Sonntag, 2. Juli 2017

Brief 365 vom 28.6.1942


Mein liebster, bester Ernst!                                                    Konstanz, 28.06.42

Der Sonntag ist vorbei. Heute waren wir nicht zuhause. Eigentlich hatten wir baden gehen wollen, aber es war nicht recht warm und so sind wir lieber nach der Mainau gelaufen. Wir haben uns auch die Rosenblüten angesehen und sind sonst noch herumgestiefelt. Wenn man so an den Leuten vorbei geht, hört man die verschiedensten Sprachen. Das sind alles Leute, die hier schaffen. Ein Betrieb war auf der Mainau, nicht zu sagen. Wir wollten dir eigentlich von dort eine Karte schreiben, aber da hätten wir uns lange anstellen müssen, um eine zu bekommen. Gegen 5 Uhr sind wir zum Schiff gegangen. Erst kam ein Sonderschiff, das nahm vor allem die mit, die in Meersburg nach Friedrichshafen umsteigen mussten. Da waren die Hälfte weg. Wir anderen wurden auf das nächste Schiff vertröstet, das gleich komme sollte, aber ¼ Stunde Verspätung hatte. Dann ging die Drängelei wieder los. Endlich waren wir im Schiff. Ich habe 1.Klasse genommen, damit wir wenigsten oben im Freien sitzen konnten, wo es dann sehr schön war. Eigentlich wollten wir in Meersburg die Fahrt nochmals unterbrechen, aber von der einen Drängelei hatten wir genug. Es war auch gut so, wir sind gegen ¼ 8 Uhr heim gekommen, haben in Ruhe Abendbrot gegessen, und nun sind die Kinder beim Ausziehen. Da muss ich dir gerade noch etwas erzählen. Du weißt vielleicht, dass die Kinder früher nie einschlafen konnten, wenn das Radio lief. Seit wir nun den neuen Apparat haben, der lauter spielt, und bei dem man auch das Gesprochene gut versteht, ist es gerade das Gegenteil. Da hören beide zu und schlafen bald ein. Jedes Mal sagen sie abends, dass ich so laut einstellen soll, dass sie alles verstehen.
Auf dem Schiff haben wir heute einen Mann gesehen, der weit über 2 Meter groß war. Alle Leute hat er weit überragt. Es hat mir nur leidgetan, dass einige Leute sich über ihn unterhalten und gekichert haben, dass er es hören musste. So jemand muss schon ein dickes Fell bekommen, denn überall fällt er auf.
Gestern Abend war Vater hier. Er brachte mir ¼ Karamellbonbons mit, die ich mit aufhebe. Er hat dann einen Geburtstagsbrief an dich geschrieben. Ich habe ihm 3 Pfund Stachelbeeren und 1 Pfund Erdbeeren mitgegeben. Die Stachelbeeren habe ich ihm so vorgerichtet, dass er sie nur noch waschen muss. Da wird er doch eher fertig.
Nun gehe ich gleich schlafen. Die Luft hat müde gemacht. Ich grüße und küsse dich recht herzlich und denke immer an dich, Deine Annie.

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