Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 481 vom 26.12.1942


Mein lieber, guterMann!                                          Konstanz, 26.12.42

Den zweiten Feiertag haben wir auch hinter uns gebracht. Gestern war ich ja schon enttäuscht, dass ich keinen Brief von Dir erhalten hatte, aber heute bin ich richtig voller Unruhe. Mein ganzes Wünschen richtet sich darauf, dass ich morgen einen Brief von Dir bekomme. Das wäre für mich dann erst noch das richtige Weihnachten. Ein Fest ohne eine liebe Zeile von Dir ist einfach kein fest, es fehlt das Wichtigste. Helga will auch schon ganz fest den Daumen halten, dass Morgen ein Brief von Dir kommt.
Am Nachmittag waren wir heute im Theater. Die Aufführung war wirklich schön. Ingrid ist mit uns gegangen. Sie hatten eigentlich auch die Karten für den vergangenen Samstag geholt,  da wäre Fritz noch mitgegangen. Da er aber heute schon abgefahren ist, haben sie die eine Karte an Lämmels verkauft.
Weißt Du, wie lange gestern Vater hier war? Bis ½ 2 Uhr. Es ist ja nicht weiter schlimm, da ja heute nochmals Feiertag war. Es war putzig. Erst haben wir fast bis ½ 11 dagesessen und haben kein Wort geredet, dann kamen wir auf einmal ins Gespräch. Erst fing es an mit der Bausparkasse von Kurt. Dann kam das Gespräch auf Paula. Ich sagte dann auch , dass ich die Kinder nicht zu ihr lasse, weil ich nicht möchte, dass sie ihn vielleicht mit irgendwelchen Bemerkungen bei den Kindern lächerlich macht. Denn er stände uns schließlich näher. Dann kam Vater auf früher zu sprechen. Er hat von deiner Mutter erzählt, dann von seiner Wanderschaft, von okkulten Sitzungen, die er und Deine Mutter mal besucht hatten, um sich´s auch mal anzusehen, von Wahrsagern, dass das Unsinn sei und wie einmal eine Frau zu Deiner Mutter gesagt hätte, wenn sie die Jahre (wo sie dann gestorben ist) überstehen würde, da würde sie alt, aber es sei fast unwahrscheinlich. Ich meinte dann, vielleicht hätte auch das den Willen Deiner Mutter etwas gelähmt, denn es ist ja so, dass einem solche Sachen im ungeeignetsten Moment einfallen. Kurz und gut, wir kamen von einem ins andere. Vater meinte auch einmal: „Ich weiß, dass ich nichts vorstelle, ich bin zu klein, wenn ich vielleicht größer wäre, würde meine Arbeit auch mehr angesehen, als so. Es wäre vielleicht auch besser, ich zöge mich etwas besser an, aber man hat jetzt gar keine Lust mehr dazu.“ Wir sprachen von meinem Vater, von meiner Mutter, von Papas Frau. Er erzählte mir natürlich viele Sachen, die er mir auch früher schon erzählt hatte, was Papa früher mal über Dich gesagt hat, warum er erst gegen mich so zurückhaltend war usw. Zuletzt meinte er: „Vorhin, als wir so von meiner Mutter und von zuhause gesprochen haben, sind Dir auch die Tränen gekommen (es war aber, soviel ich weiß, nicht der Fall. Das müsste ich doch schließlich gemerkt haben. Nur müde war ich. Aber ich habe ihm nicht widersprochen, denn er sagte weiter) Siehst Du, das merke ich gleich, ich habe für solche Sachen ein feines Gefühl. Wenn ich mir auch nichts merken lasse, so sehe ich doch Manches. Wenn jemand etwas weh tut, so tut es mir auch weh, da habe ich auch Mitleid. Wenn ich auch nach nichts aussehe, so fühle ich doch auch mit. Du siehst ja auch, wie die Kinder an mir hängen, die merken auch, dass ich es gut mit ihnen meine.“ Er sagte so noch mancherlei. Er ging einmal richtig aus sich heraus. Es wurde dann später und später und er sagte zum Schluss: „Nicht, jetzt sind wir mal richtig ins Gespräch gekommen. Es ist ja ein Bisschen sehr spät geworden und ich wollte eigentlich schon längst zuhause sein. Aber sowas muss auch mal gesprochen werden. Wir sind uns doch schließlich mit die Nächsten.“ Als er an der Haustür war, meinte Vater: „Nicht wahr, das war doch eine feine Aussprache, vielleicht könne  wir wieder mal so reden.“ Ich habe aus allem gesehen, dass er auch mal das Bedürfnis hat zum Reden. Es freut mich auch, dass er mir manchmal Sachen erzählt, die nicht so herumgeredet werden dürfen, geschäftliche Sachen. Er meinte, dass er ja weiß, dass ich nichts weiterrede.
Was hast Du lieber Kerl eigentlich gemacht bei dem Brief, den Du an Vater am 14. geschrieben hast? Der war doch hierhergekommen und als ihn Vater abends aufmachte, kommt mit dem Brief noch der Durchschlag desselben zum Vorschein, ebenso eine Karte von Alfred und der Durchschlag Deines Briefes an ihn. Vater wollte die Sachen erst gar nicht rausrücken, er hat sie erst gelesen, weil er meinte, sie seien doch vielleicht für ihn. Ich sagte ihm aber, dass das sicher aus Versehen geschehen sei. Du hättest den Brief gleichzeitig mit dem anderen an mich, einem Kameraden mitgeben wollen und das sei sicher so schnell gegangen, dass Du das verwechselt hättest.
Kurt bekommt doch jetzt Kriegsbesoldung. Die bekommt er aber nicht so, die wird auf sein Sparkonto hier überwiesen. Nun wollte er, dass Vater das Geld jeden Monat abhebt und auf sein Bausparkonto überweist. Da Vater aber erst später aus dem Geschäft kommt, will ich das Geld abheben. Kurt hat die Tage immer vergessen, wegen dieser Sache auf die Sparkasse zu gehen, denn er muss das doch regeln, damit ich auch das Geld bekomme. Nun will er das noch schnell am Montagvormittag erledigen.
Nun lieber Ernst, lass mich schließen. Bleibe mir immer gesund, komm gesund wieder und behalte uns lieb. Ich grüße Dich ganz herzlich und küsse Dich fest, Deine Annie.

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