Sonntag, 30. Juli 2017

Brief 389 vom 30.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                      Konstanz, 30.7.42

Gestern bin ich nicht zum Schreiben gekommen. Erna an Siegfried übrigens auch nicht. Wir hatten gestern eine solche Tour hinter uns, dass wir zum Schreiben viel zu müde waren. Am Vormittag waren wir in der Stadt, wo wir auf dem Wirtschaftsamt in der Zollernstrasse die Kohlenkarten holen mussten. Wir haben dann Essen gekocht und sind um ¼ 3 Uhr mit dem Postomnibus nach der Reichenau gefahren. Der Omnibus war so voll, dass man kaum wusste, wo man hintreten sollte. Es fährt aber am ganzen Nachmittag nur einer. Am Anfang der Reichenau war Passkontrolle und Erna war froh, dass sie auch ihre Kennkarte hatte. In Mittelzell konnten wir endlich aussteigen, was direkt eine Erholung war. Wir haben uns die Kirchen angesehen und sind bis Niederzell gelaufen und dann immer am See entlang bis zum Löchnerhaus und noch weiter bis zum Anfang der Insel. Am Ufer, wo wir auch schon mit dem Paddelboot waren, ganz in Niederzell, wo wir auch schon unser Zelt aufgebaut hatten, haben die Kinder gebadet. Wir hatten ja keine Badeanzüge mit, aber es ging auch so, vor allen Dingen, weil keine Leute da waren. Wir sind mit den Füssen im Wasser gelaufen, da wir leider beide nicht baden konnten. Aber am Samstag oder Sonntag wollen wir das nachholen.
Als wir am Ausgang der Insel waren, war es bereits um 7 Uhr. Der Omnibus, mit dem wir aber wahrsche4inlich sowieso nicht mitgekommen wäre, fuhr aber bereits um 6 Uhr. Also sind wir z Fuß heim gelaufen.
Wir waren aber todmüde, als wir daheim waren, und die Füße haben gebrannt. Die Kinder sind auf dem Heimweg barfuß gegangen, da ging es besser. Heute haben wir uns aber nichts vorgenommen, sondern wollen uns ausruhen. Es wird sonst zu viel und macht keine Freude. In den nächsten Tagen gehen wir mal auf den Hohentwiel. Nächste Woche wird es aber werden, denn morgen muss ich Geld und Kartoffelkartenholen, am Samstag aber die Rente für Vater und die Miete bezahlen.
Nun will ich Dir noch Deinen Brief vom 15.7. beantworten, den ich vorgestern erhielt, ebenso die Briefe vom 6., 7. Und 17.7., die ich gestern bekam.
Über die Sache von Papa mache ich mir jetzt keine Sorgen mehr. Er muss wissen, was er tut. Ein besonders überzeugendes Bild habe ich von dem Fräulein nicht bekommen, aber das ist auch seine Sache. Ich heirate sie ja nicht. Papa ist auch immer noch derselbe. Ganz gut, aber leicht aufbrausend. Er kann schimpfen, will aber nichts einstecken. Na ja, du kennst ihn ja selber.
Dass ich meinen Humor nicht ganz verloren habe, da bin ich froh. Man kann ihn manchmal brauchen, sogar manchmal ganz gut.
Siegfried hatte ja inzwischen geschrieben, dass er diesen scharfen Brief an uns in Aufregung geschrieben hat, und das er inzwischen sich alles nochmal reiflich überlegt hat und einsieht, dass es am besten ist, man lässt alles seinen Lauf gehen.
Die Beschreibung deiner Dienstreise war mir wieder sehr interessant. Man bekommt einen kleinen Einblick in die dortige Lebensweise. Über die Tischsitten war ich erstaunt. Wenn die Kinder flegelhaft essen, kann man also sagen, sie essen russisch. Es gibt doch komische Sitten auf der Welt. Gegessen habt ihr nicht schlecht, aber vielleicht bekommt ihr es nicht gleich wieder so gut. Empfangen seid ihr auch gut worden. Wie bist Du dir da vorgekommen? Wie ein hohes Viech?
Die Rosen zu deinem Geburtstag waren aus unserem Garten. Ich habe nicht gemeint, weil ich den Teller zerbrochen habe, bekam ich die Belohnung. Sondern da Scherben Glück bringen musst du, da dein Geburtstag war, im kommenden Jahr Glück haben. Das ist mir das Wichtigste.
Beim Esswaren einkaufen habe ich mir ja noch nicht so viel Zeit verlaufen, wie andere Leute, weil wir den Garten haben. Aber wegen anderen Sachen vergeht auch viel Zeit. Manche Geschäfte haben jetzt Montag, Mittwoch und Donnerstag vormittags geschlossen, andere wieder Mittwochnachmittags. Andere haben Betriebsferien. Das kann man sich natürlich nicht alles merken, und so kommt es, dass man wegen Kleinigkeiten, die man aber braucht, 2 – 3 Mal rennen muss, ohne dass man es aber deswegen schon erhalten haben muss, denn manchmal ist es ausverkauft oder kommt erst in der folgenden Woche usw. Aber das sind ja alles Sachen, die sich noch mit Humor ertragen lassen. Und sonst haben wir ja nicht viel zu klagen. Denn zu essen haben wir ja noch, wenn es auch manchmal knapp zugeht.
Mit dem Kartoffelkäfer war es ja so, dass er schon in Kreuzlingen und auf der Reichenau war und wahrscheinlich irgendwie nach dem Heidelmoos gekommen ist. Zum Suchdienst wurden ja gleich Schulklassen eingesetzt, so dass die Verbreitung aufgehalten wurde. Bei uns habe ich bis jetzt glücklicherweise noch keinen entdeckt.
Ist der Schnupfen und die Magenverstimmung ohne größere Störungen vorüber gegangen? Hoffentlich hast Du nicht zu sehr darunter zu leiden gehabt. Ich hoffe jedenfalls, dass du wieder ganz gesund bist.
Das Päckchen Nr.19 mit den Stumpen ist gestern auch angekommen, während die anderen Nummern vorher noch unterwegs sind. Ich hebe die Stumpen für den Geburtstag mit auf.
Es ist noch nicht ganz sicher, ob Siegfried abgelöst wird. Im anderen Zug sind schon welche abgelöst und ältere Leute eingesetzt worden. Diese haben aber die Sache, das ewige fahren und manchmal Tag und Nacht munter sein, sowie verbinden usw. nicht vertragen und sind wieder durch jüngere Leute ersetzt worden.
An uns schreibt ja Siegfried meist  sehr wenig Inhaltsreiches. Aber es ist ja so, dass wir ihm auch meist keine Sachen schreiben, die uns näher angehen. Erna hat mir von Siegfried einige Briefe vorgelesen, die er an sie geschrieben hat, über die ich wirklich gestaunt habe. Er hat wirklich gut und gar nicht so oberflächlich, wie es an ihm manchmal scheinen mag, geschrieben. Erna sagt überhaupt, dass sich Siegfried, seit sie verheiratet sind, sehr geändert habe. Manchmal hat sie früher etwas Sorge gehabt, weil er manchmal so grob und so war, aber jetzt sei er so gut und fürsorglich zu ihr. Das freut mich ja auch sehr.
Aus Donaueschingen erhielt ich heute ein Päckchen von Kurt. Er schickt seine Aktenmappe mit einigen Bürsten sowie Filmen her. Er schreibt:
Liebe Annie und lieber Vater! Heute schicke ich einige Sachen, die ich nicht mitnehmen kann. Wir sind ganz plötzlich zu einer Marschkompanie versetzt worden. Gestern Abend sind wir hier angekommen und heute geht es wahrscheinlich schon weg. Den Brief von ernst habe ich gestern erhalten. Mein Urlaub nach Konstanz war schon genehmigt, morgen wäre ich wahrscheinlich gekommen. Nach meinem Urlaub wäre ich zum Afrika-Korps versetzt worden. Nun ist die Anforderung von der alten Kompanie gekommen, da kann man eben nichts machen. Vorgestern war ich nochmal bei Fricks. Meine neue Anschrift schicke ich noch, sobald es geht. Für heute grüßt Euch und die Kinder gez. Kurt
Hat Kurt nicht ein Pech? Kurz vorm Urlaub muss er wieder abrücken und wenn er nach Afrika gekommen wäre, hätte er´s vielleicht auch besser gehabt, wie in Russland. Na ja, man kann eben wirklich nichts machen.
Zeitungen schicke ich heute auch wieder an dich ab. Jetzt wirst du sie ja sicher noch länger nicht bekommen, als bisher. Aber diese Sachen kann man ja immer noch lesen.
Nun lass mich für heute wieder schließen. Bleib gesund uns lass es dir soweit gut gehen. Hoffentlich hast du die Übersiedlung nach der neuen Unterkunft auch gut hinter dich gebracht.
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

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