Donnerstag, 13. Juli 2017

Brief 370 vom 4./5.7.1942


Mein liebster Ernst, liebes Geburtstagskind!                                            Konstanz, 4.7.42

Den ganzen Tag haben wir ganz besonders fest an dich gedacht. Dein Bild, in dem großen Rahmen aus Frankreich, steht in der Stube auf dem Tisch, davor ein Strauß von Rosen und ein Strauß von Studentenblumen und von weißen Blumen, die ich nicht mit Namen kenne, sowie ein Johannisbeerkuchen, den wir morgen essen. Dein Bild in der Küche schmückt auch eine Rose. Zu deinen Ehren gab es heute einen Pudding und einen kleinen Kuchen. Hoffentlich hast Du deinen Geburtstag soweit gut verlebt, vor allen Dingen gesund.
Ich habe heute auch einige kleinere Erlebnisse gehabt. Vor allen Dingen habe ich einen Teller zerschmissen. Da Scherben ja Glück bringen sollen und dein Geburtstag war, habe ich mich nicht sehr geärgert.
Als ich heute Morgen die Zeitung lese, steht eine Anzeige drin „Trachtenjacke zw. Markgrafenstr. Und Flughalle verl. Gegen Bel. Abzugeben bei Geyer, Markgrafenstr.67“. Wie ich das vorlese, sagt Jörg „der Bub sitzt in der Schule neben mir“. Ich bin gleich runter gefahren und habe den Leuten gesagt, daß ich die Jacke beim Fundamt abgegeben habe. Der Mann war nur daheim und wollte meine Adresse wegen der Belohnung. Ich wollte aber keine haben. Nun haben sich die Leute die Adresse beim Fundamt geben lassen und heute Abend brachte mir die Frau, die übrigens sehr nett war, 5 Mk. Ich wollte sie nicht nehmen, aber sie hat das Geld einfach her gelegt. So habe ich ohne Mühe 5 Mk. verdient.
Gestern bin ich nicht dazu gekommen, dir zu schreiben. Ich hatte dauern zu rennen. Erst wegen Fisch 1 ½ Stunden anstehen, nachmittags wegen Kirschen wieder eine Stunde. Vater hat sich aber gefreut, daß ich sie ihm mitgebracht habe. Nachmittags 5 Uhr musste ich noch einmal in die Stadt wegen anderem Fisch auf eine andere Nummer der Mangelkarte, der am Morgen nicht mit ausgegeben wird, sondern erst von 5-7 Uhr. Am Abend bin ich noch zu Vater gefahren und habe ihm die Kirschen gebracht. Zwischendurch haben wir noch ca. 3 Pfund Johannisbeeren gepflückt und die Stachelbeeren geputzt. Heute hatte ich auch den ganzen Tag zu tun mit Marmelade kochen, Kuchen backen, Einkaufen fahren, Treppe putzen usw. Morgen, wenn auch Sonntag ist, muss ich meine große Wäsche bügeln, dann am Montag muss ich unbedingt in den Garten gehen. Überall muss ich harken, ein Beet umgraben, und das Unkraut wächst mir bald über den Kopf. Dazu müssen wir auch noch die Kartoffeln nachsehen, denn leider hat man sehr viel Kartoffelkäfer im Heidelmoos, also dort hinten, wo der Maier wohnt, gefunden. Da heißt es aufpassen. Es wäre ja um alle Sachen so schade.
Weißt Du, wer Vater geworden ist? Der Ernst Hagenauer hat einen Günter bekommen. Bei Büsings kommt auch bald ein Kind an, ebenso bei dem früheren Fräulein Waibel uns gegenüber. Die ältere Tochter von Wettsteins hat auch einen Buben bekommen. Es ist doch eine Beruhigung, dass sich die edle Familie B. weiterhin vermehrt. Von Demut während diese Zeit, die sie einmal der Frau Wohlsen gepredigt hatte, ist ja leider nichts zu spüren. Sie ist rabiater als je. Vor einigen Wochen hat sie in der Laube die Frau Kuhnert, die sie wegen anderen Sachen verklagt haben, von hinten überfallen und hat ihr mehrere Ohrfeigen runtergehauen. Die hat wieder geschlagen und die zwei prügelnden Frauen müssen wirklich ein erhebendes Bild abgegeben haben.
Nun ist Vater Heim gegangen. Es ist ½ 12 Uhr. Ich gehe nun auch schlafen. Vater hat doch jetzt eine ganze Zeit in der Stadt schaffen müssen, jetzt ist er wieder draußen auf dem Fl., da hat er es ein bißchen näher.

                                                                                                                                    5.7.
Mein lieber Ernst!
Dein Geburtstag ist nun schon wieder vorbei. Wenn ihr noch dort seid, so wirst du heute vielleicht auch Kuchen haben. Wir haben unseren Johannisbeerkuchen vorhin gegessen. Sowas schmeckt immer nach mehr.
Vater hatte mir doch vor einigen Tagen Mehl für einen Kuchen für Jörg´s Geburtstag mitgegeben. Dafür hat er nun gestern von unseren beiden Lausern Küsse bekommen. Das läßt er sich gerne gefallen und freut sich sehr, denn er lacht dabei ganz froh.
Die Kinder bringen jetzt diesen Brief in die Stadt, denn unser Briefkasten wird erst am Abend wieder geleert. Für die ist es gleich ein Spaziergang.
Ich weiß nicht, ob ich heute Abend nochmal zum Schreiben komme. Vielleicht musst du heute mit diesen wenigen Zeilen vorlieb nehmen. Du wirst denken, mit dem Schreiben werde ich jetzt bummelig, aber das ist nicht der Fall. Ich habe jetzt nur so viel zu tun.
Schreiben will ich dir nur noch, dass ich gestern für Helga ein Jungmädchenbuch zum Geburtstag bekommen habe. Für Jörg gibt es nichts weiter, als Soldaten und zwar nur zwei Stück. Ich habe zwei Reiter genommen.
Nun will ich ans Schaffen gehen, sonst bin ich am Abend noch nicht fertig.
Ich grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie.


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