Mein liebster Ernst! Konstanz, 8.1.43
Unser schöner Schnee ist futsch. Schon gestern Abend, als
ich den Brief an Dich fort brachte, regnete es. Heute Morgen war ein Matsch,
das kannst Du Dir ungefähr denken. Am Vormittag habe ich die Lebensmittelkarten
geholt, bin in die Stadt gegangen zum Anmelden und habe die Zeitungen für Dich
geholt. Dann habe ich noch eingekauft. Mit dem Rad konnte ich gar nicht fahren,
da hätte es mich gleich hingeworfen. Also bin ich gelaufen. Es war ein schweres
Vorwärtskommen. Nachdem es in den letzten Tagen so viel geschneit hatte, war
natürlich hoher Matsch und man rutschte dauernd einen halben Schritt zurück. ¼
12 Uhr war ich wieder daheim. Aber Helga, die noch auf dem Liegestuhl lag,
hatte Gesellschaft, denn um 9 Uhr kam Jörg schon aus der Schule. Ich habe ihn
noch unterwegs getroffen.
Als ich bei Herrn Kusterer vorbei kam, habe ich ihn gefragt,
ob er am Sonntag in die Briefmarkenausstellung geht (Tag der Briefmarke) und ob
er mir die Marke mit dem Sonderstempel mit besorgen könnte. Er sagte mir, dass
ich ihm Briefumschläge mit unserer Adresse bringen soll. Darauf wird die Marke
geklebt, alles wird dann nach Straßburg geschickt, wo sie mit dem Sonderstempel
versehen hierher geschickt wird. Konstanz erhält keinen Stempel.
Am Nachmittag ist Helga aufgestanden. Sie sagte, dass ihr
gar nichts mehr weh tut. Vielleicht haben das Bad und das Schwitzen gestern
doch gut getan. Ich bin ja sehr froh darüber. In der Stube lasse ich sie heute
und morgen noch schlafen. Jörg schläft noch in Deinem Bett. Du glaubst gar
nicht, wie ihm das gefällt. Er will es Dir auch schreiben, wenn morgen noch
Matsch ist, sogar schon morgen. Er sichert sich gleich, denn wenn schönes
Wetter ist, hat er vielleicht doch nicht die Ruhe dazu.
Ich weiß heute gar nicht recht, was ich Dir schreiben kann.
Seit Mittag habe ich nämlich Kopfweh. Es ist jetzt schon bedeutend besser, aber
die rechte Schreibstimmung habe ich doch nicht. Du wirst das sicher verstehen,
nicht wahr? Sehr geholfen hat mir heute das „Kölnisch Wasser“ von Dir. Auch von
dem „4711 Haarwasser“ habe ich mir auf der Kopfhaut verrieben. Das hat herrlich
erfrischt. Ich möchte Dir heute nochmals danken, dass Du mir die Sachen
geschickt hast. Du warst ein ganz lieber Mann und bist es natürlich auch jetzt
noch. Das ist doch klar.
Doch, da fällt mir noch was ein. Wir hatten heute nichts
rechtes zum Abendbrot. Da dachte ich, ich schau mal im Keller nach, was da noch
ist. Ich fand noch Langusten, die Du mal aus Frankreich mitgeschickt hattest.
Die haben wir mit rauf genommen. Jörg hat die Dose aufgemacht. Dass es so eine
Art Krebse sind, hatte ich auf der Dose gesehen, aber ich dachte nicht, dass
sie so drin liegen. Wie Raupen sah es aus. Mir ist es erst ganz komisch
geworden. Helga sagte gleich: „Davon esse ich nichts.“ Dass sie gut sind, das
dachte ich mir gleich, aber wie sie aussahen, das hatte mir erst den Appetit
verschlagen. Jörg ließ sich nicht erschüttern. Er schnupperte daran und meinte:
„Wenn sie so gut schmecken, wie sie riechen, sind sie gut. Mutterle, mach mir
mal ein Brot fertig.“ Er holte ein paar auf einen Teller raus und sagte: „Die
sind ja ganz weich, da kann man sie schmieren, da sieht man nichts mehr von den
Raupen.“ Er hat dann auch einige Brote gegessen, ich ein halbes, Helga aber gar
nichts. Ich muss sagen, es schmeckt wirklich gut, nur die Form hat mir´s immer
wieder ein Bisschen verleidet.
Dann muss ich Dir noch schreiben, dass ich mir vor einigen
Tagen, als es so geschneit hatte, einen Schneeschieber gemacht habe. Bisher
hatte ich ihn mir von Nussbaumers geborgt, aber Du weißt ja, das tue ich so
ungern. Ich habe mal im Keller nachgesehen, ob wir nicht selber ein paar dicke
Bretter haben, die sich für den Zweck eignen und hatte auch Glück. Von dem
früheren Spielregal der Kinder waren 2 Bretter gerade in der richtigen Länge
und Dicke da. Die habe ich an einen Besenstiel genagelt und fertig war das
Ding. Jetzt bin ich nicht mehr auf jemanden angewiesen und brauche es im
Notfall auch nicht mehr mit dem Besen zu versuchen. Das ist eine Quälerei, denn
der Schnee bleibt immer in den Borsten hängen.
Doch nun wirklich Schluss. Nachher geht es bald ins Bett.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen