Mein liebster Ernst! Konstanz,
30.7.42
Gestern bin ich nicht zum Schreiben gekommen. Erna an
Siegfried übrigens auch nicht. Wir hatten gestern eine solche Tour hinter uns,
dass wir zum Schreiben viel zu müde waren. Am Vormittag waren wir in der Stadt,
wo wir auf dem Wirtschaftsamt in der Zollernstrasse die Kohlenkarten holen
mussten. Wir haben dann Essen gekocht und sind um ¼ 3 Uhr mit dem Postomnibus
nach der Reichenau gefahren. Der Omnibus war so voll, dass man kaum wusste, wo
man hintreten sollte. Es fährt aber am ganzen Nachmittag nur einer. Am Anfang
der Reichenau war Passkontrolle und Erna war froh, dass sie auch ihre Kennkarte
hatte. In Mittelzell konnten wir endlich aussteigen, was direkt eine Erholung
war. Wir haben uns die Kirchen angesehen und sind bis Niederzell gelaufen und
dann immer am See entlang bis zum Löchnerhaus und noch weiter bis zum Anfang
der Insel. Am Ufer, wo wir auch schon mit dem Paddelboot waren, ganz in
Niederzell, wo wir auch schon unser Zelt aufgebaut hatten, haben die Kinder
gebadet. Wir hatten ja keine Badeanzüge mit, aber es ging auch so, vor allen
Dingen, weil keine Leute da waren. Wir sind mit den Füssen im Wasser gelaufen,
da wir leider beide nicht baden konnten. Aber am Samstag oder Sonntag wollen
wir das nachholen.
Als wir am Ausgang der Insel waren, war es bereits um 7 Uhr.
Der Omnibus, mit dem wir aber wahrsche4inlich sowieso nicht mitgekommen wäre,
fuhr aber bereits um 6 Uhr. Also sind wir z Fuß heim gelaufen.
Wir waren aber todmüde, als wir daheim waren, und die Füße
haben gebrannt. Die Kinder sind auf dem Heimweg barfuß gegangen, da ging es
besser. Heute haben wir uns aber nichts vorgenommen, sondern wollen uns
ausruhen. Es wird sonst zu viel und macht keine Freude. In den nächsten Tagen
gehen wir mal auf den Hohentwiel. Nächste Woche wird es aber werden, denn
morgen muss ich Geld und Kartoffelkartenholen, am Samstag aber die Rente für
Vater und die Miete bezahlen.
Nun will ich Dir noch Deinen Brief vom 15.7. beantworten,
den ich vorgestern erhielt, ebenso die Briefe vom 6., 7. Und 17.7., die ich
gestern bekam.
Über die Sache von Papa mache ich mir jetzt keine Sorgen
mehr. Er muss wissen, was er tut. Ein besonders überzeugendes Bild habe ich von
dem Fräulein nicht bekommen, aber das ist auch seine Sache. Ich heirate sie ja
nicht. Papa ist auch immer noch derselbe. Ganz gut, aber leicht aufbrausend. Er
kann schimpfen, will aber nichts einstecken. Na ja, du kennst ihn ja selber.
Dass ich meinen Humor nicht ganz verloren habe, da bin ich
froh. Man kann ihn manchmal brauchen, sogar manchmal ganz gut.
Siegfried hatte ja inzwischen geschrieben, dass er diesen
scharfen Brief an uns in Aufregung geschrieben hat, und das er inzwischen sich
alles nochmal reiflich überlegt hat und einsieht, dass es am besten ist, man
lässt alles seinen Lauf gehen.
Die Beschreibung deiner Dienstreise war mir wieder sehr
interessant. Man bekommt einen kleinen Einblick in die dortige Lebensweise.
Über die Tischsitten war ich erstaunt. Wenn die Kinder flegelhaft essen, kann
man also sagen, sie essen russisch. Es gibt doch komische Sitten auf der Welt.
Gegessen habt ihr nicht schlecht, aber vielleicht bekommt ihr es nicht gleich
wieder so gut. Empfangen seid ihr auch gut worden. Wie bist Du dir da
vorgekommen? Wie ein hohes Viech?
Die Rosen zu deinem Geburtstag waren aus unserem Garten. Ich
habe nicht gemeint, weil ich den Teller zerbrochen habe, bekam ich die
Belohnung. Sondern da Scherben Glück bringen musst du, da dein Geburtstag war,
im kommenden Jahr Glück haben. Das ist mir das Wichtigste.
Beim Esswaren einkaufen habe ich mir ja noch nicht so viel
Zeit verlaufen, wie andere Leute, weil wir den Garten haben. Aber wegen anderen
Sachen vergeht auch viel Zeit. Manche Geschäfte haben jetzt Montag, Mittwoch
und Donnerstag vormittags geschlossen, andere wieder Mittwochnachmittags.
Andere haben Betriebsferien. Das kann man sich natürlich nicht alles merken,
und so kommt es, dass man wegen Kleinigkeiten, die man aber braucht, 2 – 3 Mal
rennen muss, ohne dass man es aber deswegen schon erhalten haben muss, denn
manchmal ist es ausverkauft oder kommt erst in der folgenden Woche usw. Aber
das sind ja alles Sachen, die sich noch mit Humor ertragen lassen. Und sonst
haben wir ja nicht viel zu klagen. Denn zu essen haben wir ja noch, wenn es
auch manchmal knapp zugeht.
Mit dem Kartoffelkäfer war es ja so, dass er schon in
Kreuzlingen und auf der Reichenau war und wahrscheinlich irgendwie nach dem
Heidelmoos gekommen ist. Zum Suchdienst wurden ja gleich Schulklassen
eingesetzt, so dass die Verbreitung aufgehalten wurde. Bei uns habe ich bis
jetzt glücklicherweise noch keinen entdeckt.
Ist der Schnupfen und die Magenverstimmung ohne größere
Störungen vorüber gegangen? Hoffentlich hast Du nicht zu sehr darunter zu
leiden gehabt. Ich hoffe jedenfalls, dass du wieder ganz gesund bist.
Das Päckchen Nr.19 mit den Stumpen ist gestern auch
angekommen, während die anderen Nummern vorher noch unterwegs sind. Ich hebe
die Stumpen für den Geburtstag mit auf.
Es ist noch nicht ganz sicher, ob Siegfried abgelöst wird.
Im anderen Zug sind schon welche abgelöst und ältere Leute eingesetzt worden.
Diese haben aber die Sache, das ewige fahren und manchmal Tag und Nacht munter
sein, sowie verbinden usw. nicht vertragen und sind wieder durch jüngere Leute
ersetzt worden.
An uns schreibt ja Siegfried meist sehr wenig Inhaltsreiches. Aber es ist ja so, dass wir ihm auch
meist keine Sachen schreiben, die uns näher angehen. Erna hat mir von Siegfried
einige Briefe vorgelesen, die er an sie geschrieben hat, über die ich wirklich
gestaunt habe. Er hat wirklich gut und gar nicht so oberflächlich, wie es an
ihm manchmal scheinen mag, geschrieben. Erna sagt überhaupt, dass sich
Siegfried, seit sie verheiratet sind, sehr geändert habe. Manchmal hat sie
früher etwas Sorge gehabt, weil er manchmal so grob und so war, aber jetzt sei
er so gut und fürsorglich zu ihr. Das freut mich ja auch sehr.
Aus Donaueschingen erhielt ich heute ein Päckchen von Kurt.
Er schickt seine Aktenmappe mit einigen Bürsten sowie Filmen her. Er schreibt:
Liebe Annie und lieber Vater! Heute schicke ich einige
Sachen, die ich nicht mitnehmen kann. Wir sind ganz plötzlich zu einer
Marschkompanie versetzt worden. Gestern Abend sind wir hier angekommen und
heute geht es wahrscheinlich schon weg. Den Brief von ernst habe ich gestern
erhalten. Mein Urlaub nach Konstanz war schon genehmigt, morgen wäre ich
wahrscheinlich gekommen. Nach meinem Urlaub wäre ich zum Afrika-Korps versetzt
worden. Nun ist die Anforderung von der alten Kompanie gekommen, da kann man
eben nichts machen. Vorgestern war ich nochmal bei Fricks. Meine neue Anschrift
schicke ich noch, sobald es geht. Für heute grüßt Euch und die Kinder gez. Kurt
Hat Kurt nicht ein Pech? Kurz vorm Urlaub muss er wieder
abrücken und wenn er nach Afrika gekommen wäre, hätte er´s vielleicht auch besser
gehabt, wie in Russland. Na ja, man kann eben wirklich nichts machen.
Zeitungen schicke ich heute auch wieder an dich ab. Jetzt
wirst du sie ja sicher noch länger nicht bekommen, als bisher. Aber diese
Sachen kann man ja immer noch lesen.
Nun lass mich für heute wieder schließen. Bleib gesund uns
lass es dir soweit gut gehen. Hoffentlich hast du die Übersiedlung nach der
neuen Unterkunft auch gut hinter dich gebracht.
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