Dienstag, 16. Januar 2018

Brief 495 vom 11.1.1943


Mein liebster, bester Ernst!                                                                                   Konstanz, 11.1.43

Ich muss heute bald dasselbe sagen, was Du in Deinen letzten Briefen aussprichst, ich komme bald mit dem Beantworten nicht mehr mit. Ich schrieb Dir ja schon, dass ich Deine lieben Briefe vom 21., 29., 30. und 31.12. erhalten habe. Außerdem einen Einschreibebrief, aufgegeben in Posen, mit verschiedenen Briefen usw. Die ersten 4 Briefe habe ich gelesen, die ganzen Sachen von dem Einschreibebrief hatte ich beiseitegelegt und wollte sie heute Abend durchsehen. Wie ich das nun mache, sehe ich, dass darin noch Dein lieber Brief vom 1.Januar ist. Das war aber eine Überraschung. Dass es mir zu viel war, den langen Brief zu lesen das kann ich nicht behaupten. Gefreut habe ich mich, riesig, mächtig gefreut. Ein paar Sachen hast Du zwar drin geschrieben, um derentwillen man Dich schon tüchtig an den Haaren hätte ziehen sollen. Du Bürschle, wenn die Briefe von mir nur aus Gewohnheit geschrieben sind, kann ich ja mal einen Weile damit aussetzen. Was meinst Du dazu? Und wenn Du schreibst, dass ich Dich sonst immer mit finsterer Miene anschaue und Du Dich freust, wenn ich schmunzle, wenn ich Dein Bild anschaue, so ist das erstere direkt mächtig frech. O bist Du ein schlimmer Kerl, Du wirst auch nicht mehr braver. Meinst Du nicht, dass ich da Recht habe?
Wie ich Dir heute schon schrieb, habe ich Dein Päckchen mit Butter erhalten. Ich habe sie gleich ausgelassen. Durch die Weihnachtsbäckerei hatte mein Vorrat etwas abgenommen, aber ich hatte wenigstens nicht von der laufenden Zuteilung abknapsen müssen. Ich muss immer wieder sagen, dank Deiner lieben Vorsorge. Wenn Du nun einem Kameraden das Öl mitgegeben hast,  damit er es hierher schickt, so freue ich mich wirklich sehr darüber.
Wenn Du beim Brief an Papa auch wirklich seine Frau nicht mit gegrüßt hast, so ist das doch nicht so schlimm. Aber Papa sieht darin immer gleich eine Beleidigung. Er kann es nicht begreifen, dass einem die Frau vollständig gleichgültig ist. Froh bin ich aber nur, dass ich ihr was zu Weihnachten mitgeschickt habe. Dadurch habe ich mir wieder Ärger erspart.
Wegen dem Weihnachtsgeld schrieb ich Dir schon einmal. Einen Teil des Geldes habe ich hier behalten. Sollte ich etwas Richtiges sehen, so werde ich es mir kaufen. Es muss aber etwas Richtiges sein, bloß aus Langeweile das Geld rauswerfen, das mache ich nicht. Für alle Fälle habe ich das Geld gleich da. Das ist schon was wert.
Die Sachen, die mein Vater für Dich mitgeschickt hat, behalte ich also hier. Höchstens das kleine Reclamheft werde ich Dir mitschicken, wenn ich den Ständer für den Füllfederhalter wegschicke. Weißt Du, gut gemeint hat Papa es schon, aber es gibt ja jetzt wirklich wenig zu kaufen. Von den Patentknöpfen sagte mir Kurt schon, dass Du sie gar nicht verwenden dürftest.
Den Ort, wo Kurt ist, habe ich mir hier auf unserer Karte von Kurt zeigen lassen. Darum konnte ich ihn Dir aufzeichnen. Wie Kurt sagte, ist es gerade ein vorgeschobener Posten, eine Ausbuchtung der Front.
Du schreibst von dem Todestag Deiner Mutter. Wir haben hier auch daran gedacht. Da will ich auch gerade nochmals auf den Stein für das Grab zu sprechen kommen. Ich sprach davon mit Vater. Er war nicht so ganz damit einverstanden. Er meinte, jetzt im Krieg ließe sich das doch schlecht machen, es wäre doch wenig Material und Leute da und außerdem würde man alles viel teurer bezahlen. Ich sagte ihm darauf, dass wir, bzw. Du auch deshalb nochmal mit an Papa schreiben willst, wie es zu machen geht.
Diesmal sind aber die Briefe bei Dir ganz unterschiedlich angekommen. Manche haben über einen Monat gebraucht. Ich bin ja gespannt, ob Dein Nikolausbrief doch noch eintrifft. Freuen würde es mich und die Kinder bestimmt, genau wie Dich.
Den Brief von Fritz Bautz habe ich gelesen. Er hat wirklich ganz nett geschrieben. Nicht so geschollen, wie er früher sprach. Du hast auch schön geantwortet.
Die anderen Briefdurchschläge von Dir habe ich auch gelesen. Nanni will Dir also auch was schicken. Vielleicht hat sie etwas erübrigen können, weil Kurt einen Teil seines Führerpaketes dort gelassen hat.
Ich habe bei den Zeilen der Frau von Papa auch den Eindruck, als ob sie sich uns anschließen wollte. Bis jetzt kann ich mir auch noch nicht recht vorstellen, wie das vor sich gehen sollte. Es kommt mir gar nicht richtig zum Bewusstsein, dass das eigentlich, wenn ich jünger wäre, meine Stiefmutter geworden wär. Das ist sie zwar jetzt auch, aber es hat keinen praktischen Wert. Denn ich lasse mir von ihr nichts mehr sagen. Für mich ist es eine fremde Frau, die Papa eben geheiratet hat. Ob sich das viel ändern wird, wenn ich sie einmal persönlich kennen gelernt habe, das weiß ich nicht.
Nach den verschiedenen Daten wegen der Familienkartei werde ich mich einmal in Leipzig erkundigen. Hoffentlich hast Du das Impfen wieder gut überstanden. Etwas Angenehmes ist es ja nicht. Wenn das Pfarramt Gramsdorf an mich schreibt, und Kosten entstehen, so bezahle ich die natürlich von hier aus, das ist doch klar. Das geht ja viel einfacher und schneller, und so viel Geld habe ich immer übrig.
Mit dem Schwimmen war es jetzt ja einige Male nichts. Erst wurde das Bad repariert, dann war Helga krank und diese Woche kann ich nicht. Aber nächste Woche, wen nichts dazwischen kommt, gehen wir wieder. Ich hatte den Kindern schon gesagt, sie sollten alleine gehen, aber ohne mich mögen sie nicht. Jörg wird sich seine Prämie schon noch verdienen, wenn es auch noch einen Weile dauert.
Den Artikel von der Hauptschule habe ich gelesen. Es ist ja wirklich noch so, dass das im Aufbau begriffen ist, und das hat für Helga ja wenig Wert. Eine Weile hat ja diese Sache noch Zeit, aber wahrscheinlich wird es doch bei unserem Entschluss, sie evtl. in die Luisenschule zu tun, bleiben. Sollte ich bezüglich der Schule noch irgendetwas hören, so schreibe ich Dir.
In Deinem Schreiben vom 1.1. redest Du davon, dass Du im Kriese Eurer Männer Karten gespielt hast. Seit wann kannst Du denn das? Das habe ich gar nicht gewusst. Gefreut hat es m ich sehr, dass Dir die Stolle geschmeckt hat, und dass sie dazu beitrug, eine weihnachtliche Stimmung zu erwecken. Das sollte ja auch so sein.
Von Dir sind ja wieder verschiedene Päckchen unterwegs. Hoffentlich kommen sie alle gut an. Wenn einige von Kameraden hier in Deutschland zur Post gegeben werden, sollte es eigentlich der Fall sein.
Den Bienenhonig werden wir nicht so essen. Dazu ist er doch zu kostbar. Den bekommt man doch gar nicht mehr so, wenn es nicht gerade einmal eine Sonderzuteilung für Kinder zu Weihnachten gibt. Bis zum nächsten Weihnachten ist ja aber noch viel Zeit und ob es da welchen gibt, ist auch noch die Frage. Jedenfalls danke ich Dir wieder recht sehr. Bei der gesandten Butter habe ich auch gedacht, ob die Dir nicht auch eine gute Ergänzung Deiner Ration gewesen wäre. Du hättest Dir doch Brote damit schmieren können, denn Brot hast Du doch noch genügend, wie Du schriebst. Nicht wahr, alles absparen sollst Du Dir nicht für uns.
An das Weihnachtsfest, an dem Jörg die Eisenbahn bekam, kann ich mich noch gut erinnern. Wir haben vor kurzem auch erst einmal davon gesprochen. Wir waren uns nicht ganz klar, welches Weihnachten es war, und die Kinder meinten, es sei 1939 gewesen, das letzte Zivilweihnachten von Dir daheim, denn beim nächsten Fest warst Du ja schon Soldat.
Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, den Kindern gerade im Advent und zu Weihnachten den Krieg wenig merken zu lassen. Ich glaube, dass mir das auch gelungen ist. Sie haben in nichts darben müssen, nicht in Geschenken, nicht im Essen und auch nicht in der Freude.
Zum Nähen will ich morgen wieder gehen. Ich will sehen, ob ich´s vielleicht zwei Mal in der Woche tun kann. Weißt Du, ich habe manchmal ein richtig schlechtes Gewissen. Wenn man in der Wochenschau so sieht, wie die Soldaten kämpfen müssen und unter welchen Bedingungen, in Kälte und Eis und Schnee oder auch in Sumpf und Nässe, so kommt es einem ganz unwahrscheinlich vor, dass man noch ein richtiges Zuhause und eine warme Stube sowie ausreichendes Essen hat. Man möchte doch ein klein wenig beitragen in dem großen Kampf und wenn es auch nur durch kleine Arbeiten ist. Heute sprach auch jemand im Radio, ich weiß nicht gleich, wer es war, jedenfalls ein General oder sowas. Der sagte, dass die Sowjets ungeheure Menschenmassen in den Kampf werfen und dass unsere Soldaten immer durchhalten, dass aber ihre Schultern gegenüber den größeren Massen doch zu schmal werden könnten, wenn alle Last auf ihnen liegt und dass es die Heimat wohl wird begreifen und begrüßen, wenn die verschiedenen Jahrgänge noch mehr als bisher zur Truppe eingezogen würden. Auch müsste sich die Heimat damit abfinden, dass eben nur noch Sachen hergestellt werden können, die unbedingt zum Leben notwendig sind. Wenn so geredet wird, da merkt man erst wieder richtig den tiefen Ernst des Krieges, den man sonst manchmal zuhause nicht so spürt, weil alles noch seinen Gang geht. Es rüttelt aber auch wieder einmal auf und das ist gut so. Ich habe wohl auch mein gerütteltes Maß Arbeit, aber vielleicht kann ich den Winter über doch ein Bisschen mehr zum Nähen gehen. Es wäre mir leichter, wenn ich wüsste, ich habe das getan, was in meinen Kräften stand. Nach dem Krieg möchte ich mich auch nicht schämen müssen.
Es freut mich, dass es Dir recht ist, wenn ich beim Anschauen Deines Bildes schmunzle. Über Deinen boshaften Beisatz habe ich Dir  ja schon im Anfang geschrieben. Ein Auslachen ist das schmunzeln bestimmt nicht, nur ein leises Freuen. Eine Seltenheit ist es schon, in dieser Situation photographiert zu werden.
Über den Nordhäuser hat sich Vater schon gefreut. So, wie früher, ziert er sich nicht mehr, ehe er etwas annimmt. Er isst auch mal ein Stück Kuchen oder sonst was mit. Weißt Du, wie ich mich früher manchmal gekränkt hatte, wenn er nichts anrührte?
Abzüge habe ich von den Bildern vom Urlaub noch nicht machen lassen, da der Film noch nicht voll ist. Jetzt, wenn ich wieder einen Film da habe, könnte ich ja mal wieder knipsen. Vorher wollte ich lieber einteilen.
Wegen des Fahrrades habe ich noch nichts unternommen, aber in nächster Zeit muss ich doch mal dran gehen. Es ist ja nicht gar so eilig.
Du bist schon ein schlimmer Vater, lachst über die Streiche, die unser Sohn vollführt. Mir geht es ja manchmal genauso. Wir sind ja noch nicht so alt, dass wir nicht wüssten, wie einem als Kind zumute ist. Aber die Wichse konnte ich ihm nicht ersparen, wenn er die Mahnungen gar so leicht nimmt und einfach drüber weg geht, muss sie ihm besser eingeprägt werden. Wenn man kaufen könnte, was man will, wäre die Sache nicht so schlimm. Aber so ist es ein dauernder Kampf. Eisen gibt es schon keine mehr, Nägel sind auch eine Seltenheit. Gummischoner, solche runden Dinger, kriegt man noch, aber keine Nägel dazu. Da muss man auch wieder danach herum rennen. Es ist klar, es ist Krieg, da kann nicht alles da sein. Das nimmt man in Kauf. Aber die Kinder müssen auch ein wenig Obacht geben.
Für Deine lieben Neujahrswünsche möchte ich Dir nochmals danken. Du hast Recht, wir dürfen nicht locker lassen und müssen uns immer wieder anstrengen. Wenn uns nur die Gesundheit erhalten bleibt, da wollen wir es schon schaffen. Ganz leicht umzuschmeißen sind wir ja nicht. Und ich brauche vor allem noch dazu, dass Du mich lieb behältst. Das ist mein großer Halt und mein Ansporn.
Die Briefe vom Rebstock und von der Ortsgruppe habe ich gelesen. Der Rebstock hat ganz nett geschrieben, aber der Brief von der Ortsgruppe ist ein großer Kohl. Die schreiben so einfach hin „Aber was heißt es schon, sein Leben zu geben für Deutschlands Größe.“ So einfach ist das nun auch nicht. Das Leben ist kein Fetzen, den man so einfach hinwirft. Jeder hängt ja wohl am Leben, auch der Soldat draußen. Das kann auch nur jemand schreiben, der zuhause im warmen Nest sitzt und sein Leben ziemlich in Sicherheit hat. Ich kann solche Phrasen nicht leiden.
Inzwischen ist es nun nachts ½ 1 Uhr geworden. Ich glaube, Du bist mit mir der Meinung, dass das Zeit zum Schlafengehen ist. Ich bin auch müd. Vielleicht schläfst Du jetzt schon. Jedenfalls wünsche ich Dir eine gute Nacht und ein gesundes Aufstehen und grüße und küsse Dich recht herzlich  Deine Annie.

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