Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 486 vom 1.1.1943


Mein liebster Ernst    !                                                                              Konstanz, 01.01.43

Gestern, am letzten Tag des Jahres, bin ich leider nicht zum Schreiben gekommen. Ich war am Nachmittag im Kino. Es wurde „Der große Schatten“ gespielt. Es war wunderbar. Als ich wieder aus dem Kino kam, standen die Kinder da, um mich abzuholen. Wir sind dann noch ein Bisschen durch die Stadt gegangen, haben auch noch ein Viertel Gebäck geholt zum Knabbern, und haben bei der Musik der SA-Kapelle ein wenig zugehört. Dann sind wir heimgegangen. Da haben wir Abendbrot gegessen. Später kam dann Vater. Wir haben uns in die Stube gesetzt, haben „Mensch ärger Dich nicht“ gespielt. Hinterher gab es Kuchen und Kaffee. Dann legten sich die Kinder ein Bisschen aufs Sofa. Geschlafen haben sie ja nicht, aber sich ausgeruht. Vater hat gelesen und ich noch ein Bisschen gestopft und mit den Kindern gesprochen. Ich hatte ihnen doch erlaubt, das erste Mal mit munter bleiben zu können. Da war die Freude groß. Weißt Du, es ist auch nichts, nur mit Vater hier zu sitzen. Das ist so ruhig und eintönig. Durch das Spielen war es schon schöner. Um 12 Uhr haben wir dann ein Glas Wein getrunken, einen Wermutwein., der schön schmeckt. Den Kindern hatte ich ihn halb mit Wasser verdünnt und Zucker reingetan. Wir haben nochmals den Weihnachtsbaum angezündet, haben vor allem an Dich und auch an Kurt und unsere anderen Verwandten gedacht. Wir haben auch immer Dein Bild vor uns stehen gehabt. 1/1 1 sind die Kinder schlafen gegangen. Sie waren auch ziemlich müd.
Nun muss ich Dir noch von meiner größten Freude schreiben. Als wir gestern Abend heim kamen, war Dein Brief für Neujahr im Briefkasten. Ich habe mich riesig gefreut. Und die vielen schönen Glückszeichen, die Du aufgemalt hast. Ganz fein, und nicht so, wie Du schreibst, dass sie nichts wären. Du hast uns eine große Freude damit gemacht, Du lieber Kerl. Gern habe ich die Erinnerungen an frühere Neujahre gelesen und habe mir alles wieder vorstellen können. Bei dem Neujahrsfest im Steinbruch waren Euch doch früh die Schuhe steif gefroren, nicht wahr? Auch das Neujahrsfest, als wir unterwegs waren, gehört zu den schönen Erinnerungen. Also vielen Dank für den schönen Brief. Und dass er gerade zur rechten Zeit angekommen ist, das hat mich besonders gefreut.
Heute Morgen erhielt ich Deinen lieben Brief vom 24.12. Es tut mir sehr leid, dass Du Dich noch an der Weihnachtsfeier der Gruppe hast so ärgern müssen. Warum war für Dich keine Platzkarte da? Wer hat das wieder verbockt? Ich kann mir Deinen Ärger vorstellen. Mir ginge es auch so. Wenn sie Dir auch eine kleine Entschädigung für den Ärger gegeben haben, ungeschehen ist er nicht zu machen. Ein schöner Beginn des Weihnachtsfestes war es jedenfalls nicht. Hoffentlich haben Dich am Weihnachtstag unsere Päckchen gefreut, dass Du nicht ganz ohne weihnachtliche Stimmung sein musstest. Ich werde ja sicher bald darüber von Dir hören.
An den Geburtstag Deiner Mutter haben wir hier auch gedacht, ebenso an den Sterbetag. Dass Du wegen des Steines an Kurt schreibst, ist richtig. Er könnte sonst meinen, wir wollten ihn übergehen. An Papa schreibe deshalb nur auch einmal, denn man weiß ja nicht, wie oft ein Grab erneuert werden kann, ob es jetzt, im Krieg, Steine gibt usw. Danach muss man sich erst erkundigen.
Ich freue mich, dass es Dir nichts ausmacht, wenn ich mit der Schreibmaschine schreibe. Du wirst ja inzwischen gesehen haben, dass die Briefe mit der Maschine immer umfangreicher waren, als die handgeschriebenen. Ich denke immer daran, wie unzufrieden Du mit den kurzen Briefen warst, die ich mal eine Zeit lang geschrieben habe. Aber es ist so, wenn ich alles, was ich jetzt so schreibe, mit der Handschreiben will, da vergehen ein paar Stunden und Du weißt ja, meine Zeit ist immer knapp. Ja, wenn ich nur die Hausarbeit hätte, aber so habe ich noch zu nähen und auch Schuhe zu reparieren. Stricken sollte ich auch. Vater hat auch wieder einige Strümpfe anzustricken. Seine Jacke (die zweite Arbeitsjacke) ist auszubessern usw. Langweilig wird es mir also nicht. Und ein paar Minuten zum Ausruhen brauche ich auch mal. Sonst halte ich nicht durch.
Heute haben Dir die Kinder ja wieder geschrieben. Mit den vielen Küssen von Jörg wirst Du ja sicher wieder auskommen. Die lange für eine Zeitlang.
Heute machen wir´s uns in der Stube wieder ein Bisschen gemütlich. Das Radio ist auch drüben. D.h. ich bin bis jetzt nicht nüber gekommen, aber nachher soll es doch noch ein Bisschen werden. Zur Feier des Tages habe ich den Kindern versprochen, mit ihnen einige Spiele zu machen. Das kommt sonst selten vor und freut sie sehr. Eigentlich wollten wir schon gestern Abend noch mehr spielen, aber Vater hatte keine Lust dazu. Nur zu einem „Mensch ärger Dich nicht“ ließ er sich bewegen.
Ich danke Dir auch, dass Du ein Päckchen mit Mehl an mich abgesandt hast. Hoffentlich kommt es auch wieder gut an. Mehl kann ich ja immer brauchen. Das ist ja nie überflüssig.
Wir haben doch die beiden Bücher von Papa bekommen „Gottesferne“ ich habe es mal angefangen, das wird Dich sicher interessieren, wenn Du es später mal lesen kannst. Mich hat es sehr gepackt. Es handelt sich da um einen Streit zwischen dem Bischof von Würzburg und der Stadt.
Jörg steht schon bereit, um den Brief fortzubringen. Es ist inzwischen schon ¼ 5 Uhr geworden. Wir haben heute spät gegessen, da wir erst nach 9 Uhr aufgestanden sind. Dadurch ist der Tag etwas verschoben. Um ¾ 10 frühstück, um 2 Mittagessen.
Nun, lieber Ernst, schließe ich. So viel Küsse, wie Jörg, schicke ich Dir ja nicht, aber auch ganz herzliche und viele liebe Grüße von Deiner Annie.

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