Donnerstag, 13. Juli 2017

Brief 372 vom 7.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 7.7.42

Heute erhielt ich deine lieben Briefe vom 23., 24., 25. Und 26.6. Außerdem das Päckchen Nr.6 mit Eiercognac. Ich danke dir für alles recht sehr. Ehe ich dir auf deine Briefe antworte, will ich dir vom Päckchen schreiben. Erst wusste ich gar nicht, was in dem Päckchen wohl drin sein könnte. Dann kam die Flasche zum Vorschein. Alkoholiker, wie ich nun mal bin, habe ich sie gleich aufgemacht und probiert. Zuerst habe ich den Cognac unverdünnt mit Zucker getrunken, was zur Folge hatte, dass es mir ein wenig drehend geworden ist, es war vielleicht auch gleich ein bißchen zu viel. Aber geschmeckt hat es prima.
Als Helga kam, habe ich ihr etwas fertig gemacht, sehr mit Milch verdünnt. Sie hat es aber nicht mögen. Da habe ich es auch noch getrunken, und es hat mir noch besser geschmeckt, als erst. Jörg habe ich es dann auch so zurecht gemacht gegeben, und der hätte am liebsten gar nicht mehr mit trinken aufgehört. Du siehst, die Sache hat also Anklang gefunden, und wenn du noch sowas schicken kannst, nehmen wir es gerne an, vorausgesetzt, dass du keine Angst um mich hast.
Nun zu den Briefen. Du hast mir die Briefe an Siegfried und Papa mitgeschickt, damit ich sie weiterleiten soll. Den Brief an Siegfried werde ich abschicken. Den Brief an Papa behalte ich mal einstweilen noch hier, da ja inzwischen sich manches geändert hat. Denn Siegfried ist ja nun mit Papa zu einer vorläufigen Einigung gekommen, und da möchte ich nicht von unserer Seite jetzt alle Fäden zerreißen. Da ständen wir wieder allein da. Siegfried hat ja eingesehen, dass es am besten ist, man hält den äußeren Schein aufrecht. Viel hat er und auch wir ja nicht mehr mit ihm zu tun, wenn er heiratet. Aber Erna hätte sicher noch mehr auszustehen, wenn plötzlich Schluss gemacht würde, und sie ist eben doch noch in Papas Wohnung. Siegfried hat mir heute auch geschrieben und ich schicke dir den Brief mit. Vernichten tue ich deinen Brief noch nicht, denn es könnte ja sein, man kann ihn mit einem anderen Datum versehen noch verwenden. Auf meinen letzten Brief erhielt ich von Papa heute eine kurze Mitteilung des Inhalts, dass er mir herzlichst für meinen letzten Brief dankt und ihn bald beantworten wird. Er schickt mir gleichzeitig Zeitungen mit. Ich werde ja sehen, was er schreibt. Ein Blatt habe ich mir ja nicht vor den Mund genommen in meinem letzten Schreiben. Ein Bild von Mamas Grab, das Papa mir heute mitschickte, lege ich dir bei.
Wenn ich Klage darüber geführt habe, dass ich mit Vater nichts als die alltäglichen Dinge besprechen kann, so ist das bestimmt nicht so gemeint, als ob ich ihn nicht leiden könnte. Du weißt ja, ich achte ihn sehr. Er ist doch sonst ein guter Kerl. Das ist ja schon immer so gewesen, dass er vom Geschäft usw. erzählt. Damit habe ich mich auch abgefunden, aber du wirst es ja selber wissen, manchmal kommt man sich ganz verlassen vor. Da habe ich dann die Sehnsucht, dass du hier wärst, und ich mit dir sprechen könnte, wie früher. So hatte ich dir ja auch gestern geschrieben. Ich sehe ja auch immer gleich wieder ein, dass es nicht zu ändern geht und dass wir uns bescheiden müssen. Du darfst es auch nicht als Klage auffassen.
Leider sind wir noch nicht viel dazu gekommen, zum Baden zu gehen. Es war bis jetzt immer zu viel zu tun, und eine Weile war ich immer so müd und kaputt, dass mir gar nichts richtig von der Hand gehen wollte.
Wie ich schon schrieb, habe ich jetzt erst mal alles soweit gestopft und genäht, wenigstens das Wichtigste. Wenn ich den Garten fertig habe, muss ich noch Vaters Unterhosen ausbessern, bei Jörgs neuen Nachthemden die Ärmel etwas verkürzen. Seine alten Nachthemden sind ihm alle zu eng und zu kurz geworden. Nun habe ich von den weißen Hemden welche genommen, die wir noch von Mama haben, die sind richtig lang, nur die Ärmel sind noch zu lang. In der Weite sind sie auch richtig, ich habe die schmalsten herausgesucht. Auch ein Kleid sollte ich für Helga noch nähen, aber das ist nicht gar so wichtig, denn ich hab ihr ja jetzt das grüne Kleid von Dora auch verlängert. Ich hoffe, dass ich ein bißchen Zeit habe, wenn Erna hier ist. Heute war ich mit Helga im Garten und habe die Erdbeeren noch ausgeputzt. Morgen will ich bei den anderen Sachen weiter sehen.
Möhren haben wir gestern auch schon aus dem Garten geholt, und von den Stachelbeeren haben wir uns auch schon einige weiche herausgesucht. Es dauert nicht mehr lange, bis sie alle reif sind.
Bis jetzt habe ich mit dem Vorschaltwiderstand keine Schwierigkeiten mehr gehabt. Wahrscheinlich wird er einen kleinen Defekt von dem Transport her gehabt haben, denn sei t er repariert ist, habe ich auch im Apparat keine Störungen mehr, wenigstens nicht viele, während es früher manchmal schauderhaft gerauscht hat.
Die Erdflöhe im Garten habe ich ja überwunden. Da die Zigarrenasche nicht ausreichte, hatte ich mir doch ein Mittel dagegen gekauft, und seitdem hatte ich Ruhe. Sollte die Raupenplage auftreten, so gehen die Raupen beim bestäuben mit diesem Pulver auch kaputt.
Es hat doch noch einige Brombeerblüten gegeben, so dass wir doch nicht ganz ohne diese Beeren sein brauchen, wenn es auch nur welche zum so essen sind. Die Stachelbeeren haben uns bisher noch nicht enttäuscht.
Bei Gelegenheit werde ich mal zu der Lehrerin von Helga gehen und mit ihr wegen der höheren Schule reden. Ich glaube ja, dass es für Helga zu viel wird. Jörg ist robuster.
Der Wittenburg hat auch hier her noch nicht geschrieben. Vielleicht will er mit der Sache nichts zu tun haben. Wenn du ja an den Henkes selber schreiben konntest, ist es ja gut. Du wirst ja sehen, was er antwortet.
Das Kurzgeschichtenheft, das ich dir geschickt habe, habe ich nicht gekauft. Es ist von Papa. Ich habe auch noch eins hier.
Der Keks ist mir wirklich immer ein Rückhalt. Man weiß doch, es ist für alle Fälle noch etwas da. Ich suche ja auch immer das Verzehrte wieder zu ergänzen.
An dem Holzpanzer hat Jörg schon seine Freude. Meist geht er jetzt früh 1 – 1 ½ Stunden früher fort, um vor der Schule noch beim Panzer zu sein, Patronen zu sammeln usw. den Soldaten sehen sie dabei auch zu. Das ist doch der größte Spaß. Als Jörg heute Heim kam, brachte er einen Riesenrettich mit nach Hause. Die Buben waren zu den Soldaten in der Jägerkaserne gegangen und hatten gefragt, ob sie einen Rettich bekommen könnten, unser Jörg natürlich auch mit. Mit großem Stolz brachte er den Rettich mit. Er meinte, da hätten wir doch schon was zum Abendbrot.
Jetzt waren die Kinder gerade da und haben wegen dem Abendessen reklamiert. Da muss ich den Brief an Siegfried nachher schreiben. Helga hat ja heute schon einen Brief an dich abgeschickt. Jörg will morgen schreiben.
Die Nachttischlampe von Helga macht jetzt überhaupt nicht mehr mit. Ich habe mich schon oft nach einer Neuen erkundigt, konnte aber bisher keine erhalten. Heute sagten sie mir nun  in einem Geschäft, dass sie wahrscheinlich bald welche bekämen. Da muss ich mal ein bißchen danach springen. Einstweilen habe ich Helga unsere Tischlampe hingestellt. Sie ist nur ein wenig zu groß. Aber kurze Zeit geht es schon.
In der vergangenen Woche ist „Das Reich“ gar nicht angekommen. Erst heute konnte ich es bekommen und hat mir die Frau auch gleich die Zeitung von dieser Woche mitgegeben, so daß ich alle zwei gleich wegschicken konnte.
Nun laß mich schließen. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

                                                                                                                        8.7.

Lieber Ernst!
Ich wollte gerade den Brief fort bringen, da kam der Briefträger und brachte mir dein Päckchen Nr.7. Leider ist die Flasche ganz zerbrochen und ausgelaufen. Meinst du, dass du trotzdem welche schicken willst? Ich weiß nicht, wie du denkst.
Nochmals viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.

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