Dienstag, 16. Januar 2018

Brief 499 vom 16.1.1943


Mein lieber, lieber Ernst!                                                                                   Konstanz, 16.1.43

Diese Woche wäre wieder zu Ende. Ganz so lustig, wie der Tag angefangen hat, ist er ja nicht gewesen, aber man kann trotzdem zufrieden sein. Am Morgen hatte ich Dir ja noch geschrieben, ehe ich in die Stadt gefahren bin. Ich habe allerhand besorgt und auch von einem Teil des Weihnachtsgeldes habe ich mir was gekauft, eine Kleiderschürze. Sie hat 10.85 Mk. gekostet und 30 Punkte. Jetzt bin ich mit meiner Kleiderkarte auch gleich am Ende angekommen. Diese Woche bekommen wir ja die neue Karte, aber da sind nicht mehr so viele Punkte drauf, vor allen Dingen muss man auch Punkte abgeben, wenn man Schuhe holt. Man braucht da einen Bezugsschein und Punkte. Die Schürze hat eine schöne, blaue Farbe, nicht so dunkel und ist fast wie ein Kleid gearbeitet. Sie gefällt mir sehr gut und wird mir im Sommer sicher gute Dienste leisten. Vom Weihnachtsgeld habe ich jetzt noch 44.15 Mk. daheim. Als ich heimfuhr, bekamen wir auch Voralarm. Die Kinder wollen in der Schweiz Fallschirme gesehen haben, aber vielleicht haben die eine Übung dort gehabt. Ich bin mit bei Herrn Kuster vorbeigefahren und habe gefragt, wie viel die Briefmarken kosten, die er mir am Sonntag besorgt hat. Es waren nur 90 Pfg. Da sind die Marken ja noch nicht, sie kommen ja von Straßburg, aber die werden so viel zu stempeln haben, dass das nicht so schnell geht. An der Omnibushaltestelle traf ich Resi, die Abzeichen verkaufte, Helga stand bei ihr. Sie verkauft so gern Abzeichen und fragte mich, ob sie noch ein Weilchen mitgehen darf. Ich hatte nichts dagegen. Resi sagte mir, dass Fritz jetzt auch im Osten sei. Seine anderen Kameraden, die länger Urlaub hatten, sind zurück gerufen worden, bei ihm hat man es unterlassen, weil er ja sowieso am 28. Wieder zurück sein musste.
Als ich heim kam, fand ich im Briefkasten Deinen lieben Brief vom 5.1. und eine Karte von der Expressgutstelle von gestern. Da aber hier draußen nur einmal ausgetragen wird, ist sie erst heute angekommen. Abzuholen war ein Päckchen von 3 Kg von einem Leibelt aus Brest-Litowsk. Ich dachte mir gleich, dass das ein Kamerad von Dir ist, dem Du das Päckchen mitgegeben hast. Was mich weniger freute war, dass er das Päckchen in Polen aufgegeben hatte und dass es nun durch den Zoll ging. Ich musste also gleich nochmals in die Stadt fahren. Auf der Expressgutstelle gab ich meine Karte hin. Das Fräulein sagte gleich zu einem Beamten: „Jetzt kommt jemand wegen dem Express-Zollgut“. Der hat mich erst mal angesehen und meinte: Bekommen Sie das Zollgut?“ Nachdem ich nochmals bejaht hatte musste ich 47 Pfg. für Lagerung und Benachrichtigung bezahlen, dann meinte er, ob wir Franzosen seien, der Name sei doch französisch. Als ich ihn auch darüber beruhigt hatte, sagte er, ich solle zum zweiten Bahnhof zur Zollabfertigung gehen. Mein Päckchen gab er einem Mann der Gepäckstelle mit. Auf der Zollabfertigung standen erst mal 3 Mann um das Päckchen herum und konnten sich nicht einig werden. Dann kamen 2 Mann in Zivil herein und schauten das Päckchen an. Ich dachte erst noch, was haben denn die damit zu schaffen, da fragte mich der eine: „Ist das Päckchen von ihrem Mann, ist er in Russland?“ Als ich bejahte, sagte er zu den Zöllnern: „Schauen Sie nach, wenn es Lebensmittel sind, werden sie nicht erst verzollt.“ Zu mir gewandt meinte er: „Wäre das Päckchen auf deutschem Boden aufgegeben worden, hätten Sie nicht die Scherereien gehabt, denn jeder Urlauber kann ja das zollfrei mitnehmen, was er tragen kann und dazu gehören selbstverständlich auch solche kleinen Päckchen.“ Ich habe dann ausgepackt, und als sie sahen, dass es Honig und Haut-Öl war, konnte ich abziehen. Der Leibelt ist ja schon eine putzige Nuss, hätte er das Päckchen nicht auch noch bis Deutschland mitschleppen können, wenn er´s schon bis Polen gebracht hat? Oder geht das nicht? Jedenfalls war ich froh, als ich die Sachen zuhause hatte. Ich habe den Honig dann im Wasserbad aufgelöst und ihn in Gläser getan. Es hat 3 Pfundgläser ganz voll bis zum Rand gegeben und außerdem noch die Hälfte eines ½ Pfund-Glases. Dir möchte ich recht sehr danken, Du bist ein ganz lieber Kerl, dass Du das wieder für uns besorgt hast. Geschleckt haben wir mal und wir sind uns einig, dass es prima schmeckt.
Heute Nachmittag ist Helga noch eine Weile mit Ingrid sammeln gegangen und dann haben sie bei Resi gespielt. Um 6 Uhr ist Helga wieder zuhause gewesen. Jörg hat den Nachmittag über wieder oben im Hausgang mit Richards Eisenbahn gespielt. Ich habe die Treppe geputzt, aufgeräumt und gebastelt. Weißt Du was? Das muss ich Dir genau erklären. Du kennst doch unseren Küchenschrank, da ist oben ein Fach, bzw. ein Brett drin. Nun stand alles so zusammengequetscht. Das passte mir schon lange nicht. Bei dem Küchenschrank von Mama hatte ich nun was Praktisches gesehen. Über dem Brett ist doch ziemlich viel Platz, so hoch sind doch die Kannen gar nicht. Da war nun bei Mama hinten noch ein schmales Brett angebracht, wo man Tassen und andere kleine Sachen draufstellen konnte. Das habe ich jetzt bei meinem Schrank auch gemacht. Es ist nur 10 cm breit, gegenüber dem unteren Brett von 25 cm Breite. So kann man die Sachen auch gut herunter nehmen, wenn es breiter wäre, bekäme man sie nicht aus dem Schrank, weil doch die Tür nicht ganz bis rauf geht. Es sieht sehr nett aus. Ich habe Bretter aus dem Keller genommen. Damit sie nicht so ruppig aussehen, habe ich sie mit Sandpapier abgeschliffen. Das hatte ich mal vor Weihnachten gelesen, wo von selbstgefertigten Holzsachen die Rede war. Es ist auch ganz schön glatt geworden. Angenagelt habe ich das Brett nicht, sondern ein richtiges Gestell gemacht. Ich zeichne es Dir am Schluss mal ein wenig auf.
Nun zu Deinem lieben Brief. Ja, Du musst schon entschuldigen, wenn auf dem einen Brief die Unterschrift fehlte. Mir ist es später auch noch aufgefallen, aber da war der Brief schon zu. Es war nicht böse gemeint.
Wenn Du nur das eine Paar Puppen gekauft hast, so ist das schon recht. Es langt auch so, denn die Kinder haben ja schon viele Puppen und der Preis ist ja auch wirklich hoch. Bei dem einen Paar reut es Dich ja nicht, wie Du schon schriebst, wenn sie Freude gemacht haben und das ist ja auch tatsächlich der Fall.
Du meinst, dass Du wohl manche Sachen in Frankreich hättest noch kaufen können. Das muss Dich jetzt nicht mehr reuen. Du hast Vieles gekauft, was mir schon viel geholfen hat und auch noch hilft. Denk nur an die Schuhe und die Kleidung. Und auch die anderen Sachen alle. An jede Kleinigkeit konntest Du auch nicht denken, man wusste ja nicht, dass man diese Sachen auch nicht mehr bekommt. Ich werde schon zusehen, dass ich sie besorgen kann. Das müssen ja nun so viele andere Leute auch. Wenn Du schreibst, dass mir durch Deine Anschaffungen sicher mancher Weg erspart worden ist und dass es fraglich sei, ob ich die Sachen überhaupt hier bekommen hätte, so kann ich Dir nur zustimmen. Denn sieh mal, die Blusen, die Strickjacke und das Kostüm hätte ich mir bestimmt nicht kaufen können, da hätten ja meine Punkte gar nicht zugelangt. Ein Kostüm kostet 52 Punkte, eine Bluse 15 Punkte, eine Strickweste 23 Punkte, ein Regenmantel 25 Punkte, 1 Wintermantel 75 Punkte, 1 Trägerschürze 12 Punkte, ein Vierecktuch 6 Punkte, 1 Nachthemd 22 Punkte, 100g Strickgarn 4 Punkte usw. Du weißt ja, was Du mir alles besorgt hast. Eine Karte hatte bisher 120 Punkte. Stell Dir mal vor, wie weit ich damit gekommen wär. Nein ernst, wir wollen zufrieden sein mit dem, was wir haben kaufen können. Nach den schweren Jahren, die wir vorher hatten, in denen wir uns fast gar nicht an Kleidern usw. kaufen konnten, wäre ich jetzt wohl ziemlich ärmlich dran.
Wegen der Laubsäge muss ich Dir sagen, dass ich bis jetzt immer vergessen hatte, zu fragen. Erst wenn Vater fort war habe ich immer daran gedacht. Heute habe ich nun aber gleich gefragt und er sagt, sie läge noch auf dem Schrank. Also werde ich sie mir bei Gelegenheit raufholen, wenn er sie nicht mitbringt. Ich werde schon mit Jörg einig werden, wem die Säge gehört. Damit arbeiten kann er ja schon, da habe ich nichts dagegen. Glaubst Du mir, wegen einer Laubsäge als Geschenk zum Muttertag wäre ich gar nicht böse. Die kann man doch immer mal brauchen. Dass Jörg auch rumbastelt ist doch keine Schande, nicht wahr? Da kann er sich jederzeit ein Bisschen helfen.
Stollen haben wir zu Weihnachten auch gehabt. O ja, so lange es geht, mache ich die auch. Wir hatten 2 Stück, soweit reichen die Rosinen. Da sich die Kinder aber als etwas ganz Besonderes noch einen Streuselkuchen wünschten, den man wegen der vielen Zutaten nicht oft machen kann, so habe ich ihnen wenigstens zu Weihnachten diese Freude machen wollen. Dir hätte ich gern auch welchen geschickt, aber er würde zu trocken. Das hätte doch wohl keinen Zweck.
An Papa habe ich heute für Grabschmuck 10 Mk. geschickt. Ich habe ihm geschrieben, er soll auf Mamas Grab einen schönen Tannenstrauß oder sowas legen. Da doch sicher Geld übrig bleiben würde, sollte er bitte auch auf das Grab Deiner Mutter und Deines Bruders einen Tannengruß legen. Ist es so recht?
Nun lass mich schließen. Vater will gleich noch den Brief mitnehmen. Wir haben heute ganz helle Mondnacht, da kann er gut sehen. Hoffentlich lockt das Wetter keine Flieger an.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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