Mein liebster Ernst! Konstanz,
11.7.42
Heute erhielt ich deine lieben Briefe vom 27. Und 28.6. Dann
kam noch ein Brief von Papa, mit dem ich erst einmal beginnen will, denn das
Unangenehme nimmt man immer zuerst dran. Da ich nicht weiß, ob du einen
Durchschlag bekommen hast, lege ich ihn dir bei. Er ist wieder ganz echt Papa.
Er weiß nicht, was er will. Jetzt bin ich sogar „meine Verehrteste“ geworden,
doch lieb, nicht wahr? Und wie schön sich das schickt, dass Erna hier her
kommt, da kann wenigstens das Fräulein mit ihrer Mutter bei ihm sein. Was soll
er sonst auch tun, nicht wahr? Er kann sich gar nicht anders helfen. Als ob
Mama früher nicht auch einmal verreist war und er allein geblieben ist.
Außerdem ist er ja Wochentags im Geschäft. Aber weißt Du, darauf gehe ich gar
nicht mehr ein. Es ist mir jetzt tatsächlich gleichgültig, was er macht. Ich
habe ihm ja heute gleich geantwortet und hoffe, dass es dir recht ist.
Nun zu deinen Briefen. Du hast dir eine Art Schleier
gewünscht, den man über den Kopf ziehen kann. Ich hab dir nun etwas fertig
gemacht. Ich denke, dass du es gebrauchen kannst. Erst wollte ich das Band zum
Durchziehen machen, aber so, wie es jetzt ist, kannst Du den Schutz locker oder
fest über das Gesicht spannen, wie es gerade praktisch ist. Evtl. kann man das
Band auch mal ganz weglassen, da die Hülle ja bis auf die Schultern reicht. Ich
kann dir noch so eine Hülle anfertigen, möchte aber erst wissen, ob es so für
dich praktisch ist, oder ob du einen anderen Wunsch hast.
Bei der Todesanzeige der Pessler handelt es sich um die
Schwester der Hadwig Pessler, die Kurt gekannt hat. Wie Kurt sagt, soll sie
eine Entfettungskur gemacht haben und hat sich dabei die Schwindsucht geholt.
Als Du auf meinem Brief „G.B.“ gelesen hast, wußtest Du also
doch gleich, um was es sich handelt. Da habe ich es ja recht gemacht.
Der Brief von Erna ist mir auch klarer vorgekommen, als Paps
Briefe. Vor allem ist er nicht so gehässig. Ich habe ja Papa auch meine Meinung
geschrieben.
Ich bin gespannt, wie das Brot ankommt, das du geschickt
hast. Fein wärs ja, wenn es noch ganz gut wäre. Ich könnte es gut gebrauchen.
Ein lieber Kerl bis du aber, dass du immer gleich an uns denkst und uns solche
Sachen schickst. Ich möchte dir immer wieder danken.
Gestern haben wir es ganz gut erwischt mit dem Baden gehen.
Ich habe wieder mal richtig schwimmen können, was immer besonders schön ist.
Helga und Jörg habe ich es auch beibringen wollen. Helga stellt sich ganz gut
dabei an, und ich glaube, sie würde es bald lernen, wenn wir öfter gehen
könnten. Bei Jörg geht es noch nicht ganz so gut. Er ist so oft bockig. Wenn es
nicht gleich geht, wie er will, macht er nicht mehr mit. Bei Helga habe ich
lachen müssen. Sie hat öfters Wasser geschluckt, hat aber das Üben nicht aufgegeben.
Zuletzt hat sich Jörg dann entschlossen, auch wieder mitzumachen. Nachdem wir
ziemlich lange im Wasser waren, haben wir uns fertig gemacht und sind Heim
gegangen. Und wie gut haben wirs erwischt. Auf dem Heimweg fing schon der
Donner zu grollen an, und einige Tropfen haben wir auch noch abbekommen, aber
der richtige Regen kam erst, als wir schon daheim waren. Dann ging aber ein
mächtiges Gewitter los, eigentlich waren es mehrere. Dazu war es stürmisch und
es hat sehr abgekühlt, auch heute ist es noch kühl und windig. Heute wäre es
also mit dem Baden nichts geworden. Ich hatte schon Mal im Hallenbad gefragt,
ob dort Kinder Schwimmunterricht bekämen, aber damit war es nichts. Die
Lehrkräfte sind alle eingezogen.
Nun muss ich dir noch was berichten. Helga hatte doch das
braune Wandbrett über ihrem Bett hängen für die Nachttischlampe. Das brauchte
ich nun für die Stube für die Hängepflanzen. Da habe ich Helga von kleinen
Brettchen, die mir dein Vater mal mitgebracht hat, ein kleines, neues Wandbrett
gemacht. Mit Farbe, die ich noch von dem Streichen der Küche da hatte, habe ich
es gestrichen. Als ich damit fertig war, fiel mir ein, dass die Platten unserer
Nachttische und des Waschtischs so rissig und abgenutzt sind. Da müsste doch
diese ganz helle Farbe schön aussehen, dachte ich, denn der Ton ist genau wie
der weiße Schrank im Kinderzimmer. Gedacht, getan. Erst habe ich es an
unauffälliger Stelle probiert und es sah prima aus. Da habe ich nun diese
Platten überstrichen. Ich wollte erst abwarten, wie sie werden, wenn sie
trocken geworden sind. Das ist nun soweit, und nun kann ich dir auch schreiben,
dass es fein geworden ist. Nun sind auch die schwarzen Flecken am Waschtisch
weg, die von dem Handtuchhalter immer da waren. Es sieht wie neu aus.
Nun lass mich schließen. Ich bringe den Brief noch auf die
Post, damit er bald fort kommt, denn der Kasten wird öfter geleert.
Ich grüße dich ganz herzlich und gebe dir viele, viele
Küsse, du mein allerliebster ernst, Deine Annie.
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