Mein liebster, bester Ernst! Konstanz,
20.7.42
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 8.7., in dem Du
mir den Schluss deiner Reise erzählst. Den vorhergehenden Brief habe ich noch
nicht bekommen, aber ich denke, dass er auch nicht mehr so lange auf sich
warten lassen wird. Sehr bedauert habe ich es, zu hören, dass dein Chef
versetzt wird, mit dem du dich so gut verstanden hast. Es soll einem eben nie
zu gut gehen. Du wirst ja sehen, ob es sich machen lässt, dass er dich anfordern
kann. Ich wünsche dir jedenfalls das Beste. Das weißt du ja auch. Mühelos war
ja der Schluss der Reise nicht, wenn ihr dauernd mit dem Wagen von der Straße
gerutscht seid und ihn immer wieder aus dem Dreck ziehen musstet. Das sind
russische Verhältnisse.
Die Geburtstagsfeier wurde durch die Versetzungsgeschichte
auch noch gestört. Aber sonst hast Du den Abend wohl ganz angenehm verbracht.
Es freut mich sehr, dass wir dir mit den Bildern und den Päckchen eine kleine
Freude bereitet haben. Es ist ja sowieso nicht viel, was man dir schicken kann.
Das Päckchen Nr.11 mit Brot ist heute gut angekommen. Nur
kleine Stellen waren schimmlig. Das Brot hilft uns immer wieder mit und wir
danken dir sehr dafür. Es hat auch einen sehr guten Geschmack.
Von Papa erhielten wir heute ein Paket mit Zeitungen,
Romanen und einer schönen bunten Kette und einem Holzarmband für Helga, beides,
wie Papa schreibt, Schwarzwälder Arbeit. Helga hat sich sehr gefreut und hat
Papa vorhin einen Brief geschrieben. Ich hab ihm auch geschrieben und zwar hab
ich von der ganzen strittigen Angelegenheit gar nichts erwähnt. Ich werde ja
sehen, ob Papa damit zufrieden ist. Ich wäre sehr froh, wenn ein bißchen Ruhe
eintreten würde. Ich habe schon manchmal gedacht, hätte Papa mit dem Fräulein doch
etwas gewartet und hätte nach einem Jahr die ganze Bekanntschaft begonnen, ich
glaube, alles wäre nicht so schlimm geworden. Denn man hatte ja immer schon
damit gerechnet, dass er vielleicht wieder heiratet. Aber dass er schon so kurz
nach Mamas Tod ein Verhältnis begonnen hat, das kann man ihm doch schwer
verzeihen. Aber es hat ja jetzt alles keinen Zweck mehr und wir wollen sehen,
dass wir soweit mit ihm in Frieden auskommen. Wir werden ja sehen, ob es geht.
Durch Erna werde ich ja auch bald erfahren, was eigentlich daheim alles so
gelaufen ist.
Heute haben wir richtigen Landregen. Und kühl ist es
geworden. Da ist es am schönsten zuhause. Helga geht heute für mich einkaufen.
Ich hab seit gestern etwas Halsweh und 2 kleine Eiterblüten am Gaumen, die mir
beim Schlucken weh tun. Darum möchte ich mal heute nicht raus gehen und mal
lieber richtig gurgeln. Helga freut sich ja, wenn sie mit dem Omnibus fahren
kann. Mit der Gartenarbeit ist es wegen dem Regen ja nun nichts geworden, aber
dafür machen wir es uns zuhause gemütlich. Das ist auch mal fein. Da kann man
mal wieder richtig kramen in Schubladen usw. und kann kleine Sachen erledigen,
die immer liegen geblieben sind. Du siehst also, auch so ein Regentag hat etwas
Gutes.
Gerade hat mich Jörg wieder dazu angestellt, dass ich ihm
ein Haus male. Heute Morgen und auch gestern Nachmittag habe ich es schon tun
müssen. Du siehst also, an Langeweile gehe ich nicht zugrunde. Ich finde ja
meine Malerei nicht besonders schön, aber den Kindern gefällt´s , und das ist
in diesem Fall ja die Hauptsache.
Für das Bett von Jörg hatte ich doch immer eine kleine
Steppdecke. Der Bezug war ja nicht mehr gut und ich habe sie immer weiß
überzogen. Diese Decke ist nun für das Bett, oder eigentlich für Jörg, zu klein
geworden. Da hatte ich nun von Mama noch einen roten Stoff da, so eine Art
Fahnentuch. Damit habe ich Decke nun überzogen und abgesteppt. Den restlichen
Stoff habe ich nun als abziehbaren Überzug drüber getan. Nun könne die Kinder
die Decke zum Spielen verwenden, was sie auch gerne tun, denn sie ist schön
warm und weich. Sie können auch gut drauf turnen. So erfüllt sie doch noch
einen Zweck und wenn ich sie doch mal für´s Bett an die Füße verwenden will,
brauche ich sie ja nur weiß beziehen.
Heute hat Papa ein Illustriertes Jahrbuch aus dem Jahr 1877
mitgeschickt. Wo doch diese Sachen noch her kommen? Es stehen aber nette Sachen
drin und Helga ist gerade beim Lesen. Ich habe ja für solch alte Bücher immer
eine kleine Schwäche und mag sie gar nicht wegwerfen. So habe ich ja auch noch
den alten Kalender von 1852, den ich mal von Mama bekommen habe.
Ich weiß nicht, ob ich dir schon geschrieben habe, dass ich
von Siegfried eine Karte aus Traunkirchen bei Gmunden und aus Linz erhalten
habe. Sie haben zum ersten Mal in der Ostmark ausgeladen. Heute bekam ich eine
Karte aus Magdeburg, wo Erna Siegfried einen Tag besucht hat.
Helga hat folgenden Brief an Papa geschrieben:
Lieber Papa! Heute
erhielten wir Dein Paket. Als Mutterle auspackte, freute ich mich schon auf die
Zeitungen, weil ich immer gern die Blödsinne hinten auf den Zeitungen lese.
Aber diesmal packte Mutterle nicht nur die Zeitungen aus, nein, sie packte eine
schöne Kette und ein schönes Armband aus. Da habe ich mich gefreut. Mutterle
hat mir erst gar nichts gesagt, sie wollte mich überraschen. Die Sachen sind
auch sehr schön, Mutterle gefällt das Armband besonders gut. Also lieber Papa,
ich danke dir sehr. Ich hätte bald vergessen, dass ich dir für die Zeitungen
danke, also ich danke dir für die Zeitungen.
Ich freue mich schon
auf nächsten Sonntag, den 26.Juli, da kommt Tante Erna auf Besuch, da freu ich
mich schon so sehr. Heute Abend, wenn der Omnibus wieder fährt, fahre ich
gleich hinein und schaffe den Brief zur Post. Nicht nur wegen dem Brief fahre
ich hinein, auch weil ich noch für Mutterle einkaufen muss. Viele Grüße und
Küsse von Deiner Helga. Viele Grüße und Küsse von Deinem Jörg.
Jetzt hab ich mir fast noch den ganzen Brief zerrissen, ich
bin in der Maschine hängen geblieben. Schön sieht der Brief ja nun nicht gerade
aus, aber du musst bitte darüber hinweg sehen.
Ich grüße und küsse Dich nun wieder recht herzlich und
hoffe, dass Du gesund bist und dass es dir soweit gut geht. Bald werde ich ja
sicher von dir hören, wo du bist. Nochmals viele Küsse von Deiner Annie.
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