Mein liebster Ernst ! Konstanz, 5.1.43
Heute erhielt ich gleich wieder 2 Briefe von Dir, vom 25.
Und 27.12. Ich habe mich sehr darüber gefreut, vor allem auch darüber, dass Dir
die Geschenke, die wir Dir zu Weihnachten machen konnten, gefallen haben. Wenn
Du die Sachen brauchen kannst, freut es mich doppelt. Dass die Stollen erst
nach Weihnachten eingetroffen sind, ist ja bedauerlich, aber wenigstens hast Du
sie an einem Sonntag erhalten, da konntest Du ein Bisschen nachfeiern. Ich bin
wirklich so froh, dass alles richtig angekommen ist, und dass es Dir gefallen
hat. Man würde ja gern noch manches schenken, aber was gibt es schon, was Du
dort brauchen könntest? Von unserem Weihnachten habe ich Dir schon berichtet
und Du hast gesehen, dass Dein Platz immer frei war und Dein Bild an dieser
Stelle stand, damit wir Dich auch immer sehen konnten. Wir haben immer an Dich
gedacht und von Dir geredet. Wir haben auch immer gedacht, was Du wohl gerade
machen würdest? Wie ich nun sehe, warst Du, als wir bescherten, noch an der
Arbeit und hast erst später die Päckchen öffnen können.
Du schreibst, dass Du Dir ein Buch von Ludwig Finkh gekauft
hast. Dasselbe hat Kurt getan, als er hier war. Ich kenne nur nicht mehr den
Titel, aber es war ein Buch, das wir noch nicht haben. Du schreibst gerade von
Kurt, es sei doch eigenartig, dass man sich so wenig kennt. Das ist schon wahr,
aber weißt Du, woher das besonders kommt? Von dem großen Altersunterschied. Das
liegt bestimmt mir daran. Es ist bei mir mit Siegfried ja dasselbe. Jetzt wirkt
sich der Unterschied nicht mehr so aus, aber als Kinder macht das viel aus. Als
ich 10 Jahre war, war Siegfried kaum 4 Jahre. Da hat man doch ganz verschiedene
Interessen. Bei Dir und Kurt war der Unterschied noch etwas größer. Und als wir
älter waren, sind wir bald von daheim weg, Du wie ich.
Ich hatte jetzt eine längere Schreibpause eingelegt, weil
Vater sich mit mir unterhalten hat. Gerade habe ich ihn an die Haustür
gebracht. Es hat wieder ziemlich geschneit. Vater kam vorhin gleich vom
Geschäft her. Er war ganz durch gefroren. Ich habe ihm gleich eine heißt Tasse
Kaffee vorgesetzt und einen Teller Kartoffelstückchen. Er hat beides mit Dank
angenommen. Jetzt war er wieder durchwärmt. Nur schade, dass er so weit heim
hat, bis dahin ist er wieder kalt. Er schafft augenblicklich in einem Neubau,
da sind noch keine Fenster drin. Du kannst Dir denken, wie kalt es da ist. Ab
nächste Woche schaffen sie wieder in der Werkstatt, da ist es doch ein wenig
wärmer.
Doch nun wieder zu Deinem Brief. Es freut mich, dass Du mit
der Verteilung der Süßigkeiten zufrieden warst. Du hast schon Recht, ein
Leckermaul bin ich schon. Süßes ist immer fein. Den Durchschlag Deines Briefes
an die Kinder habe ich gelesen. Der Brief selber ist noch nicht angekommen.
Vielleicht kommt er morgen, denn es wird jetzt nur noch einmal am Tag
ausgetragen. Die Briefträger müssen bei dem Schnee alles laufen, da kommen sie
manchmal erst um 12 hier bei uns an. Über den Brief werden sich die Kinder
sicher sehr freuen, denn sie warten schon sehr auf ein Schreiben von Dir. Du
hast auch wieder so lieb geschrieben.
Ja, den Ständer für den Füllfederhalter habe ich hier und
kann ihn doch nicht schicken, bevor ich keine Zulassungsmarke von Dir habe.
Schicke sie mir also ganz bald zu. Ich habe ja auch noch die verschiedenen
anderen Sachen da.
Von Alice erhielt ich in der vergangenen Woche eine Karte.
Sie teilte mir gleich mit, dass sie mir bald einen Brief schreiben wollte, das
heißt, uns Beiden. Ich bin gespannt, ob sie sich tatsächlich dazu aufraffen
kann. Sehr nahe sind wir uns ja bisher nicht gekommen.
Der Geburtstag von Siegfried ist am 12.April. Am 18.April
hatte Mama Geburtstag. Den Hochzeitstag von Erna und Siegfried weiß ich auch
nicht genau, soviel ich weiß war er am 21.Oktober. Bei Gelegenheit schaue ich
nochmals die Briefschaften nach, ob da was drin steht.
Hast du das nicht gewusst, dass wir alle so wild nach rohen
Klößen sind? Und wie. Da kann ich gar nicht genug machen. Ich würde sie gern
öfter machen, es ist nur sehr viel Arbeit damit verbunden.
Es ist Recht, wenn du Dich für die Geschenke von Nanni
bedanken willst. Ich habe ihr einen Karte für Weihnachten geschrieben und
darauf auch meinen Dank zum Ausdruck gebracht.
Jetzt muss ich Dir noch was von Jörg schreiben. Als er jetzt
mal gar keine Freude an der Schule zeigte, sagte ich zu ihm: „Du musst schon
fleißig lernen, sonst kommst Du mal nicht in die Höhere Schule und wirst
Schuster oder sowas.“ Weißt Du, was er darauf sagte: „ Schuster werde ich
nicht, aber vielleicht Schreiner, wie die in der Werkstatt bei Helga in der
Schule, das gefällt mir.“ (Im Keller der Schule ist eine Schreinerlehrwerkstat
untergebracht.) Was sagst Du nun dazu? Jörg kann man nicht an seinem Ehrgeiz
packen, da reagiert er gar nicht drauf. Er tut das, was ihn freut, aber er
lässt sich zu nichts aufstacheln.
Helga war heute den ganzen Tag munter. Zum Hinlegen hatte
sie gar keine Lust mehr. Sie sagte, es ginge ihr soweit gut. Eine einzige
Stelle tut ihr noch etwas weh, aber nicht viel. Am liebsten wäre sie heute
schon Schlitten fahren gegangen. Sollte es ihr morgen ganz gut gehen, lasse ich
sie am Nachmittag vielleicht eine Stunde raus und übermorgen will sie wieder in
die Schule gehen. Es kommt aber ganz darauf an, wie ihr die Stunde morgen
bekommt. Die Winterluft ist ja sonst nicht ungesund.
Heute haben wir den Weihnachtsbaum geleert. Er fing an zu
nadeln. Die Kinder haben es diesmal allein tun dürfen. Sie haben es gern getan.
In dem Karton mit dem Baumschmuck haben sie auch rumgekramt und sie haben mir
beide einige Kerzenhalter, weißt Du, so Sterne, kleine Engel usw., abgebettelt.
Jörg ist darin am Schlimmsten. Der sammelt alle solche Sachen. Es gibt einfach
nichts, was er nicht brauchen könnte. Heimlich und leise muss ich immer mal
wieder das Regal aufräumen und Verschiedenes verschwinden lassen, sonst wüsste
ich vor lauter Raritäten schon nicht mehr, wohin?
Nun will ich nochmal durch den Schnee zum Briefkasten
stapfen. Darum lass mich schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und ganz, ganz
fest geküsst von deiner Annie.
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