Mein liebster Ernst! Konstanz,
29.6.42
Heute erhielt ich deinen lieben Gruß vom 17.6., in dem du
mir von deiner Arbeit erzählst. Das interessiert mich immer wieder und ich
freue mich, wenn ich ein wenig weiß, was du so am Tag tun musst.
Du schreibst, dass du den Brief an Papa, in dem du ihm deine
Meinung sagen wolltest, nicht geschrieben hast. Das ist vielleicht ganz gut so,
denn bis du Papa´s Brief erhältst und Papa dann deinen, vergehen einige Wochen.
Während dieser Zeit ist meist zwischen Papa und mir schon wieder geschrieben
worden und die Situation ist eine andere. Einmal steht es besser, einmal
schlechter, gleichbleibend ist es doch nie. Ich kann auch nicht zu allem ja und
amen sagen, wie es Papa gern möchte. Er ist in das Fräulein vernarrt, oder sie
hat ihn so eingewickelt. Das bleibt sich ja gleich. Eine „Gute“ bin ich auch
nur so lange, solange ich nicht dort bin oder ihm entgegen trete. Dass er aber
mit jedem Brief meinen Schmerz um Mama immer wieder aufreißt, das merkt er
nicht. Ich könnte jetzt manchmal noch heulen und kann es nicht begreifen, dass
sie wirklich tot sein soll, da kommt Papa dauernd mit dem Fräulein und will sie
einem aufdrängen.
Es ist jetzt schon wieder ¾ 11 Uhr. Den halben Nachmittag
war ich im Garten, habe die Brombeerranken ein bißchen geordnet, denn die
wachsen jetzt ganz wild nach allen Himmelrichtungen, später habe ich Unkraut
raus gemacht. Hinterher habe ich von dem Bäumchen mit den großen Stachelbeeren
4 Pfund abgemacht. Das sieht man aber gar nicht, dass welche weg sind, so viel
Stachelbeeren hat es wieder. Auch an den anderen Sträuchern und Bäumchen. Ich
bin ja so froh drum, denn wenn wir keinen Garten hätten, könnte ich gar nicht
an Marmelade denken. So habe ich auch heute Marmelade gekocht. Auch zum so essen
haben wir jetzt immer Beeren. Und das verdanken wir alles dir, mein lieber
Ernst. Jetzt kann man wirklich froh sein, wenn man einen Garten hat.
Am Nachmittag habe ich wieder Nudeln selber gemacht. Den
Kindern schmecken sie auch gut und wir haben auch ab und zu etwas zum
Abendbrot, denn der Gries reicht ja nicht den ganzen Monat.
30.6.42
Ich nehme jetzt den Brief mit, wenn ich das Geld holen gehe.
20.- zahle ich auf unser, und je 3.- auf den Kindern ihr Buch ein. Ich hätte ja
mehr übrig, aber ich will etwas behalten, damit wir, wenn Erna kommt, auch mal
mit fortfahren können.
Heute Nacht habe ich wieder einmal von Dir geträumt. Ich
habe dich dort besucht. Erst habe ich lange Zeit suchen müssen, denn du warst
gar nicht da, und dann haben wir uns nur kurze Zeit gesehen. Aber wie froh war
ich schon darüber. Die Sehnsucht ist mir jetzt noch geblieben. Es ist, als ob
du gerade erst wieder fortgefahren wärst. Lieber Ernst, behalte uns lieb. Ich
grüße und küsse dich ganz fest, Deine annie.
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