Mein lieber, lieber Ernst! Konstanz, 19.1.43
(Du großer Lauser)
Ach, habe ich über die Bilder gelacht, die Du mitgeschickt
hast. Die sind einfach prima. Das sind fast die schönsten Bilder, die Du hast,
wenn Du mit Kameraden zusammen bist. Dein Gesicht ist überall fein getroffen
und das Lachen, das liebe ich doch an Dir so. Auf dem einen Bild, auf dem Du
eine Flasche in der Hand hast und Deinen Kameraden ansiehst, hast Du einen
Gesichtsausdruck, den ich besonders gern an Dir mag. Wenn man auch das Gesicht
nur von der Seite sieht, weiß ich doch ganz genau, wie Deine Augen lachen
müssen. Ich sehe es überhaupt schon dem Gesicht an, es sieht so froh aus. Und
von „Alterserscheinungen“ sieht man auch noch nichts. Du bist doch noch genau
derselbe liebe Kerl geblieben, der Du warst. Das habe ich ja auch im letzten
Urlaub gemerkt. Auf dem Bild mit den kurzen Hosen und Stiefeln siehst Du auch
lieb aus. Also, die Bilder gefallen mir so gut. Es macht direkt Freude, sie
anzuschauen.
Nun will ich vor allen Dingen mal schreiben, dass ich Deine
lieben Briefe vom 8. Und 9.1. erhalten habe. Vielen Dank dafür. Es tut mir
leid, dass Du manchmal Kopfweh hast. Ich glaube auch, dass das davon kommt,
weil Du so wenig an die Luft gehen kannst. Und wenn Du bis in die Nacht hinein
arbeiten musst und immer im geschlossenen Raum, so ist das natürlich auch
nichts. Von den Bildern habe ich Dir schon oben geschrieben. Das musste ich
zuerst erwähnen, weil sie mir solch Vergnügen gemacht haben. Man sieht aus ihnen
schon, dass Dich Deine Kameraden gern gemocht haben. Welcher ist der Drechsler?
Hoffentlich kommt auch das Päckchen Nr. 2 gut bei uns an.
Das Paket mit dem Öl, das ein Kamerad von Dir hier her schicken will, müsste
eigentlich auch bald ankommen. Vielleicht in den nächsten Tagen. Das Päckchen
mit Süßigkeiten wird wohl noch eine Weile brauchen, bis es ankommt.
Unseren Weihnachtsbrief hast Du nun auch bekommen und
scheinbar hat er Dich auch gefreut. Vater meinte, es sei vielleicht am
einfachsten, wenn er das Geld für das Geschenk für mich so abzieht, damit Du es
nicht erst herschicken musst. Wie Du schreibst, werde ich Dein Geld also mit
auf die Sparkasse schaffen.
Scheinbar hat Deine Reklamation wegen des Essens doch etwas
genutzt. Es ist ja auch nichts, wenn man nicht einmal richtig satt wird und
wenn es nicht einmal richtig gut ist. Hoffentlich hält die Besserung jetzt an.
Das Gansessen wird Dir bestimmt eine willkommene Abwechslung gewesen sein. Das
freut mich sehr, dass Du einmal so etwas bekommen hast.
Deine Briefe kommen wirklich immer ziemlich schnell an. Dass
der Weihnachtsbrief nicht rechtzeitig kam, war eben einmal Pech. Dafür ist ja
der Neujahrsbrief ganz richtig angekommen. Der hat ja auch viel Freude
bereitet.
Nun will ich Dir noch von heute berichten. Am Morgen habe
ich die Wolle für Vater besorgt. Dabei habe ich Jörg gleich mit in die Schule
gefahren. Beim Gemüsegeschäft erfuhr ich, dass es morgen früh wahrscheinlich
auf die Kindernährmittelkarte Orangen gibt. Ich fahre auf jeden Fall mal hin.
Das würde den Kindern sicher schmecken. Als ich heim kam, habe ich mich erst
einmal ans Reparieren der Schuhe gemacht. Den einen Schuh von Jörg habe ich
genäht, beim schwarzen Schuh habe ich wieder die Sohle festgemacht, beim
dritten Paar habe ich neue Absätze drauf gemacht. Es ist doch gut, dass ich
immer noch ein Bisschen Leder da habe. Inzwischen war es dann Mittag geworden.
Wir haben gegessen. Heute gab es Bratkartoffeln mit Blutwurstwürfeln, hinterher
Pudding. Gestern hatten wir rohe Klöße. Nach dem Mittagessen bin ich zum Nähen
gegangen. Heute waren auch mal einige sogenannte „bessere Damen“ da. Denen hat
man aber angesehen, dass sie nicht das richtige Schaffen gewöhnt waren. Während
ich zwei Stück fertig gemacht hatte, war die eine mit dem ersten noch nicht
fertig, die andere hatte eins soweit und fing mit dem zweiten an. Auf einmal
meinte sie, sie müssten jetzt heim. Die Dritte, die noch dabei war, sagte, so
ginge sie nicht. Erst machte sie das Ganze fertig. Da sagte eine „ach, das wird
schon noch fertig gemacht werden, es kommen ja noch mehrere Frauen.“ Die eine
hatte am ersten Zelt noch 6 Knöpfe anzunähen, aber nein, sie ließ es einfach so
liegen. Von zwei anderen Frauen muss ich ja sagen, dass sie gut geschafft
haben.
Die vorige Nacht war auch eine komische Nacht. Als ich ins
Bett gehen will, höre ich die Alarmsirene von der Schweiz. Ich habe mich wieder
angezogen, denn ich dachte, da fängt bei uns auch gleich Alarm an. Aber nichts
war´s. Also habe ich mich schlafen gelegt. 10 Minuten vor 2 Uhr geht wieder die
Sirene los, an verschiedenen Stellen, aber auch etwas entfernt. Ich stehe auf
und denke, da bin ich gleich fertig, wenn sie in Konstanz heult und kann den
Kindern beim Anziehen helfen. Bei Leimenstolls oben wurde es auch lebendig. Ich
habe mich angezogen, wieder kam bei uns kein Alarm. Da habe ich mich halb
angezogen ins Bett gelegt, damit ich jederzeit gleich raus kann. ½ 3 hörte ich
wieder entfernt die Entwarnung. Da habe ich mich ausgezogen und dann konnte ich
endlich bis zum Morgen schlafen. Aber müde war ich heute erst, das glaubst Du
gar nicht. Als ob ich fast überhaupt nicht geschlafen hätte.
Helga hat einen Brief an Dich angefangen. Eigentlich sollte
er ja noch fertig werden, aber sie war zu müde. Sie schreibt gleich morgen
weiter.
Ich geh nun schlafen. Ich bin noch von gestern Nacht müde.
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich und denke immer an Dich, Deine Annie.
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