bekomme. Aber man muss da auch mit den Punkten sparen. Die neue Karte mit 100 bzw. bei den Kindern mit 120 Punkten muss bis zum Juli 1944 reichen. Das ist eine ziemlich lange Zeit. Aber ich komme schon durch, denn ich habe ja verschiedenes da, woraus ich den Kindern und mir etwas nähen kann. Helga braucht auch bald einen Mantel, denn der Schulranzen hat am Rücken alles aufgerieben, sodass es nicht gerade schön aussieht. Unter den Achseln ist auch alles zerrieben. Da werde ich den Mantel auftrennen, den ich früher mal von Nanni bekam. Ich wende ihn, und damit bekommt Helga einen ganz schönen Mantel. Aber, um nochmals auf das Geld zu kommen. Ich rechne so: Die Sachen, die wir brauchen, die haben wir. Sollte uns doch einmal das Haus zerschlagen werden, was man nicht hoffen will, so haben wir immerhin noch ein paar Pfennige in der Hand. Dass das Geld kaputt gehen könnte, hoffe ich nicht. Sollte auch das der Fall sein, so müssen wir eben ganz von vorn anfangen. Aber da schrieb ein Soldat jetzt einmal in der Zeitung: „Unser Geld ist so viel Wert, so viel unser Sieg wert ist, denn wenn der Feind gewinnen würde, so wäre bestimmt unser Geld kaputt, aber auch die Sachen, die wir hätten, wären wertlos. Der Feind würde uns ausbeuten, dass wir auch die Sachen nicht mehr behalten könnten.“ Das glaube ich auch. Aber da wir nicht an unserem Sieg zweifeln, so mache ich mir auch wegen dem Geld keine Sorgen. Die Hauptsache ist doch im Krieg erst einmal, dass man nicht hungern muss. Und das ist ja auch nicht der Fall. Dass wir im Frieden nicht mehr so viel sparen können, das glaube ich auch. Das ist aber nicht so schlimm, wenn wir eine gewisse Rücklage haben. Außerdem ist das Wichtigste, dass wir uns alle gesund wiedersehen, dann geht schon alles weiter. Wir haben uns ja bisher auch durchgebissen.
Wegen der Sache „Brose“ schaue ich in den nächsten Tagen mit nach. Heute komme ich nicht gut dazu. Ich will dann noch an Papa schreiben und hinterher stricken, damit ich bald mit dem Strumpf fertig werde.
Verschiedene Päckchen hast Du auch wieder fertig gemacht. Du siehst doch immer zu, dass Du etwas für uns bekommst. Ich freue mich sehr und danke Dir auch ganz fest dafür. Hoffen wir auch wieder, dass alles gut ankommt.
Du schreibst, wenn ich noch Gewicht frei habe, soll ich Dir eine alte Batterie und Seife schicken. Nun ist aber mein Päckchen schon eine ganze Zeit lang an Dich unterwegs. Soll ich Dir ein extra Päckchen mit den Sachen schicken?
Also umgezogen bist Du jetzt wirklich schon oft genug. Schön ist es bestimmt nicht, denn man kann sich den Raum kein Bisschen so ausgestalten, wie man es gerne hätte. Man fühlt sich immer fremd, wenn man alles eingepackt lassen muss. Da war es in Frankreich schon anders und ich glaube auch noch in M.
Wenn Du Deine Malerei so schlecht machst, so ist das nicht richtig von Dir, sie war wirklich schön. Uns hat sie gefallen und auch viel Freude gemacht. Und das ist doch das Wichtigste dabei, nicht wahr?
Dass Dir die Bestecktasche gefallen hat, freut mich. Der Flanellstoff war wirklich wieder einer meiner Reste, d.h. es war noch ein ganz schönes Stück. Ich dachte, es würde sich für diese Tasche eignen, erstens, weil es schöner und appetitlicher aussieht, wenn die Bestecke auf weißem Grund liegen und zweitens, weil sie durch den dickeren Stoff nicht gleich durchstechen. Mit dem Wegschicken der Tasche war es auch so eine Sache. Die Päckchen ohne Marke durften doch nur 100g wiegen. Ich war erst an den Schaltern und habe das Päckchen wiegen lassen, da wog es 150g. Wird nicht mehr ohne Marken angenommen, hieß es. Erst wollte ich sie wieder mit heim nehmen, ich hatte ja noch keine Marke da. Dann dachte ich aber, Du brauchst die Tasche doch, ich probiere es noch beim Paketschalter. Ich habe das Päckchen hingegeben und habe gesagt: „Würden sie es vielleicht wiegen, ob es noch geht?“ Das Fräulein wog es, aber nur mit der Hand, und meinte „geht noch“. Du glaubst gar nicht, wie froh ich war.
Ich  nehme es auch noch nicht ernst, wenn Jörg seine Berufswünsche bekannt gibt. Ich wollte es Dir nur schreiben. Das glaube ich, dass ihm noch manche Dinge begegnen, die ihm nicht passen werden. Da muss er noch manchen Pflock zurück stecken. Bis jetzt will er mit dem Kopf durch die Wand. Helga ist manchmal zu bedauern. Immer fuchst er sie. Wenn sie irgendetwas macht oder sagt, immer mokiert er sich darüber. Helga ist manchmal ganz aufgeregt und zittrig, so ärgert sie sich. Bei Jörg ist es ganz komisch, erst kann er lieb sein und mich abdrücken und küssen, im nächsten Moment, wenn ihm was nicht passt, dann brüllt er rum, wie nicht gescheit. Nur, ich lasse mir´s nicht gefallen. Heute Morgen war´s auch wieder so. Ich hatte den Kindern die frischen Sache geholt. Da ich meinte, dass der Pullover noch sauber sei, hatte ich Jörg keinen mitgebracht. Als ich beim Bettenmachen bin, schreit er rüber: „Es ist kein Pullover da.“ Ich sage: „Deiner wird doch noch sauber sein.“ „Von wegen sauber, dreckig ist er, ich kann ihn  nicht mehr anziehen, ich brauche einen frischen“, sagt er. „Also, dann hol dir einen sauberen“, sage ich zu ihm. „Hei nochmal, jetzt soll ich mir selber einen holen, denkst Du, ich friere nicht?“ er war ganz wütig. Da ich mich aber gar nicht mehr um ihn gekümmert habe, ist er dann ohne ein weiteres Wort gegangen. Nach fünf Minuten war er wieder der friedlichste Mensch. Genauso, wie es mir mit Jörg geht, wird es der Lehrerin mit den vielen Buben gehen. Wenn sie da nicht durchgreift, da ist sie verloren. Ich kann es ihr nicht verdenke, wenn sie Tatzen austeilt.
Wie ich Dir schon schrieb, ist Helga wieder ganz gesund und munter. Dass sie sich die eine Woche noch schonen konnte, hat ihr bestimmt gut getan.
Gerade sind die Kinder zusammen in der Stube und hören sich das Märchen „Rotkäppchen“ an. Man hört es ja jetzt so gut bei dem neuen Radioapparat, den Du, lieber Kerl, besorgt hast.
Nun lass mich wieder schließen. Ich schreibe jetzt noch an Papa und lege den Durchschlag noch hier bei.
Ich grüße und küsse Dich ganz herzlich und fest Deine Annie.

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