Montag, 29. Januar 2018

Brief 508 vom 27.1.1943


Mein liebster  Ernst!                                                  Konstanz, 27.1.43

Gestern habe ich Dir nicht geschrieben. Es ist jetzt bei mir scheinbar so, dass ich fast jeden Kinobesuch mit Kopfschmerzen bezahlen muss. So auch gestern wieder. Wir waren doch in dem Film „Diesel“, d.h. Jörg war mit dem Richard in „Schloss Hubertus“. Der Film „Diesel“ war wirklich hervorragend. So viel hatte ich mir nicht davon versprochen. Es zeigt den Kampf des Mannes um seinen Motor, der erst nach 10jähriger Arbeit zu seiner Zufriedenheit ausfällt. In der Zwischenzeit gibt es immer wieder gewaltige Rückschläge. Mit vielen Opfern ist dieser Motor erkauft.
Nach dem Film sind wir heimgegangen. Wir haben Abendbrot gegessen. Währenddessen steigerte sich mein Kopfweh so, dass ich einfach nicht mehr stehen konnte. Nach dem Abwaschen habe ich mich etwas auf´s Sofa gelegt. Als ich wieder aufstand, hatte Jörg das ganze Geschirr abgetrocknet. Ist das nicht lieb von ihm? Helga konnte es nicht tun, weil sie doch Schulaufgaben machen musste. Über Mittag war doch die Zeit zu kurz gewesen. Als die Kinder im Bett waren, habe ich mich auch schlafen gelegt. Nachts um 1 Uhr ging die Sirene los. Wir hatten bis 2 Uhr Alarm. Dann konnten wir uns wieder ins Bett legen. Aber um ¾ 3 Uhr holten sie uns wieder raus bis ¼ 4 Uhr. Gehört haben wir aber von den Fliegern nichts. Da die Kinder erst um 10 Uhr in die Schule mussten, und Helga, weil sie schon um 10 Schulschluss hatte, überhaupt schulfrei hatte, sind wir erst ¼ 9 Uhr aufgestanden. Jörg hat sich ja schwer gefuchst, dass er in die Schule musste. Er wünscht sich doch immer, wenn schon Flieger kommen, dass sie wenigstens am Sonntag zum Montag kommen, weil er dann nicht in die Schule müsste.
Gestern Abend hat es mir genützt, dass ich weiß, wie der Vorschaltwiderstand zusammengeschraubt ist. Er bockte nämlich schon mehrmals, manchmal ging das Radio gar nicht an. Da habe ich mir das Ding einmal hergenommen und habe mir überlegt, woran es liegen könnte. Nun ist doch an der einen Seite eine kleine Vertiefung, in der 2 Steckerlöcher und ein Schräubchen ist. Unter dem Schräubchen war doch die Platte abgebröckelt. Dadurch saß die das ganze Innere des Widerstandes nicht mehr fest. Ich habe nun über das abgebröckelte ein festes Stück Pappe gelegt mit einem kleinen Loch drin. Wenn ich nun das Schräubchen festschraube, so kann es nicht durchrutschen und alles sitzt fest. Erst, als ich gestern das Radio anstellte, ging es gar nicht. Als ich dann die Reparatur vorgenommen hatte und es lief alles wieder tadellos, habe ich mich sehr gefreut.
Den Blumenstock von Dir hatte ich doch immer auf dem Fensterbrett stehen. Da wurde es jetzt aber zu kalt, vor allen Dingen nachts, wenn der Vorhang noch davor hing. Da kam bloß die kalte Luft von außen an den Stock. Auf den Tisch konnte ich ihn auch nicht stellen, weil wir jetzt viel drüben sind. Also habe ich ein kleines Gestell gebaut, laut beiliegender Zeichnung. Ich habe es hellbraun gefärbt und es etwas niedriger als das andere Brett in der Stube aufgehängt. Da steht nun der Stock, hat Licht und doch nicht kalt.
Vorhin hörte ich gerade im Radio, dass alle Kräfte der Heimat eingesetzt werden sollen und dass auch dementsprechende Gesetzte in Vorbereitung sind. Ich bin gespannt, ob da auch mich etwas betrifft. Ob ich vielleicht schaffen gehen muss oder sowas. Na, wir werden ja sehen.
Den Vormittag über habe ich heute wieder an den Schuhen zu tun gehabt. Hier waren Eisen weg, da war die Sohle gelockert. Ein paar Schuhe, die Jörg auch bald zu klein werden habe ich ganz eng beieinander benagelt. So kann er sie noch abtragen. Eine Ledersohle wäre zu schade gewesen, denn Leder bekomme ich doch nicht mehr.
Während ich hier schreibe, wäscht Helga mir ab. Ich will dann wieder nähen gehen. Helga wird wahrscheinlich mitgehen, während Jörg hier bleibt und draußen spielt.
Heute ist Dein liebes Päckchen Nr.2 mit Haarwasser, Kölnisch Wasser, Hautcreme und dem Buch von L. Finkh angekommen. Von der Hautbreme hat Helga gleich einmal probieren müssen. Ach, ist das ein Äffchen. Ich danke Dir sehr für die übersandten Sachen, Du lieber Schatz.
Papa hat nun morgen Geburtstag. Er wird sicher die Sachen von uns bekommen haben, auch meinen Brief. Er hat ja schon längere Zeit darauf gewartet. Gestern sandte er uns wieder die Abzeichen vom Sonntag.
Jetzt muss ich aufhören mit schreiben, es wird sonst zu spät zum Fortgehen. Bleib Du, mein lieber Mann, ganz gesund und nimm viele Grüße und Küsse entgegen von Deiner Annie.

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