Montag, 29. Januar 2018

Brief 502 vom 19.1.1943


Mein lieber, lieber Ernst!                                                Konstanz, 19.1.43
(Du großer Lauser)

Ach, habe ich über die Bilder gelacht, die Du mitgeschickt hast. Die sind einfach prima. Das sind fast die schönsten Bilder, die Du hast, wenn Du mit Kameraden zusammen bist. Dein Gesicht ist überall fein getroffen und das Lachen, das liebe ich doch an Dir so. Auf dem einen Bild, auf dem Du eine Flasche in der Hand hast und Deinen Kameraden ansiehst, hast Du einen Gesichtsausdruck, den ich besonders gern an Dir mag. Wenn man auch das Gesicht nur von der Seite sieht, weiß ich doch ganz genau, wie Deine Augen lachen müssen. Ich sehe es überhaupt schon dem Gesicht an, es sieht so froh aus. Und von „Alterserscheinungen“ sieht man auch noch nichts. Du bist doch noch genau derselbe liebe Kerl geblieben, der Du warst. Das habe ich ja auch im letzten Urlaub gemerkt. Auf dem Bild mit den kurzen Hosen und Stiefeln siehst Du auch lieb aus. Also, die Bilder gefallen mir so gut. Es macht direkt Freude, sie anzuschauen.
Nun will ich vor allen Dingen mal schreiben, dass ich Deine lieben Briefe vom 8. Und 9.1. erhalten habe. Vielen Dank dafür. Es tut mir leid, dass Du manchmal Kopfweh hast. Ich glaube auch, dass das davon kommt, weil Du so wenig an die Luft gehen kannst. Und wenn Du bis in die Nacht hinein arbeiten musst und immer im geschlossenen Raum, so ist das natürlich auch nichts. Von den Bildern habe ich Dir schon oben geschrieben. Das musste ich zuerst erwähnen, weil sie mir solch Vergnügen gemacht haben. Man sieht aus ihnen schon, dass Dich Deine Kameraden gern gemocht haben. Welcher ist der Drechsler?
Hoffentlich kommt auch das Päckchen Nr. 2 gut bei uns an. Das Paket mit dem Öl, das ein Kamerad von Dir hier her schicken will, müsste eigentlich auch bald ankommen. Vielleicht in den nächsten Tagen. Das Päckchen mit Süßigkeiten wird wohl noch eine Weile brauchen, bis es ankommt.
Unseren Weihnachtsbrief hast Du nun auch bekommen und scheinbar hat er Dich auch gefreut. Vater meinte, es sei vielleicht am einfachsten, wenn er das Geld für das Geschenk für mich so abzieht, damit Du es nicht erst herschicken musst. Wie Du schreibst, werde ich Dein Geld also mit auf die Sparkasse schaffen.
Scheinbar hat Deine Reklamation wegen des Essens doch etwas genutzt. Es ist ja auch nichts, wenn man nicht einmal richtig satt wird und wenn es nicht einmal richtig gut ist. Hoffentlich hält die Besserung jetzt an. Das Gansessen wird Dir bestimmt eine willkommene Abwechslung gewesen sein. Das freut mich sehr, dass Du einmal so etwas bekommen hast.
Deine Briefe kommen wirklich immer ziemlich schnell an. Dass der Weihnachtsbrief nicht rechtzeitig kam, war eben einmal Pech. Dafür ist ja der Neujahrsbrief ganz richtig angekommen. Der hat ja auch viel Freude bereitet.
Nun will ich Dir noch von heute berichten. Am Morgen habe ich die Wolle für Vater besorgt. Dabei habe ich Jörg gleich mit in die Schule gefahren. Beim Gemüsegeschäft erfuhr ich, dass es morgen früh wahrscheinlich auf die Kindernährmittelkarte Orangen gibt. Ich fahre auf jeden Fall mal hin. Das würde den Kindern sicher schmecken. Als ich heim kam, habe ich mich erst einmal ans Reparieren der Schuhe gemacht. Den einen Schuh von Jörg habe ich genäht, beim schwarzen Schuh habe ich wieder die Sohle festgemacht, beim dritten Paar habe ich neue Absätze drauf gemacht. Es ist doch gut, dass ich immer noch ein Bisschen Leder da habe. Inzwischen war es dann Mittag geworden. Wir haben gegessen. Heute gab es Bratkartoffeln mit Blutwurstwürfeln, hinterher Pudding. Gestern hatten wir rohe Klöße. Nach dem Mittagessen bin ich zum Nähen gegangen. Heute waren auch mal einige sogenannte „bessere Damen“ da. Denen hat man aber angesehen, dass sie nicht das richtige Schaffen gewöhnt waren. Während ich zwei Stück fertig gemacht hatte, war die eine mit dem ersten noch nicht fertig, die andere hatte eins soweit und fing mit dem zweiten an. Auf einmal meinte sie, sie müssten jetzt heim. Die Dritte, die noch dabei war, sagte, so ginge sie nicht. Erst machte sie das Ganze fertig. Da sagte eine „ach, das wird schon noch fertig gemacht werden, es kommen ja noch mehrere Frauen.“ Die eine hatte am ersten Zelt noch 6 Knöpfe anzunähen, aber nein, sie ließ es einfach so liegen. Von zwei anderen Frauen muss ich ja sagen, dass sie gut geschafft haben.
Die vorige Nacht war auch eine komische Nacht. Als ich ins Bett gehen will, höre ich die Alarmsirene von der Schweiz. Ich habe mich wieder angezogen, denn ich dachte, da fängt bei uns auch gleich Alarm an. Aber nichts war´s. Also habe ich mich schlafen gelegt. 10 Minuten vor 2 Uhr geht wieder die Sirene los, an verschiedenen Stellen, aber auch etwas entfernt. Ich stehe auf und denke, da bin ich gleich fertig, wenn sie in Konstanz heult und kann den Kindern beim Anziehen helfen. Bei Leimenstolls oben wurde es auch lebendig. Ich habe mich angezogen, wieder kam bei uns kein Alarm. Da habe ich mich halb angezogen ins Bett gelegt, damit ich jederzeit gleich raus kann. ½ 3 hörte ich wieder entfernt die Entwarnung. Da habe ich mich ausgezogen und dann konnte ich endlich bis zum Morgen schlafen. Aber müde war ich heute erst, das glaubst Du gar nicht. Als ob ich fast überhaupt nicht geschlafen hätte.
Helga hat einen Brief an Dich angefangen. Eigentlich sollte er ja noch fertig werden, aber sie war zu müde. Sie schreibt gleich morgen weiter.
Ich geh nun schlafen. Ich bin noch von gestern Nacht müde. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich und denke immer an Dich, Deine Annie.

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