Mein liebster Ernst ! Konstanz, 4.1.43
Jetzt komme ich endlich zum Schreiben. Ich war heute den
ganzen Tag auf den Beinen. Jetzt bin ich schon redlich müd. Am Morgen sind wir
heute schon zeitig aufgestanden, da Jörg ja wieder in die Schule musste. Er ist
äußerst schwer aus dem Bett gekommen. Das zeitige Aufstehen war er gar nicht
mehr gewohnt. Mit viel Freude ist er auch nicht in die Schule gegangen, und wie
er mir heute Nachmittag sagte, hat es ihm auch gar nicht gefallen. Die Lehrerin
sei jetzt so streng. Sogar Tatzen hat sie gleich ausgeteilt, zwar nicht ihm,
aber beleidigt war er darüber doch.
Als Jörg fort war, habe ich erst aufgeräumt und bin dann
gleich ins Waschhaus gegangen. Den Vormittag über habe ich gewaschen. Auf einer
Leine hatte ich ein Bettuch und das Badetuch aufgehängt. Wie ich wieder
runterschaue, hängt beides in den Brombeeren (vom Wind) und der Draht ist
gerissen. Das hat mich dann auch gefreut, bei der Kälte den Draht wieder
flicken. Ich habe von unserem Draht etwas genommen zum Verbinden der zwei
Drahtenden. Vom weiteren Aufhängen habe ich dann Abstand genommen, denn es
stürmte dann wieder und dabei schneite es manchmal. Jörg kam ¼ 11 heim. Er hat
nur den Schulranzen hin gestellt und dann war er schon mit dem Schlitten unten.
Neben dem Haus haben sie sich doch eine Rodelbahn gebaut. Da gibt es unten eine
scharfe Kurve, die muss natürlich richtig genommen werden. Das ist doch klar.
Ehe ich weiter vom Tagwerk berichte, will ich erst von
unserer Helga schreiben. Ihr geht es wieder soweit gut. Ganz ist das Stechen
noch nicht weg, aber es hat sehr nachgelassen. Am Nachmittag hat sie in der
Küche auf dem Liegestuhl gelegen, und zum Abendbrot ist sie schon aufgestanden.
Ich denke, dass bald alles wieder in Ordnung ist. Sie hat schon mit ihren
Puppen ein Theaterstück geprobt, das sie uns vorführen will, wenn sie wieder
gesund ist. Die kleinen Puppen haben dazu schon ein Perlenkränzchen und Flügel
bekommen. Es wird also sicher ganz schön. Das Fensterbrett soll dann die Bühne
werden und die Gardinen sind der Bühnenvorhang.
Nach dem Essen bin ich in die Stadt gefahren. Ich habe für
mich Gasmasken geholt und für Vater die Lichtrechnung bezahlt. Außerdem habe
ich für ihn einen Antrag auf einen Bezugsschein für ein Paar Schuhe
weggeschafft. Dann war ich beim Tengelmann, beim Bäcker, Fleischer und in der
Molkerei. Ganz beladen kam ich heim. Es war schon eine ziemlich schwierige
Fahrerei bei dem Schnee und der Glätte. Aber ich bin doch heil heim gekommen. Ich
habe dann noch meine Wäsche fertig gemacht, indem ich verschiedene Sachen, die
ich im Waschhaus abtropfen ließ, auf den Speicher geschafft habe. Dann habe ich
das Abendessen fertig gemacht, denn Jörg kam schon mit einem riesigen Hunger
herein, was man sich ja denken kann, wenn er den ganzen Tag im Freien ist. Nach
dem Abendbrot habe ich wieder alles aufgeräumt, die Kinder sind ins Bett
gegangen und ich habe mich ans Schreiben gesetzt.
Doch nun will ich das Wichtigste nicht vergessen. Ich
erhielt heute Deinen lieben Brief vom 20.12. Leider musste ich lesen, dass Du
ins Revier gemusst hast. Das ist ja weniger schön. Ich glaube, mit der
ukrainischen Krankheit wirst Du nie ganz fertig. Gott sei Dank habe ich aus
Deinen späteren Briefen, die ich aber schon vorher erhielt, gelesen, dass Du
wieder in Deine Unterkunft bist, dass es also doch vielleicht bald wieder gut
ist. Ich habe mir schon überlegt, ob bei der Weihnachtsfeier der Gruppe
vielleicht deshalb für Dich kein Platz reserviert war, weil der Mann, der das
leitete, meinte, Du seist noch im Revier. Kann das nicht der Fall sein? Aber
das ist jetzt nicht das Wichtigste. Vor allen Dingen hoffe ich, dass Du wieder
ganz gesund bist und dass es Dich nicht gleich wieder packt. Denn sowas
schwächt doch auch sehr. Bleib mir also gesund, mein liebster Ernst.
Du fragst, ob die Kinder bei dem Theaterstück tatsächlich
Geschenke für die Soldaten brachten. Nein, das war nicht der Fall. Es waren
leere Kartons und jede sprach dazu ihr Verschen. Die eine sagte, sie würde ihre
Harmonika ihrem Vater schicken, die er sich so gewünscht hat, Helga wollte
Plätzchen mit Mandeln und Rosinen schicken, da die Männer der Marine ja ihre
Aale, die sie an Bord haben, alle wegschießen usw.
Ein Opfer war es für uns nicht, Dir etwas für Weihnachten zu
schicken, sondern eine ganz große Freude. Das darfst Du glauben. Wir haben
deshalb auch nicht gehungert und zu Weihnachten haben wir auch unser Gebäck und
unsere Stolle gehabt.
Wenn in Euren Unterkünften überall die Lampen heraus
genommen worden sind, was brennt ihr denn dann? Müsst Ihr immer im Dunkeln
sitzen? Übrigens habe ich noch eine Frage. Die Kinder konnten sich nicht
darüber einig werden, wie das Revier, in dem Du warst, beschaffen ist,
überhaupt, wie ein revier aussieht. Ich wusste auch nicht genau Bescheid. Eins
meinte, es sei ein Krankenhaus, das andere meinte, es sei eine große Stube. Da
ging dann die Meinung auseinander, ob es so groß ist, wie unsere Wohnung oder
wie ein großer Singsaal in der Schule. Also diese Frage musst Du unbedingt
beantworten, nicht wahr? Die Kinder warten schon drauf.
Heute schicke ich einige Zeitungen an Dich ab. Ich habe sie
diesmal nur mit einem einfachen Streifen überklebt. Hoffentlich kommen sie auch
so gut an. Andernfalls würde ich wieder doppelt kleben.
Nun lass mich schließen. Ich grüße Dich herzlich und küsse
Dich viel, vielmals, Deine Annie.
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