Mein liebster bester Ernst! Konstanz,
25.06.42
So, nun kommt der Brief an Dich an die Reihe. Das
Unangenehme habe ich mir gerade vorhin von der Seele geschrieben, den Brief an
Papa. Eigentlich wollte ich ja brav und zahm antworten, ohne irgendwo
anzuecken. Aber es ging nicht, nein, es ging einfach nicht mehr. Es ist ja
schließlich kein Vergnügen, mit einem Felsblock auf der Seele herumzulaufen,
das siehst Du doch sicher ein. Also hau-ruck und runter damit. Den Erfolg
siehst Du auf beiliegendem Durchschlag. Es hat mich schwer geärgert, diese
„alle Schuld auf Erna abschieben“. Das ist ja sooo einfach. Man selbst und die
liebe Lotte sind Engel, die kopfschüttelnd auf die böse Welt heruntersehen. Wie
kann man auch so grausam sein und das liebe Lottekind nicht in die Arme
schließen, wo doch Papa gleich so bezaubert von Dir war, als er dich seinerzeit
kennen lernte. Erinnerst Du Dich nicht mehr? Wie kann man auch so ein
schlechtes Gedächtnis haben? Nicht zu glauben. Und da Papa uns eine so piekfeine
Ausstattung gegeben hat, kann er ja jetzt auch mit vollem Recht verlangen, dass
Erna wenigstens 2 Betten mitbringt. Das ist doch schließlich das wenigste. Und
da ist er doch noch so gutmütig und will ihnen das zur Verfügung stellen, und
auch noch einen Tisch. Na, hoffentlich ist Siegfried genügend dankbar und
greift mit beiden Händen zu. Gegen spätere Vorwürfe ist gleich ein dickes Fell
mitzubringen. Nein wirklich, es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Und welch schreckliche Lügen und Verleumdungen Erna verbreitet hat (siehe
beiliegenden Brief von Papa). Es ist einfach furchtbar. Dabei kann ich mir Papa
so gut vorstellen, wie er wütend abends nachhause kommt. Auf der Treppe stehen
Leute aus dem Haus, die ganz verwundert sind (?) dass Erna schon wieder fort
ist. Und dann sagt er diesen berühmten Satz von Maggiwürfeln ohne Butter und
Fett und die bösen Leute (oder vielmehr ja Erna soll es gewesen sein) machen
Maggisuppen draus. Da ist ja ein großer Unterschied, nicht wahr? Na, lassen wir
das, ich hab den ganzen Brief satt bis zum Hals.
Heute bekam ich deine beiden lieben Briefe vom 12 und 13.6.
Es freut mich, dass du mir jetzt mal deine Tageseinteilung geschrieben hast. Da
kann ich immer daran denken. – Ich sehe morgen nochmal nach, ob in anderen Schreiben,
die vor Deiner Anstellung als Beamter geschrieben wurden, noch andere
Bestimmungen erwähnt wurden und gebe dir dann Bescheid.
„Das Reich“ habe ich heute wieder geholt und schicke es dir
mit. Vielleicht kannst Du Papa abschreiben. Ich kaufe es dir so gern. Lass mir
doch die kleinen Freuden, dass ich etwas für dich kaufen kann. Warum müssen das
denn andere tun.
Du schreibst, dass du Eiercognac für mich gemacht hast. Wie
kannst Du denn den hier her schicken? Trinken werde ich ihn sicher, denn
Eiercognac habe ich schon früher gern gemocht. Wenn wir zuhause welchen hatten,
habe ich gern einmal geleckt. Gesund soll er ja sein.
Na, das ist gut. Jetzt entschuldigst Du Dich auch noch, dass
du einmal eine halbe Tafel Schokolade selber gegessen hast. Das musst du doch
sogar. Ich habe dir doch in meinem gestrigen Schreiben strenge Strafe
angedroht, wenn du wieder welche schickst, wo sie für dich gedacht ist.
Nun kommt eine unappetitliche Geschichte, die mit Schokolade
nichts zu tun hat. Ich habe heute im großen Garten gegüllt. Da staunst Du, was?
Du wirst denken, na was macht sie nur für Sachen, das war doch bisher bei uns
nicht üblich. Aber ganz nötig war es , wirklich. Sonst hatten wir immer Mist
oder künstlichen Dünger, diesmal nichts. Mist hatte ich im vergangenen Jahr
nicht holen können, weil ich nicht kräftig genug war und künstlichen Dünger gab
es nicht zu kaufen. Nun ist der Boden drüben ja nicht so gehaltvoll. Darum habe
ich mich heute doch daran gemacht und habe Kraut, Kohlrabi usw. gegüllt. Die
Pflanzen sind noch nicht so groß, also ist es auch nicht so unappetitlich.
Außerdem regnete es gestern Abend und jetzt fängt es gerade wieder an. Es kommt
ein Gewitter. So dickes Zeug hab ich auch nicht genommen. Ich denke, dass du
auch damit zufrieden bist, wie ich es gemacht habe. Eine Schlepperei war es ja,
aber jetzt bin ich froh, dass ich´s gemacht habe.
Ich weiß gar nicht, ob ich dir schon geschrieben habe, dass
ich gestern Nachmittag eine Karte von Siegfried bekommen habe. Ach nein, da war
ja der Brief an Dich schon fort. Also, er schreibt, da er jetzt keine Zeit zu
einem Brief habe, wollte er mir kurz mitteilen, dass er sich mit Papa soweit
geeinigt habe, dass sie Oktober ausziehen. Die Verbindung mit Papa würde er
nicht abbrechen, komme aber, nachdem er geheiratet habe, nicht mehr ins Haus,
stelle Papa aber frei, ihn jederzeit zu besuchen. Das wäre also auch soweit
geregelt.
Die Kinder sind jetzt gerade vom Turnen nach Hause gekommen,
gerade rechtzeitig, bevor das Gewitter richtig anfing. Jetzt haben sie aber
richtig Hunger mitgebracht und wir wollen gleich Abendbrot essen. Beim turnen
hat Jörg Nasenbluten gehabt. Das bekommt er ab und zu einmal.
Nun lass mich schließen. Ich sende dir viele Grüße und Küsse
(einstweilen im Geist, später hole ich sie alle nach) Deine Annie
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