Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 480 vom 25.12.1942


Mein liebsterErnst!                                        Konstanz, 25.12.42

Es ist jetzt ½ 5 Uhr. Der halbe Feiertag ist schon wieder vorbei. Seit ca. 1 Stunde habe ich auch Feiertag. Bis jetzt hatte ich immer zu schaffen. Doch ich will mal vom Morgen anfangen. Gegen 8 Uhr sind wir aufgestanden. Die Kinder kamen ins Schlafzimmer und meinten (wie vor 8 Tagen beim Streuselkuchen) sie könnten es gar nicht mehr aushalten. Ich kann nicht gerade sagen, dass ich ganz munter gewesen wäre, denn Vater ist gestern erst gegen ¼ 1 heimgegangen. Da ist es auch 1 Uhr geworden, ehe ich im Bett lag. Aber aufgestanden bin ich dann doch gleich. Wir haben uns fertig gemacht, haben gegessen. Die Kinder sind gleich wieder in die Stube verschwunden und haben das getan, was wir früher als Kinder auch getan haben, ein Bisschen gespielt, ein Bisschen gelesen, ein Bisschen gegessen. Immer so abwechselnd oder durcheinander. Derweil habe ich aufgeräumt und Essen gekocht. Als ich gerade aus dem Garten noch ein Rotkraut holte, kamen Fritz Bautz und Ingrid. Er ist dann ca. ½ Stunde hier gewesen und wir haben uns über seinen Dienst, den Urlaub usw. unterhalten. Er hatte den Kindern etwas Gebäck und 3 Riefen Schokolade mitgebracht. Morgen fährt er wieder fort, erst noch einen Tag nach Colmar, wo er einen früheren Kollegen besucht. Resi fährt bis dorthin mit, die Kinder lässt sie daheim. Gisela bei einer Bekannten (der Klärle aus der Registratur von Stromeyer, die auch verheiratet ist und in der Nähe wohnt), Ingrid bei den Hausnachbarn. Kurt sagte mir schon, Fritz würde nicht mehr so geziert tun und reden. Ich habe das heute auch gefunden. Er ist ziemlich natürlicher geworden. Übermäßig gut sieht er nicht aus. Fritz hat dann noch einen Besuch gemacht. Da Ingrid gern da blieb, hat er sie später abgeholt.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf eine Sache eingehen. Du hattest doch bei Deinem Urlaub Resi eingeladen und Du hattest auch erst vor, sie mit ins Kino mitzunehmen. Siehst Du, Resi und Fritz denken gar nicht an sowas, die bleiben die Tage für sich. Ich bin froh, dass sie mich nichteingeladen haben, denn ich gehe sowieso nicht gern wohin, aber Du siehst, dass wir das auch nicht nötig haben, uns die wenigen Tage noch mit fremden Leuten abzugeben. So einsam, wie Du dachtest, ist Resi auch gar nicht. Die hat noch manche Bekannte. Das soll nun wirklich kein Vorwurf sein, dass Du Resi damals eingeladen hast, nicht wahr, Du verstehst mich richtig? Ich dachte nur gerade so daran.
Kurt hatte in der vergangenen Woche schon gesagt, er wolle mir mal seine Wäsche bringen, ob ich sie vielleicht mitwaschen könnte. Das wollte ich gern tun. Nur, er brachte sie nicht und ich habe ihn überhaupt mehrere Tage nicht gesehen. Gestern fing er davon an, dass er sich heute seine Sachen auswaschen müsste. Ich fragte ihn, warum er sie denn nicht gebracht hat? Er „wollte mich nicht damit belasten“, meinte er. Ich habe dann zu ihm gesagt: „Jetzt redest Du aber einen großen Kohl, hättest Du sie lieber gleich gebracht. Nun bringst Du sie eben morgen gleich her, damit sie auch noch trocken wird. Die wird schön sauber werden, wenn Du sie nur so kalt waschen kannst.“ Er meinte: „Nein, das kann ich nicht verlangen, dass Du zum Feiertag noch anfängst.“ Aber heute Morgen brachte er sie doch. Also habe ich sie gleich zum Kochen aufgesetzt, vorhin habe ich sie noch gewaschen und jetzt hängt sie draußen.
Ich habe gestern zu Vater gesagt, er soll doch heute schon ein Bisschen zeitiger rauf kommen. Er sagt, vielleicht kommt er, aber erst, wenn es dunkel wird, weil er sich nicht erst seine guten Sachen aus dem Schrank holen will. Nun habe ich Kurt heute Morgen zugeredet, als er zu Vater runter ging, er soll ihn auch noch bearbeiten, damit er einmal ein wenig ausspannt. Ich bin gespannt, ob es Erfolg gehabt hat und ob Vater kommt.
Während ich so schreibe, schaust Du mich auf Deinem großen Bild immer an und lachst mir zu. Es steht an Deinem Platz, damit Du immer bei uns bist. Ob Du wohl die Weihnachtssachen für Dich alle zur rechten Zeit bekommen hast? Ich hätte gerne einen Brief von Dir zu Weihnachten gehabt, aber leider brachte mir die Post heute wieder nichts und morgen wird ja nicht ausgetragen. Also werde ich schon bis Sonntag warten müssen. Vielleicht werde ich dann wieder entschädigt.
Soeben ist Kurt gekommen. Die Kinder freuen sich, dass sie wieder jemand haben, mit dem sie reden und spielen können. Besuch ist doch immer was Besonderes.
Mein lieber Ernst, sicher denkst Du heute auch an uns und stellst Dir vor, was wir machen. Meine Gedanken sind auch immer bei Dir. Wie gerne hätte ich Dich hier.
Lass mich nun wieder schließen. Behalte uns lieb und sei ganz fest gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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