Mein lieber, guter Ernst! Konstanz, 7.1.43
Zuerst muss ich mich entschuldigen, dass ich gestern nicht
geschrieben habe. Ich bin nicht dazu gekommen. Da will ich Dir vor allen Dingen
von unserem gestrigen Tagewerk berichten. Du weißt ja, dass die Kinder viele
Bücher haben. Zu Weihnachten haben sie auch wieder welche bekommen. Wohin
damit? Das ist eine wichtige Frage, denn es soll doch nichts liederlich
herumliegen. Und sie Sachen nur irgendwo hinstecken, dass man sich fürchten
muss, den Schrank, oder was es sonst ist, aufzumachen, so liederlich sieht es
aus, das ist mir auch nichts. Also habe ich hin und her überlegt. Gestern kam
ich zu einem Ergebnis. Ich habe die braune Truhe von Mama ausgeräumt, wo die
eingemotteten Sachen drin waren und habe sie den Kindern zur Verfügung
gestellt. Wir haben die Bücher rein getan. An jeder Seite einen Stoß Bücher, in
der Mitte die kleinen Hefte und vorn an die Truhenwand die ganz großen Bücher.
So kann man jederzeit sehen, wo das Buch, das man sucht, ist. Und es ist alles
versorgt. Die eingemotteten Sachen habe ich mit in eine andere Truhe getan.
Durch Wegnahme der Bücher ist ein Brett des Regals in der Küche frei geworden.
Dahin sind die neuen Spielsachen gekommen und es ist sogar noch etwas Platz.
Den kleinen Kindertisch haben wir auf den Speicher gestellt, da ja die Kinder
doch nicht mehr daran sitzen können. An der linken Seite des Kinderzimmers
sieht es jetzt so aus: 1 Kinderstuhl mit Puppe, dann die große Truhe von Dir
auch mit 2 großen Puppen drauf, dann der Schrank und hinten die Büchertruhe mit
der Puppenwiege drauf und den kleinen Puppenbetten daneben.
Es sieht bald so aus, als ob Helga nur Spielsachen hätte,
aber Jörg hat seine meist im Regal in der Küche.
Als wir mit Umräumen fertig waren, habe ich aufgeräumt,
Essen gekocht, nach dem Essengebügelt, hinterher Sachen ausgebessert. Dann habe
ich Abendbrot gemacht, wir haben gegessen, ich habe alles aufgeräumt und dann
habe ich wieder gestopft. Es war schon gegen 12 Uhr, als ich ins Bett kam. Jörg
kam gestern Abend auch heim und brachte ziemlich zerrissene Handschuhe mit. Er
war den Weberbuckel runter gefahren und an einer Telegrafenstange gelandet.
Dabei waren die Handschuhe gründlich kaputt gegangen.
Helga war heute doch noch nicht in der Schule. Gestern war
sie auf, aber da das Stechen etwas zunahm, habe ich sie wieder in den
Liegestuhl legen lassen und wir haben Wickel gemacht. Heute Morgen habe ich die
große Badewanne raufgeholt, Helga hat ein heißes Bad machen müssen und hinterher
habe ich sie ins Bett zum Schwitzen gesteckt, was sie auch gründlich besorgt
hat. Seitdem spürt sie fast nichts mehr, auch nicht beim Tiefluftholen, nur ab
und zu mal ein vereinzeltes Stechen. Das ist nicht schlimm, aber ich will
vorsichtig sein. Erst soll sie ganz gesund werden, darum halte ich sie auch
morgen noch im Bett. Ich habe nochmals gründlich in dem Buch von der
Krankenkasse nachgelesen. Danach könnte es sich bei Helga um eine ganz leichte,
trockene Rippenfellentzündung handeln. Dabei tritt noch kein Fieber ein und die
Krankheit macht sich einzig durch ein Stechen in der linken Seite bemerkbar.
Das ist an sich nicht schlimm, wenn man es nicht hängen lässt, dass es sich zu
einer nassen Rippenfellentzündung entwickelt, wobei dann Husten und auch Fieber
dazu kommt. Es kann sein, dass es sich nicht einmal um eine leichte
Rippenfellentzündung handelt, aber ich will lieber vorsichtig sein. Ich habe
Wickel, heißes Bad und auch Schwitzen durchgeführt, wie es vorgeschrieben ist,
und der Erfolg gibt mir ja Recht. Als Vater vor 2 Jahren auch so Stechen in der
Seite hatte, es ihm aber viel schlechter ging, als Helga, die ja dabei ganz
fidel und lustig ist, musste er auch nur kalte Wickel machen und für den Husten
bekam er Hustensaft. Den gebe ich ja Helga zum Vorbeugen auch noch.
Als Jörg heute sah, dass Helga gebadet werden sollte, hat
ihn das gleich angemacht und er meinte, ich sollte die Badewanne da lassen, er
wollte heute Nachmittag auch baden, er ginge da lieber nicht raus. Das hat er
auch getan. Nach dem Essen hat er gleich Schulaufgaben gemacht und dann hat er
fast 1 Stunde gebadet. Ich habe ihm immer warmes Wasser zugegossen. Das hat ihm
prima gefallen.
In dieser Woche hat es verschiedene Lieblingsessen der
Kinder gegeben. Am Montagmittag Grießbrei mit Zucker und Zimt, am Abend
Kartoffeln mit Butter, Quark und Bräkelsalz, am Dienstagmittag
Kartoffelstückchen mit Fleisch, am Abend Kartoffelpuffer und Brot, Am
Mittwochmittag Rahmkartoffeln mit Ei, am Abend Spätzle und Soße, heute Mittag
rohe Klöße und Soße, am Abend gebratene Klöße und Brot.
Ich möchte Dir recht herzlich danken für Deinen Brief vom
26.12., den ich heute erhielt. Ich
freue mich schon, wenn du etwas ausfindig gemacht hast, wodurch die Beförderung
der Briefe schneller geht. Da erhalte ich doch immer schneller Deine lieben
Zeilen.
Da hast du schon richtig gedacht, als Du meintest, ich würde
Dir nicht böse sein, wenn Du auch mal eine Schachtel Pralinen gegessen hast. Du
sollst aber auch die anderen Sachen nicht alle herschicken. Dir tut es auch
gut, wenn Du mal sowas hast. Wenn Du schon was schicken willst, dann tut es
auch ein kleiner Teil. Ich möchte doch, dass Du Dir nicht alles absparst. Du
bist dort sowieso in einer so miesen gegen, das ganze Russland ist ja scheinbar
so. Da kannst Du auch mal eine kleine Freude vertragen und wenn es nur in Form
von ein paar Pralinen oder Schokolade ist. Also, nicht wahr, mein lieber
Schatz, spar Dir nicht immer alles ab.
Du erzählst mir in Deinem Brief von einem Bild, das Du in
einem Soldatenheim gesehen hast, von einem Posten vor einer großen, russischen
Weite. Das Bild kommt mir bekannt vor. Ich weiß nicht, habe ich es irgendwo mal
gesehen, oder hast Du mir in Deinem Urlaub davon erzählt. Ich kann es mir
jedenfalls ganz richtig vorstellen. Wenn ich von Russland höre, da denke ich
auch immer an das Buch „Das vergessene Dorf“. Darin wird doch diese Weite auch
richtig geschildert. Das Land ist so groß, dass Dörfer glatt vergessen werden,
dass noch Volksstämme dort wohnen, von denen fast niemand eine Ahnung hat. Man
kann sich das hier in unserem Land gar nicht vorstellen.
Die kleine Tischkarte von der Weihnachtsfeier habe ich mit
aufgehoben.
Wir haben heute einmal unsere Abzeichen sortiert und
gebündelt je nach der Sorte. Man kommt sonst in der Masse nicht mehr durch. Die
doppelten haben die Kinder bekommen. Die haben jetzt doch ihren eigenen Kasten,
da sie eine ganze Schachtel von Leipzig bekommen haben. In unserer
Abzeichenschachtel waren auch zwei ganz kleine Glöckchen drin. Durch diese
Glöckchen bin ich auf den Hahn in dem Buch „Jürnjacob Swehn, der Amerikafahrer“
gekommen. Wie er ihm eine Glocke umgehängt hat und wie der sich nachher ganz
verrückt gebärdet hat. Das habe ich den Kindern erzählt. Die haben so sehr
lachen müssen und Helga meinte, da lachte sie sich noch ganz gesund. Ich habe
ihnen schon Manches daraus erzählt. Das gefällt ihnen besser, als das daraus
vorlesen. Man kann es ihnen so besser verständlich machen. Es hat ihnen jedes
Mal gefallen, und Helga will es bald mal lesen, wenn sie größer ist.
Nun mein liebster Ernst, lass mich schließen. Es ist auch
schon wieder spät, ¾ 11 Uhr. Ich grüße und küsse Dich ganz herzlich, Deine
Annie.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen