Mein liebster Ernst ! Konstanz, 29.12.42
Eine ganz große Freude habe ich heute gehabt durch Deinen
Weihnachtsbrief, den du noch dazu so schön verziert hast. Wenn er auch etwas
später angekommen ist, so macht das gar nichts. Mit viel Freude habe ich
gelesen, wie Du Dich an die früheren Weihnachtsfeste erinnerst. Genauso wie Du
schreibst ist es gewesen. Es ging manchmal ganz knapp bei uns her, aber eine
kleine Freude haben wir uns doch immer gemacht und vor allen Dingen sind wir
nicht unzufrieden geworden. Das hätte uns im Vorwärtskommen auch nur gehemmt.
Ging es knapp her, so haben wir es hingenommen, als es besser wurde, haben wir
uns gefreut. Ich weiß es auch noch, wie erstaunt ich war, als Du mir den
schönen Schal und die silberne Brosche schenktest. Eigentlich waren das damals
meine einzigen schönen Stücke, denn etwas besonders schönes zum Anziehen hatte
ich doch nicht. Beide Sachen habe ich ja noch heute und ich freue mich immer
wieder daran.
Das schönste an den Weihnachtsfesten war doch auch, dass wir
zusammen sein konnten. Das ist ja jetzt nicht der Fall, aber hoffen wir fest,
dass sich das bald wieder ändert. Eine Weile werden wir ja schon noch Geduld
haben müssen. Ganz besonders glücklich hat es mich gemacht, dass Du mich noch
genau so lieb hast, wie früher. Du weißt ja, wie wichtig das für mich ist. Dass
ich Dich sehr lieb habe, das weißt Du ja auch.
Gefehlt hast Du uns zu Weihnachten sehr. Ich habe immer an
Dich gedacht und Dein Bild stand immer bei uns. Die Kinder haben aber ein
fröhliches Weihnachten gehabt, denn ich war mit ihnen fröhlich und habe ihnen
das Herz nicht schwer gemacht. Sie sollen ja auch noch unbeschwert froh sein.
Deinen lieben Brief vom 12.12. habe ich heute auch noch
erhalten. Jetzt wirst Du ja öfter was von Helga zu lesen haben, denn sie setzt
sich oft hin und schreibt Dir. Es macht ihr Freude, Dir von allem zu berichten.
Am Sparen haben die Kinder jetzt selber viel Freude. Davon will ich Dir nachher
noch berichten, wenn ich Dir von gestern erzähle.
Am Nachmittag sind wir doch in die Stadt gegangen. Wir sind
schon ein Bisschen zeitiger fort, damit wir erst auf die Sparkasse gehen
konnten. Als wir hinkamen, war ein Gedränge, dass wir sahen, es hat gar keinen
Zweck, dass wir uns hinstellen, da kommen wir zur Abfahrt des Zuges nicht mehr
zurecht. Wir sind dann langsam zum Bahnhof gegangen und haben geschaut, ob Kurt
schon kommt. Ich habe dann die Kinder auf den Bahnsteig geschickt, damit sie
nachsehen sollten. Er war aber noch nicht da. Da habe ich ein paar Mal auf die
Straße hinaus gesehen, er kam nicht. Kurt hatte uns schon gesagt, dass Albert
ihm einen Platz halten wollte. Als es ¾ 4 war, kam der Albert auch und schaute
die Straße entlang. Da kam endlich Kurt mit dem Kurtle, der sein Gepäck auf dem
Rad hatte. Vater war inzwischen auch schon da und stand mit den Kindern am Zug.
Der Albert hat Kurt dann seinen Platz gezeigt. 10 Minuten waren noch bis zur
Abfahrt des Zuges. Wir standen am Zug, Paula, Albert und eine Frau aus dem Haus
weiter hinten. Einmal ist Kurt bei uns, einmal bei ihnen gestanden. Es ist was
Eigenartiges. Schnell gingen die paar Minuten rum, dann hieß es einsteigen.
Vater hatte Kurt noch 1 ½ Stollen eingepackt, sowie ein paar Äpfel. Unsere
Kinder gaben ihm noch 2 Illustrierte Zeitungen und dann fuhr der Zug schon los.
Wir sind dann mit Vater nochmal zur Sparkasse gegangen und haben unser Geld
eingezahlt. Ca. ½ Stunde mussten wir noch warten. Jetzt hat Helga mit den
Zinsen von diesem Jahr 202,27 Mk., Jörg 192,75 Mk. und wir 596,27 Mk. auf der
Sparkasse. Immer wieder musste ich den Kindern sagen, wie viel es ist und sie
hatten eine große Freude daran.
Vater meinte dann, er wolle noch mit zu uns rauf gehen. Da
konnten wir natürlich nicht durch die Stadt bummeln und sehen, was sich die
Kinder für ihre 50 Pfg. kaufen könnten. Wir sind nur noch zum Tengelmann. Dann
sind wir runter gegangen, um für Dich den Illustrierten Beobachter zu holen.
Vater meinte, er ging so lange an die Zeitung. „Gut“, sagte ich, „wir holen die
Zeitung und gehen noch schnell zum Hafen, die Kinder müssen aufs Klo.“ „Es ist
recht“, meinte er. Also wir gehen los. Die Zeitung gab´s noch nicht. Am Stand
daneben hat sich Jörg noch für sein Geld 2 Blumenkarten gekauft, die ihm so
gefielen, und dann sind wir zum Hafen gegangen. Als wir wiederkamen, war Vater
nicht da. Wir haben gewartet, sind rauf und runter gegangen, dann habe ich die
Kinder noch zur Post geschickt, ob er vielleicht da sei. Nichts zu machen.
Endlich haben wir uns gesagt, wir gehen heim. In der Wilhelmstraße haben wir
noch Brot geholt und dann sind wir nachhause gegangen. Da steht Vater an der
Tür. Ich sagte: „Ja, bist Du schon hier? Wir haben gewartet und gewartet.“ „Ich
habe auch gewartet,“ meinte er „ ich sah Euch vom Zeitungsstand fort gehen in
den Hafen, da dachte ich: Sicher haben sie vergessen, dass ich hier warte und
sind heimgegangen.“ Ich sagte ihm, dass ich doch gesagt hätte, dass wir noch in
den Hafen gingen. Da hat er gar nicht drauf gehört. Gestern Abend war Vater
wieder annehmbarer, wie am vorhergehenden. Als er heim ging und ich ihm mit der
Taschenlampe bis auf die Straße leuchtete, da es stockfinster war, hat er sich
sogar sehr bedankt und gefreut. Am Sylvester will er wieder herkommen.
Als Kurt noch hier war, hat er mir einige Photos gezeigt,
die er bei sich im Graben aufgenommen hatte. Da waren die Russen einmal
durchgebrochen. Sie haben sie nachher erledigt und da lag am Ende des Ganges
nun ein ganzer Berg Russen übereinander. Dann hatte er ein Bild von einem toten
Russen, einem Mongolen. Scheußlich, wie der dalag. Außerdem zeigte er mir noch
ein Bild von einem toten Russen, dem war die ganze Schädeldecke weggerissen,
bis etwas über die Augenbrauen war das Gesicht nur noch da und über der Nase
war noch ein ganzer Spalt bis zur Nasewurzel. Es ist wirklich nichts Schönes,
das zu sehen, aber in Wirklichkeit sieht das noch viel schlimmer aus, wenn
alles blutig ist. Kurt meinte auch, da muss man manchmal starke Nerven haben,
um das anzusehen.
Du, Ernst, für die mitgeschickte Batterie möchte ich Dir
nochmals besonders danken. Meine brennt nämlich bald nicht mehr und eine neue
konnte ich bisher nicht bekommen. Da kam Deine gerade zur rechten Zeit. So
komme ich nicht erst in Verlegenheit.
Von Helga schicke ich Dir wieder einen Brief mit. Sie hat
ihn gestern Abend geschrieben. An Papa und Siegfried habe ich heute auch
geschrieben. Die Durchschläge liegen bei.
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