Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 484 vom 29.12.1942


Mein liebster Ernst    !                                               Konstanz, 29.12.42

Eine ganz große Freude habe ich heute gehabt durch Deinen Weihnachtsbrief, den du noch dazu so schön verziert hast. Wenn er auch etwas später angekommen ist, so macht das gar nichts. Mit viel Freude habe ich gelesen, wie Du Dich an die früheren Weihnachtsfeste erinnerst. Genauso wie Du schreibst ist es gewesen. Es ging manchmal ganz knapp bei uns her, aber eine kleine Freude haben wir uns doch immer gemacht und vor allen Dingen sind wir nicht unzufrieden geworden. Das hätte uns im Vorwärtskommen auch nur gehemmt. Ging es knapp her, so haben wir es hingenommen, als es besser wurde, haben wir uns gefreut. Ich weiß es auch noch, wie erstaunt ich war, als Du mir den schönen Schal und die silberne Brosche schenktest. Eigentlich waren das damals meine einzigen schönen Stücke, denn etwas besonders schönes zum Anziehen hatte ich doch nicht. Beide Sachen habe ich ja noch heute und ich freue mich immer wieder daran.
Das schönste an den Weihnachtsfesten war doch auch, dass wir zusammen sein konnten. Das ist ja jetzt nicht der Fall, aber hoffen wir fest, dass sich das bald wieder ändert. Eine Weile werden wir ja schon noch Geduld haben müssen. Ganz besonders glücklich hat es mich gemacht, dass Du mich noch genau so lieb hast, wie früher. Du weißt ja, wie wichtig das für mich ist. Dass ich Dich sehr lieb habe, das weißt Du ja auch.
Gefehlt hast Du uns zu Weihnachten sehr. Ich habe immer an Dich gedacht und Dein Bild stand immer bei uns. Die Kinder haben aber ein fröhliches Weihnachten gehabt, denn ich war mit ihnen fröhlich und habe ihnen das Herz nicht schwer gemacht. Sie sollen ja auch noch unbeschwert froh sein.
Deinen lieben Brief vom 12.12. habe ich heute auch noch erhalten. Jetzt wirst Du ja öfter was von Helga zu lesen haben, denn sie setzt sich oft hin und schreibt Dir. Es macht ihr Freude, Dir von allem zu berichten. Am Sparen haben die Kinder jetzt selber viel Freude. Davon will ich Dir nachher noch berichten, wenn ich Dir von gestern erzähle.
Am Nachmittag sind wir doch in die Stadt gegangen. Wir sind schon ein Bisschen zeitiger fort, damit wir erst auf die Sparkasse gehen konnten. Als wir hinkamen, war ein Gedränge, dass wir sahen, es hat gar keinen Zweck, dass wir uns hinstellen, da kommen wir zur Abfahrt des Zuges nicht mehr zurecht. Wir sind dann langsam zum Bahnhof gegangen und haben geschaut, ob Kurt schon kommt. Ich habe dann die Kinder auf den Bahnsteig geschickt, damit sie nachsehen sollten. Er war aber noch nicht da. Da habe ich ein paar Mal auf die Straße hinaus gesehen, er kam nicht. Kurt hatte uns schon gesagt, dass Albert ihm einen Platz halten wollte. Als es ¾ 4 war, kam der Albert auch und schaute die Straße entlang. Da kam endlich Kurt mit dem Kurtle, der sein Gepäck auf dem Rad hatte. Vater war inzwischen auch schon da und stand mit den Kindern am Zug. Der Albert hat Kurt dann seinen Platz gezeigt. 10 Minuten waren noch bis zur Abfahrt des Zuges. Wir standen am Zug, Paula, Albert und eine Frau aus dem Haus weiter hinten. Einmal ist Kurt bei uns, einmal bei ihnen gestanden. Es ist was Eigenartiges. Schnell gingen die paar Minuten rum, dann hieß es einsteigen. Vater hatte Kurt noch 1 ½ Stollen eingepackt, sowie ein paar Äpfel. Unsere Kinder gaben ihm noch 2 Illustrierte Zeitungen und dann fuhr der Zug schon los. Wir sind dann mit Vater nochmal zur Sparkasse gegangen und haben unser Geld eingezahlt. Ca. ½ Stunde mussten wir noch warten. Jetzt hat Helga mit den Zinsen von diesem Jahr 202,27 Mk., Jörg 192,75 Mk. und wir 596,27 Mk. auf der Sparkasse. Immer wieder musste ich den Kindern sagen, wie viel es ist und sie hatten eine große Freude daran.
Vater meinte dann, er wolle noch mit zu uns rauf gehen. Da konnten wir natürlich nicht durch die Stadt bummeln und sehen, was sich die Kinder für ihre 50 Pfg. kaufen könnten. Wir sind nur noch zum Tengelmann. Dann sind wir runter gegangen, um für Dich den Illustrierten Beobachter zu holen. Vater meinte, er ging so lange an die Zeitung. „Gut“, sagte ich, „wir holen die Zeitung und gehen noch schnell zum Hafen, die Kinder müssen aufs Klo.“ „Es ist recht“, meinte er. Also wir gehen los. Die Zeitung gab´s noch nicht. Am Stand daneben hat sich Jörg noch für sein Geld 2 Blumenkarten gekauft, die ihm so gefielen, und dann sind wir zum Hafen gegangen. Als wir wiederkamen, war Vater nicht da. Wir haben gewartet, sind rauf und runter gegangen, dann habe ich die Kinder noch zur Post geschickt, ob er vielleicht da sei. Nichts zu machen. Endlich haben wir uns gesagt, wir gehen heim. In der Wilhelmstraße haben wir noch Brot geholt und dann sind wir nachhause gegangen. Da steht Vater an der Tür. Ich sagte: „Ja, bist Du schon hier? Wir haben gewartet und gewartet.“ „Ich habe auch gewartet,“ meinte er „ ich sah Euch vom Zeitungsstand fort gehen in den Hafen, da dachte ich: Sicher haben sie vergessen, dass ich hier warte und sind heimgegangen.“ Ich sagte ihm, dass ich doch gesagt hätte, dass wir noch in den Hafen gingen. Da hat er gar nicht drauf gehört. Gestern Abend war Vater wieder annehmbarer, wie am vorhergehenden. Als er heim ging und ich ihm mit der Taschenlampe bis auf die Straße leuchtete, da es stockfinster war, hat er sich sogar sehr bedankt und gefreut. Am Sylvester will er wieder herkommen.
Als Kurt noch hier war, hat er mir einige Photos gezeigt, die er bei sich im Graben aufgenommen hatte. Da waren die Russen einmal durchgebrochen. Sie haben sie nachher erledigt und da lag am Ende des Ganges nun ein ganzer Berg Russen übereinander. Dann hatte er ein Bild von einem toten Russen, einem Mongolen. Scheußlich, wie der dalag. Außerdem zeigte er mir noch ein Bild von einem toten Russen, dem war die ganze Schädeldecke weggerissen, bis etwas über die Augenbrauen war das Gesicht nur noch da und über der Nase war noch ein ganzer Spalt bis zur Nasewurzel. Es ist wirklich nichts Schönes, das zu sehen, aber in Wirklichkeit sieht das noch viel schlimmer aus, wenn alles blutig ist. Kurt meinte auch, da muss man manchmal starke Nerven haben, um das anzusehen.
Du, Ernst, für die mitgeschickte Batterie möchte ich Dir nochmals besonders danken. Meine brennt nämlich bald nicht mehr und eine neue konnte ich bisher nicht bekommen. Da kam Deine gerade zur rechten Zeit. So komme ich nicht erst in Verlegenheit.
Von Helga schicke ich Dir wieder einen Brief mit. Sie hat ihn gestern Abend geschrieben. An Papa und Siegfried habe ich heute auch geschrieben. Die Durchschläge liegen bei.
Nun lass mich schließen. Ich grüße und küsse Dich herzlich und denke stets an Dich, Deine Annie.

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