Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 479 vom 24.12.1942


Mein liebsterErnst!                                        Konstanz, 24.12.42

Die Bescherung ist nun vorbei. Davon will ich Dir erzählen. ¼ 6 Uhr haben wir beschert. Die Kinder sind schon vorher die ganze Zeit herein gelaufen gekommen und haben geschaut, wie spät es ist. Endlich war es soweit. Ich habe die Kerzen an dem Weihnachtsbaum angezündet und habe unsere zwei Lauser herein gerufen. Erst haben sie sich nur alles angesehen. Und haben sich gar nicht so gefreut. Ihre größte Sorge war erst, dass sie mir ihre Geschenke brachten und ob ich mich auch darüber freue. Das habe ich dann auch getan. Dann brach bei ihnen aber richtig die Freude durch. Helga hat immer gejuchzt und ist in der Küche herum gesprungen. Jedes Geschenk haben die Kinder vorgenommen und haben sich darüber gefreut. Das Kleid und die Trainingshose, sowie der Pullover wurden gleich angezogen, Helga hat ihre Puppe schaukeln lassen, hat sich die Kette umgetan, Jörg hat mit seinem Hammer (ein ganz großer Wunsch von ihm) einen Nagel eingeschlagen, hat mit seinen Farben gemalt usw. Einige Weihnachtslieder haben wir auch gesungen. Während der Bescherung kam Kurt und ist ½ Stunde da geblieben. Er hat auch mit uns Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Er gab mir 10 Mk. und für die Kinder je 10 Mk. Später kam Vater. Er gab mir 25 Mk., den Kindern je 12.50 und für Dich 22.50. Er hatte von den 25 Mk. für Dich 2.50 angezogen, die er für ein Buch für mich ausgegeben hatte. Soll ich Dir das Geld zuschicken? Wir haben, als Vater kam, nochmals den Baum angezündet. Dabei haben wir die Ringsendung angehört und ich habe immer gedacht, ob Du wohl jetzt auch beim Radio sitzt, ob Du die Päckchen alle bekommen hast und auch unseren Weihnachtsbrief. Hoffentlich war das Weihnachten bei Dir nicht gar zu traurig uns einsam. Ich wüsste es jetzt schon gerne. Meine Gedanken waren immer bei Dir. Wir haben auch Dein Bild mit auf dem Weihnachtstisch stehen gehabt und jetzt steht es neben mir auf dem Tisch an Deinem Platz. So bist Du, wenn auch nur im Bild, doch immer bei uns.
Die Kinder hatten vor, Dir noch einen großen Brief zu schreiben.  Aber damit ist es nichts geworden. Du weißt ja, erst wollen sie doch mit ihren Sachen ein Bisschen spielen und dann ist es schon ganz spät geworden. Sie haben Dir aber noch aufgeschrieben, was sie bekommen haben, denn sie wollten Dir doch zeigen, dass sie an Dich gedacht haben. Wahrscheinlich werden sie in den nächsten Tagen Dir noch mehr erzählen. Helga sagte mir vorhin, sie sei gar nicht ein Bisschen enttäuscht, sie hätte gar nicht gedacht, dass sie so viele und schöne Sachen bekäme. Heute haben die Kinder einmal länger aufbleiben dürfen. Erst wollten sie bis um 11, aber ich habe gesagt, das sei zu spät. Um ¼ 11 waren sie aber schon so müd, dass sie gern freiwillig ins Bett gegangen sind. Kaum dass sie drin waren, haben sie auch schon geschlafen. Morgen haben sie ja Zeit, dass sie ausschlafen können.
Nun will ich von meinen Geschenken berichten. Ich bin wirklich nicht zu kurz gekommen. Dir möchte ich zuerst einmal danken für die Liebe, die Du mir wieder gezeigt hast. Über Deine Päckchen habe ich mich sehr gefreut. Ich will nun einmal alle Geschenke aufzählen: Von Dir 80 Mk., 1 Kölnisch Wasser, 1 Mundwasser, 1 Zahnpasta, 1 Haarwasser, 1 Haaröl, Seife, 2 Schachteln Pralinen, 1 Tafel Schokolade, Bonbons, 1 Buch „Margrit“ (von Vater besorgt) von Papa: 4 Bücher, von denen ich Dir schon geschrieben habe, von Erna: 1 Vase, 1 Buchzeichen, von Vater 25 Mk., von Kurt: 10 Mk. Von unseren beiden lieben Kerlchen habe ich folgende Sachen erhalten, die sie mit viel Liebeausgesucht haben. Man muss bedenken, dass es jetzt fast nichts zu kaufen gibt. Ich habe mich bestimmt darüber gefreut, sieht man doch die Liebe daraus: 2 Leuchtplaketten, 2 Neujahrskarten (die ich, wie sie sagten, nicht aufheben brauche, sondern ruhig verwenden kann) 3 Rollen Schmuckband, 2 Rollen Gold- und silberfarbigen Faden für Päckchen, 2 Engelsfiguren aus Holz, je 25 Pfg. Geld und 1 Tortenheber. Ehe sie mir die Geschenke brachten, gaben sie mir einen schön geschmückten Zettel in die Hand, auf dem stand: „Hoffentlich freuen Dich unsere Geschenke“. Es sind doch zwei liebe kleine Kerle. Ich habe eine große Freude gehabt. Als sie mir das Buch „Margrit“ überreichten, hatten sie auch einen schön geschmückten Zettel reingelegt, auf dem stand „Das Geschenk von Vaterle.“ Ach so, etwas habe ich noch vergessen. Jörg hat mir noch ein 30cm langes Lineal gekauft. Er meinte, das könnte ich doch sicher öfter brauchen. Auch wenn ich an Dich schreibe.
Wenn ich jetzt so vor mich schaue, sehe ich gerade den Christbaum glitzern. Er sieht so schön aus. Schade, dass Du ihn nicht sehen kannst. Es wäre überhaupt so schön, wenn Du hier wärst, aber es geht eben leider nicht. Wie froh bin ich, dass Du wenigstens erst vor kurzem bei uns warst. So haben wir und doch wenigstens einmal wieder gesehen. Vielleicht dauert es bis zum nächsten Urlaub doch nicht gar so lange. Die Hoffnung wollen wir wenigstens nicht verlieren.
Kurt ist augenblicklich gar nicht richtig auf dem Posten. Er hat mächtiges Halsweh. Heute ist er schon ins Heißluftbad gegangen, damit es besser werden soll. Er meinte, wenn es über die Feiertage sich nicht bessert, muss er unbedingt zum Arzt gehen.
Nun lass mich für heute schließen. Es ist bereits ½ 12 Uhr. Wenn Vater fort geht, gehe ich noch mit bis zum Briefkasten und werfe den Brief ein. Da geht er morgen früh mit fort.
Ich grüße und küsse Dich, mein lieber, guter Ernst, recht herzlich, Deine Annie.

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