Mein liebster, bester Ernst! Konstanz, 11.1.43
Ich muss heute bald dasselbe sagen, was Du in Deinen letzten
Briefen aussprichst, ich komme bald mit dem Beantworten nicht mehr mit. Ich
schrieb Dir ja schon, dass ich Deine lieben Briefe vom 21., 29., 30. und 31.12.
erhalten habe. Außerdem einen Einschreibebrief, aufgegeben in Posen, mit
verschiedenen Briefen usw. Die ersten 4 Briefe habe ich gelesen, die ganzen
Sachen von dem Einschreibebrief hatte ich beiseitegelegt und wollte sie heute
Abend durchsehen. Wie ich das nun mache, sehe ich, dass darin noch Dein lieber
Brief vom 1.Januar ist. Das war aber eine Überraschung. Dass es mir zu viel
war, den langen Brief zu lesen das kann ich nicht behaupten. Gefreut habe ich
mich, riesig, mächtig gefreut. Ein paar Sachen hast Du zwar drin geschrieben,
um derentwillen man Dich schon tüchtig an den Haaren hätte ziehen sollen. Du
Bürschle, wenn die Briefe von mir nur aus Gewohnheit geschrieben sind, kann ich
ja mal einen Weile damit aussetzen. Was meinst Du dazu? Und wenn Du schreibst,
dass ich Dich sonst immer mit finsterer Miene anschaue und Du Dich freust, wenn
ich schmunzle, wenn ich Dein Bild anschaue, so ist das erstere direkt mächtig
frech. O bist Du ein schlimmer Kerl, Du wirst auch nicht mehr braver. Meinst Du
nicht, dass ich da Recht habe?
Wie ich Dir heute schon schrieb, habe ich Dein Päckchen mit
Butter erhalten. Ich habe sie gleich ausgelassen. Durch die Weihnachtsbäckerei
hatte mein Vorrat etwas abgenommen, aber ich hatte wenigstens nicht von der
laufenden Zuteilung abknapsen müssen. Ich muss immer wieder sagen, dank Deiner
lieben Vorsorge. Wenn Du nun einem Kameraden das Öl mitgegeben hast, damit er es hierher schickt, so freue ich mich
wirklich sehr darüber.
Wenn Du beim Brief an Papa auch wirklich seine Frau nicht
mit gegrüßt hast, so ist das doch nicht so schlimm. Aber Papa sieht darin immer
gleich eine Beleidigung. Er kann es nicht begreifen, dass einem die Frau
vollständig gleichgültig ist. Froh bin ich aber nur, dass ich ihr was zu
Weihnachten mitgeschickt habe. Dadurch habe ich mir wieder Ärger erspart.
Wegen dem Weihnachtsgeld schrieb ich Dir schon einmal. Einen
Teil des Geldes habe ich hier behalten. Sollte ich etwas Richtiges sehen, so
werde ich es mir kaufen. Es muss aber etwas Richtiges sein, bloß aus Langeweile
das Geld rauswerfen, das mache ich nicht. Für alle Fälle habe ich das Geld
gleich da. Das ist schon was wert.
Die Sachen, die mein Vater für Dich mitgeschickt hat,
behalte ich also hier. Höchstens das kleine Reclamheft werde ich Dir
mitschicken, wenn ich den Ständer für den Füllfederhalter wegschicke. Weißt Du,
gut gemeint hat Papa es schon, aber es gibt ja jetzt wirklich wenig zu kaufen.
Von den Patentknöpfen sagte mir Kurt schon, dass Du sie gar nicht verwenden
dürftest.
Den Ort, wo Kurt ist, habe ich mir hier auf unserer Karte
von Kurt zeigen lassen. Darum konnte ich ihn Dir aufzeichnen. Wie Kurt sagte,
ist es gerade ein vorgeschobener Posten, eine Ausbuchtung der Front.
Du schreibst von dem Todestag Deiner Mutter. Wir haben hier
auch daran gedacht. Da will ich auch gerade nochmals auf den Stein für das Grab
zu sprechen kommen. Ich sprach davon mit Vater. Er war nicht so ganz damit
einverstanden. Er meinte, jetzt im Krieg ließe sich das doch schlecht machen,
es wäre doch wenig Material und Leute da und außerdem würde man alles viel
teurer bezahlen. Ich sagte ihm darauf, dass wir, bzw. Du auch deshalb nochmal
mit an Papa schreiben willst, wie es zu machen geht.
Diesmal sind aber die Briefe bei Dir ganz unterschiedlich
angekommen. Manche haben über einen Monat gebraucht. Ich bin ja gespannt, ob
Dein Nikolausbrief doch noch eintrifft. Freuen würde es mich und die Kinder
bestimmt, genau wie Dich.
Den Brief von Fritz Bautz habe ich gelesen. Er hat wirklich
ganz nett geschrieben. Nicht so geschollen, wie er früher sprach. Du hast auch
schön geantwortet.
Die anderen Briefdurchschläge von Dir habe ich auch gelesen.
Nanni will Dir also auch was schicken. Vielleicht hat sie etwas erübrigen
können, weil Kurt einen Teil seines Führerpaketes dort gelassen hat.
Ich habe bei den Zeilen der Frau von Papa auch den Eindruck,
als ob sie sich uns anschließen wollte. Bis jetzt kann ich mir auch noch nicht
recht vorstellen, wie das vor sich gehen sollte. Es kommt mir gar nicht richtig
zum Bewusstsein, dass das eigentlich, wenn ich jünger wäre, meine Stiefmutter
geworden wär. Das ist sie zwar jetzt auch, aber es hat keinen praktischen Wert.
Denn ich lasse mir von ihr nichts mehr sagen. Für mich ist es eine fremde Frau,
die Papa eben geheiratet hat. Ob sich das viel ändern wird, wenn ich sie einmal
persönlich kennen gelernt habe, das weiß ich nicht.
Nach den verschiedenen Daten wegen der Familienkartei werde
ich mich einmal in Leipzig erkundigen. Hoffentlich hast Du das Impfen wieder
gut überstanden. Etwas Angenehmes ist es ja nicht. Wenn das Pfarramt Gramsdorf
an mich schreibt, und Kosten entstehen, so bezahle ich die natürlich von hier
aus, das ist doch klar. Das geht ja viel einfacher und schneller, und so viel
Geld habe ich immer übrig.
Mit dem Schwimmen war es jetzt ja einige Male nichts. Erst
wurde das Bad repariert, dann war Helga krank und diese Woche kann ich nicht.
Aber nächste Woche, wen nichts dazwischen kommt, gehen wir wieder. Ich hatte
den Kindern schon gesagt, sie sollten alleine gehen, aber ohne mich mögen sie
nicht. Jörg wird sich seine Prämie schon noch verdienen, wenn es auch noch
einen Weile dauert.
Den Artikel von der Hauptschule habe ich gelesen. Es ist ja
wirklich noch so, dass das im Aufbau begriffen ist, und das hat für Helga ja
wenig Wert. Eine Weile hat ja diese Sache noch Zeit, aber wahrscheinlich wird
es doch bei unserem Entschluss, sie evtl. in die Luisenschule zu tun, bleiben.
Sollte ich bezüglich der Schule noch irgendetwas hören, so schreibe ich Dir.
In Deinem Schreiben vom 1.1. redest Du davon, dass Du im
Kriese Eurer Männer Karten gespielt hast. Seit wann kannst Du denn das? Das
habe ich gar nicht gewusst. Gefreut hat es m ich sehr, dass Dir die Stolle
geschmeckt hat, und dass sie dazu beitrug, eine weihnachtliche Stimmung zu
erwecken. Das sollte ja auch so sein.
Von Dir sind ja wieder verschiedene Päckchen unterwegs.
Hoffentlich kommen sie alle gut an. Wenn einige von Kameraden hier in
Deutschland zur Post gegeben werden, sollte es eigentlich der Fall sein.
Den Bienenhonig werden wir nicht so essen. Dazu ist er doch
zu kostbar. Den bekommt man doch gar nicht mehr so, wenn es nicht gerade einmal
eine Sonderzuteilung für Kinder zu Weihnachten gibt. Bis zum nächsten
Weihnachten ist ja aber noch viel Zeit und ob es da welchen gibt, ist auch noch
die Frage. Jedenfalls danke ich Dir wieder recht sehr. Bei der gesandten Butter
habe ich auch gedacht, ob die Dir nicht auch eine gute Ergänzung Deiner Ration
gewesen wäre. Du hättest Dir doch Brote damit schmieren können, denn Brot hast
Du doch noch genügend, wie Du schriebst. Nicht wahr, alles absparen sollst Du
Dir nicht für uns.
An das Weihnachtsfest, an dem Jörg die Eisenbahn bekam, kann
ich mich noch gut erinnern. Wir haben vor kurzem auch erst einmal davon
gesprochen. Wir waren uns nicht ganz klar, welches Weihnachten es war, und die
Kinder meinten, es sei 1939 gewesen, das letzte Zivilweihnachten von Dir
daheim, denn beim nächsten Fest warst Du ja schon Soldat.
Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, den Kindern gerade im
Advent und zu Weihnachten den Krieg wenig merken zu lassen. Ich glaube, dass
mir das auch gelungen ist. Sie haben in nichts darben müssen, nicht in
Geschenken, nicht im Essen und auch nicht in der Freude.
Zum Nähen will ich morgen wieder gehen. Ich will sehen, ob
ich´s vielleicht zwei Mal in der Woche tun kann. Weißt Du, ich habe manchmal
ein richtig schlechtes Gewissen. Wenn man in der Wochenschau so sieht, wie die
Soldaten kämpfen müssen und unter welchen Bedingungen, in Kälte und Eis und Schnee
oder auch in Sumpf und Nässe, so kommt es einem ganz unwahrscheinlich vor, dass
man noch ein richtiges Zuhause und eine warme Stube sowie ausreichendes Essen
hat. Man möchte doch ein klein wenig beitragen in dem großen Kampf und wenn es
auch nur durch kleine Arbeiten ist. Heute sprach auch jemand im Radio, ich weiß
nicht gleich, wer es war, jedenfalls ein General oder sowas. Der sagte, dass
die Sowjets ungeheure Menschenmassen in den Kampf werfen und dass unsere
Soldaten immer durchhalten, dass aber ihre Schultern gegenüber den größeren
Massen doch zu schmal werden könnten, wenn alle Last auf ihnen liegt und dass
es die Heimat wohl wird begreifen und begrüßen, wenn die verschiedenen
Jahrgänge noch mehr als bisher zur Truppe eingezogen würden. Auch müsste sich
die Heimat damit abfinden, dass eben nur noch Sachen hergestellt werden können,
die unbedingt zum Leben notwendig sind. Wenn so geredet wird, da merkt man erst
wieder richtig den tiefen Ernst des Krieges, den man sonst manchmal zuhause
nicht so spürt, weil alles noch seinen Gang geht. Es rüttelt aber auch wieder
einmal auf und das ist gut so. Ich habe wohl auch mein gerütteltes Maß Arbeit,
aber vielleicht kann ich den Winter über doch ein Bisschen mehr zum Nähen
gehen. Es wäre mir leichter, wenn ich wüsste, ich habe das getan, was in meinen
Kräften stand. Nach dem Krieg möchte ich mich auch nicht schämen müssen.
Es freut mich, dass es Dir recht ist, wenn ich beim
Anschauen Deines Bildes schmunzle. Über Deinen boshaften Beisatz habe ich
Dir ja schon im Anfang geschrieben. Ein
Auslachen ist das schmunzeln bestimmt nicht, nur ein leises Freuen. Eine
Seltenheit ist es schon, in dieser Situation photographiert zu werden.
Über den Nordhäuser hat sich Vater schon gefreut. So, wie
früher, ziert er sich nicht mehr, ehe er etwas annimmt. Er isst auch mal ein
Stück Kuchen oder sonst was mit. Weißt Du, wie ich mich früher manchmal gekränkt
hatte, wenn er nichts anrührte?
Abzüge habe ich von den Bildern vom Urlaub noch nicht machen
lassen, da der Film noch nicht voll ist. Jetzt, wenn ich wieder einen Film da
habe, könnte ich ja mal wieder knipsen. Vorher wollte ich lieber einteilen.
Wegen des Fahrrades habe ich noch nichts unternommen, aber
in nächster Zeit muss ich doch mal dran gehen. Es ist ja nicht gar so eilig.
Du bist schon ein schlimmer Vater, lachst über die Streiche,
die unser Sohn vollführt. Mir geht es ja manchmal genauso. Wir sind ja noch
nicht so alt, dass wir nicht wüssten, wie einem als Kind zumute ist. Aber die
Wichse konnte ich ihm nicht ersparen, wenn er die Mahnungen gar so leicht nimmt
und einfach drüber weg geht, muss sie ihm besser eingeprägt werden. Wenn man
kaufen könnte, was man will, wäre die Sache nicht so schlimm. Aber so ist es
ein dauernder Kampf. Eisen gibt es schon keine mehr, Nägel sind auch eine
Seltenheit. Gummischoner, solche runden Dinger, kriegt man noch, aber keine
Nägel dazu. Da muss man auch wieder danach herum rennen. Es ist klar, es ist
Krieg, da kann nicht alles da sein. Das nimmt man in Kauf. Aber die Kinder
müssen auch ein wenig Obacht geben.
Für Deine lieben Neujahrswünsche möchte ich Dir nochmals
danken. Du hast Recht, wir dürfen nicht locker lassen und müssen uns immer
wieder anstrengen. Wenn uns nur die Gesundheit erhalten bleibt, da wollen wir
es schon schaffen. Ganz leicht umzuschmeißen sind wir ja nicht. Und ich brauche
vor allem noch dazu, dass Du mich lieb behältst. Das ist mein großer Halt und
mein Ansporn.
Die Briefe vom Rebstock und von der Ortsgruppe habe ich
gelesen. Der Rebstock hat ganz nett geschrieben, aber der Brief von der
Ortsgruppe ist ein großer Kohl. Die schreiben so einfach hin „Aber was heißt es
schon, sein Leben zu geben für Deutschlands Größe.“ So einfach ist das nun auch
nicht. Das Leben ist kein Fetzen, den man so einfach hinwirft. Jeder hängt ja
wohl am Leben, auch der Soldat draußen. Das kann auch nur jemand schreiben, der
zuhause im warmen Nest sitzt und sein Leben ziemlich in Sicherheit hat. Ich
kann solche Phrasen nicht leiden.
Inzwischen ist es nun nachts ½ 1 Uhr geworden. Ich glaube,
Du bist mit mir der Meinung, dass das Zeit zum Schlafengehen ist. Ich bin auch
müd. Vielleicht schläfst Du jetzt schon. Jedenfalls wünsche ich Dir eine gute
Nacht und ein gesundes Aufstehen und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.
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