Dienstag, 16. Januar 2018

Brief 492 vom 8.1.1943


Mein liebster Ernst!                                                                                  Konstanz, 8.1.43

Unser schöner Schnee ist futsch. Schon gestern Abend, als ich den Brief an Dich fort brachte, regnete es. Heute Morgen war ein Matsch, das kannst Du Dir ungefähr denken. Am Vormittag habe ich die Lebensmittelkarten geholt, bin in die Stadt gegangen zum Anmelden und habe die Zeitungen für Dich geholt. Dann habe ich noch eingekauft. Mit dem Rad konnte ich gar nicht fahren, da hätte es mich gleich hingeworfen. Also bin ich gelaufen. Es war ein schweres Vorwärtskommen. Nachdem es in den letzten Tagen so viel geschneit hatte, war natürlich hoher Matsch und man rutschte dauernd einen halben Schritt zurück. ¼ 12 Uhr war ich wieder daheim. Aber Helga, die noch auf dem Liegestuhl lag, hatte Gesellschaft, denn um 9 Uhr kam Jörg schon aus der Schule. Ich habe ihn noch unterwegs getroffen.
Als ich bei Herrn Kusterer vorbei kam, habe ich ihn gefragt, ob er am Sonntag in die Briefmarkenausstellung geht (Tag der Briefmarke) und ob er mir die Marke mit dem Sonderstempel mit besorgen könnte. Er sagte mir, dass ich ihm Briefumschläge mit unserer Adresse bringen soll. Darauf wird die Marke geklebt, alles wird dann nach Straßburg geschickt, wo sie mit dem Sonderstempel versehen hierher geschickt wird. Konstanz erhält keinen Stempel.
Am Nachmittag ist Helga aufgestanden. Sie sagte, dass ihr gar nichts mehr weh tut. Vielleicht haben das Bad und das Schwitzen gestern doch gut getan. Ich bin ja sehr froh darüber. In der Stube lasse ich sie heute und morgen noch schlafen. Jörg schläft noch in Deinem Bett. Du glaubst gar nicht, wie ihm das gefällt. Er will es Dir auch schreiben, wenn morgen noch Matsch ist, sogar schon morgen. Er sichert sich gleich, denn wenn schönes Wetter ist, hat er vielleicht doch nicht die Ruhe dazu.
Ich weiß heute gar nicht recht, was ich Dir schreiben kann. Seit Mittag habe ich nämlich Kopfweh. Es ist jetzt schon bedeutend besser, aber die rechte Schreibstimmung habe ich doch nicht. Du wirst das sicher verstehen, nicht wahr? Sehr geholfen hat mir heute das „Kölnisch Wasser“ von Dir. Auch von dem „4711 Haarwasser“ habe ich mir auf der Kopfhaut verrieben. Das hat herrlich erfrischt. Ich möchte Dir heute nochmals danken, dass Du mir die Sachen geschickt hast. Du warst ein ganz lieber Mann und bist es natürlich auch jetzt noch. Das ist doch klar.
Doch, da fällt mir noch was ein. Wir hatten heute nichts rechtes zum Abendbrot. Da dachte ich, ich schau mal im Keller nach, was da noch ist. Ich fand noch Langusten, die Du mal aus Frankreich mitgeschickt hattest. Die haben wir mit rauf genommen. Jörg hat die Dose aufgemacht. Dass es so eine Art Krebse sind, hatte ich auf der Dose gesehen, aber ich dachte nicht, dass sie so drin liegen. Wie Raupen sah es aus. Mir ist es erst ganz komisch geworden. Helga sagte gleich: „Davon esse ich nichts.“ Dass sie gut sind, das dachte ich mir gleich, aber wie sie aussahen, das hatte mir erst den Appetit verschlagen. Jörg ließ sich nicht erschüttern. Er schnupperte daran und meinte: „Wenn sie so gut schmecken, wie sie riechen, sind sie gut. Mutterle, mach mir mal ein Brot fertig.“ Er holte ein paar auf einen Teller raus und sagte: „Die sind ja ganz weich, da kann man sie schmieren, da sieht man nichts mehr von den Raupen.“ Er hat dann auch einige Brote gegessen, ich ein halbes, Helga aber gar nichts. Ich muss sagen, es schmeckt wirklich gut, nur die Form hat mir´s immer wieder ein Bisschen verleidet.
Dann muss ich Dir noch schreiben, dass ich mir vor einigen Tagen, als es so geschneit hatte, einen Schneeschieber gemacht habe. Bisher hatte ich ihn mir von Nussbaumers geborgt, aber Du weißt ja, das tue ich so ungern. Ich habe mal im Keller nachgesehen, ob wir nicht selber ein paar dicke Bretter haben, die sich für den Zweck eignen und hatte auch Glück. Von dem früheren Spielregal der Kinder waren 2 Bretter gerade in der richtigen Länge und Dicke da. Die habe ich an einen Besenstiel genagelt und fertig war das Ding. Jetzt bin ich nicht mehr auf jemanden angewiesen und brauche es im Notfall auch nicht mehr mit dem Besen zu versuchen. Das ist eine Quälerei, denn der Schnee bleibt immer in den Borsten hängen.
Doch nun wirklich Schluss. Nachher geht es bald ins Bett. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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