Dienstag, 25. Juli 2017

Brief 385 vom 24.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                         Konstanz, 24.7.42

Als ich heute Vormittag vom Lebensmittelkarten holen heim kam, waren deine lieben Briefe vom 12. Und 13.7. und die Päckchen Nr.12 und 13 angekommen. Beide Päckchen haben leider sehr gelitten und kamen halb ausgepackt an. Außerdem war das eine Brot, wahrscheinlich von einer Maus, fast ausgefressen. Das andere Brot war noch soweit gut.
Du hast dieses Jahr im Freien schon mehr gebadet, wie wir. Vielleicht wird das Wetter hier auch bald mal besser. Heute ist jedenfalls mal ein ganz sonniger Tag.
Den Brief an Kurt werde ich weitersenden. Mit Alices Vater ist es schon so eine Sache. Ich kann ja Alice einesteils verstehen, dass es sie interessiert, ihren Vater kennen zu lernen. Ich werde ja von Erna hören, was es für ein Mann ist. Vielleicht hat er eingesehen, wie Unrecht er Mama getan hat, wenn es auch jetzt viel zu spät ist.
Bei den Stachelbeeren habe ich schon oft an die Sprüche vom Zahn gedacht. Es ist eben doch gut, wenn man sich nach niemand richtet, sondern tut, was man selber für richtig findet.
Ich bin noch fest beim Schaffen. Heute habe ich die Betten noch frisch überzogen und schlafe nun ab heute in Deinem Bett. Alle Wäsche habe ich soweit gewaschen, damit ich nicht während des Besuchs mit großer Wäsche anfangen muss. Dann habe ich auch unsere Briefe aus dem Nachtschränkchen weg getan und verschiedene Sachen weggeschlossen, die Erna, sollte sie doch ein wenig neugierig sein, nicht gerade sehen muss. Morgen will ich nun noch einen Kuchen backen. Leider gibt es nirgends ein Backpulver zu kaufen, so dass ich mir etwas mehr Zeit nehmen und einen Hefekuchen backen muss. Dann denke ich, dass ich mit allem fertig bin.
In den nächsten Tagen gibt es sicher wieder Lindenblüten. Evtl. muss eben Erna mal mitgehen zum Pflücken. So viel brauchen wir ja nicht, da ich alle Dosen mit Tee schon gefüllt habe. An der Bahn bei der Kaserne konnte ich auch schon ein paar Lindenblüten pflücken.
Jörg wird sich sicher über deinen Geburtstagsbrief freuen, der heute auch angekommen ist. Ich habe ihn einstweilen aufgehoben.
Wo wirst Du jetzt sein? Schon in deiner neuen Unterkunft? Ich denke immer daran. Die Hauptsache ist, dass du gesund bist, und das hoffe ich ganz fest. Bleibe es auch weiterhin und nimm viele herzliche Grüße und Küsse von Deiner Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen