Montag, 29. Januar 2018

Brief 505 vom 23.1.1943


Mein liebster, bester  Ernst!                                           Konstanz, 23.1.43

Gestern habe ich leider nicht geschrieben, aber ich wusste gar nicht, von was ich Dir berichten sollte. Ich war, außer de kurzen Zeit, wo ich die Kleiderkarte holte, den ganzen Tag daheim und habe meist gestrickt. Mit dem einen Strumpf bin ich nun fertig und habe auch bereits den zweiten angefangen. Jetzt wird Dein Vater nicht mehr so lange zu warten brauchen.
Heute war ich am Vormittag auch unterwegs. Jörg habe ich gleich wieder zur Schule mitgenommen. Dann habe ich eingekauft und Deine Zeitungen besorgt. Ich konnte heute ziemlich viel Wurst kaufen, da wir die Woche über wenig Fleisch gebraucht hatten, 300g Mettwurst und 100g Leberwurst. Da freuen sich die Kinder sehr, denn die essen doch Wurst viel lieber als Fleisch, vor allen Dingen Jörg.
Helga und Jörg waren gestern beim Turnen. Heute hat Helga starken Muskelkater und sie ist auch so kaputt. Ich glaube, es hat sie fast zu sehr angestrengt. Sie haben gestern am Barren und Reck geturnt. Jörg macht das ja wieder gar nichts aus. Jörg ist wieder draußen zum Spielen. Helga hat es sich ein Bisschen auf dem Sofa bequem gemacht. Ich habe drüben Feuer gemacht, da ich beim längeren Sitzen hier in der Küche immer so kalte Füße bekomme. Da ist es in der Stube gemütlicher. Im Freien ist es heute ja nicht gerade zu sehr kalt. In den letzten Tagen hatten wir ziemlichen Frost, dazu etwas Nebel, so dass alles voll Reif war. Heute hat nun alles getaut. Aber schmutzig ist es dadurch überall.
Gestern habe ich auch wieder meinen Luftschutzkoffer richtig eingeräumt. Man holt ab und zu ein Stück heraus und wenn man dann nachsieht, ist gar nichts Notwendiges mehr drin. Das ist ja nicht der Zweck der Sache. Nach Nägeln bin ich heute auch gelaufen. Ich habe zwar noch welche da. Aber wie lange werden die reichen und wenn man gerade keine bekommt, sitzt man da. Es gibt sowieso immer nur für 10 Pfg. Dann habe ich noch einen beweglichen Griff für die Büchertruhe besorgt. Den habe ich vorne am Deckel festgemacht. Wenn die Kinder die Truhe öffnen wollen, brauchen sie nur am Griff anzufassen. Schwarze Schuhcreme konnte ich heute auch bekommen, dagegen war meine Nachfrage nach einer Tafel und nach Griffeln umsonst. Vielleicht bekommt ein Geschäft am Montag welche, da will ich gleich hingehen, denn Jörg seine Tafel fällt nun bald endgültig aus dem Rahmen. Seit einigen Monaten laufe ich ja nun schon nach der Tafel rum.
Eigentlich wollte ich auch noch an Papa und an Erna schreiben, aber ich habe heute gar nicht die richtige Schreiblust. Ich verschiebe es noch bis morgen. Da muss ich mich ja dann wirklich dran setzen, sonst ist Papa vor allen Dingen beleidigt. Ich muss ihm ja für´s Paket mit Zeitungen danken. Er hatte mir auch unsere Weihnachtskrippe mitgeschickt, die wir zuhause immer hatten. Weißt Du, es ist so eine durchsichtige aus Papier.
Jetzt bin ich mit meiner Weisheit schon wieder am Ende. Manchmal weiß man so viel zu schreiben  und dann fällt einem wieder gar nichts ein. Du nimmst es mir aber bitte nicht übel, nicht wahr? Briefe habe ich gestern und heute nicht von Dir erhalten. Vielleicht kommen morgen wieder mehrere zusammen, da habe ich auch wieder viel zu beantworten.
Sei Du, mein liebster Mann, wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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