Mein liebsterErnst! Konstanz, 13.12.42
Nanu, schon wieder mit Schreibmaschine geschrieben, wirst Du
sagen, kann sie nicht mehr mit der Hand schreiben? Aber weißt Du, es ist so,
ich schreibe ja sowieso gern Maschine, das weißt Du, und außerdem kann ich da
so schreiben, wie ich denke. Beim Handschreiben laufen mir immer die besten
Gedanken weg, ehe ich sie aufs Papier bringe. Das gibt dann so kurz, fade
Briefe. Und außerdem ist mir heute die Zeit kurz. Die Kinder haben Dir ja schon
heute Nachmittag geschrieben und Dir mitgeteilt, dass ich erst heute Abend dazu
komme, weil ich eine Arbeitsjacke für Vater ausgebessert habe. Wie ich Dir
gestern schrieb, fängt Vater ja morgenvorübergehend woanders an, bis wieder
Arbeit da ist. Da möchte er eine ordentliche Jacke anziehen. Die er bis jetzt
gehabt hat, ist auch nicht mehr einwandfrei. Die zweite Jacke hatte ich schon
einige Zeit zum Ausbessern hier, konnte sie aber noch nicht fertig machen. Es
war ziemlich viel daran zu tun, bei 3 Taschenfast die Hälfte erneuern, vorn den
ganzen Verschluss erneuern, die Ärmel waren unten hin usw. Ich habe mich nun
heute gleich hingesetzt und habe von früh bis Nachmittag 4 Uhr genäht.
Natürlich, gegessen habe ich dazwischen auch. Dann habe ich Jacke gleich noch
zu Vater runter geschafft. Ich hatte es ihm gestern Abend versprochen. Er hat
sich sehr gefreut und hat mir gleich noch ein Pfund Mehl mitgegeben. Gestern
hat er mir auch Marken dagelassen für noch ½ Pfund Mehl. Das hat mich wieder
gefreut.
Gestern Abend, als Vater Heim ging, bin ich noch mit bis an
den Briefkasten gegangen. Ich hatte die Taschenlampe mit und konnte Vater ein
wenig leuchten. Es war nämlich neblig und die Straße ein Bisschen glatt. Wie
Vater mir sagte, ist er am vergangenen Montag, als es auch so glatt war, an der
Ecke von der Schneckenburger Straße hingefallen. Darauf wollte ich es doch
nicht ankommen lassen. Er hatte gestern noch den Dreifuß mitgenommen, da er
sich Schuhe besohlen will. Da hätte ihm das Einsen ja schon ins Kreuz
geschlagen. Um die Ecke ist ja die rutschigste Stelle. Dann geht es besser. Er
hat sich auch sehr bedankt, dass ich mitgegangen bin.
Als ich heute von Vater wieder rauf kam, hatte Helga schon
den Abendbrottisch gedeckt. Es war zwar zum Essen noch ein Bisschen früh, aber
gefreut habe ich mich doch, dass sie so aufmerksam war. Wir haben erst noch
eine Sendung im Radio gehört, wo Soldaten für Soldaten spielten und sangen.
Vielleicht hast Du es auch gehört. Es hieß: „10 Eichkater, 10 Kuriere von
Rhew“. Das war eine prima Sendung, die uns allen sehr gefallen hat. Sowas
könnten sie öfters bringen. Dann haben wir Abendbrot gegessen. Hinterher haben
wir das Radio ausgedreht, Jörg hat gemalt, Helga hat gehäkelt, ich habe
gestrickt (am 3. Handschuh) und dabei zwei Märchen vorgelesen. Es war sehr
gemütlich. Vorhin sind die Kinder nun ins Bett gegangen.
Nach längerer Zeit hatten unsere beiden Nebenparteien wieder
mal Sonntagslaune. Außer heftigem Geschrei haben die oberen getrampelt und die
unteren die Türen zugeschlagen. Das gab ein Getöse, dass es bis zu uns rüber
klang. Ich weiß nicht, dass da Keiner gescheit ist?!? Ich an Ihrer Stelle hätte
gar nicht darauf gehört, was die anderen schreiben, hätte mein Radio angedreht
und gedacht, leckt mich fett. Ich muss doch nicht extra drauf hören, was ich
nicht weiß, macht mich nicht heiß. Oder ich hätte mich angezogen und wäre
fortgegangen. Aber die Leute müssen wissen, was sie machen. Als ich von Vater
heim kam war glücklicherweise der Friede wieder im Haus eingezogen.
Heute Morgen hat die Überraschung mit der Zwiebacktorte
geklappt. Ahnungslos kamen die Kinder raus. Erst hat´s Helga gesehen. Ich hab
ihr aber einen Wink gegeben, sie soll erst mal still sein. Aber ihre Augen
haben doch fröhlich geleuchtet. Dann kam Jörg aus dem Bett, und als er die
Torte sah, ist er mir gleich an den Hals gesprungen. Helga dann auch und Beide
haben sich gefreut. Das hat mir dann großen Spaß gemacht.
Ganz friedlich ist zwar der Tag nicht vorüber gegangen, ich
habe Beiden mal ein Bisschen Wichse geben müssen, weil sie sich gar zu arg
gezankt haben. Aber die Wichse hat alles wieder bereinigt und nach dem Gewitter
war eitel Sonnenschein, der auch bis heute Abend gehalten hat. Sie waren
fröhlich bis ins Bett.
Das war nun unser Sonntag, zu dem nur gefehlt hat ein Brief
von Dir. Der ist, wie auch gestern, nicht eingetroffen. Aber vielleicht kommt
morgen einer oder evtl. sogar zwei. Freuen tue ich mich jedenfalls mal drauf.
Enttäuscht kann ich dann immer noch sein. Aber Du bist ja so ein lieber
Schreiber, da brauche ich ja meist nicht so lange warten, oder eigentlich
überhaupt nie lange.
Unser Bub hat heute wieder mal die ganze Stube belegt
gehabt, erst mit Soldaten und dann mit der Eisenbahn. Er hat sehr schön
gespielt. Helga hat mal ein Bisschen mitgespielt, aber nicht lange, denn sie
wusste nicht, was sie eigentlich dabei tun soll. Das ist ja sowieso kein
Mädchenspielzeug, und dann lässt sich Jörg auch nicht gern dreinreden. Sie hat
dann lieber an einem Blüschen für ihre Puppe gehäkelt. Das passt besser zu ihr.
Jörg hat Dir ja heute in seinem Brief versprochen, jeden Tag
an Dich zu schreiben. Das musst Du nicht ganz wörtlich nehmen, denn solche
Ausdauer hat er da nicht drin. Helga nimmt die Sache schon ernster, wenn sie
was versprochen hat und sie schreibt auch gern an Dich. Bei Jörg glaube ich
aber, dass ihm bald allerhand Ausreden einfallen, warum er nicht schreiben
kann. Dass er Dich trotzdem lieb hat, weißt Du ja, nicht wahr? Seine
Schulaufgaben macht er ja ordentlich, aber wenn es mal viel ist, seufzt er doch
„nicht mal spielen kann man“. Dass die ferien verkürzt wurden, hat ihn auch
sehr erbittert. „Feige Kerle sind das,“ meinte er, „die paar
Tage, die wir nun noch Ferien haben.“ Jörg ist auch sehr geschäftstüchtig. Wenn
er seine Eisenbahn mit in den Vorraum nimmt, darf nur mitspielen, wer, wer ihm
was dafür bringt. Das ist eine Ausnahme, wenn er´s mal so macht. Jetzt hat er
schon ein ganz kleines Holzauto und eine kleine, leichte Holzeisenbahn, sowie
eine Laubsägearbeit „Siegfried am Amboss“ zusammen. Ich glaube, es war noch
was, aber das Hauptsächlichste habe ich genannt. Helga bringt nun sowas
überhaupt nicht fertig, sie ist wieder ganz anders. Aber ich glaube nicht, dass
es was schadet, wenn ein Junge so ist. Nun lass mich wieder schließen, sonst
recht das Blatt nicht mehr. Ein Stück vorher ist leider der Bogen etwas
zerrissen. Das musst Du entschuldigen, da bin ich an der Maschine hängen
geblieben. Ich grüße und küsse Dich wieder recht fest und ganz herzlich Deine
Annie.
P.S.: Vater bat mich
heute,, ich möchte Dir noch herzliche Weihnachtsgrüße bestellen, was ich
hiermit tue. Unseren Weihnachtsbrief wirst Du doch hoffentlich erhalten haben.
Auf jeden Fall wünsche ich Dir auch heute nochmals ein frohes Weihnachtsfest,
Du mein lieber Mann.
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