Mein liebster Ernst, liebes Geburtstagskind! Konstanz,
4.7.42
Den ganzen Tag haben wir ganz besonders fest an dich
gedacht. Dein Bild, in dem großen Rahmen aus Frankreich, steht in der Stube auf
dem Tisch, davor ein Strauß von Rosen und ein Strauß von Studentenblumen und
von weißen Blumen, die ich nicht mit Namen kenne, sowie ein Johannisbeerkuchen,
den wir morgen essen. Dein Bild in der Küche schmückt auch eine Rose. Zu deinen
Ehren gab es heute einen Pudding und einen kleinen Kuchen. Hoffentlich hast Du
deinen Geburtstag soweit gut verlebt, vor allen Dingen gesund.
Ich habe heute auch einige kleinere Erlebnisse gehabt. Vor
allen Dingen habe ich einen Teller zerschmissen. Da Scherben ja Glück bringen
sollen und dein Geburtstag war, habe ich mich nicht sehr geärgert.
Als ich heute Morgen die Zeitung lese, steht eine Anzeige
drin „Trachtenjacke zw. Markgrafenstr. Und Flughalle verl. Gegen Bel. Abzugeben
bei Geyer, Markgrafenstr.67“. Wie ich das vorlese, sagt Jörg „der Bub sitzt in
der Schule neben mir“. Ich bin gleich runter gefahren und habe den Leuten
gesagt, daß ich die Jacke beim Fundamt abgegeben habe. Der Mann war nur daheim
und wollte meine Adresse wegen der Belohnung. Ich wollte aber keine haben. Nun
haben sich die Leute die Adresse beim Fundamt geben lassen und heute Abend
brachte mir die Frau, die übrigens sehr nett war, 5 Mk. Ich wollte sie nicht
nehmen, aber sie hat das Geld einfach her gelegt. So habe ich ohne Mühe 5 Mk.
verdient.
Gestern bin ich nicht dazu gekommen, dir zu schreiben. Ich
hatte dauern zu rennen. Erst wegen Fisch 1 ½ Stunden anstehen, nachmittags
wegen Kirschen wieder eine Stunde. Vater hat sich aber gefreut, daß ich sie ihm
mitgebracht habe. Nachmittags 5 Uhr musste ich noch einmal in die Stadt wegen
anderem Fisch auf eine andere Nummer der Mangelkarte, der am Morgen nicht mit
ausgegeben wird, sondern erst von 5-7 Uhr. Am Abend bin ich noch zu Vater
gefahren und habe ihm die Kirschen gebracht. Zwischendurch haben wir noch ca. 3
Pfund Johannisbeeren gepflückt und die Stachelbeeren geputzt. Heute hatte ich
auch den ganzen Tag zu tun mit Marmelade kochen, Kuchen backen, Einkaufen
fahren, Treppe putzen usw. Morgen, wenn auch Sonntag ist, muss ich meine große
Wäsche bügeln, dann am Montag muss ich unbedingt in den Garten gehen. Überall
muss ich harken, ein Beet umgraben, und das Unkraut wächst mir bald über den
Kopf. Dazu müssen wir auch noch die Kartoffeln nachsehen, denn leider hat man
sehr viel Kartoffelkäfer im Heidelmoos, also dort hinten, wo der Maier wohnt,
gefunden. Da heißt es aufpassen. Es wäre ja um alle Sachen so schade.
Weißt Du, wer Vater geworden ist? Der Ernst Hagenauer hat
einen Günter bekommen. Bei Büsings kommt auch bald ein Kind an, ebenso bei dem
früheren Fräulein Waibel uns gegenüber. Die ältere Tochter von Wettsteins hat
auch einen Buben bekommen. Es ist doch eine Beruhigung, dass sich die edle
Familie B. weiterhin vermehrt. Von Demut während diese Zeit, die sie einmal der
Frau Wohlsen gepredigt hatte, ist ja leider nichts zu spüren. Sie ist rabiater
als je. Vor einigen Wochen hat sie in der Laube die Frau Kuhnert, die sie wegen
anderen Sachen verklagt haben, von hinten überfallen und hat ihr mehrere
Ohrfeigen runtergehauen. Die hat wieder geschlagen und die zwei prügelnden
Frauen müssen wirklich ein erhebendes Bild abgegeben haben.
Nun ist Vater Heim gegangen. Es ist ½ 12 Uhr. Ich gehe nun
auch schlafen. Vater hat doch jetzt eine ganze Zeit in der Stadt schaffen
müssen, jetzt ist er wieder draußen auf dem Fl., da hat er es ein bißchen
näher.
5.7.
Mein lieber Ernst!
Dein Geburtstag ist nun schon wieder vorbei. Wenn ihr noch
dort seid, so wirst du heute vielleicht auch Kuchen haben. Wir haben unseren
Johannisbeerkuchen vorhin gegessen. Sowas schmeckt immer nach mehr.
Vater hatte mir doch vor einigen Tagen Mehl für einen Kuchen
für Jörg´s Geburtstag mitgegeben. Dafür hat er nun gestern von unseren beiden
Lausern Küsse bekommen. Das läßt er sich gerne gefallen und freut sich sehr,
denn er lacht dabei ganz froh.
Die Kinder bringen jetzt diesen Brief in die Stadt, denn
unser Briefkasten wird erst am Abend wieder geleert. Für die ist es gleich ein
Spaziergang.
Ich weiß nicht, ob ich heute Abend nochmal zum Schreiben
komme. Vielleicht musst du heute mit diesen wenigen Zeilen vorlieb nehmen. Du
wirst denken, mit dem Schreiben werde ich jetzt bummelig, aber das ist nicht
der Fall. Ich habe jetzt nur so viel zu tun.
Schreiben will ich dir nur noch, dass ich gestern für Helga
ein Jungmädchenbuch zum Geburtstag bekommen habe. Für Jörg gibt es nichts
weiter, als Soldaten und zwar nur zwei Stück. Ich habe zwei Reiter genommen.
Nun will ich ans Schaffen gehen, sonst bin ich am Abend noch
nicht fertig.
Ich grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie.
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