Dienstag, 16. Januar 2018

Brief 498 vom 15./16.1.1943


Mein lieber, guter Ernst!                                                                                    Konstanz, 15.1.43

Einen Brief habe ich heute nicht von Dir bekommen, dafür erhielt ich aber Dein liebes Päckchen Nr.53 mit Mehl. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Ich habe nun die Päckchen laufend bis Nr.53, denn in dem Päckchen mit Butter stand zwar Nr.51, aber es muss sicher 52 heißen, denn im Päckchen Nr. 51 waren doch die Puppen. Hab also für das Mehl recht herzlichen Dank, ich kann es ja sehr gut gebrauchen.
Meinen gestrigen Brief habe ich gleich heute um 6 Uhr wegeschafft. Ich schreibe das nur, damit Du, wenn Du evtl. auf dem Briefstempel nachsiehst, nicht denkst, ich wäre doch abends noch gegangen. Das habe ich ganz aufgegeben.
Ich war heute den ganzen Tag daheim und habe genäht. Ich habe Bettwäsche ausgebessert. Nach 11 Jahren geht eben doch auch manches kaputt. Bis jetzt habe ich 4 Kissen und einen Bettbezug fertig. Jetzt habe ich noch 2 Bettbezüge da, einen von Mama, den Papa mir geschickt hatte und einen von Vater. Dafür wollte er mir schon lange Stoff mitbringen, aber er vergisst es immer wieder. Die zweite Arbeitsjacke von Vater will ich mir morgen zum Ausbessern vornehmen. Die ist auch ziemlich kaputt.
Heute Nachmittag war Helga wieder beim Turnen. Jörg ist nicht mitgegangen. Er hatte alle möglichen Ausreden. Er sei müd, es sei ein so weiter Weg usw. er meinte auch, es lohne sich gar nicht, zwei Stunden rumzulaufen, um eine Stunde zu turnen. Am liebsten ginge er überhaupt nicht mehr. Leider muss ich ja sagen, dass ich es als Kind auch so gemacht habe. Ich bin mal eine Weile turnen gegangen, dann hatte ich wieder genug davon. Später bin ich wieder mal dem Turnverein beigetreten, aber lange habe ich es nie ausgehalten. Die richtige Lust habe ich erst später bekommen. Da muss ich Dir gerade auch schreiben dass ich leider gemerkt habe, dass Jörg auch noch einen anderen Fehler von mir hat und zwar einen, über den ich mich bei ihm am meisten ärgere, das träumen. Es ist mir jetzt schon ein paar Mal passiert, dass ich abends, wenn ich schon ausgezogen war und ins Bett gehen wollte, plötzlich stehen geblieben bin, weil mir gerade was eingefallen ist und das habe ich mir im Geist so vorgestellt, dass ich einfach das Weitergehen vergessen habe. Wenn ich es dann gemerkt habe, habe ich mich geärgert und auch gedacht, bei Jörg schimpfe ich und selber tue ich es. Ich erinnere mich jetzt auch, dass meine Lehrerin öfter zu mir gesagt hat „Marianne, was träumst Du denn wieder?“ Ich habe mir dann meist das, von dem vorher gesprochen wurde, so lebhaft vorgestellt, dass ich alles andere nicht mehr gehört habe.
Jetzt schreibe ich Dir mal noch unseren Speisezettel von dieser Woche. Ich weiß zwar nicht, ob Dich das überhaupt interessiert. Du kannst es mir ja schreiben, dann lasse ich es nächstes Mal weg. Am Montag hatten wir Erbsen, Kartoffeln und Soße (als Eintopf), am Dienstag Wirsing, am Mittwoch Spätzle-Suppe, Bratkartoffeln, am Donnerstag Kartoffelbrei mit Hackfleisch nd heute gab es Nudelsuppe und Eierkuchen.
Heute war es auf der Straße zum ersten Mal wieder trocken. Das ist direkt wieder einmal schön, wenn keine nassen Schuhe rumstehen und nasse Hosen und Handschuhe rumhängen. Wie lange wird das Wetter aber anhalten?

                                                                                                                        16.1.

Lieber Ernst! Eigentlich hatte ich gestern Abend fertig schreiben wollen, aber ich hab jetzt wieder einmal eine Zeit, wo ich abends gleich müde werde. Ich bin schon um 9 Uhr schlafen gegangen. Mir war es ganz schlecht vor Müdigkeit. Ich habe wieder schön ausschlafen können und heute früh bin ich sogar mit Lachen aufgewacht, denn ich hatte einen ganz lustigen Traum, natürlich verdreht, wie nun Träume einmal sind. „Ein Mann will Saurier schießen und schwimmt in ihre Nähe. Die Viecher merken das, schwimmen ihm nach, der in aller Eile ans Land gesaust, die Viecher ihm auf den 2 Hinterfüßen nach. Als er nicht mehr kann, lässt er sich einfach hinfallen, damit die Tiere an ihm vorbeisausen sollen. Da wischt ihm der Vorderste Saurier im Vorbeirennen eins mit der Vorderpfote ins Gesicht und ruft „Du Kamel“. Das waren Bilder zum kranklachen. Ich habe so lachen müssen, dass ich darüber aufgewacht bin. Als ich es den Kindern erzählte, haben die über den redenden Saurier auch lachen müssen. Dadurch war heute der ganze Morgen fröhlich.
Ich fahre nun in die Stadt. Jörg hat so lange gebettelt, bis ich ihn mitnehme zur Schule. Er ist gerade beim Schuhe putzen. Ich schließe jetzt, mein lieber Mann und grüße und küsse Dich ganz fest und herzlich, Deine Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen