Mein liebster Ernst! Konstanz,
14.1.43
Ich will Dir noch vom heutigen Tag berichten. Am Morgen bin
mit dem Rad in die Stadt gefahren. Es ging wieder, wenn auch nicht gerade gut,
denn teilweise ist die Straße doch vereist. Aber da fuhr ich eben etwas
vorsichtiger. Zuerst habe ich Zwirn geholt. Bei dieser Gelegenheit erhielt ich
auf die Mangelkarte auch noch 15 Lot Wolle. Solange es noch welche gibt, nimmt
man sie am besten gleich mit, sonst ist sie erst wieder ausverkauft. Ich war
dann noch beim Metzger, beim Bäcker und auf der Post, wo ich das Päckchen an
Dich weggeschickt habe. Ich hatte das ja eigentlich schon gestern tun wollen,
aber ich überlegte mir dann, dass ja am Mittwochnachmittag alle Geschäfte
geschlossen sind und nur wegen dem Päckchen in die Stadt gehen hatte eigentlich
wenig Wert. Ich denke, dass Du mir das auch nicht übel nehmen wirst. Ich hätte
heute doch nochmals fort gehen müssen und bei diesem Wetter ist es ja kein
Vergnügen. So konnte ich auch gleich die Zeitung für Dich besorgen, d.h. erst
einmal zwei, die dritte kommt erst am Samstag. Gestern Nachmittag habe ich da
einmal alle Stopfsachen aufgearbeitet, sodass mal nichts mehr da liegt. Geputzt
habe ich heute Morgen auch, denn bei dem Schneematsch sieht der Boden immer
schauderhaft aus. Aber das lässt sich nicht ändern. Am Nachmittag war ich beim
Nähen. Die Kinder haben hier gespielt und zwar oben im Gang, wo Jörg seine
Eisenbahn aufgebaut hatte. Helga hat mit ihren Puppen gespielt. Ingrid war auch
dabei. Sie wollte eigentlich mit uns baden gehen, da wir aber nicht gingen, ist
sie eben zum Spielen dageblieben. Gegen ¾ 6 Uhr war ich wieder daheim. Da haben
wir gleich Abendbrot gegessen. Nun liegen unsere beiden Lauser im Bett.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 4.1.Das Schreiben
der Kinder vom 24.12. war eigentlich ziemlich schnell bei Dir. Ich glaube Dir
gern, dass Du Dich darüber gefreut hast. Unsere beiden schreiben ja auch immer wie
es ihnen ums Herz ist, da ist nichts gekünstelt. Wie Helga Dich überraschen
wollte, wenn sie bei einem Fronttheater wäre, das hat mich auch gefreut, und Du
kannst auch wirklich ihre Liebe zu Dir aus diesen Zeilen lesen. Sie hat immer
davon gesprochen und sich ausgemalt, wie das wäre. Sie hängen ja auch Beide an
Dir. Und entfremdet sind sie Dir auch nicht.
Da wurde gerade heute im Nähen davon gesprochen, wie doch
manchen Kindern der Vater fremd wird. Bei einer Familie war das eine Kind 2
Jahre alt, als der Vater fort ging. Er war nun 2 Jahre nicht da und jetzt im
Urlaub war es nötig, dass er dem Kind ein paar hinten drauf geben musste. Das
war ganz beleidigt, ist zur Mutter gerannt und hat geschrien: „Mutter, der
Soldat hat mich gehauen.“ Bei einer anderen Familie haben die Kinder gesagt:
„Wann geht der Vater denn wieder, der haut doch bloß.“ In der Familie sind 5
Kinder und es ist klar, dass da bei der Mutter manches durchgelassen wird, was
der Vater dann doch nicht billigen kann. Wenn es dann Wichse gibt, ist das den
Kindern natürlich nicht recht.
Von Helga lege ich heute auch einen Brief bei. Sie hat ihn
zwar gestern schon geschrieben, aber da war mein gestriger Brief schon weg.
Während ich hier schreibe, ist draußen ein richtiger Sturm.
Das ist wirklich ein komisches Winterwetter dieses Jahr. Einmal ganz kalt, dann
taut es wieder, einmal bedeckter Himmel, einmal klar. Wie die Kinder sagten,
habe man heute Nachmittag wunderbar die Berge gesehen. Und heute Morgen hat es
fest geregnet.
Nun lass mich wieder schließen. Ich bin heute so sehr müde
und mir wollen gar keine rechten Gedanken kommen. Hoffentlich kommt Dir der
Brief nicht so fad vor.
Sei recht, recht oft herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner
Annie.
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