Dienstag, 25. Juli 2017

Brief 382 vom 20.7.1942


Mein liebster, bester Ernst!                                                               Konstanz, 20.7.42

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 8.7., in dem Du mir den Schluss deiner Reise erzählst. Den vorhergehenden Brief habe ich noch nicht bekommen, aber ich denke, dass er auch nicht mehr so lange auf sich warten lassen wird. Sehr bedauert habe ich es, zu hören, dass dein Chef versetzt wird, mit dem du dich so gut verstanden hast. Es soll einem eben nie zu gut gehen. Du wirst ja sehen, ob es sich machen lässt, dass er dich anfordern kann. Ich wünsche dir jedenfalls das Beste. Das weißt du ja auch. Mühelos war ja der Schluss der Reise nicht, wenn ihr dauernd mit dem Wagen von der Straße gerutscht seid und ihn immer wieder aus dem Dreck ziehen musstet. Das sind russische Verhältnisse.
Die Geburtstagsfeier wurde durch die Versetzungsgeschichte auch noch gestört. Aber sonst hast Du den Abend wohl ganz angenehm verbracht. Es freut mich sehr, dass wir dir mit den Bildern und den Päckchen eine kleine Freude bereitet haben. Es ist ja sowieso nicht viel, was man dir schicken kann.
Das Päckchen Nr.11 mit Brot ist heute gut angekommen. Nur kleine Stellen waren schimmlig. Das Brot hilft uns immer wieder mit und wir danken dir sehr dafür. Es hat auch einen sehr guten Geschmack.
Von Papa erhielten wir heute ein Paket mit Zeitungen, Romanen und einer schönen bunten Kette und einem Holzarmband für Helga, beides, wie Papa schreibt, Schwarzwälder Arbeit. Helga hat sich sehr gefreut und hat Papa vorhin einen Brief geschrieben. Ich hab ihm auch geschrieben und zwar hab ich von der ganzen strittigen Angelegenheit gar nichts erwähnt. Ich werde ja sehen, ob Papa damit zufrieden ist. Ich wäre sehr froh, wenn ein bißchen Ruhe eintreten würde. Ich habe schon manchmal gedacht, hätte Papa mit dem Fräulein doch etwas gewartet und hätte nach einem Jahr die ganze Bekanntschaft begonnen, ich glaube, alles wäre nicht so schlimm geworden. Denn man hatte ja immer schon damit gerechnet, dass er vielleicht wieder heiratet. Aber dass er schon so kurz nach Mamas Tod ein Verhältnis begonnen hat, das kann man ihm doch schwer verzeihen. Aber es hat ja jetzt alles keinen Zweck mehr und wir wollen sehen, dass wir soweit mit ihm in Frieden auskommen. Wir werden ja sehen, ob es geht. Durch Erna werde ich ja auch bald erfahren, was eigentlich daheim alles so gelaufen ist.
Heute haben wir richtigen Landregen. Und kühl ist es geworden. Da ist es am schönsten zuhause. Helga geht heute für mich einkaufen. Ich hab seit gestern etwas Halsweh und 2 kleine Eiterblüten am Gaumen, die mir beim Schlucken weh tun. Darum möchte ich mal heute nicht raus gehen und mal lieber richtig gurgeln. Helga freut sich ja, wenn sie mit dem Omnibus fahren kann. Mit der Gartenarbeit ist es wegen dem Regen ja nun nichts geworden, aber dafür machen wir es uns zuhause gemütlich. Das ist auch mal fein. Da kann man mal wieder richtig kramen in Schubladen usw. und kann kleine Sachen erledigen, die immer liegen geblieben sind. Du siehst also, auch so ein Regentag hat etwas Gutes.
Gerade hat mich Jörg wieder dazu angestellt, dass ich ihm ein Haus male. Heute Morgen und auch gestern Nachmittag habe ich es schon tun müssen. Du siehst also, an Langeweile gehe ich nicht zugrunde. Ich finde ja meine Malerei nicht besonders schön, aber den Kindern gefällt´s , und das ist in diesem Fall ja die Hauptsache.
Für das Bett von Jörg hatte ich doch immer eine kleine Steppdecke. Der Bezug war ja nicht mehr gut und ich habe sie immer weiß überzogen. Diese Decke ist nun für das Bett, oder eigentlich für Jörg, zu klein geworden. Da hatte ich nun von Mama noch einen roten Stoff da, so eine Art Fahnentuch. Damit habe ich Decke nun überzogen und abgesteppt. Den restlichen Stoff habe ich nun als abziehbaren Überzug drüber getan. Nun könne die Kinder die Decke zum Spielen verwenden, was sie auch gerne tun, denn sie ist schön warm und weich. Sie können auch gut drauf turnen. So erfüllt sie doch noch einen Zweck und wenn ich sie doch mal für´s Bett an die Füße verwenden will, brauche ich sie ja nur weiß beziehen.
Heute hat Papa ein Illustriertes Jahrbuch aus dem Jahr 1877 mitgeschickt. Wo doch diese Sachen noch her kommen? Es stehen aber nette Sachen drin und Helga ist gerade beim Lesen. Ich habe ja für solch alte Bücher immer eine kleine Schwäche und mag sie gar nicht wegwerfen. So habe ich ja auch noch den alten Kalender von 1852, den ich mal von Mama bekommen habe.
Ich weiß nicht, ob ich dir schon geschrieben habe, dass ich von Siegfried eine Karte aus Traunkirchen bei Gmunden und aus Linz erhalten habe. Sie haben zum ersten Mal in der Ostmark ausgeladen. Heute bekam ich eine Karte aus Magdeburg, wo Erna Siegfried einen Tag besucht hat.
Helga hat folgenden Brief an Papa geschrieben:
Lieber Papa! Heute erhielten wir Dein Paket. Als Mutterle auspackte, freute ich mich schon auf die Zeitungen, weil ich immer gern die Blödsinne hinten auf den Zeitungen lese. Aber diesmal packte Mutterle nicht nur die Zeitungen aus, nein, sie packte eine schöne Kette und ein schönes Armband aus. Da habe ich mich gefreut. Mutterle hat mir erst gar nichts gesagt, sie wollte mich überraschen. Die Sachen sind auch sehr schön, Mutterle gefällt das Armband besonders gut. Also lieber Papa, ich danke dir sehr. Ich hätte bald vergessen, dass ich dir für die Zeitungen danke, also ich danke dir für die Zeitungen.
Ich freue mich schon auf nächsten Sonntag, den 26.Juli, da kommt Tante Erna auf Besuch, da freu ich mich schon so sehr. Heute Abend, wenn der Omnibus wieder fährt, fahre ich gleich hinein und schaffe den Brief zur Post. Nicht nur wegen dem Brief fahre ich hinein, auch weil ich noch für Mutterle einkaufen muss. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. Viele Grüße und Küsse von Deinem Jörg.
Jetzt hab ich mir fast noch den ganzen Brief zerrissen, ich bin in der Maschine hängen geblieben. Schön sieht der Brief ja nun nicht gerade aus, aber du musst bitte darüber hinweg sehen.
Ich grüße und küsse Dich nun wieder recht herzlich und hoffe, dass Du gesund bist und dass es dir soweit gut geht. Bald werde ich ja sicher von dir hören, wo du bist. Nochmals viele Küsse von Deiner Annie.


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