Mein liebster Ernst ! Konstanz, 16.7.42
Nun ist der große Tag herangekommen, wo die Kinder die
Zeugnisse erhalten haben. Sie sind wieder gut ausgefallen. Die Kinder haben sie
dir gleich abgeschrieben. Die guten Zeugnisse haben wir heute gefeiert, indem
wir zusammen in die Stadt gegangen sind und Eis gegessen haben. Dann haben wir
uns noch eine Weile in den Stadtgarten gesetzt. Es war ein netter Nachmittag.
In der Eisdiele haben wir Frau Lämmel getroffen. Sie läßt dich grüßen. Sie ist
mir heute schöner vorgekommen, als sie früher war.
Bei der Gebhardskirche haben sie heute die drei Glocken
herunter genommen. Bei der letzten habe ich zugesehen. Wie ich dort stehe,
kommt ein Mann, Typ Spießer und Meckerer, hoher Stehkragen, Klammer, wie ein
Radfahrer von anno dazumal, auch so eine Mütze hatte er auf.er spricht mich
an:“ Nicht wahr, es ist doch ein schauerlicher Anblick, wie die Glocken so
herunter genommen werden?“ Ich:“ Wieso?“ Er:“ Wieso!!?“ „ Na ja,“ sage ich,
„Glocken sijd doch auch im Weltkrieg herunter genommen worden.“
Da hat er sich abgewendet und ist davon geradelt. Der hat
auch gemeint, er kann meckern. Ich wollte noch sagen, wenn er im Krieg nichts
Schauerlicheres sieht, soll er froh sein, aber er war schon fort. Die Soldaten
haben bestimmt schon schauerlichere Sachen gesehen.
Jetzt ist hier gesammelt worden: Tornister, Zeltbahnen,
Kochgeschirr, Becher usw. gegen Entschädigung. Meinst Du, ich sollte von
unseren Sachen auch was geben?
Morgen haben die Kinder vor den Ferien zum letzten Mal
Schule und zwar nur bis 11 Uhr. Jörg hat zur Pflege während der Ferien heute
einen Schlangenkaktus mitgebracht, der sonst in ihrem Schulzimmer steht.
Helga verliert jetzt alle Milchzähne. Bis jetzt sind schon
drei Backenzähne heraus gegangen und der eine Eckzahn wackelt auch schon. Das
alles innerhalb 2 – 3 Wochen. Die neuen Zähne sind inzwischen schon ziemlich
gewachsen.
17.7.
Bis hierher habe ich den Brief gestern Abend geschrieben,
nun, ehe ich einkaufen fahre, will ich ihn beenden. Ich habe heute von Erna
einen Brief bekommen, dass sie erst am 26.7. um 11:55 hier ankommt und nicht am
20., da sie ihre Kennkarte noch nicht hat, die sie ja hier im Grenzgebiet
braucht. Sie bekommt sie erst in der kommenden Woche. Da kommt Erna um dieselbe
Zeit, wie wir im vergangenen Jahr nach Leipzig gefahren sind.
Heute kam endlich das Päckchen Nr.8 an. Bei dem Brot war
leider mehr verschimmelt, wie beim anderen. Es war ja auch viel länger
unterwegs. Das Gute werden wir uns aber schmecken lassen und danken dir dafür.
Nun grüße und küsse ich dich recht herzlich Deine Annie.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen