Montag, 29. Januar 2018

Brief 510 vom 29.1.1943


Mein liebster  Ernst!                                                          Konstanz, 29.1.43

Wenn dieser Brief in Deine Hände kommt, wirst Du sicher schon einige Tage im Besitz meiner gestrigen Zeilen sein, in denen ich Dir mitteilen musste, dass Kurt gefallen ist. Man kann es noch gar nicht glauben. Vor kurzem war er doch noch hier. Ich sehe ihn noch vor mir, als er auf Urlaub kam. Ganz bepackt kam er an. Er saß dann noch eine Weile am Tisch und erzählte. Ganz gegen seine Gewohnheit von früher. Ich weiß auch noch so genau, wie wir an die Bahn gegangen sind und wie er abfuhr. Nun liegt er schon in fremder Erde. Man kann sich das gar nicht vorstellen.
Gestern Abend so gegen ½ 9 Uhr klingelte es. Ich habe die Haustür aufgeschlossen, da war es Vater. Er machte erst so Handbewegungen, dass ich gleich merkte, es musste etwas geschehen sein, und dann sagte er  „Kurt ist tot.“ Glaubst du, ich konnte es nicht fassen. Die Kinder kamen gleich wieder aus den Betten gesprungen, als sie hörten, was geschehen war. Wir haben alle geweint. Ich sagte dann zu Vater, dass ich gleich zu Paula runter gehen wollte, denn sie hängt doch auch sehr an ihm. Auf der Treppe kam sie mir entgegen, und als ich ihr die Nachricht brachte, setzte sie sich gerade auf die Treppe und weinte. Sie sagte dann, ich sollte doch mit in die Stube kommen Da hat sie dann erst sehr geweint, ehe sie den Brief lesen konnte, den ich ihr mitgenommen hatte. Sie sprach von seinem letzten Urlaub und wie schwer er wieder fort gefahren sei. Er habe gar nicht fort wollen. Ich fragte dann, ob sie vielleicht an Nanni schreiben könnte. Sie meinte, vielleicht sei es am besten, sie würde selbst hinfahren. Sie könnte sich gar nicht denken, wie Nanni es aufnehmen würde. Sie befürchtete, dass sie krank wird. Sie habe ihr im letzten Brief geschrieben, sie habe sich sehr gefreut, dass er sie in seinem letzten Urlaub besucht habe. Sie habe ihn ungern wieder gehen lassen und es sei ihr gewesen, als habe sie noch etwas an ihm versäumt.
Ich bin dann wieder zu uns gegangen. Vater saß mit den Kindern in der Stube. Ich habe dann die Kinder zu Bett gebracht und habe dann mit Vater noch zusammen gesessen. Vor allen Dingen haben wir an Dich geschrieben. Es ist da so schwer, zu schreiben. Man ist zuerst wie betäubt. Für Dich wird es hart gewesen sein, als Du die Nachricht bekamst. Vater sagte, es würde ihm doch auch nichts erspart. Nun sei es schon das zweite Mal, dass er die Nachricht vom Tode eines seiner Kinder erhalten habe. Er habe zu gar nichts mehr Lust, mag alles kommen, wie es will. Er habe sich schon manchmal überlegt, wie lange Jahre es wohl noch dauern werde, bis er einmal stirbt.
Lieber Ernst, ich warte jetzt direkt auf einen Brief von Dir. Es ist, als wäre ich dann nicht mehr so allein, als würdest Du mit mir reden.
Lieber Ernst, bleib Du gesund und komm immer gesund wieder heim. Das ist mein größter Wunsch.
Lass mich für heute schließen. Morgen schreibe ich sicher wieder mehr. Recht viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.

P.S.: Sobald wir die amtliche Bestätigung haben lässt Vater eine Todesanzeige in die Zeitung setzen, denn Kurt hatte ja Bekannte, die wir nicht persönlich kennen.

Brief 509 vom 28.1.1943


Mein lieber  Ernst!                                                   Konstanz, 28.1.43

Vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 15.1. Die Frage wegen des Reviers hast Du ja ausführlich beantwortet. Noch ausführlicher ging es bestimmt nicht. Jetzt ist ja auch diese Streitfrage geklärt.
Dass Du nicht jeden Brief der Kinder extra beantworten kannst, das wissen sie schon und verlangen es auch gar nicht. Ich erzähle ihnen ja immer aus Deinen Briefen. Wenn Du ab und zu einmal schreibst, genügt es schon und sie freuen sich sehr.
Du hast Dich so gefreut, dass Du wieder Öl für mich bekommen hast. Deine Freude kann ich nur teilen, und Du weißt ja, geteilte Freude ist doppelte Freude. Es ist ja so eine Beruhigung, wenn man weiß, man hat noch etwas Reserve da. Ich kann Dir leider immer nur wieder so im Brief danken, aber Du weißt sicher, wie sehr ich mich freue.
Die Wochenschau von Weihnachten haben wir hier auch gesehen. Es waren wirklich schöne Bilder von Kindern, wie sie zu den Kerzen schauen. Uns hat es sehr gefallen. Den Film „Die Entlassung“ habe ich leider nicht gesehen, gespielt ist er hier auch worden. Aber wahrscheinlich kommt er später wieder einmal.
Ich war gestern wieder nähen. Ich will doch auch eine Kleinigkeit in diesem Kampf beitragen. Es ist ja so wenig, was man tun kann. Dass man den Soldaten in Stalingrad nicht helfen kann, ist so hart. Wie lange wird sich dieser Kampf noch hinziehen?
So lange es noch geht, leiste ich mir einmal in der Woche das Vergnügen, zum Baden und Schwimmen zu gehen. Die anderen Tage habe ich ja immer zu arbeiten. Wenn die Anforderungen des Krieges noch größer werden, kann ich ja auch darauf noch verzichten, aber einstweilen behalte ich es bei. Heute ist ja unser Badetag. Jörg will wieder fest schwimmen. Er hat jetzt Freude daran bekommen. Er hat schon gesagt, er will mit mir zusammen schwimmen, natürlich nicht im Tiefen.
Von unserem Küchenzettel habe ich Dir diese Woche noch gar nicht berichtet. Am Sonntag hatten wir grüne Bohnen, Kartoffeln und Hackbraten, am Montag weiße Bohnen mit Bratkartoffeln, am Dienstag Kartoffelbrei mit Wienerle, am Mittwoch Rahmkartoffeln mit Gurkenwürfeln, heute gibt es Möhren mit Kartoffeln.
Wenn ich nun weiter schreibe, ist der Mittag vorbei. Wir sind gerade mit essen fertig. Helga wäscht mir gleich ab, damit wir gleich fort können. Jörg ist nämlich heute erst spät heim gekommen, ½ 2 Uhr, so dass wir auch erst spät zum Essen kamen. Er ist mit seinen Schulkameraden wieder über die Wiese heimgegangen, da ist ein Mann mit einer Peitsche gekommen und hat sie runter gejagt. Sie dürfen doch nicht über die Wiese, aber wie Jungens sind, immer wieder versuchen sie es. Heute haben sie lange Beine gemacht, damit sie heil davon kamen, was auch gelungen ist. Durch den großen Umweg ist aber die Zeit vergangen.
Hast Du auch schon daran gedacht? Alice wollte uns doch schreiben, bis jetzt ist es aber noch nichts geworden. Sie verspricht auch nur. D.h. so wild bin ich gar nicht drauf.
Lieber Ernst, ich weiß gar nicht, was ich noch schreiben soll. Soeben habe ich mich wieder so über Jörg ärgern müssen. Du solltest nur seine Schuhe wieder sehen. Gestern habe ich sie hergerichtet, heute hat er schon wieder Gummi weg, und dreckig sind die Schuhe, es ist einfach schauderhaft. Das kommt natürlich wieder vom Laufen durch die Wiese. Da ist so ein Schlamm. Aber immer wieder geht er durch. Ich weiß nicht mehr, was ich mit Jörg machen soll. Soll ich dauernd zuschlagen? Ich weiß mir nicht mehr zu helfen. Ich kann doch nicht jeden Tag Schuhe reparieren. Und liederlich rumlaufen kann ich ihn doch auch nicht lassen.
Jetzt hast Du sogar noch was von meinem Ärger hören müssen. Und bist doch gar nicht schuld daran. Nimm es mir bitte nicht übel. Gerade versucht Jörg, sich selber Eisen (die er auch noch verloren hat) und Gummi aufzunageln. Er will mich versöhnen.
Nun lass mich schließen. Sei ganz fest und herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 508 vom 27.1.1943


Mein liebster  Ernst!                                                  Konstanz, 27.1.43

Gestern habe ich Dir nicht geschrieben. Es ist jetzt bei mir scheinbar so, dass ich fast jeden Kinobesuch mit Kopfschmerzen bezahlen muss. So auch gestern wieder. Wir waren doch in dem Film „Diesel“, d.h. Jörg war mit dem Richard in „Schloss Hubertus“. Der Film „Diesel“ war wirklich hervorragend. So viel hatte ich mir nicht davon versprochen. Es zeigt den Kampf des Mannes um seinen Motor, der erst nach 10jähriger Arbeit zu seiner Zufriedenheit ausfällt. In der Zwischenzeit gibt es immer wieder gewaltige Rückschläge. Mit vielen Opfern ist dieser Motor erkauft.
Nach dem Film sind wir heimgegangen. Wir haben Abendbrot gegessen. Währenddessen steigerte sich mein Kopfweh so, dass ich einfach nicht mehr stehen konnte. Nach dem Abwaschen habe ich mich etwas auf´s Sofa gelegt. Als ich wieder aufstand, hatte Jörg das ganze Geschirr abgetrocknet. Ist das nicht lieb von ihm? Helga konnte es nicht tun, weil sie doch Schulaufgaben machen musste. Über Mittag war doch die Zeit zu kurz gewesen. Als die Kinder im Bett waren, habe ich mich auch schlafen gelegt. Nachts um 1 Uhr ging die Sirene los. Wir hatten bis 2 Uhr Alarm. Dann konnten wir uns wieder ins Bett legen. Aber um ¾ 3 Uhr holten sie uns wieder raus bis ¼ 4 Uhr. Gehört haben wir aber von den Fliegern nichts. Da die Kinder erst um 10 Uhr in die Schule mussten, und Helga, weil sie schon um 10 Schulschluss hatte, überhaupt schulfrei hatte, sind wir erst ¼ 9 Uhr aufgestanden. Jörg hat sich ja schwer gefuchst, dass er in die Schule musste. Er wünscht sich doch immer, wenn schon Flieger kommen, dass sie wenigstens am Sonntag zum Montag kommen, weil er dann nicht in die Schule müsste.
Gestern Abend hat es mir genützt, dass ich weiß, wie der Vorschaltwiderstand zusammengeschraubt ist. Er bockte nämlich schon mehrmals, manchmal ging das Radio gar nicht an. Da habe ich mir das Ding einmal hergenommen und habe mir überlegt, woran es liegen könnte. Nun ist doch an der einen Seite eine kleine Vertiefung, in der 2 Steckerlöcher und ein Schräubchen ist. Unter dem Schräubchen war doch die Platte abgebröckelt. Dadurch saß die das ganze Innere des Widerstandes nicht mehr fest. Ich habe nun über das abgebröckelte ein festes Stück Pappe gelegt mit einem kleinen Loch drin. Wenn ich nun das Schräubchen festschraube, so kann es nicht durchrutschen und alles sitzt fest. Erst, als ich gestern das Radio anstellte, ging es gar nicht. Als ich dann die Reparatur vorgenommen hatte und es lief alles wieder tadellos, habe ich mich sehr gefreut.
Den Blumenstock von Dir hatte ich doch immer auf dem Fensterbrett stehen. Da wurde es jetzt aber zu kalt, vor allen Dingen nachts, wenn der Vorhang noch davor hing. Da kam bloß die kalte Luft von außen an den Stock. Auf den Tisch konnte ich ihn auch nicht stellen, weil wir jetzt viel drüben sind. Also habe ich ein kleines Gestell gebaut, laut beiliegender Zeichnung. Ich habe es hellbraun gefärbt und es etwas niedriger als das andere Brett in der Stube aufgehängt. Da steht nun der Stock, hat Licht und doch nicht kalt.
Vorhin hörte ich gerade im Radio, dass alle Kräfte der Heimat eingesetzt werden sollen und dass auch dementsprechende Gesetzte in Vorbereitung sind. Ich bin gespannt, ob da auch mich etwas betrifft. Ob ich vielleicht schaffen gehen muss oder sowas. Na, wir werden ja sehen.
Den Vormittag über habe ich heute wieder an den Schuhen zu tun gehabt. Hier waren Eisen weg, da war die Sohle gelockert. Ein paar Schuhe, die Jörg auch bald zu klein werden habe ich ganz eng beieinander benagelt. So kann er sie noch abtragen. Eine Ledersohle wäre zu schade gewesen, denn Leder bekomme ich doch nicht mehr.
Während ich hier schreibe, wäscht Helga mir ab. Ich will dann wieder nähen gehen. Helga wird wahrscheinlich mitgehen, während Jörg hier bleibt und draußen spielt.
Heute ist Dein liebes Päckchen Nr.2 mit Haarwasser, Kölnisch Wasser, Hautcreme und dem Buch von L. Finkh angekommen. Von der Hautbreme hat Helga gleich einmal probieren müssen. Ach, ist das ein Äffchen. Ich danke Dir sehr für die übersandten Sachen, Du lieber Schatz.
Papa hat nun morgen Geburtstag. Er wird sicher die Sachen von uns bekommen haben, auch meinen Brief. Er hat ja schon längere Zeit darauf gewartet. Gestern sandte er uns wieder die Abzeichen vom Sonntag.
Jetzt muss ich aufhören mit schreiben, es wird sonst zu spät zum Fortgehen. Bleib Du, mein lieber Mann, ganz gesund und nimm viele Grüße und Küsse entgegen von Deiner Annie.

Brief 507 vom 25.1.1943


Mein liebster  Ernst!                                                     Konstanz, 25.1.43

Es ist wieder 9 Uhr geworden, ehe ich zum Schreiben gekommen bin. Ich war heute wieder beim Nähen, von ½ 3 bis 6 Uhr. Heute hab ich sogar 3 Zelte fertig gebracht. Sonst gehe ich ja immer dienstags, aber mir ließ es gar keine Ruhe. Wenn ich jetzt so lese, wie die Soldaten in Stalingrad kämpfen und fast den sicheren Tod vor Augen haben, da kann ich nicht daheim bleiben. Da will ich auch etwas tun. Wenn es auch nicht viel ist. Es tut mir direkt weh, dass die Soldaten dort so eingeschlossen sind und sich bis zum Letzten wehren. Beim Angriff ist nach meinem Fühlen alles anders, aber so eingeschlossen sein, einen unmenschlichen Feind um sich, es muss grausam sein. Wie müssen jetzt die Familien leiden, die genau wissen, dass ihre Männer und Söhne in Stalingrad sind. Dieser Kampf sollte doch alle aufrütteln. Wie wird das Ende der Stalingradkämpfer sein? Ich höre heute gerade im Nähen, dass Herr Weber gesagt hat, sie könnten keine Nacht mehr schlafen, weil doch ihr Sohn auch in Stalingrad ist. Niemand weiß, wie es ihm geht.
Post habe ich heute keine von Dir erhalten, aber vorhin habe ich einmal wegen der Sache „Brose“ nachgesehen. Eine Abschrift des Briefes, in dem gewissermaßen gleich die Urkunde mit enthalten ist, die wir hier haben, lege ich bei. Wie Du daraus siehst, handelt es sich bei dem Johann Christian Brose um den 2.Sohn des Johannes Zacharias Brose aus Niemberg. Vielleicht hat der 1.Sohn in Niemberg geheiratet und das väterliche Geschäft übernommen, während der 2.Sohn in Köthen in die Schuhmacherei eingeheiratet hat. Vielleicht kannst du in dem Sinn nochmals nachforschen.
Wegen der anderen Daten in der Ahnensache, wie Hochzeitstage, Geburtstage usw. will ich noch an Papa schreiben. Gestern habe ich das zu erledigen vergessen. Aber ich vergesse es nicht.
Ich schrieb Dir doch vorige Woche, dass im Nähen einige so genannte „Bessere Damen“ da waren. Zwei davon haben fleißig geschafft, die anderen zwei hatten es weniger wichtig. Heute habe ich erfahren, dass das die ganze Familie Stromeyer war. Die Frauen vom Ludwig, Manfred, dem Doktor und die Frau eines Sohnes. Heute hat auch Frau Bernhagen neben mir gesessen. Deren Mann ist jetzt in Mühlhausen. Das ist aber eine sehr nette Frau. Sie beklagte sich auch darüber, dass so wenig Frauen kommen, die sonst gar nichts zu tun haben. Sie meinte, vielleicht würde es noch ein „muss“, dass jede Frau etwas hilft. Schaden könnte es nichts, denn da ist wirklich noch viel Arbeitsreserve vorhanden.
Helga hatte jetzt wieder einmal eine ganz neue Idee. Sie hat mit noch einigen Mädchen einen „Club“ gebildet. Da hat sie ein Buch angelegt, wenn Dienst ist, wieviel Geld eingegangen ist usw. Wenn sie Geld zusammen haben, wollen sie Soldaten im Lazarett besuchen. Ich habe ihr nun gesagt, jeder soll etwas Geld bei sich zuhause zusammensparen, dann könnten sie gehen. Außerdem hat der Club noch den Zweck, dass sie sich irgendwo treffen zum Lesen. Jeder bringt ein Buch mit. Das tauschen sie nachher solange sie zusammen sind aus. Diese Club-Sache ist so eine richtige Kinderidee. Aber ich habe sie machen lassen. Es bereitet ihr doch so sehr viel Freude.
Wie Helga heute sagte, hat ihnen die Lehrerin bekannt gegeben, dass die Zensuren ganz geändert werden. Es würden verschiedene Fächer anders benannt, dann würde Verschiedenes zusammengefasst. Das Wichtigste ist aber, dass sie gesagt hat, in „Betragen“ gäbe es jetzt keine 1 mehr, nur wenn jemand sich ganz hervorragend betragen hätte, sodass niemals ein Anlass für einen Tadel vorhanden gewesen wäre. Sonst gäbe es nur 2 oder 3. Wenn das tatsächlich der Fall ist, so finde ich das blödsinnig. Das ist auch wieder so eine Versuchsidee. In der kurzen Zeit, seit Helga in der Schule ist, wurden doch schon einmal die Zensurhefte geändert, denn Jörg hat doch ein ganz anderes Zensurheft. So lange ich mich erinnern kann, und auch schon früher, hat es im „Betrage“ doch schon immer eine 1 gegeben, nur wenn jemand richtig frech war, bekam er eine 2. Nun soll das plötzlich auch anders werden. Was heißt schon hervorragend betragen? Jedes Kind redet doch einmal in der Stunde oder stellt sonst eine harmlose Dummheit an. Da soll es nun eine 2 geben. Ich bin ja gespannt, was die Kinder für eine Zensur heimbringen. Mit der Schule wird jetzt auch viel experimentiert, findest Du nicht auch?
Gestern Abend war Vater noch hier. Ich habe den Abend über noch an seinen Strümpfen geschafft. Um 11 war ich mit stricken fertig. Dann musste ich noch verschiedene Maschen aufheben und verschiedene Stellen stopfen, denn ich habe doch nur die Füße angestrickt. Gegen 12 war ich mit den Strümpfen fertig und konnte sie Vater gleich mitgeben. Er hat mir dann, obgleich ich es nicht wollte, 2 Mk. für die Arbeit gegeben. Ich hätte gleich mit den anderen Socken in den nächsten Tagen angefangen, aber Vater muss erst wieder Wolle raussuchen. Das kann er aber erst am Samstag. Da muss ich so lange warten.
Wenn nichts dazwischen kommt, gehe ich morgen mit den Kindern in den Film „Diesel“. Der wird sicher interessant sein. Dabei bezahle ich gleich die Lichtrechnung für Vater auf dem Rentamt und schaffe eine Karte nach dem Arbeitsamt. Sie haben ihm nämlich eine Karte geschickt, er möge ihnen mitteilen, wo er augenblicklich beschäftigt ist. Derweil haben sie ihn doch selber zu Stromeyer vermittelt.
Nun lass mich schließen. Ich will noch den einen Brief abschreiben. Bleib mir gesund und sei ganz herzlich gegrüßt und feste geküsst von deiner Annie.

Brief 506 vom 24.1.1943


Mein liebster  Ernst!                                                     Konstanz, 24.1.43

Siehst Du, meine Hoffnung hat mich nicht getäuscht. Gleich 3 Briefe hab ich heute von Dir bekommen, für die ich Dir recht herzlich danke. Da hab ich wieder was zu beantworten und Du musst nicht mit ein paar Linien zufrieden sein. Aber es ist wirklich manchmal so, man weiß einfach nichts zu schreiben. Es waren heute Deine lieben Briefe vom 11., 12. und 17.1.
Unser Sparkonto hat wirklich zugenommen. Es ist ja auch gut so. Ich meine immer, es hat keinen Wert, unnötige Sachen zu kaufen, die doch nicht wichtig sind. Bei den Sachen zum Anziehen schaue ich schon, dass ich etwas bekomme. Aber man muss da auch mit den Punkten sparen. Die neue Karte mit 100 bzw. bei den Kindern mit 120 Punkten muss bis zum Juli 1944 reichen. Das ist eine ziemlich lange Zeit. Aber ich komme schon durch, denn ich habe ja verschiedenes da, woraus ich den Kindern und mir etwas nähen kann. Helga braucht auch bald einen Mantel, denn der Schulranzen hat am Rücken alles aufgerieben, sodass es nicht gerade schön aussieht. Unter den Achseln ist auch alles zerrieben. Da werde ich den Mantel auftrennen, den ich früher mal von Nanni bekam. Ich wende ihn, und damit bekommt Helga einen ganz schönen Mantel. Aber, um nochmals auf das Geld zu kommen. Ich rechne so: Die Sachen, die wir brauchen, die haben wir. Sollte uns doch einmal das Haus zerschlagen werden, was man nicht hoffen will, so haben wir immerhin noch ein paar Pfennige in der Hand. Dass das Geld kaputt gehen könnte, hoffe ich nicht. Sollte auch das der Fall sein, so müssen wir eben ganz von vorn anfangen. Aber da schrieb ein Soldat jetzt einmal in der Zeitung: „Unser Geld ist so viel Wert, so viel unser Sieg wert ist, denn wenn der Feind gewinnen würde, so wäre bestimmt unser Geld kaputt, aber auch die Sachen, die wir hätten, wären wertlos. Der Feind würde uns ausbeuten, dass wir auch die Sachen nicht mehr behalten könnten.“ Das glaube ich auch. Aber da wir nicht an unserem Sieg zweifeln, so mache ich mir auch wegen dem Geld keine Sorgen. Die Hauptsache ist doch im Krieg erst einmal, dass man nicht hungern muss. Und das ist ja auch nicht der Fall. Dass wir im Frieden nicht mehr so viel sparen können, das glaube ich auch. Das ist aber nicht so schlimm, wenn wir eine gewisse Rücklage haben. Außerdem ist das Wichtigste, dass wir uns alle gesund wiedersehen, dann geht schon alles weiter. Wir haben uns ja bisher auch durchgebissen.
Wegen der Sache „Brose“ schaue ich in den nächsten Tagen mit nach. Heute komme ich nicht gut dazu. Ich will dann noch an Papa schreiben und hinterher stricken, damit ich bald mit dem Strumpf fertig werde.
Verschiedene Päckchen hast Du auch wieder fertig gemacht. Du siehst doch immer zu, dass Du etwas für uns bekommst. Ich freue mich sehr und danke Dir auch ganz fest dafür. Hoffen wir auch wieder, dass alles gut ankommt.
Du schreibst, wenn ich noch Gewicht frei habe, soll ich Dir eine alte Batterie und Seife schicken. Nun ist aber mein Päckchen schon eine ganze Zeit lang an Dich unterwegs. Soll ich Dir ein extra Päckchen mit den Sachen schicken?
Also umgezogen bist Du jetzt wirklich schon oft genug. Schön ist es bestimmt nicht, denn man kann sich den Raum kein Bisschen so ausgestalten, wie man es gerne hätte. Man fühlt sich immer fremd, wenn man alles eingepackt lassen muss. Da war es in Frankreich schon anders und ich glaube auch noch in M.
Wenn Du Deine Malerei so schlecht machst, so ist das nicht richtig von Dir, sie war wirklich schön. Uns hat sie gefallen und auch viel Freude gemacht. Und das ist doch das Wichtigste dabei, nicht wahr?
Dass Dir die Bestecktasche gefallen hat, freut mich. Der Flanellstoff war wirklich wieder einer meiner Reste, d.h. es war noch ein ganz schönes Stück. Ich dachte, es würde sich für diese Tasche eignen, erstens, weil es schöner und appetitlicher aussieht, wenn die Bestecke auf weißem Grund liegen und zweitens, weil sie durch den dickeren Stoff nicht gleich durchstechen. Mit dem Wegschicken der Tasche war es auch so eine Sache. Die Päckchen ohne Marke durften doch nur 100g wiegen. Ich war erst an den Schaltern und habe das Päckchen wiegen lassen, da wog es 150g. Wird nicht mehr ohne Marken angenommen, hieß es. Erst wollte ich sie wieder mit heim nehmen, ich hatte ja noch keine Marke da. Dann dachte ich aber, Du brauchst die Tasche doch, ich probiere es noch beim Paketschalter. Ich habe das Päckchen hingegeben und habe gesagt: „Würden sie es vielleicht wiegen, ob es noch geht?“ Das Fräulein wog es, aber nur mit der Hand, und meinte „geht noch“. Du glaubst gar nicht, wie froh ich war.
Ich  nehme es auch noch nicht ernst, wenn Jörg seine Berufswünsche bekannt gibt. Ich wollte es Dir nur schreiben. Das glaube ich, dass ihm noch manche Dinge begegnen, die ihm nicht passen werden. Da muss er noch manchen Pflock zurück stecken. Bis jetzt will er mit dem Kopf durch die Wand. Helga ist manchmal zu bedauern. Immer fuchst er sie. Wenn sie irgendetwas macht oder sagt, immer mokiert er sich darüber. Helga ist manchmal ganz aufgeregt und zittrig, so ärgert sie sich. Bei Jörg ist es ganz komisch, erst kann er lieb sein und mich abdrücken und küssen, im nächsten Moment, wenn ihm was nicht passt, dann brüllt er rum, wie nicht gescheit. Nur, ich lasse mir´s nicht gefallen. Heute Morgen war´s auch wieder so. Ich hatte den Kindern die frischen Sache geholt. Da ich meinte, dass der Pullover noch sauber sei, hatte ich Jörg keinen mitgebracht. Als ich beim Bettenmachen bin, schreit er rüber: „Es ist kein Pullover da.“ Ich sage: „Deiner wird doch noch sauber sein.“ „Von wegen sauber, dreckig ist er, ich kann ihn  nicht mehr anziehen, ich brauche einen frischen“, sagt er. „Also, dann hol dir einen sauberen“, sage ich zu ihm. „Hei nochmal, jetzt soll ich mir selber einen holen, denkst Du, ich friere nicht?“ er war ganz wütig. Da ich mich aber gar nicht mehr um ihn gekümmert habe, ist er dann ohne ein weiteres Wort gegangen. Nach fünf Minuten war er wieder der friedlichste Mensch. Genauso, wie es mir mit Jörg geht, wird es der Lehrerin mit den vielen Buben gehen. Wenn sie da nicht durchgreift, da ist sie verloren. Ich kann es ihr nicht verdenke, wenn sie Tatzen austeilt.
Wie ich Dir schon schrieb, ist Helga wieder ganz gesund und munter. Dass sie sich die eine Woche noch schonen konnte, hat ihr bestimmt gut getan.
Gerade sind die Kinder zusammen in der Stube und hören sich das Märchen „Rotkäppchen“ an. Man hört es ja jetzt so gut bei dem neuen Radioapparat, den Du, lieber Kerl, besorgt hast.
Nun lass mich wieder schließen. Ich schreibe jetzt noch an Papa und lege den Durchschlag noch hier bei.
Ich grüße und küsse Dich ganz herzlich und fest Deine Annie.

Brief 505 vom 23.1.1943


Mein liebster, bester  Ernst!                                           Konstanz, 23.1.43

Gestern habe ich leider nicht geschrieben, aber ich wusste gar nicht, von was ich Dir berichten sollte. Ich war, außer de kurzen Zeit, wo ich die Kleiderkarte holte, den ganzen Tag daheim und habe meist gestrickt. Mit dem einen Strumpf bin ich nun fertig und habe auch bereits den zweiten angefangen. Jetzt wird Dein Vater nicht mehr so lange zu warten brauchen.
Heute war ich am Vormittag auch unterwegs. Jörg habe ich gleich wieder zur Schule mitgenommen. Dann habe ich eingekauft und Deine Zeitungen besorgt. Ich konnte heute ziemlich viel Wurst kaufen, da wir die Woche über wenig Fleisch gebraucht hatten, 300g Mettwurst und 100g Leberwurst. Da freuen sich die Kinder sehr, denn die essen doch Wurst viel lieber als Fleisch, vor allen Dingen Jörg.
Helga und Jörg waren gestern beim Turnen. Heute hat Helga starken Muskelkater und sie ist auch so kaputt. Ich glaube, es hat sie fast zu sehr angestrengt. Sie haben gestern am Barren und Reck geturnt. Jörg macht das ja wieder gar nichts aus. Jörg ist wieder draußen zum Spielen. Helga hat es sich ein Bisschen auf dem Sofa bequem gemacht. Ich habe drüben Feuer gemacht, da ich beim längeren Sitzen hier in der Küche immer so kalte Füße bekomme. Da ist es in der Stube gemütlicher. Im Freien ist es heute ja nicht gerade zu sehr kalt. In den letzten Tagen hatten wir ziemlichen Frost, dazu etwas Nebel, so dass alles voll Reif war. Heute hat nun alles getaut. Aber schmutzig ist es dadurch überall.
Gestern habe ich auch wieder meinen Luftschutzkoffer richtig eingeräumt. Man holt ab und zu ein Stück heraus und wenn man dann nachsieht, ist gar nichts Notwendiges mehr drin. Das ist ja nicht der Zweck der Sache. Nach Nägeln bin ich heute auch gelaufen. Ich habe zwar noch welche da. Aber wie lange werden die reichen und wenn man gerade keine bekommt, sitzt man da. Es gibt sowieso immer nur für 10 Pfg. Dann habe ich noch einen beweglichen Griff für die Büchertruhe besorgt. Den habe ich vorne am Deckel festgemacht. Wenn die Kinder die Truhe öffnen wollen, brauchen sie nur am Griff anzufassen. Schwarze Schuhcreme konnte ich heute auch bekommen, dagegen war meine Nachfrage nach einer Tafel und nach Griffeln umsonst. Vielleicht bekommt ein Geschäft am Montag welche, da will ich gleich hingehen, denn Jörg seine Tafel fällt nun bald endgültig aus dem Rahmen. Seit einigen Monaten laufe ich ja nun schon nach der Tafel rum.
Eigentlich wollte ich auch noch an Papa und an Erna schreiben, aber ich habe heute gar nicht die richtige Schreiblust. Ich verschiebe es noch bis morgen. Da muss ich mich ja dann wirklich dran setzen, sonst ist Papa vor allen Dingen beleidigt. Ich muss ihm ja für´s Paket mit Zeitungen danken. Er hatte mir auch unsere Weihnachtskrippe mitgeschickt, die wir zuhause immer hatten. Weißt Du, es ist so eine durchsichtige aus Papier.
Jetzt bin ich mit meiner Weisheit schon wieder am Ende. Manchmal weiß man so viel zu schreiben  und dann fällt einem wieder gar nichts ein. Du nimmst es mir aber bitte nicht übel, nicht wahr? Briefe habe ich gestern und heute nicht von Dir erhalten. Vielleicht kommen morgen wieder mehrere zusammen, da habe ich auch wieder viel zu beantworten.
Sei Du, mein liebster Mann, wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 504 vom 21.1.1943


Mein liebster Ernst!                                                       Konstanz, 21.1.43

Ich weiß nicht, wie ich schreiben soll, „oh weh, Du musst 5 Mk. bezahlen“ oder „hurra, unser Sohn kann schwimmen“. Das kann er nämlich jetzt wirklich. Erst fing er auch heute mit dem Schwimmgurt an. Später war er eine Weile aus dem Wasser. Da wollte er zur Helga hin schwimmen. Ich sagte ihm, dort liegt dein Schwimmgurt. Er aber meinte, er wolle es einmal so versuchen. Er ging ins Wasser und schwamm los. Erst einige Züge, und zuletzt ist er über die ganze Bassinbreite geschwommen. Ich habe mich riesig gefreut und er war ganz stolz. Jetzt hat er es also auch geschafft. Ich denke, dass er jetzt seinen Ehrgeiz darein setzen wird, bald im Tiefen schwimmen zu können. Den ganzen Abend hat er von diesem großen Ereignis gesprochen.
Noch etwas muss ich Dir heute schreiben. Das ist aber nichts so freudiges. Ich war heute mit dem Vorschaltwiderstand beim Mayer. Es war nichts daran kaputt, nur ein Schräubchen war scheinbar locker geworden, denn jetzt geht er wieder tadellos. Nun sagte mir aber der Mayer, ich sollte zusehen, ob mir niemand in Frankreich einen neuen besorgen könnte, denn die vordere Platte, wo die Stecklöcher dran sind, wird spröde und bröckelt schon teilweise ab. Lange würde er wahrscheinlich nicht mehr halten. Das kommt scheinbar von der Hitze. Ich dachte nun, ob Du nicht einmal versuchen könntest, durch Dr. Thomas einen, oder wenn es geht, noch 2 Vorschaltwiderstände besorgen zu lassen. Er könnte sie mir hierher schicken und ich würde ihm sofort das Geld zusenden. Alle Markenzeichen, die auf dem Karton waren, habe ich Dir auf einen Zettel aufgeklebt. Vielleicht könntest Du ihm die mit hinschicken, damit er weiß, um was es sich handelt. Es wäre ja sehr schade, wenn es keine mehr gäbe, weil uns dann der Apparat nicht nützte. Hoffen wir, dass wir Glück haben.
Nachdem ich schon Deine lieben Briefe bis zum 10. Habe, kam heute Dein Brief vom 6.1. an.
Ich bin Dir bestimmt nicht darum böse, dass wir seinerzeit zur Resi hin gegangen sind. Ich habe lediglich festgestellt, dass wir immer viel zu viel Rücksicht auf andere Leute nehmen. Ich weiß ganz genau, dass Du es nur gut gemeint hast. Du meintest eben, sie sei vielleicht jetzt viel allein. Aber wie ich Dir seinerzeit schon sagte, glaub mir, sie hat mehr Bekannte wie ich. Außerdem ist das jetzt ja vorbei und die Hauptsache ist ja, dass wir viele schöne Tage mit einander verlebt haben. Und das haben wir doch, nicht wahr? Man hofft, so ein Urlaub käme bald wieder, aber damit wird es wohl noch gute Weile haben. Zu sehr darf man sich einen Urlaub gar nicht ausmalen, sonst wird das Warten viel zu schwer.
Ja, es ist wirklich manchmal komisch. Man meint, nur etwas ganz Besonderes könnte den Kindern gefallen. Aber darauf kommt es ja gar nicht so an. Siehst Du, als wir uns jetzt den einen Kasper selber gemacht haben. Das war eine Freude. Und er ist doch nichts Besonderes. Und dass Deine Puppen große Freude gemacht haben, das hast Du ja aus den Briefen der Kinder, besonders von Helga, gelesen.
Über das „heimlich tun“ Deines Vaters mit Kurt ärgere ich mich schon lange nicht mehr. Weißt Du, ich meine sicher, er wolle ihm noch etwas heimlich zustecken zum Mitnehmen. Dass er mir davon nichts sagt, das nehme ich ihm ganz bestimmt nicht übel. Du weißt ja, neugierig bin ich nicht. Er hätte ja auch ruhig mit Kurt gehen können. Nur sein verändertes Wesen kränkte mich erst etwas. Aber das ist lange wieder vorbei.
Verschiedene Urkunden hast Du auch wieder erhalten. Das ist fein. Man freut sich über jedes, was man noch erhalten kann. Es geht ja jetzt auch ziemlich weit zurück.
An Papa habe ich heute 2 Päckchen geschickt, eines mit einer Flasche Wein. Ich hatte diesen bei Tengelmanns zugeteilt bekommen. Ich glaube, „Saarpfälzer Ruwer“ heißt er. Im anderen Päckchen sind einige Schachteln Zigaretten und etwas Gebäck. Nicht viel, aber mehr hatte ich nicht. Ich habe dazu eine Karte geschrieben. Einen längeren Brief, als Antwort auf seine Schreiben, will ich morgen oder übermorgen schreiben.
Beim Baden war es heute wieder fein. Das Schwimmen ist immer so schön. Zuerst hat mir etwas der Rücken wehgetan. Ich habe gemerkt, dass wir jetzt mehrere Wochen nicht da waren. Ingrid war auch mit. Helga und sie sind immer zusammen geschwommen oder ins Flache gesprungen. Ich bin mehr bei Jörg geblieben. Der steht ja jetzt auch nicht mehr so rum und friert, sondern schwimmt immer. Sein Üben hat ja jetzt auch seinen Lohn erhalten. Er hat einen mächtigen Stolz, dass er nun auch schwimmen kann und nicht mehr so rumkrabbeln braucht. Als wir heim kamen, hatten wir einen mächtigen Hunger. Ich habe gleich Abendbrot gemacht. Wir hatten selber gemachte Nudeln. Die haben gut geschmeckt. Am Mittag gab es weiße Bohnen. Die gibt es morgen nochmal, denn es sind so viele übrig geblieben. Aber die Kinder essen sie auch gern, da macht es nichts aus.
Jetzt will ich mich noch eine Weile ans Stricken setzen, sonst muss Dein Vater zu lange warten. Morgen will ich den Tag auch dazu benutzen, nur am Morgen fahre ich zum Kleiderkarten holen.
Nun lass mich schließen. Bleib mir ganz gesund, mein liebster, bester Ernst und sei ganz herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 503 vom 20./21.1.1943


Mein lieber Ernst!                                                                    Konstanz, 20.1.43

Nach längerer Zeit will ich heute mal wieder einen Flugpostbrief schreiben. Vor allen Dingen tue ich das, damit Du bald weißt, dass ich die Päckchen erhalten habe. Nachdem ich vor einigen Tagen den Honig erhielt, kam heute Dein Päckchen mit Schokolade, Pralinen und Bonbons an. Ebenso erhielt ich ein Paket mit den Flaschen mit Öl. Das war sehr gut verpackt und sehr ordentlich. Es ist alles gut angekommen. Ich möchte Dir für alles herzlich danken. Eine Tafel Schokolade habe ich verteilt. Es ist ja noch Milchschokolade und die essen die Kinder doch so gern. Von den anderen Sachen habe ich Ihnen noch gar nichts gesagt, nur einen Beutel Bonbons habe ich noch aufgeteilt. Die andere Schokolade hebe ich auf. Später freuen sich die Kinder auch noch darüber. Wenn sie aber wissen, dass noch welche da ist, habe sie doch keine Ruhe. Es ist fein, dass alles angekommen ist. Jetzt ist nur noch ein Päckchen unterwegs mit Hautcreme usw. Ich freue mich, dass nichts verloren gegangen ist. Du bist auch ein ganz lieber Mann, dass Du uns die Sachen alle geschickt hast.
Außer den Päckchen erhielt ich auch noch Deinen Brief mit Umschlägen und unseren Briefen. Dann kam noch ein Zeitungspaket von Papa an, in dem er mir auch noch einen Taschenkalender mitschickte. Dir hat er, wie er schreibt, auch noch einen geschickt. Da hast Du ja nun zwei Stück. Vielleicht kann ein Kamerad von Dir einen gebrauchen.
Eigentlich wollte ich heute nochmals nähen gehen, aber es wurde nichts daraus. Ich hatte zu viel daheim zu tun. Am Vormittag habe ich wieder etwas Kleingebäck gebacken. Ich will etwas davon an Papa zum Geburtstag schicken, dazu noch einen Flasche Wein, den ich zugeteilt bekommen habe und einige Zigaretten. Ich denke, dass er damit schon zufrieden sein kann. Am Vormittag war ich auch erst noch in der Wilhelmstraße und habe auf die Kinderkarten Mandarinen geholt. Für jeden hat es ein Pfund gegeben. Am Nachmittag hatte ich verschiedene kleine Sachen zu tun, die aber auch getan werden wollen, wie z.B. einige Wollsachen waschen, Küche auswischen usw. Dann kam bald wieder das Abendessen an die Reihe. Die Stunden gehen ja so schnell vorbei. Heute Mittag hatten wir Rosenkohl und Kartoffeln, heute Abend Quarkkeulchen, diesmal aber wirklich mit Quark.
Die Kinder haben im Vorraum Kasperletheater gespielt. Sonst waren sie immer oben im Hausgang mit der Eisenbahn, aber so lange Frau Leimenstoll die Treppe zu putzen hat, dürfen sie nicht mehr rauf. Verstehen kann ich es nicht ganz, denn alle, die mitgespeilt haben, hatten sich stets die Hausschuhe angezogen. Es war auch nur Jörg und Richard, oder der Walter noch dazu.
Morgen, wenn ich in die Stadt fahre, um das Päckchen weg zu schaffen, werde ich wieder einmal den Vorschaltwiderstand mitnehmen und nachsehen lassen. Er läuft wohl noch, aber der Draht klirrt fest drin, und das kracht dann natürlich im Apparat. Auch hat er schon teilweise ausgesetzt. Wahrscheinlich muss er wieder neu gewickelt werden.
Morgen Nachmittag gehe ich sicher baden. Nach längerer Pause wieder einmal. Wir freuen uns schon sehr darauf. Erstens auf die heiße Brause und zweitens aufs Schwimmen. Jörg wird ja sicher wieder üben.

                                                                                                            21.1.
Ich schreibe nun jetzt noch fertig. Etwas kurz ist der Brief ja diesmal geworden, aber Du wirst mir sicher nicht böse sein.
Von Helga schicke ich heute auch einen Brief an Dich mit fort. Ich hätte ihn gern mit in meinen Brief getan, aber die 10g des Flugpostbriefes sind immer gleich erreicht.
Helga ist vorhin gerade in die Schule gegangen. Jörg muss erst zu ¾ 10 fort. Ich packe noch das Päckchen für Papa und fahre dann auch bald fort.
Gestern habe ich lachen müssen. Als ich vom Einkaufen heim kam, wollte sich Jörg gerade die Schuhe anziehen. Er sagte zu mir: „Mutterle, an meinen hohen Schuhe war an den Absätzen was kaputt, ich habe mir´s gleich selber wieder gemacht.“ Da hatte er, wo der Absatz ein Stück ab ging einige Nägel hineingeschlagen und zwar wirklich ordentlich. Außerdem hatte er sich ein Schuheisen auf der Sohle aufgeschlagen. Wenn er so weiter macht, kann er sich in einigen Jahren auch schon manches selber machen, d.h. wenn er dann nicht zu faul dazu wird. Es ist doch meist so, dass Kinder wohl manches können, aber nicht gern tun.
Nun mein lieber Ernst, will ich wirklich schließen und Dir vorher nochmals recht sehr für alle Sachen danken, die Du uns wieder geschickt hast.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 502 vom 19.1.1943


Mein lieber, lieber Ernst!                                                Konstanz, 19.1.43
(Du großer Lauser)

Ach, habe ich über die Bilder gelacht, die Du mitgeschickt hast. Die sind einfach prima. Das sind fast die schönsten Bilder, die Du hast, wenn Du mit Kameraden zusammen bist. Dein Gesicht ist überall fein getroffen und das Lachen, das liebe ich doch an Dir so. Auf dem einen Bild, auf dem Du eine Flasche in der Hand hast und Deinen Kameraden ansiehst, hast Du einen Gesichtsausdruck, den ich besonders gern an Dir mag. Wenn man auch das Gesicht nur von der Seite sieht, weiß ich doch ganz genau, wie Deine Augen lachen müssen. Ich sehe es überhaupt schon dem Gesicht an, es sieht so froh aus. Und von „Alterserscheinungen“ sieht man auch noch nichts. Du bist doch noch genau derselbe liebe Kerl geblieben, der Du warst. Das habe ich ja auch im letzten Urlaub gemerkt. Auf dem Bild mit den kurzen Hosen und Stiefeln siehst Du auch lieb aus. Also, die Bilder gefallen mir so gut. Es macht direkt Freude, sie anzuschauen.
Nun will ich vor allen Dingen mal schreiben, dass ich Deine lieben Briefe vom 8. Und 9.1. erhalten habe. Vielen Dank dafür. Es tut mir leid, dass Du manchmal Kopfweh hast. Ich glaube auch, dass das davon kommt, weil Du so wenig an die Luft gehen kannst. Und wenn Du bis in die Nacht hinein arbeiten musst und immer im geschlossenen Raum, so ist das natürlich auch nichts. Von den Bildern habe ich Dir schon oben geschrieben. Das musste ich zuerst erwähnen, weil sie mir solch Vergnügen gemacht haben. Man sieht aus ihnen schon, dass Dich Deine Kameraden gern gemocht haben. Welcher ist der Drechsler?
Hoffentlich kommt auch das Päckchen Nr. 2 gut bei uns an. Das Paket mit dem Öl, das ein Kamerad von Dir hier her schicken will, müsste eigentlich auch bald ankommen. Vielleicht in den nächsten Tagen. Das Päckchen mit Süßigkeiten wird wohl noch eine Weile brauchen, bis es ankommt.
Unseren Weihnachtsbrief hast Du nun auch bekommen und scheinbar hat er Dich auch gefreut. Vater meinte, es sei vielleicht am einfachsten, wenn er das Geld für das Geschenk für mich so abzieht, damit Du es nicht erst herschicken musst. Wie Du schreibst, werde ich Dein Geld also mit auf die Sparkasse schaffen.
Scheinbar hat Deine Reklamation wegen des Essens doch etwas genutzt. Es ist ja auch nichts, wenn man nicht einmal richtig satt wird und wenn es nicht einmal richtig gut ist. Hoffentlich hält die Besserung jetzt an. Das Gansessen wird Dir bestimmt eine willkommene Abwechslung gewesen sein. Das freut mich sehr, dass Du einmal so etwas bekommen hast.
Deine Briefe kommen wirklich immer ziemlich schnell an. Dass der Weihnachtsbrief nicht rechtzeitig kam, war eben einmal Pech. Dafür ist ja der Neujahrsbrief ganz richtig angekommen. Der hat ja auch viel Freude bereitet.
Nun will ich Dir noch von heute berichten. Am Morgen habe ich die Wolle für Vater besorgt. Dabei habe ich Jörg gleich mit in die Schule gefahren. Beim Gemüsegeschäft erfuhr ich, dass es morgen früh wahrscheinlich auf die Kindernährmittelkarte Orangen gibt. Ich fahre auf jeden Fall mal hin. Das würde den Kindern sicher schmecken. Als ich heim kam, habe ich mich erst einmal ans Reparieren der Schuhe gemacht. Den einen Schuh von Jörg habe ich genäht, beim schwarzen Schuh habe ich wieder die Sohle festgemacht, beim dritten Paar habe ich neue Absätze drauf gemacht. Es ist doch gut, dass ich immer noch ein Bisschen Leder da habe. Inzwischen war es dann Mittag geworden. Wir haben gegessen. Heute gab es Bratkartoffeln mit Blutwurstwürfeln, hinterher Pudding. Gestern hatten wir rohe Klöße. Nach dem Mittagessen bin ich zum Nähen gegangen. Heute waren auch mal einige sogenannte „bessere Damen“ da. Denen hat man aber angesehen, dass sie nicht das richtige Schaffen gewöhnt waren. Während ich zwei Stück fertig gemacht hatte, war die eine mit dem ersten noch nicht fertig, die andere hatte eins soweit und fing mit dem zweiten an. Auf einmal meinte sie, sie müssten jetzt heim. Die Dritte, die noch dabei war, sagte, so ginge sie nicht. Erst machte sie das Ganze fertig. Da sagte eine „ach, das wird schon noch fertig gemacht werden, es kommen ja noch mehrere Frauen.“ Die eine hatte am ersten Zelt noch 6 Knöpfe anzunähen, aber nein, sie ließ es einfach so liegen. Von zwei anderen Frauen muss ich ja sagen, dass sie gut geschafft haben.
Die vorige Nacht war auch eine komische Nacht. Als ich ins Bett gehen will, höre ich die Alarmsirene von der Schweiz. Ich habe mich wieder angezogen, denn ich dachte, da fängt bei uns auch gleich Alarm an. Aber nichts war´s. Also habe ich mich schlafen gelegt. 10 Minuten vor 2 Uhr geht wieder die Sirene los, an verschiedenen Stellen, aber auch etwas entfernt. Ich stehe auf und denke, da bin ich gleich fertig, wenn sie in Konstanz heult und kann den Kindern beim Anziehen helfen. Bei Leimenstolls oben wurde es auch lebendig. Ich habe mich angezogen, wieder kam bei uns kein Alarm. Da habe ich mich halb angezogen ins Bett gelegt, damit ich jederzeit gleich raus kann. ½ 3 hörte ich wieder entfernt die Entwarnung. Da habe ich mich ausgezogen und dann konnte ich endlich bis zum Morgen schlafen. Aber müde war ich heute erst, das glaubst Du gar nicht. Als ob ich fast überhaupt nicht geschlafen hätte.
Helga hat einen Brief an Dich angefangen. Eigentlich sollte er ja noch fertig werden, aber sie war zu müde. Sie schreibt gleich morgen weiter.
Ich geh nun schlafen. Ich bin noch von gestern Nacht müde. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich und denke immer an Dich, Deine Annie.

Donnerstag, 25. Januar 2018

Brief 501 vom 18.01.1943


Mein liebster, bester Mann!                                                                                 Konstanz, 18.1.43

Nach meinem gestrigen Ansatz, wieder mit der Hand zu schreiben, kehre ich doch wieder zur Maschine zurück. Es geht einfach viel schneller und mir fällt mehr ein. Der heutige Tag ist wieder mit Arbeit vergangen. Am Morgen habe ich erst gestrickt, dann gewaschen, später Essen gekocht. Nach dem Essen habe ich verschiedene Sachen ausgebessert und mit der Maschine dem Bettbezug von Vater ein neues Stück angesetzt. So ist auch der Nachmittag vergangen. Damit ich nicht erst in die Stadt brauchte, habe ich Jörg zum Butter holen geschickt. Er durfte sich drei Waffeln mitbringen, das hat gelockt. Er ist mit seinem Freund Richard gegangen. Als er heim kam, sagte er, dass sie von der Stadt aus mit dem Zug heimgefahren sind. Auf was die Kerle doch alles kommen. Helga war am Nachmittag in der Schule.
Heute Abend will ich noch sehen, dass ich Jörgs Halbschuhe nähen kann. Vor einigen Tagen kam er von der Schule heim. Ich achtete erst gar nicht auf die Schuhe. Plötzlich kam er ganz langsam und vorsichtig zu mir her und sagte: „Mutterle, kann ich nicht ein paar andere Schuhe anziehen, die sind ganz nass und kaputt sind sie auch, weißt Du, ich bin doch wieder aufs Eis gegangen. Die anderen Buben waren dort und haben gerufen, da bin ich auch hin.“ Ich hatte ihm doch kaum vorher gesagt, er sollte nicht mehr aufs Eis gehen, ich komme mit dem Schuhe reparieren nicht mehr nach. Als ich ihn so gedrückt neben mir stehen sah, konnte ich aber doch nicht schimpfen, sondern sagte nur: „Aber Jörg, Du hast doch versprochen, dass Du das nicht mehr machen willst.“ Als er sah, dass er keine Wichse bekam, hing er im nächsten Moment an meinem Hals und nun war ich auf einmal das liebste Mutterle und er versprach mir nochmals, dass er bestimmt nicht mehr aufs Eis gehen würde. (Was meinst Du, wie lange das Versprechen wieder gilt?) Ich habe mir dann die Schuhe angesehen und war entsetzt. Von Schuhen war eigentlich überhaupt nichts mehr zu sehen, alles war Dreck. Ich habe sie dann mit der Bürste unterm Wasser abwaschen müssen, damit überhaupt wieder Leder zum Vorschein kam. Hinten waren sie niedergetreten, denn mit einem Fuß ist er im Schlamm stecken geblieben, sodass der ganze Schuh raus rutschte. Die Seitennaht ist bei dem einen Schuh bis zur Sohle aufgerissen. Zwei Tage haben die Schuhe nun erst trocknen müssen, bis ich sie jetzt reparieren kann. Bei den Schuhen, wo ich Holzsohlen drauf gemacht habe, hat er die Absätze runtergetreten, dass er bald auf der Pappe, oder was das für Zeug ist, läuft. Also mit Schuhen ist bei Jörg immer was. Bei Helga habe ich damit nun gar keine Plage.
Noch eine wichtige Arbeit habe ich heute gehabt. Ich musste für Helga einen Kasper machen. Sie hat mit mehreren Mädchen aus ihrer und Ingrids Klasse ausgemacht, dass sie bei einem Mädel Kaspertheater spielen wollen. Dazu brauchte sie einen Kasper. Aus einem Buch hat sie gelesen, wie sie gemacht werden. Also fing sie erst an: „Ich brauche eine alte Postkarte, hast Du keine?“ Als sie die hatte, drehte sie eine Röhre, die in den Kopf kommt, damit man den Finger reinstecken kann. Dann holte sie Zeitungspapier und formte den Kopf, darum kamen Stoffstreifen, darüber kommt dann Trikot. Ich hatte eigentlich keine Zeit, aber da saß sie so neben mir, und wenn es nicht klappte, schaute sie mich immer hilfesuchend an. Zuletzt habe ich die Sache in die Hand genommen. Bis Helga in die Schule ging, hatten wir den Kopf fertig. Kaum kam sie wieder, fing es von neuem an: „ Hast Du was für die Mütze? Hast Du was fürs Kleid?“ Wir haben dann was Buntes aus dem Lumpensack geholt und ich habe die Sachen gleich noch mit der Maschine genäht. Da war ihre Freude groß. Eine lange Nase habe ich auch noch gemacht und angenäht. An die Mütze haben wir noch einen großen, schweren Knopf genäht, dazu haben wir die Augen, die Nasenlöcher, den Mund und ein Ohr angestickt. Auf dem zweiten Ohr sitzt die Mütze. Ein paar schwarze Haare schauen unter der Mütze auch hervor. Der ganze Kerl sieht jetzt ganz lustig aus. Noch etwas muss ich Dir von Helga erzählen. Als sie heute heim kam, sagte sie: „Weißt Du Mutterle, ich bin immer ganz stolz, wenn ich jemand davon erzählen kann, dass einmal mein Mund aufgerissen war. Da gucken sie mich so staunend an, das gefällt mir.“ Ist sie nicht ein kleines Äffchen?
Nun will ich Dir aber auch schreiben, dass ich Deinen lieben Brief vom 10.1. heute bekommen habe. Der war doch zeitig hier, nicht wahr? Auch der Brief an Helga vom gleichen Tag ist angekommen. Was meinst Du, wie sich Helga darüber gefreut hat, dass Du so auf die Puppengeschichte eingegangen bist. Hat sie lachen müssen. Das hast Du wieder ganz lieb gemacht.
Du hast also wieder ein Gesuch an die Stadt gerichtet. Ich bin gespannt, ob es Erfolg haben wird. Gilt der Erlaß nicht nur für die, die erst zum außerplanmäßigen Beamten ernannt werden sollen oder auch für weitere Beförderungen? Hoffentlich besorgt dir der Herre alles richtig. Schön wär´s ja schon, wenn das Gesuch Berücksichtigung fände. Aber wir wollen uns nicht zu viel Hoffnung machen. Aber richtig ist es auf jeden Fall, dass Du nicht locker lässt.
Das weiß ich doch ganz genau, dass Du keine Schuld daran hast, wenn der Weihnachtsbrief nicht gerade an den Feiertagen angekommen ist. Da brauchst Du Dir wirklich keine Gedanken zu machen. Im Allgemeinen kommen Deine Briefe doch ziemlich schnell an. In letzter Zeit kommen sie nur ein Bisschen durcheinander an. Ich habe jetzt Deine Briefe vom 1., 4., 5. und 10.1. erhalten. In den nächsten Tagen werden nun die anderen ankommen. In einem davon wirst Du sicher schreiben, dass Du unseren Weihnachtsbrief erhalten hast, auf den Du doch lange gewartet hast. Hoffentlich hat er Dich auch gefreut.
Ich glaube, mit dem Schuh nähen wird es heute doch nichts mehr. Ich bin schon zu müde und bekomme auch ein wenig Kopfweh, da gehe ich lieber bald schlafen. Es ist ¾ 10 Uhr. Morgen früh besorge ich für Vater Wolle, morgen Nachmittag gehe ich wieder nähen.
Nun, mein liebster Ernst, mein lieber, lieber Schatz, sei wieder recht herzlich gegrüßt und ganz fest geküsst von Deiner Annie.

Dienstag, 16. Januar 2018

Brief 500 vom 17.1.1943


Mein liebster Schatz!                                                                                           Konstanz, 17.1.43

Heute, zum Sonntag, will ich Dir wieder einmal mit der Hand schreiben, sonst meinst Du, ich kann es gar nicht mehr. Heute Morgen sind wir um 9 Uhr aufgestanden. Ich hatte gestern schon vorgekocht, so hatte ich heute nicht so viel zu tun. Es gab Kartoffeln mit Sauerkraut, Fleisch und Soße. Hinterher Stachelbeerkompott. Am Nachmittag bin ich zu Vater runter gefahren. Wir hatten es gestern noch ausgemacht. Ich habe ihm seine Wäsche mitgenommen. Vater hat mir dann seine Mangel- und Kleiderkarte gegeben, damit ich Wolle für ihn besorgen kann. Dann hat er mir seine Socken gezeigt, damit ich sage, welche sich noch zum anstricken lohnen. Es waren 3 Paar, die ich gleich mit rauf genommen habe. Ein Paar braucht er bald, damit er ein paar gute Strümpfe an hat, wenn er sich ein Paar neue Schuhe kauft. Den Bezugsschein dafür hat er schon. Ein Stück Stoff zum Ausbessern seines Bettbezugs hat er auch gleich rausgesucht, ebenso hat er mir die Laubsäge mitgegeben. Geschenkt hat mir Vater dann ½ Pfund Grünkern, ½ Pfund Mehl, 1 Pfund Kaffeemischung und 2 Puddings. Er freut sich immer wieder, wenn er was schenken kann. Ich habe mir wieder ein paar Bücher zum Lesen für mich und Helga rausgesucht und mitgenommen. Es sind zwei dabei, die Du Kurt geschenkt hast „Eiko, der Junge vom Reiherhof“ und „Der falsche Woldemar“. Ich denke, dass sie Helga versteht. In das letzte Buch hast du als Widmung hineingeschrieben „Wenn Du es liest, so freue Dich, wenn Du es anschaust, so denk an mich. Weihnachten 1926.“ Wie lange das schon wieder her ist. 1926 bin ich aus der Schule gekommen.
Schwer beladen bin ich wieder daheim angekommen. Jörg spielte noch auf der Straße, Helga war bei Ingrid. Ich habe erst alles ausgepackt, dann habe ich mir einen Strumpf zum anstricken hergerichtet. Als Helga heim kam, haben wir Abendbrot gegessen. Helga hat mir vorhin abgewaschen, damit ich schreiben kann. Jetzt sitzt sie neben mir und liest. Sie ist ja auch solch eine Leseratte. Jörg hat wieder mal eine Leidenschaft für Häuser aus Modellierbogen. Für 2 Häuser hat er heute eine kleine Trillerpfeife verkitscht.
Am Nachmittag habe ich Jörg die Haare verschnitten. Wie immer, wollte er erst nicht recht ran. Aber meine Zumutung, dass er zum Friseur gehen soll, hat er ganz entschieden abgelehnt. Lieber lässt er´s von mir machen, wenn die Haare schon mal runter müssen. Aber es war auch wirklich Zeit, er hatte ja schon bald einen Bubikopf. Hinterher hat er sich wieder mächtig gefreut, dass er wieder ordentlich aussieht.
Von Erna erhielt ich heute einen Brief. Viel Wichtiges schreibt sie nicht. Am vergangenen Sonntag gegen Abend ist Siegfried unverhofft heimgekommen. Er hatte einen Verwundeten nach Hochweitschen bei Döbeln gebracht und hat dabei einen Tag Urlaub rausgeschunden. Sonst schreibt Erna, dass sie bei der Geburt nicht in eine  Klinik gehen will. Sie sei jetzt beim Kinderwäsche nähen, was ihr viel Freude bereitet. Nur sitzen könnte sie immer nicht lange. Zu Sylvester waren sie bei Kühns. Siegfried ist noch bis 12.2. in K., dann geht er wieder nach Eilenburg. Was dann kommt, wissen sie auch noch nicht. Einen Gruß soll ich Dir von Erna ausrichten.
Nun lass mich schließen. Zeitungen habe ich heute an Dich weggeschickt. Ich grüße und küsse Dich recht, recht herzlich und hoffe, dass Du immer gesund bist, Deine Annie.
P.S.: Eine Sondermarke ist von Straßburg heute angekommen.

Brief 499 vom 16.1.1943


Mein lieber, lieber Ernst!                                                                                   Konstanz, 16.1.43

Diese Woche wäre wieder zu Ende. Ganz so lustig, wie der Tag angefangen hat, ist er ja nicht gewesen, aber man kann trotzdem zufrieden sein. Am Morgen hatte ich Dir ja noch geschrieben, ehe ich in die Stadt gefahren bin. Ich habe allerhand besorgt und auch von einem Teil des Weihnachtsgeldes habe ich mir was gekauft, eine Kleiderschürze. Sie hat 10.85 Mk. gekostet und 30 Punkte. Jetzt bin ich mit meiner Kleiderkarte auch gleich am Ende angekommen. Diese Woche bekommen wir ja die neue Karte, aber da sind nicht mehr so viele Punkte drauf, vor allen Dingen muss man auch Punkte abgeben, wenn man Schuhe holt. Man braucht da einen Bezugsschein und Punkte. Die Schürze hat eine schöne, blaue Farbe, nicht so dunkel und ist fast wie ein Kleid gearbeitet. Sie gefällt mir sehr gut und wird mir im Sommer sicher gute Dienste leisten. Vom Weihnachtsgeld habe ich jetzt noch 44.15 Mk. daheim. Als ich heimfuhr, bekamen wir auch Voralarm. Die Kinder wollen in der Schweiz Fallschirme gesehen haben, aber vielleicht haben die eine Übung dort gehabt. Ich bin mit bei Herrn Kuster vorbeigefahren und habe gefragt, wie viel die Briefmarken kosten, die er mir am Sonntag besorgt hat. Es waren nur 90 Pfg. Da sind die Marken ja noch nicht, sie kommen ja von Straßburg, aber die werden so viel zu stempeln haben, dass das nicht so schnell geht. An der Omnibushaltestelle traf ich Resi, die Abzeichen verkaufte, Helga stand bei ihr. Sie verkauft so gern Abzeichen und fragte mich, ob sie noch ein Weilchen mitgehen darf. Ich hatte nichts dagegen. Resi sagte mir, dass Fritz jetzt auch im Osten sei. Seine anderen Kameraden, die länger Urlaub hatten, sind zurück gerufen worden, bei ihm hat man es unterlassen, weil er ja sowieso am 28. Wieder zurück sein musste.
Als ich heim kam, fand ich im Briefkasten Deinen lieben Brief vom 5.1. und eine Karte von der Expressgutstelle von gestern. Da aber hier draußen nur einmal ausgetragen wird, ist sie erst heute angekommen. Abzuholen war ein Päckchen von 3 Kg von einem Leibelt aus Brest-Litowsk. Ich dachte mir gleich, dass das ein Kamerad von Dir ist, dem Du das Päckchen mitgegeben hast. Was mich weniger freute war, dass er das Päckchen in Polen aufgegeben hatte und dass es nun durch den Zoll ging. Ich musste also gleich nochmals in die Stadt fahren. Auf der Expressgutstelle gab ich meine Karte hin. Das Fräulein sagte gleich zu einem Beamten: „Jetzt kommt jemand wegen dem Express-Zollgut“. Der hat mich erst mal angesehen und meinte: Bekommen Sie das Zollgut?“ Nachdem ich nochmals bejaht hatte musste ich 47 Pfg. für Lagerung und Benachrichtigung bezahlen, dann meinte er, ob wir Franzosen seien, der Name sei doch französisch. Als ich ihn auch darüber beruhigt hatte, sagte er, ich solle zum zweiten Bahnhof zur Zollabfertigung gehen. Mein Päckchen gab er einem Mann der Gepäckstelle mit. Auf der Zollabfertigung standen erst mal 3 Mann um das Päckchen herum und konnten sich nicht einig werden. Dann kamen 2 Mann in Zivil herein und schauten das Päckchen an. Ich dachte erst noch, was haben denn die damit zu schaffen, da fragte mich der eine: „Ist das Päckchen von ihrem Mann, ist er in Russland?“ Als ich bejahte, sagte er zu den Zöllnern: „Schauen Sie nach, wenn es Lebensmittel sind, werden sie nicht erst verzollt.“ Zu mir gewandt meinte er: „Wäre das Päckchen auf deutschem Boden aufgegeben worden, hätten Sie nicht die Scherereien gehabt, denn jeder Urlauber kann ja das zollfrei mitnehmen, was er tragen kann und dazu gehören selbstverständlich auch solche kleinen Päckchen.“ Ich habe dann ausgepackt, und als sie sahen, dass es Honig und Haut-Öl war, konnte ich abziehen. Der Leibelt ist ja schon eine putzige Nuss, hätte er das Päckchen nicht auch noch bis Deutschland mitschleppen können, wenn er´s schon bis Polen gebracht hat? Oder geht das nicht? Jedenfalls war ich froh, als ich die Sachen zuhause hatte. Ich habe den Honig dann im Wasserbad aufgelöst und ihn in Gläser getan. Es hat 3 Pfundgläser ganz voll bis zum Rand gegeben und außerdem noch die Hälfte eines ½ Pfund-Glases. Dir möchte ich recht sehr danken, Du bist ein ganz lieber Kerl, dass Du das wieder für uns besorgt hast. Geschleckt haben wir mal und wir sind uns einig, dass es prima schmeckt.
Heute Nachmittag ist Helga noch eine Weile mit Ingrid sammeln gegangen und dann haben sie bei Resi gespielt. Um 6 Uhr ist Helga wieder zuhause gewesen. Jörg hat den Nachmittag über wieder oben im Hausgang mit Richards Eisenbahn gespielt. Ich habe die Treppe geputzt, aufgeräumt und gebastelt. Weißt Du was? Das muss ich Dir genau erklären. Du kennst doch unseren Küchenschrank, da ist oben ein Fach, bzw. ein Brett drin. Nun stand alles so zusammengequetscht. Das passte mir schon lange nicht. Bei dem Küchenschrank von Mama hatte ich nun was Praktisches gesehen. Über dem Brett ist doch ziemlich viel Platz, so hoch sind doch die Kannen gar nicht. Da war nun bei Mama hinten noch ein schmales Brett angebracht, wo man Tassen und andere kleine Sachen draufstellen konnte. Das habe ich jetzt bei meinem Schrank auch gemacht. Es ist nur 10 cm breit, gegenüber dem unteren Brett von 25 cm Breite. So kann man die Sachen auch gut herunter nehmen, wenn es breiter wäre, bekäme man sie nicht aus dem Schrank, weil doch die Tür nicht ganz bis rauf geht. Es sieht sehr nett aus. Ich habe Bretter aus dem Keller genommen. Damit sie nicht so ruppig aussehen, habe ich sie mit Sandpapier abgeschliffen. Das hatte ich mal vor Weihnachten gelesen, wo von selbstgefertigten Holzsachen die Rede war. Es ist auch ganz schön glatt geworden. Angenagelt habe ich das Brett nicht, sondern ein richtiges Gestell gemacht. Ich zeichne es Dir am Schluss mal ein wenig auf.
Nun zu Deinem lieben Brief. Ja, Du musst schon entschuldigen, wenn auf dem einen Brief die Unterschrift fehlte. Mir ist es später auch noch aufgefallen, aber da war der Brief schon zu. Es war nicht böse gemeint.
Wenn Du nur das eine Paar Puppen gekauft hast, so ist das schon recht. Es langt auch so, denn die Kinder haben ja schon viele Puppen und der Preis ist ja auch wirklich hoch. Bei dem einen Paar reut es Dich ja nicht, wie Du schon schriebst, wenn sie Freude gemacht haben und das ist ja auch tatsächlich der Fall.
Du meinst, dass Du wohl manche Sachen in Frankreich hättest noch kaufen können. Das muss Dich jetzt nicht mehr reuen. Du hast Vieles gekauft, was mir schon viel geholfen hat und auch noch hilft. Denk nur an die Schuhe und die Kleidung. Und auch die anderen Sachen alle. An jede Kleinigkeit konntest Du auch nicht denken, man wusste ja nicht, dass man diese Sachen auch nicht mehr bekommt. Ich werde schon zusehen, dass ich sie besorgen kann. Das müssen ja nun so viele andere Leute auch. Wenn Du schreibst, dass mir durch Deine Anschaffungen sicher mancher Weg erspart worden ist und dass es fraglich sei, ob ich die Sachen überhaupt hier bekommen hätte, so kann ich Dir nur zustimmen. Denn sieh mal, die Blusen, die Strickjacke und das Kostüm hätte ich mir bestimmt nicht kaufen können, da hätten ja meine Punkte gar nicht zugelangt. Ein Kostüm kostet 52 Punkte, eine Bluse 15 Punkte, eine Strickweste 23 Punkte, ein Regenmantel 25 Punkte, 1 Wintermantel 75 Punkte, 1 Trägerschürze 12 Punkte, ein Vierecktuch 6 Punkte, 1 Nachthemd 22 Punkte, 100g Strickgarn 4 Punkte usw. Du weißt ja, was Du mir alles besorgt hast. Eine Karte hatte bisher 120 Punkte. Stell Dir mal vor, wie weit ich damit gekommen wär. Nein ernst, wir wollen zufrieden sein mit dem, was wir haben kaufen können. Nach den schweren Jahren, die wir vorher hatten, in denen wir uns fast gar nicht an Kleidern usw. kaufen konnten, wäre ich jetzt wohl ziemlich ärmlich dran.
Wegen der Laubsäge muss ich Dir sagen, dass ich bis jetzt immer vergessen hatte, zu fragen. Erst wenn Vater fort war habe ich immer daran gedacht. Heute habe ich nun aber gleich gefragt und er sagt, sie läge noch auf dem Schrank. Also werde ich sie mir bei Gelegenheit raufholen, wenn er sie nicht mitbringt. Ich werde schon mit Jörg einig werden, wem die Säge gehört. Damit arbeiten kann er ja schon, da habe ich nichts dagegen. Glaubst Du mir, wegen einer Laubsäge als Geschenk zum Muttertag wäre ich gar nicht böse. Die kann man doch immer mal brauchen. Dass Jörg auch rumbastelt ist doch keine Schande, nicht wahr? Da kann er sich jederzeit ein Bisschen helfen.
Stollen haben wir zu Weihnachten auch gehabt. O ja, so lange es geht, mache ich die auch. Wir hatten 2 Stück, soweit reichen die Rosinen. Da sich die Kinder aber als etwas ganz Besonderes noch einen Streuselkuchen wünschten, den man wegen der vielen Zutaten nicht oft machen kann, so habe ich ihnen wenigstens zu Weihnachten diese Freude machen wollen. Dir hätte ich gern auch welchen geschickt, aber er würde zu trocken. Das hätte doch wohl keinen Zweck.
An Papa habe ich heute für Grabschmuck 10 Mk. geschickt. Ich habe ihm geschrieben, er soll auf Mamas Grab einen schönen Tannenstrauß oder sowas legen. Da doch sicher Geld übrig bleiben würde, sollte er bitte auch auf das Grab Deiner Mutter und Deines Bruders einen Tannengruß legen. Ist es so recht?
Nun lass mich schließen. Vater will gleich noch den Brief mitnehmen. Wir haben heute ganz helle Mondnacht, da kann er gut sehen. Hoffentlich lockt das Wetter keine Flieger an.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 498 vom 15./16.1.1943


Mein lieber, guter Ernst!                                                                                    Konstanz, 15.1.43

Einen Brief habe ich heute nicht von Dir bekommen, dafür erhielt ich aber Dein liebes Päckchen Nr.53 mit Mehl. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Ich habe nun die Päckchen laufend bis Nr.53, denn in dem Päckchen mit Butter stand zwar Nr.51, aber es muss sicher 52 heißen, denn im Päckchen Nr. 51 waren doch die Puppen. Hab also für das Mehl recht herzlichen Dank, ich kann es ja sehr gut gebrauchen.
Meinen gestrigen Brief habe ich gleich heute um 6 Uhr wegeschafft. Ich schreibe das nur, damit Du, wenn Du evtl. auf dem Briefstempel nachsiehst, nicht denkst, ich wäre doch abends noch gegangen. Das habe ich ganz aufgegeben.
Ich war heute den ganzen Tag daheim und habe genäht. Ich habe Bettwäsche ausgebessert. Nach 11 Jahren geht eben doch auch manches kaputt. Bis jetzt habe ich 4 Kissen und einen Bettbezug fertig. Jetzt habe ich noch 2 Bettbezüge da, einen von Mama, den Papa mir geschickt hatte und einen von Vater. Dafür wollte er mir schon lange Stoff mitbringen, aber er vergisst es immer wieder. Die zweite Arbeitsjacke von Vater will ich mir morgen zum Ausbessern vornehmen. Die ist auch ziemlich kaputt.
Heute Nachmittag war Helga wieder beim Turnen. Jörg ist nicht mitgegangen. Er hatte alle möglichen Ausreden. Er sei müd, es sei ein so weiter Weg usw. er meinte auch, es lohne sich gar nicht, zwei Stunden rumzulaufen, um eine Stunde zu turnen. Am liebsten ginge er überhaupt nicht mehr. Leider muss ich ja sagen, dass ich es als Kind auch so gemacht habe. Ich bin mal eine Weile turnen gegangen, dann hatte ich wieder genug davon. Später bin ich wieder mal dem Turnverein beigetreten, aber lange habe ich es nie ausgehalten. Die richtige Lust habe ich erst später bekommen. Da muss ich Dir gerade auch schreiben dass ich leider gemerkt habe, dass Jörg auch noch einen anderen Fehler von mir hat und zwar einen, über den ich mich bei ihm am meisten ärgere, das träumen. Es ist mir jetzt schon ein paar Mal passiert, dass ich abends, wenn ich schon ausgezogen war und ins Bett gehen wollte, plötzlich stehen geblieben bin, weil mir gerade was eingefallen ist und das habe ich mir im Geist so vorgestellt, dass ich einfach das Weitergehen vergessen habe. Wenn ich es dann gemerkt habe, habe ich mich geärgert und auch gedacht, bei Jörg schimpfe ich und selber tue ich es. Ich erinnere mich jetzt auch, dass meine Lehrerin öfter zu mir gesagt hat „Marianne, was träumst Du denn wieder?“ Ich habe mir dann meist das, von dem vorher gesprochen wurde, so lebhaft vorgestellt, dass ich alles andere nicht mehr gehört habe.
Jetzt schreibe ich Dir mal noch unseren Speisezettel von dieser Woche. Ich weiß zwar nicht, ob Dich das überhaupt interessiert. Du kannst es mir ja schreiben, dann lasse ich es nächstes Mal weg. Am Montag hatten wir Erbsen, Kartoffeln und Soße (als Eintopf), am Dienstag Wirsing, am Mittwoch Spätzle-Suppe, Bratkartoffeln, am Donnerstag Kartoffelbrei mit Hackfleisch nd heute gab es Nudelsuppe und Eierkuchen.
Heute war es auf der Straße zum ersten Mal wieder trocken. Das ist direkt wieder einmal schön, wenn keine nassen Schuhe rumstehen und nasse Hosen und Handschuhe rumhängen. Wie lange wird das Wetter aber anhalten?

                                                                                                                        16.1.

Lieber Ernst! Eigentlich hatte ich gestern Abend fertig schreiben wollen, aber ich hab jetzt wieder einmal eine Zeit, wo ich abends gleich müde werde. Ich bin schon um 9 Uhr schlafen gegangen. Mir war es ganz schlecht vor Müdigkeit. Ich habe wieder schön ausschlafen können und heute früh bin ich sogar mit Lachen aufgewacht, denn ich hatte einen ganz lustigen Traum, natürlich verdreht, wie nun Träume einmal sind. „Ein Mann will Saurier schießen und schwimmt in ihre Nähe. Die Viecher merken das, schwimmen ihm nach, der in aller Eile ans Land gesaust, die Viecher ihm auf den 2 Hinterfüßen nach. Als er nicht mehr kann, lässt er sich einfach hinfallen, damit die Tiere an ihm vorbeisausen sollen. Da wischt ihm der Vorderste Saurier im Vorbeirennen eins mit der Vorderpfote ins Gesicht und ruft „Du Kamel“. Das waren Bilder zum kranklachen. Ich habe so lachen müssen, dass ich darüber aufgewacht bin. Als ich es den Kindern erzählte, haben die über den redenden Saurier auch lachen müssen. Dadurch war heute der ganze Morgen fröhlich.
Ich fahre nun in die Stadt. Jörg hat so lange gebettelt, bis ich ihn mitnehme zur Schule. Er ist gerade beim Schuhe putzen. Ich schließe jetzt, mein lieber Mann und grüße und küsse Dich ganz fest und herzlich, Deine Annie.

Brief 497 vom 14.1.1943


Mein liebster Ernst!                                                                                              Konstanz, 14.1.43

Ich will Dir noch vom heutigen Tag berichten. Am Morgen bin mit dem Rad in die Stadt gefahren. Es ging wieder, wenn auch nicht gerade gut, denn teilweise ist die Straße doch vereist. Aber da fuhr ich eben etwas vorsichtiger. Zuerst habe ich Zwirn geholt. Bei dieser Gelegenheit erhielt ich auf die Mangelkarte auch noch 15 Lot Wolle. Solange es noch welche gibt, nimmt man sie am besten gleich mit, sonst ist sie erst wieder ausverkauft. Ich war dann noch beim Metzger, beim Bäcker und auf der Post, wo ich das Päckchen an Dich weggeschickt habe. Ich hatte das ja eigentlich schon gestern tun wollen, aber ich überlegte mir dann, dass ja am Mittwochnachmittag alle Geschäfte geschlossen sind und nur wegen dem Päckchen in die Stadt gehen hatte eigentlich wenig Wert. Ich denke, dass Du mir das auch nicht übel nehmen wirst. Ich hätte heute doch nochmals fort gehen müssen und bei diesem Wetter ist es ja kein Vergnügen. So konnte ich auch gleich die Zeitung für Dich besorgen, d.h. erst einmal zwei, die dritte kommt erst am Samstag. Gestern Nachmittag habe ich da einmal alle Stopfsachen aufgearbeitet, sodass mal nichts mehr da liegt. Geputzt habe ich heute Morgen auch, denn bei dem Schneematsch sieht der Boden immer schauderhaft aus. Aber das lässt sich nicht ändern. Am Nachmittag war ich beim Nähen. Die Kinder haben hier gespielt und zwar oben im Gang, wo Jörg seine Eisenbahn aufgebaut hatte. Helga hat mit ihren Puppen gespielt. Ingrid war auch dabei. Sie wollte eigentlich mit uns baden gehen, da wir aber nicht gingen, ist sie eben zum Spielen dageblieben. Gegen ¾ 6 Uhr war ich wieder daheim. Da haben wir gleich Abendbrot gegessen. Nun liegen unsere beiden Lauser im Bett.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 4.1.Das Schreiben der Kinder vom 24.12. war eigentlich ziemlich schnell bei Dir. Ich glaube Dir gern, dass Du Dich darüber gefreut hast. Unsere beiden schreiben ja auch immer wie es ihnen ums Herz ist, da ist nichts gekünstelt. Wie Helga Dich überraschen wollte, wenn sie bei einem Fronttheater wäre, das hat mich auch gefreut, und Du kannst auch wirklich ihre Liebe zu Dir aus diesen Zeilen lesen. Sie hat immer davon gesprochen und sich ausgemalt, wie das wäre. Sie hängen ja auch Beide an Dir. Und entfremdet sind sie Dir auch nicht.
Da wurde gerade heute im Nähen davon gesprochen, wie doch manchen Kindern der Vater fremd wird. Bei einer Familie war das eine Kind 2 Jahre alt, als der Vater fort ging. Er war nun 2 Jahre nicht da und jetzt im Urlaub war es nötig, dass er dem Kind ein paar hinten drauf geben musste. Das war ganz beleidigt, ist zur Mutter gerannt und hat geschrien: „Mutter, der Soldat hat mich gehauen.“ Bei einer anderen Familie haben die Kinder gesagt: „Wann geht der Vater denn wieder, der haut doch bloß.“ In der Familie sind 5 Kinder und es ist klar, dass da bei der Mutter manches durchgelassen wird, was der Vater dann doch nicht billigen kann. Wenn es dann Wichse gibt, ist das den Kindern natürlich nicht recht.
Von Helga lege ich heute auch einen Brief bei. Sie hat ihn zwar gestern schon geschrieben, aber da war mein gestriger Brief schon weg.
Während ich hier schreibe, ist draußen ein richtiger Sturm. Das ist wirklich ein komisches Winterwetter dieses Jahr. Einmal ganz kalt, dann taut es wieder, einmal bedeckter Himmel, einmal klar. Wie die Kinder sagten, habe man heute Nachmittag wunderbar die Berge gesehen. Und heute Morgen hat es fest geregnet.
Nun lass mich wieder schließen. Ich bin heute so sehr müde und mir wollen gar keine rechten Gedanken kommen. Hoffentlich kommt Dir der Brief nicht so fad vor.
Sei recht, recht oft herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 496 vom 13.1.1943


Mein liebster Ernst!                                                                                              Konstanz, 13.1.43

Gestern bin ich leider nicht zum Schreiben gekommen. Ich war am Abend so müd, dass ich schon um 9 Uhr schlafen gegangen bin. Vorgestern hatte ich Dir ja einen langen Brief geschrieben, aber von meinem Kinobesuch hatte ich noch nichts berichtet. Ich war doch in dem Farbfilm „Die Goldene Stadt“. Es war sehr schön, bestimmt. Ich lege Dir davon einen Zeitungsausschnitt bei. Darin wird noch geschrieben, dass die Verführungsszene peinlich gewirkt habe. Mir ist es nicht so ergangen, denn meines Erachtens sollte diese Szene doch gerade zeigen, dass sich das Mädel nicht aus Leichtsinn weggeworfen hat, sondern dass dieser Prager Cousin ein gerissener Halunke war, der durch das Mädchen in den Besitz des Hofes kommen wollte. Als der Vater sie aber dann aufs Pflichtteil gesetzt hat, ließ er sie ohne Skrupel fallen. Ich wünschte, dass Du den Film einmal sehen könntest. Ich kann mich für die Farbfilme begeistern. Wie das Mädchen vor sich hin träumt und sich die goldene Stadt Prag vorstellt, das war herrlich gemacht. Die ganze Stadt mit ihren Türmen und dem Hradschin in einem goldenen Glanz, wie ein Märchen, wie eben Träume sein können.
Als ich aus dem Kino kam standen die Kinder schon da. Wir haben dann noch eingekauft und die Kinder haben ¼ Gebäck bekommen. Das hatte ich ihnen versprochen, wenn sie alles richtig gemacht hätten und brav waren.
Gestern Morgen habe ich noch etwas Gebäck gebacken. Einen Teil habe ich für uns behalten, den anderen habe ich in das Päckchen an Dich hinein getan. In diesem Päckchen, das ich nun heute wegschaffe, ist auch der Ständer für den Füllfederhalter drin. Die anderen Sachen von Papa habe ich wunschgemäß hier behalten, nur das Reclamheft habe ich noch bei gepackt. Am Nachmittag war ich nähen. Die Kinder hatten ihren Schlitten mitgenommen und haben die meiste Zeit ihre Freude am Fahren gehabt. Später sind sie dann eine Weile reingekommen und haben gemalt. Zeichenblocks hatten sie sich von zuhause mitgenommen. Nach ½ 6 sind wir heimgegangen. Wir haben dann bald gegessen, ich habe aufgeräumt und als die Kinder im Bett waren, habe ich mich auch fertig gemacht und bin schlafen gegangen.
Gestern hatte es wieder geschneit, sodass das Eis etwas bedeckt wurde. Da rutschte man nicht mehr so aus. Heute Morgen war wieder Matsch. Das ist ein dummes Wetter. Wie wir in der Wochenschau sahen, ist es im Osten aber auch so. Einmal musste in dem Graben Eis aufgehackt werden, am nächsten Tag war er zugeschneit, am übernächsten war alles getaut und die Soldaten standen beim Ausschöpfen bis an die Waden im Schneewasser.
Heute kam Helga heim und hatte mir „was ganz Wichtiges“ zu erzählen. Sie hatte heute eine Klassenkameradin abgeholt, die in den Kasernenhäusern wohnt. Da haben sie auch vom Matsch geredet und da meinte das Mädel, ihr Vater habe es auch geschrieben, dass es in Russland genau so sei, ihr Vater sei in Ch.  (Charkow)
Helga meinte, es habe ihr einen ganzen Riss gegeben, als das Mädel, Frick heißt sie, von dem Ort geredet habe.
Heute erhielt ich einen Brief von Papa. Sicher wirst Du auch den Durchschlag bekommen. Ich hatte doch bei Papa angefragt, warum er keinen Baum gemacht habe. Er schreibt nun, dass ihn der doch zu sehr an Mama erinnert haben würde und außerdem müsste er auch ein wenig Rücksicht auf seine jetzige Frau nehmen. Dann schreibt Papa, abends, wenn seine Frau im Bett wäre, und er noch in der Stube sitze und arbeite, würde er oft das Bild von Mama vom Brett herunter nehmen und sie anschauen. Er könne sie eben nicht vergessen „aber, wie gesagt, ich bin auch hierbei eben Lotte Rücksicht schuldig“ trotzdem sie ihm immer wieder sage, dass sie es ihm nicht übel nehmen würde, wenn er Mamas Andenken in Ehren halte. Dann beklagt er sich noch ein Bisschen, dass Siegfried im Urlaub nie zu ihnen in die Wohnung gekommen sei, er tue doch alles, um ihm eine Freude zu machen. Das glaube ich ihm gern, aber es ist eben auch wieder so, dass Siegfried sich bei ihm nicht zuhause fühlt und deshalb keine Lust hat, hinzukommen. Es ist doch auch wie bei fremden Leuten. Papa schreibt nun „und wie ich zur Liebe zu unserer Mama denke, mag Dir das beiliegende Gedichtchen zeigen.“ Ich schicke es Dir einmal mit.
Helga will Dir heute auch noch schreiben. Sie hatte gestern Abend schon angefangen, ist aber bald darüber eingeschlafen. Da habe ich sie ins Bett geschickt. Heute ist sie munterer dazu.
Nun lass mich schließen. Unsere Lauser kommen gleich heim, da wollen wir essen. Helga hatte schon um 10 Uhr Schulschluss. Sei wieder vielmals recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 495 vom 11.1.1943


Mein liebster, bester Ernst!                                                                                   Konstanz, 11.1.43

Ich muss heute bald dasselbe sagen, was Du in Deinen letzten Briefen aussprichst, ich komme bald mit dem Beantworten nicht mehr mit. Ich schrieb Dir ja schon, dass ich Deine lieben Briefe vom 21., 29., 30. und 31.12. erhalten habe. Außerdem einen Einschreibebrief, aufgegeben in Posen, mit verschiedenen Briefen usw. Die ersten 4 Briefe habe ich gelesen, die ganzen Sachen von dem Einschreibebrief hatte ich beiseitegelegt und wollte sie heute Abend durchsehen. Wie ich das nun mache, sehe ich, dass darin noch Dein lieber Brief vom 1.Januar ist. Das war aber eine Überraschung. Dass es mir zu viel war, den langen Brief zu lesen das kann ich nicht behaupten. Gefreut habe ich mich, riesig, mächtig gefreut. Ein paar Sachen hast Du zwar drin geschrieben, um derentwillen man Dich schon tüchtig an den Haaren hätte ziehen sollen. Du Bürschle, wenn die Briefe von mir nur aus Gewohnheit geschrieben sind, kann ich ja mal einen Weile damit aussetzen. Was meinst Du dazu? Und wenn Du schreibst, dass ich Dich sonst immer mit finsterer Miene anschaue und Du Dich freust, wenn ich schmunzle, wenn ich Dein Bild anschaue, so ist das erstere direkt mächtig frech. O bist Du ein schlimmer Kerl, Du wirst auch nicht mehr braver. Meinst Du nicht, dass ich da Recht habe?
Wie ich Dir heute schon schrieb, habe ich Dein Päckchen mit Butter erhalten. Ich habe sie gleich ausgelassen. Durch die Weihnachtsbäckerei hatte mein Vorrat etwas abgenommen, aber ich hatte wenigstens nicht von der laufenden Zuteilung abknapsen müssen. Ich muss immer wieder sagen, dank Deiner lieben Vorsorge. Wenn Du nun einem Kameraden das Öl mitgegeben hast,  damit er es hierher schickt, so freue ich mich wirklich sehr darüber.
Wenn Du beim Brief an Papa auch wirklich seine Frau nicht mit gegrüßt hast, so ist das doch nicht so schlimm. Aber Papa sieht darin immer gleich eine Beleidigung. Er kann es nicht begreifen, dass einem die Frau vollständig gleichgültig ist. Froh bin ich aber nur, dass ich ihr was zu Weihnachten mitgeschickt habe. Dadurch habe ich mir wieder Ärger erspart.
Wegen dem Weihnachtsgeld schrieb ich Dir schon einmal. Einen Teil des Geldes habe ich hier behalten. Sollte ich etwas Richtiges sehen, so werde ich es mir kaufen. Es muss aber etwas Richtiges sein, bloß aus Langeweile das Geld rauswerfen, das mache ich nicht. Für alle Fälle habe ich das Geld gleich da. Das ist schon was wert.
Die Sachen, die mein Vater für Dich mitgeschickt hat, behalte ich also hier. Höchstens das kleine Reclamheft werde ich Dir mitschicken, wenn ich den Ständer für den Füllfederhalter wegschicke. Weißt Du, gut gemeint hat Papa es schon, aber es gibt ja jetzt wirklich wenig zu kaufen. Von den Patentknöpfen sagte mir Kurt schon, dass Du sie gar nicht verwenden dürftest.
Den Ort, wo Kurt ist, habe ich mir hier auf unserer Karte von Kurt zeigen lassen. Darum konnte ich ihn Dir aufzeichnen. Wie Kurt sagte, ist es gerade ein vorgeschobener Posten, eine Ausbuchtung der Front.
Du schreibst von dem Todestag Deiner Mutter. Wir haben hier auch daran gedacht. Da will ich auch gerade nochmals auf den Stein für das Grab zu sprechen kommen. Ich sprach davon mit Vater. Er war nicht so ganz damit einverstanden. Er meinte, jetzt im Krieg ließe sich das doch schlecht machen, es wäre doch wenig Material und Leute da und außerdem würde man alles viel teurer bezahlen. Ich sagte ihm darauf, dass wir, bzw. Du auch deshalb nochmal mit an Papa schreiben willst, wie es zu machen geht.
Diesmal sind aber die Briefe bei Dir ganz unterschiedlich angekommen. Manche haben über einen Monat gebraucht. Ich bin ja gespannt, ob Dein Nikolausbrief doch noch eintrifft. Freuen würde es mich und die Kinder bestimmt, genau wie Dich.
Den Brief von Fritz Bautz habe ich gelesen. Er hat wirklich ganz nett geschrieben. Nicht so geschollen, wie er früher sprach. Du hast auch schön geantwortet.
Die anderen Briefdurchschläge von Dir habe ich auch gelesen. Nanni will Dir also auch was schicken. Vielleicht hat sie etwas erübrigen können, weil Kurt einen Teil seines Führerpaketes dort gelassen hat.
Ich habe bei den Zeilen der Frau von Papa auch den Eindruck, als ob sie sich uns anschließen wollte. Bis jetzt kann ich mir auch noch nicht recht vorstellen, wie das vor sich gehen sollte. Es kommt mir gar nicht richtig zum Bewusstsein, dass das eigentlich, wenn ich jünger wäre, meine Stiefmutter geworden wär. Das ist sie zwar jetzt auch, aber es hat keinen praktischen Wert. Denn ich lasse mir von ihr nichts mehr sagen. Für mich ist es eine fremde Frau, die Papa eben geheiratet hat. Ob sich das viel ändern wird, wenn ich sie einmal persönlich kennen gelernt habe, das weiß ich nicht.
Nach den verschiedenen Daten wegen der Familienkartei werde ich mich einmal in Leipzig erkundigen. Hoffentlich hast Du das Impfen wieder gut überstanden. Etwas Angenehmes ist es ja nicht. Wenn das Pfarramt Gramsdorf an mich schreibt, und Kosten entstehen, so bezahle ich die natürlich von hier aus, das ist doch klar. Das geht ja viel einfacher und schneller, und so viel Geld habe ich immer übrig.
Mit dem Schwimmen war es jetzt ja einige Male nichts. Erst wurde das Bad repariert, dann war Helga krank und diese Woche kann ich nicht. Aber nächste Woche, wen nichts dazwischen kommt, gehen wir wieder. Ich hatte den Kindern schon gesagt, sie sollten alleine gehen, aber ohne mich mögen sie nicht. Jörg wird sich seine Prämie schon noch verdienen, wenn es auch noch einen Weile dauert.
Den Artikel von der Hauptschule habe ich gelesen. Es ist ja wirklich noch so, dass das im Aufbau begriffen ist, und das hat für Helga ja wenig Wert. Eine Weile hat ja diese Sache noch Zeit, aber wahrscheinlich wird es doch bei unserem Entschluss, sie evtl. in die Luisenschule zu tun, bleiben. Sollte ich bezüglich der Schule noch irgendetwas hören, so schreibe ich Dir.
In Deinem Schreiben vom 1.1. redest Du davon, dass Du im Kriese Eurer Männer Karten gespielt hast. Seit wann kannst Du denn das? Das habe ich gar nicht gewusst. Gefreut hat es m ich sehr, dass Dir die Stolle geschmeckt hat, und dass sie dazu beitrug, eine weihnachtliche Stimmung zu erwecken. Das sollte ja auch so sein.
Von Dir sind ja wieder verschiedene Päckchen unterwegs. Hoffentlich kommen sie alle gut an. Wenn einige von Kameraden hier in Deutschland zur Post gegeben werden, sollte es eigentlich der Fall sein.
Den Bienenhonig werden wir nicht so essen. Dazu ist er doch zu kostbar. Den bekommt man doch gar nicht mehr so, wenn es nicht gerade einmal eine Sonderzuteilung für Kinder zu Weihnachten gibt. Bis zum nächsten Weihnachten ist ja aber noch viel Zeit und ob es da welchen gibt, ist auch noch die Frage. Jedenfalls danke ich Dir wieder recht sehr. Bei der gesandten Butter habe ich auch gedacht, ob die Dir nicht auch eine gute Ergänzung Deiner Ration gewesen wäre. Du hättest Dir doch Brote damit schmieren können, denn Brot hast Du doch noch genügend, wie Du schriebst. Nicht wahr, alles absparen sollst Du Dir nicht für uns.
An das Weihnachtsfest, an dem Jörg die Eisenbahn bekam, kann ich mich noch gut erinnern. Wir haben vor kurzem auch erst einmal davon gesprochen. Wir waren uns nicht ganz klar, welches Weihnachten es war, und die Kinder meinten, es sei 1939 gewesen, das letzte Zivilweihnachten von Dir daheim, denn beim nächsten Fest warst Du ja schon Soldat.
Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, den Kindern gerade im Advent und zu Weihnachten den Krieg wenig merken zu lassen. Ich glaube, dass mir das auch gelungen ist. Sie haben in nichts darben müssen, nicht in Geschenken, nicht im Essen und auch nicht in der Freude.
Zum Nähen will ich morgen wieder gehen. Ich will sehen, ob ich´s vielleicht zwei Mal in der Woche tun kann. Weißt Du, ich habe manchmal ein richtig schlechtes Gewissen. Wenn man in der Wochenschau so sieht, wie die Soldaten kämpfen müssen und unter welchen Bedingungen, in Kälte und Eis und Schnee oder auch in Sumpf und Nässe, so kommt es einem ganz unwahrscheinlich vor, dass man noch ein richtiges Zuhause und eine warme Stube sowie ausreichendes Essen hat. Man möchte doch ein klein wenig beitragen in dem großen Kampf und wenn es auch nur durch kleine Arbeiten ist. Heute sprach auch jemand im Radio, ich weiß nicht gleich, wer es war, jedenfalls ein General oder sowas. Der sagte, dass die Sowjets ungeheure Menschenmassen in den Kampf werfen und dass unsere Soldaten immer durchhalten, dass aber ihre Schultern gegenüber den größeren Massen doch zu schmal werden könnten, wenn alle Last auf ihnen liegt und dass es die Heimat wohl wird begreifen und begrüßen, wenn die verschiedenen Jahrgänge noch mehr als bisher zur Truppe eingezogen würden. Auch müsste sich die Heimat damit abfinden, dass eben nur noch Sachen hergestellt werden können, die unbedingt zum Leben notwendig sind. Wenn so geredet wird, da merkt man erst wieder richtig den tiefen Ernst des Krieges, den man sonst manchmal zuhause nicht so spürt, weil alles noch seinen Gang geht. Es rüttelt aber auch wieder einmal auf und das ist gut so. Ich habe wohl auch mein gerütteltes Maß Arbeit, aber vielleicht kann ich den Winter über doch ein Bisschen mehr zum Nähen gehen. Es wäre mir leichter, wenn ich wüsste, ich habe das getan, was in meinen Kräften stand. Nach dem Krieg möchte ich mich auch nicht schämen müssen.
Es freut mich, dass es Dir recht ist, wenn ich beim Anschauen Deines Bildes schmunzle. Über Deinen boshaften Beisatz habe ich Dir  ja schon im Anfang geschrieben. Ein Auslachen ist das schmunzeln bestimmt nicht, nur ein leises Freuen. Eine Seltenheit ist es schon, in dieser Situation photographiert zu werden.
Über den Nordhäuser hat sich Vater schon gefreut. So, wie früher, ziert er sich nicht mehr, ehe er etwas annimmt. Er isst auch mal ein Stück Kuchen oder sonst was mit. Weißt Du, wie ich mich früher manchmal gekränkt hatte, wenn er nichts anrührte?
Abzüge habe ich von den Bildern vom Urlaub noch nicht machen lassen, da der Film noch nicht voll ist. Jetzt, wenn ich wieder einen Film da habe, könnte ich ja mal wieder knipsen. Vorher wollte ich lieber einteilen.
Wegen des Fahrrades habe ich noch nichts unternommen, aber in nächster Zeit muss ich doch mal dran gehen. Es ist ja nicht gar so eilig.
Du bist schon ein schlimmer Vater, lachst über die Streiche, die unser Sohn vollführt. Mir geht es ja manchmal genauso. Wir sind ja noch nicht so alt, dass wir nicht wüssten, wie einem als Kind zumute ist. Aber die Wichse konnte ich ihm nicht ersparen, wenn er die Mahnungen gar so leicht nimmt und einfach drüber weg geht, muss sie ihm besser eingeprägt werden. Wenn man kaufen könnte, was man will, wäre die Sache nicht so schlimm. Aber so ist es ein dauernder Kampf. Eisen gibt es schon keine mehr, Nägel sind auch eine Seltenheit. Gummischoner, solche runden Dinger, kriegt man noch, aber keine Nägel dazu. Da muss man auch wieder danach herum rennen. Es ist klar, es ist Krieg, da kann nicht alles da sein. Das nimmt man in Kauf. Aber die Kinder müssen auch ein wenig Obacht geben.
Für Deine lieben Neujahrswünsche möchte ich Dir nochmals danken. Du hast Recht, wir dürfen nicht locker lassen und müssen uns immer wieder anstrengen. Wenn uns nur die Gesundheit erhalten bleibt, da wollen wir es schon schaffen. Ganz leicht umzuschmeißen sind wir ja nicht. Und ich brauche vor allem noch dazu, dass Du mich lieb behältst. Das ist mein großer Halt und mein Ansporn.
Die Briefe vom Rebstock und von der Ortsgruppe habe ich gelesen. Der Rebstock hat ganz nett geschrieben, aber der Brief von der Ortsgruppe ist ein großer Kohl. Die schreiben so einfach hin „Aber was heißt es schon, sein Leben zu geben für Deutschlands Größe.“ So einfach ist das nun auch nicht. Das Leben ist kein Fetzen, den man so einfach hinwirft. Jeder hängt ja wohl am Leben, auch der Soldat draußen. Das kann auch nur jemand schreiben, der zuhause im warmen Nest sitzt und sein Leben ziemlich in Sicherheit hat. Ich kann solche Phrasen nicht leiden.
Inzwischen ist es nun nachts ½ 1 Uhr geworden. Ich glaube, Du bist mit mir der Meinung, dass das Zeit zum Schlafengehen ist. Ich bin auch müd. Vielleicht schläfst Du jetzt schon. Jedenfalls wünsche ich Dir eine gute Nacht und ein gesundes Aufstehen und grüße und küsse Dich recht herzlich  Deine Annie.