Sonntag, 2. Juli 2017

Brief 366 vom 29./30.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 29.6.42

Heute erhielt ich deinen lieben Gruß vom 17.6., in dem du mir von deiner Arbeit erzählst. Das interessiert mich immer wieder und ich freue mich, wenn ich ein wenig weiß, was du so am Tag tun musst.
Du schreibst, dass du den Brief an Papa, in dem du ihm deine Meinung sagen wolltest, nicht geschrieben hast. Das ist vielleicht ganz gut so, denn bis du Papa´s Brief erhältst und Papa dann deinen, vergehen einige Wochen. Während dieser Zeit ist meist zwischen Papa und mir schon wieder geschrieben worden und die Situation ist eine andere. Einmal steht es besser, einmal schlechter, gleichbleibend ist es doch nie. Ich kann auch nicht zu allem ja und amen sagen, wie es Papa gern möchte. Er ist in das Fräulein vernarrt, oder sie hat ihn so eingewickelt. Das bleibt sich ja gleich. Eine „Gute“ bin ich auch nur so lange, solange ich nicht dort bin oder ihm entgegen trete. Dass er aber mit jedem Brief meinen Schmerz um Mama immer wieder aufreißt, das merkt er nicht. Ich könnte jetzt manchmal noch heulen und kann es nicht begreifen, dass sie wirklich tot sein soll, da kommt Papa dauernd mit dem Fräulein und will sie einem aufdrängen.
Es ist jetzt schon wieder ¾ 11 Uhr. Den halben Nachmittag war ich im Garten, habe die Brombeerranken ein bißchen geordnet, denn die wachsen jetzt ganz wild nach allen Himmelrichtungen, später habe ich Unkraut raus gemacht. Hinterher habe ich von dem Bäumchen mit den großen Stachelbeeren 4 Pfund abgemacht. Das sieht man aber gar nicht, dass welche weg sind, so viel Stachelbeeren hat es wieder. Auch an den anderen Sträuchern und Bäumchen. Ich bin ja so froh drum, denn wenn wir keinen Garten hätten, könnte ich gar nicht an Marmelade denken. So habe ich auch heute Marmelade gekocht. Auch zum so essen haben wir jetzt immer Beeren. Und das verdanken wir alles dir, mein lieber Ernst. Jetzt kann man wirklich froh sein, wenn man einen Garten hat.
Am Nachmittag habe ich wieder Nudeln selber gemacht. Den Kindern schmecken sie auch gut und wir haben auch ab und zu etwas zum Abendbrot, denn der Gries reicht ja nicht den ganzen Monat.

                                                                                                                                    30.6.42

Ich nehme jetzt den Brief mit, wenn ich das Geld holen gehe. 20.- zahle ich auf unser, und je 3.- auf den Kindern ihr Buch ein. Ich hätte ja mehr übrig, aber ich will etwas behalten, damit wir, wenn Erna kommt, auch mal mit fortfahren können.
Heute Nacht habe ich wieder einmal von Dir geträumt. Ich habe dich dort besucht. Erst habe ich lange Zeit suchen müssen, denn du warst gar nicht da, und dann haben wir uns nur kurze Zeit gesehen. Aber wie froh war ich schon darüber. Die Sehnsucht ist mir jetzt noch geblieben. Es ist, als ob du gerade erst wieder fortgefahren wärst. Lieber Ernst, behalte uns lieb. Ich grüße und küsse dich ganz fest, Deine annie.

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