Donnerstag, 13. Juli 2017

Brief 374 vom 9.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 11.7.42

Heute erhielt ich deine lieben Briefe vom 27. Und 28.6. Dann kam noch ein Brief von Papa, mit dem ich erst einmal beginnen will, denn das Unangenehme nimmt man immer zuerst dran. Da ich nicht weiß, ob du einen Durchschlag bekommen hast, lege ich ihn dir bei. Er ist wieder ganz echt Papa. Er weiß nicht, was er will. Jetzt bin ich sogar „meine Verehrteste“ geworden, doch lieb, nicht wahr? Und wie schön sich das schickt, dass Erna hier her kommt, da kann wenigstens das Fräulein mit ihrer Mutter bei ihm sein. Was soll er sonst auch tun, nicht wahr? Er kann sich gar nicht anders helfen. Als ob Mama früher nicht auch einmal verreist war und er allein geblieben ist. Außerdem ist er ja Wochentags im Geschäft. Aber weißt Du, darauf gehe ich gar nicht mehr ein. Es ist mir jetzt tatsächlich gleichgültig, was er macht. Ich habe ihm ja heute gleich geantwortet und hoffe, dass es dir recht ist.
Nun zu deinen Briefen. Du hast dir eine Art Schleier gewünscht, den man über den Kopf ziehen kann. Ich hab dir nun etwas fertig gemacht. Ich denke, dass du es gebrauchen kannst. Erst wollte ich das Band zum Durchziehen machen, aber so, wie es jetzt ist, kannst Du den Schutz locker oder fest über das Gesicht spannen, wie es gerade praktisch ist. Evtl. kann man das Band auch mal ganz weglassen, da die Hülle ja bis auf die Schultern reicht. Ich kann dir noch so eine Hülle anfertigen, möchte aber erst wissen, ob es so für dich praktisch ist, oder ob du einen anderen Wunsch hast.
Bei der Todesanzeige der Pessler handelt es sich um die Schwester der Hadwig Pessler, die Kurt gekannt hat. Wie Kurt sagt, soll sie eine Entfettungskur gemacht haben und hat sich dabei die Schwindsucht geholt.
Als Du auf meinem Brief „G.B.“ gelesen hast, wußtest Du also doch gleich, um was es sich handelt. Da habe ich es ja recht gemacht.
Der Brief von Erna ist mir auch klarer vorgekommen, als Paps Briefe. Vor allem ist er nicht so gehässig. Ich habe ja Papa auch meine Meinung geschrieben.
Ich bin gespannt, wie das Brot ankommt, das du geschickt hast. Fein wärs ja, wenn es noch ganz gut wäre. Ich könnte es gut gebrauchen. Ein lieber Kerl bis du aber, dass du immer gleich an uns denkst und uns solche Sachen schickst. Ich möchte dir immer wieder danken.
Gestern haben wir es ganz gut erwischt mit dem Baden gehen. Ich habe wieder mal richtig schwimmen können, was immer besonders schön ist. Helga und Jörg habe ich es auch beibringen wollen. Helga stellt sich ganz gut dabei an, und ich glaube, sie würde es bald lernen, wenn wir öfter gehen könnten. Bei Jörg geht es noch nicht ganz so gut. Er ist so oft bockig. Wenn es nicht gleich geht, wie er will, macht er nicht mehr mit. Bei Helga habe ich lachen müssen. Sie hat öfters Wasser geschluckt, hat aber das Üben nicht aufgegeben. Zuletzt hat sich Jörg dann entschlossen, auch wieder mitzumachen. Nachdem wir ziemlich lange im Wasser waren, haben wir uns fertig gemacht und sind Heim gegangen. Und wie gut haben wirs erwischt. Auf dem Heimweg fing schon der Donner zu grollen an, und einige Tropfen haben wir auch noch abbekommen, aber der richtige Regen kam erst, als wir schon daheim waren. Dann ging aber ein mächtiges Gewitter los, eigentlich waren es mehrere. Dazu war es stürmisch und es hat sehr abgekühlt, auch heute ist es noch kühl und windig. Heute wäre es also mit dem Baden nichts geworden. Ich hatte schon Mal im Hallenbad gefragt, ob dort Kinder Schwimmunterricht bekämen, aber damit war es nichts. Die Lehrkräfte sind alle eingezogen.
Nun muss ich dir noch was berichten. Helga hatte doch das braune Wandbrett über ihrem Bett hängen für die Nachttischlampe. Das brauchte ich nun für die Stube für die Hängepflanzen. Da habe ich Helga von kleinen Brettchen, die mir dein Vater mal mitgebracht hat, ein kleines, neues Wandbrett gemacht. Mit Farbe, die ich noch von dem Streichen der Küche da hatte, habe ich es gestrichen. Als ich damit fertig war, fiel mir ein, dass die Platten unserer Nachttische und des Waschtischs so rissig und abgenutzt sind. Da müsste doch diese ganz helle Farbe schön aussehen, dachte ich, denn der Ton ist genau wie der weiße Schrank im Kinderzimmer. Gedacht, getan. Erst habe ich es an unauffälliger Stelle probiert und es sah prima aus. Da habe ich nun diese Platten überstrichen. Ich wollte erst abwarten, wie sie werden, wenn sie trocken geworden sind. Das ist nun soweit, und nun kann ich dir auch schreiben, dass es fein geworden ist. Nun sind auch die schwarzen Flecken am Waschtisch weg, die von dem Handtuchhalter immer da waren. Es sieht wie neu aus.
Nun lass mich schließen. Ich bringe den Brief noch auf die Post, damit er bald fort kommt, denn der Kasten wird öfter geleert.
Ich grüße dich ganz herzlich und gebe dir viele, viele Küsse, du mein allerliebster ernst, Deine Annie.

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