Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 478 vom 23.12.1942


Mein liebsterErnst!                                        Konstanz, 23.12.42

Ein Tag noch bis Weihnachten. Ich merke das. Unsere Kinder können es nun wirklich bald nicht mehr erwarten. Trotzdem die Tage sonst nicht lang genug sein können, damit sie Zeit zum Spielen haben, hätten sie am liebsten den heutigen Tag ganz gestrichen. Wir sind heute Morgen gleich in die Stadt gegangen. Da haben die Kinder noch für mich eingekauft. Sie sagte, ganz schöne Sachen hätten sie bekommen, ich würde mich sicher freuen. Muss ich da nicht neugierig werden? Ich habe für die Feiertage noch alles eingekauft. Erst habe ich noch Sohlenschoner besorgt. Die habe ich bekommen, aber keine Nägel dazu. Da bin ich zum Mannhart. Die hatten auch keine. Beim Straub erhielt ich dann 100g. Nur gut, dass Du mir damals in Frankreich noch Nägel besorgt hast, sonst säße ich schon längst auf dem Trockenen und könnte schon keine Schuhe mehr reparieren. Ich habe dann den Zahnschein für Jörg besorgt, bin hinterher auf die Sparkasse gegangen und habe die 100 Mk. von Dir gewechselt, sonst hätte ich ja den Kindern gar nichts auf den Tisch legen können. Ich bin dann noch zum Beck und habe den Zahnschein hingebracht. Inzwischen hatten die Kinder etwas für mich eingekauft. Wir haben uns dann beim Haug wieder getroffen und sind zum Tengelmann gegangen. Ich habe auch noch Mehl und Hefe, Käse, Fleisch und Wurst besorgt. Nun muß ich gar nichts mehr besorgen. Dass ich das Tragen so schlecht vertrage. Ich habe wieder elende Kopfschmerzen davon bekommen. Nur gut, dass ich im Allgemeinen mein Rad habe. Da merkt man die Last nicht.
Gegessen haben wir heute ziemlich spät. ¾ 1 sind wir heim gekommen, da habe ich noch gekocht und um ¼ 3 Uhr war es soweit. Es hat uns aber nichts geschadet, wenn wir auch mal so spät fertig wurden. Ich habe dann den Christbaum geschmückt, während die Kinder ganz geheimnisvoll etwas für mich in ihrem Zimmer machten. Hinterher habe ich noch 2 Kuchen gebacken, einen in der Napfkuchenform. Jetzt, wo er fertig ist und eine weiße Zuckerkappe hat, sieht er direkt zum Anbeißen aus.
Nachdem auch die Backerei fertig war, haben wir Abendbrot gegessen und nun sind die Kinder ins Bett gegangen. Sie wollten eigentlich heute Abend noch an Dich schreiben, aber es war zu spät und ich habe ihnen gesagt, sie sollen morgen zeitig mit mir aufstehen und gleich damit anfangen, da sind sie dann auch viel frischer dazu. Sie waren gern damit einverstanden. Ich war auch froh, dass sie ins Bett gegangen sind, denn, wie es bei Kindern nun mal ist, es geht nicht immer ruhig zu und jedes Wort hat mir im Kopf wehgetan. Im Bett singen sie jetzt noch ganz leise Weihnachtslieder. Helga meinte vorhin zu mir, „wenn Du uns morgen früh weckst und wir wollen nicht gleich aufstehen, so sage nur „Heute ist Weihnachten“, da springen wir gleich raus. Ich sage dann zu der Nacht „danke schön, dass du vergangen bist“ und im Bad bleiben wir ganz lange, damit wir zuhause nicht mehr so lange warten müssen.
Ich hatte Dir doch von der Maus im Keller geschrieben. Wir hatten ja eine Falle aufgestellt, da aber keine dran ging, meinten wir, sie sei schon fort. Sie war auch fort, aber nur im anderen Keller, bei Nussbaumers drüben. Als Frau Leimenstoll heute in den Keller ging, ist sie gerade von drüben in unseren Keller gesprungen. Jetzt wird wieder Jagd auf sie gemacht. Überall werden Fallen aufgestellt. Mal sehen, ob sie auch rein geht.
Heute Morgen erhielt ich ein Päckchen von Papa mit den Anzeichen vom Sonntag. Dazu einen Brief, in dem er schreibt, dass sie die Sachen für den Weihnachtsbaum Erna und Siegfried gegeben hätten, auch den Ständer. Sie machten dieses Jahr keinen Baum. Mit den Christbaumsachen sei wieder eine Erinnerung an unsere liebe verstorbene Mama zu ihnen gewandert. Einen Christbaum hat Papa auch für Erna gekauft. Warum Papa gar keinen Baum macht, kann ich zwar nicht ganz verstehen. Gerade Papa hat doch an sowas sehr gehangen. Ob seine Frau nicht dafür ist? Und wenn es ein ganz kleines Bäumchen gewesen wär. Es wär doch ein ganz anderes Weihnachten. Siegfried kommt vom 29.12. bis 3.1. auf Urlaub.
Nachdem ich nun von allem Möglichen geschrieben habe, will ich Dir auch Deine lieben Briefe vom 10. Und 14.12. beantworten, die heute Nachmittag ankamen. Wenn ich recht verstanden habe, hast Du noch ein zweites Paar Puppen bestellt. Da wird sich Helga aber freuen. Sie hat doch Puppen so gern. Da wird sie einen Stolz haben. Hoffentlich kommen sie gut hier an. Das ist die Hauptsache. Inzwischen hast Du mir nun auch geschrieben, dass alle 120 Mk. für uns bestimmt sind. Da ist also meine Anfrage, die ich inzwischen gemacht habe, überflüssig geworden. Ich möchte Dir aber heute nochmals danken, Dir ganz lieben Mann. Auch für das Schreibpapier, die Briefumschläge und den Film. Ja, mein lieber Ernst, ich sehe wirklich immer wieder, dass Du bei jeder sich bietenden Gelegenheit an uns denkst.
Mit den vielen Nullen bei den Küssen wollen sie immer zeigen, wie lieb sie Dich haben. Es können gar nicht genug sein. Bei dem Gruß, den Jörg in einem der letzten Briefe, bei Fliegeralarm, beigefügt hat, hat er, glaube ich, den Rekord geschlagen. Diese Zahl kann man ja wirklich nicht lesen. Ich glaube, schon wenn jede Null einen Kuss bedeutet, bekämst Du jetzt schon allerhand. Aber wie sollen die kleinen Lauser sonst ihre Liebe zu Dir ausdrücken. Es bleibt ihnen ja einstweilen nichts weiter übrig.
Von den Küssen, die Du mir schickst, gebe ich den Kindern auch gern welche, es hat nur den einen Haken, dass ich sie ihnen jetzt immer nur auf die Backe aufdrücken kann, denn ich bekomme jetzt einfach den Schnupfen nicht los und anstecken will ich sie doch nicht. Bei mir, ich meine, bei meinen Küssen, müssen sie auch mit der Backe zufrieden sein. Ein Bisschen umständlich ist es ja, erst halten sie beide Backen her, dann ich. Aber es geht schon, zur Not.
Siehst Du, das ist es bei dem Rad kaufen. Ich kenne mich da nicht so aus und vielleicht bekomme ich was aufgehängt, was gar nicht mehr so viel taugt. Aber probieren kann ich es ja mal.
Du schreibst in Deinem Brief von einer Laubsäge. Du, das wäre prima. Sowas habe ich schon immer gesucht.
Aber nicht nur für Jörg, sondern auch für mich. Wenn sie noch da ist, bekommt er sie nicht ganz geschenkt, sondern ich sichere mir meinen Anteil daran.
Durch mein Erlebnis im Bad hast Du ja wieder eine Gelegenheit gefunden, mich zu fuchsen. Das ist so für Dich das Richtige, Du böser Kerl. Aber dass ich nun aus Zorn 10 Mal um das Bassin rumgeschwommen bin, ist nicht der Fall, es hat mir einfach Spaß gemacht. Inzwischen konnte ich Dir ja schon schreiben, dass Jörg mehr Freude am Schwimmen hat, als bisher. Morgen will er es ja wieder versuchen.
Der Brief, den Du an Vater geschrieben hast, ist wieder hier bei mir abgeliefert worden. Ich sagte ja schon Mal, man braucht gar keine nähere Adresse. Es kommt doch alles zu mir her.
Helga hat sich schon manchmal Gedanken gemacht wenn sie Dir in letzter Zeit nicht mehr jeden Tag geschrieben hat. Aber ich denke, Du wirst das schon verstehen und ihr nicht übel nehmen. Jörg schreibt nicht so gern, aber morgen will er sich dran setzen.
Den Durchschlag des Briefes an Kurt werde ich ihm morgen geben. In Deinen Gedanken suchst Du ihn ja morgen in Russland und nicht in der Heimat.
Vorhin, bei den Frontberichten, wurde von den Proben für die morgige Ringsendung berichtet. Man hörte da, wie die verschiedenen Stationen aufgerufen wurden. Auf einmal hieß es „Hallo Poltawa, hallo, was sind denn da für Störungen in der Leitung?“ „Die kommen wahrscheinlich von Charkow“ war die Antwort. Du kannst Dir denken, wie wir da aufgehorcht haben.
Doch nun lass mich schließen. Es wird schon wieder spät. Ich will den Brief noch fortbringen.
Ich grüße und küsse Dich wieder recht herzlich, mein lieber Ernst, und wünsche Dir auch ein recht gesundes neues Jahr. Ich schreibe Dir deshalb zwar noch gesondert einen Luftpostbrief, aber wenn er ja nicht richtig ankommen sollte, so möchte ich Dir heute schon meine Wünsche aussprechen. Ich hoffe, dass wir uns auch im kommenden Jahr gesund wiedersehen werden und dass auch das kommende Jahr gut vorbei geht und dass wir vielleicht doch dem Sieg und Ende des Krieges näher kommen. Unsere lieben Kerlchen, die hoffentlich auch immer gesund bleiben, werden Dir ihre Wünsche auch noch schreiben.
Sei nun nochmals herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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