Sonntag, 2. Juli 2017

Brief 368 vom 1.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 1.7.42

Heute bekam ich drei Briefe von dir, vom 11., 18. Und 22.6. Ich danke dir sehr dafür. Besonders mit der Geschichte von Eurem Radio hast Du mir eine große Freude gemacht. Da könnte ich stundenlang lesen, wenn du so erzählst. Genau wie früher mal von dem Friseur, oder das ideale Abflußrohr in deiner früheren Unterkunft, oder die ertrunkene Ratte. Das freut mich einfach.
Ganz fest gefreut hat es mich, dass du mir schreibst, dass du sehr oft an uns denkst und dich uns verbunden fühlst. Das ist es ja, woran ich immer denke, wenn ich mich recht einsam fühle, dass ich weiß, du vergißt uns nicht und behältst uns lieb. Wenn ich das nicht glauben könnte, hätte ich überhaupt an nichts mehr Freude.
Eine öffentliche Hinrichtung hast du also nun auch erlebt. Das gibt es hier bei uns doch nicht mehr, nicht wahr? Ich glaube, ich könnte es nicht ansehen. Verdient hat es der Kerl ja tatsächlich.
Jörg geht immer noch gern zum Turnen. Ich bin auch sehr froh darüber, denn schaden kann es nicht.
Kurt ist augenblicklich bis 7.7. in Würm bei Pforzheim zur Erntehilfe mit 6 Kameraden. Sie sind jetzt bei der Heuernte. Kurt muss bei 2 alten Leuten helfen. Nach dem 7.7. kommt er wieder zur Genesungskompanie zurück. Ich muss ihm wieder deine Adresse schicken, er hat sie schon wieder verlegt.
Von Alice erhielt ich eine Karte. Sie hat ihren Vater zu Besuch da und zur Feier seines 70. Geburtstages haben sie mir geschrieben. Der Vater hat mit unterschrieben. Alice will mir bald einen Brief schreiben, aber sie und Paul sind noch nicht ganz gesund. Sie waren beide krank.
Erna schrieb mir heute einen Brief. Sie war bei der Geburtstagsfeier mit dabei. Herr Müller hat von Mamas Jugend erzählt, wie schwer sie es gehabt hätte. Erna will mir alles erzählen, wenn sie her kommt. Sie kommt am 20.7. und bleibt bis 5./6.August. Hinterher fährt sie noch einige Tage zu ihrer Mutter. Erna wusste erst nicht, wie sie es wegen Papa machen sollte, aber er hat zu ihr gesagt, er würde schon versorgt.
Ich hatte heute Wäsche. Erst habe ich für Vater die Rente geholt. Da ich schon gestern mit waschen angefangen hatte, war ich bis Mittag fertig. Diesmal hatte ich eben auch noch Sachen von Kurt. Am Nachmittag haben wir gebadet. Hinterher haben wir zusammen ca. 8 Pfund Johannisbeeren gepflückt. 3 Pfund habe ich vorhin Vater gebracht. Er konnte sein gutes Herz nicht verleugnen und hat mir noch 1 Pfund Zucker mitgegeben. Dann brachte er noch 1 Pfund Mehr an. Als ich es nicht nehmen wollte, sagte er, ich solle Jörg zu seinem Geburtstag einen Kuchen davon backen.
Als ich heim fuhr, fand ich in der Reichenauer Straße eine weiße Strickjacke, die ich gleich morgen auf´s Fundbüro bringen will. Denn jetzt verliert man nicht gern etwas.
So, nun will ich schlafen gehen. Müde genug bin ich. Es ist ¼ 11 Uhr. Gerade kam die Sondermeldung von der Einnahme Sewastopols. Das war auch ein harter Kampf.
Nun schlaf du auch gut und wach gesund wieder auf. Ich schicke dir viele feste Küsse, Deine Annie.

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