Mein liebster Ernst! Konstanz,
28.7.42
Nun geht wieder ein schöner Tag vorbei. Wir sind am Morgen
gegen 9 Uhr auf die Mainau gelaufen und haben uns alle in Ruhe angesehen. 1.15
Uhr sind wir nach Meersburg gefahren. Wir sind durch die Stadt gestiefelt und
haben uns das Schloss angesehen. Und nun muss ich sagen, dass ich bei der
Besichtigung sehr angenehm enttäuscht war. Rumgeführt wurde man nicht mehr,
sondern bekam einen Führer, den man wieder abgeben musste, in die Hand
gedrückt. Wir haben viel mehr gesehen, als man früher besichtigen konnte. Erst
die Zimmer der Droste, dann die Schmiede, den Rittersaal, Waffengang, Kapelle,
Gerichtssaal, Burgverließ. Das letzte war besonders interessant. In der Mitte
des Zimmers ist ein rundes Loch (Angstloch genannt), da sieht man ganz in die
Tiefe. (Jetzt ist unten Licht angebracht!) Durch dieses Loch, 1 Meter im
Durchmesser, konnten die Gefangenen beobachtet werden. An der Seite, außerhalb
des Verließes, ging eine Treppe bis ca. 2 Meter über dem Boden. Da befand sich
eine Tür. Später ist scheinbar die Treppe noch bis ganz hinunter gebaut worden.
An der Wand im Zimmer sind einige Sätze photographiert, die Gefangene in die
Wand geritzt haben. Einer hat mich besonders berührt: “Gebt mir den Frieden“
heißt er. Was mag dieser Mensch wohl gelitten haben? Ein anderer schrieb:
„Christus ist meine Hoffnung“. So sind noch einige Sachen da.
Wie geschrieben stand, sind einige auch zum Tode des
Verhungerns verurteilt worden.
Nach dem Verließ haben wir zwei Zimmer mit alten Trachten
besichtigt und dann einen unterirdischen Gang, der im Pferdestall in 1,5 Meter
Höhe beginnt und so breit ist, dass gerade ein Mann laufen kann. Er wurde von
400 Bergknappen um 1300 gebaut. Als 1334 die Burg belagert wurde, vergeblich,
wurden durch den Gang, der bis zum See hinunter ging, während der Nacht
Lebensmittel zur Burg gebracht.Nach der Burg haben wir uns die kath. Kirche
ganz auf dem Berg angesehen. Später sind wir mit der Fähre und dem Omnibus
heimgefahren.
Jörg war heute ein richtiger Clown. Auf der Fähre war auch
ein Heuwagen. Wir standen auf so einem hohen Turm an der Seite der Fähre.
Plötzlich sagt Jörg ganz trocken: „Wenn jetzt hier ´ne Kuh wäre, die hätte zu
fressen.“ Er hat noch so manchen Unsinn gemacht.
Wir haben heute alle ganz frische Farben bekommen, von der
Luft und der Sonne. Müde sind wir auch geworden.
Ich möchte dir noch für deinen lieben Brief vom 15./16.
Danken, den ich heute Abend im Briefkasten vorgefunden habe. Beantworten tue
ich ihn morgen, denn mir fallen jetzt die Augen zu. Die 20.-Mk. für Jörg sind
heute früh auch gekommen. Ich werde nun sehen, wie ich sie verwenden kann, ob
ich evtl. etwas zu kaufen bekomme.
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