Sonntag, 2. Juli 2017

Brief 364 vom 27.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 27.06.42

Gestern habe ich tatsächlich nicht an Dich geschrieben. Am Morgen musste ich Lebensmittelkarten holen. Dann bin ich in den Garten gegangen und habe auf das eine abgeerntete Beet Kraut gesetzt. Dann habe ich grüne Stachelbeeren, etwas Johannisbeeren und Erdbeeren gepflückt. Die Stachel- und Erdbeeren habe ich am Nachmittag zu Marmelade gekocht, während wir die Johannisbeeren zum Mittagessen gegessen haben. Am Abend habe ich, nachdem die Kinder im Bett waren, noch die Küche geputzt. Heute wollte ich damit fertig sein, denn ich musste in die Stadt, um die Lebensmittelkarten anzumelden. Gestern bin ich absichtlich nicht gleich gegangen, weil ich wusste, dass es heute bei Tengelmann Karamellbonbons gibt. Da muss ich doch zusehen, dass ich etwas bekomme, denn Jörgs Geburtstag kommt doch immer näher. Ich hab auch ¼ Pfund bekommen.
Heute am Vormittag habe ich noch ein wenig genäht, nachdem ich heim gekommen bin. Dann habe ich Essen gekocht. Während wir gegessen haben, ist Vater gekommen und hat nach Deiner Adresse gefragt. Er will Dir noch zum Geburtstag schreiben. Einstweilen soll ich Dir Grüße von ihm ausrichten. Ich will nachher noch Beeren abmachen. Auch für Vater ein paar, damit er sich auch ein bisschen Marmelade kochen kann. Ich nehme die Stachelbeeren, die unten am Strauch hängen oder am Bäumchen von den Ästen, die zu schwer sind. Die Marmelade wird wirklich gut und fest.
Post habe ich heute keine bekommen, auch gestern nicht. Vielleicht erhalte ich morgen wieder einen Brief von dir.
Du kannst Dich doch sicher noch daran erinnern, dass du für uns 2 Paar braune Wildlederschuhe mit Chromledersohle besorgt hattest. Das eine Paar sollte eigentlich für mich sein, war mir aber zu klein. Jetzt sind Helga ihre zu klein geworden und Jörg kann sie noch fertig tragen, während Helga nun das zweite Paar anzieht. Ein klein wenig ist es ihr noch zu groß, aber das macht nichts. Wir haben in die Spitzen der Schuhe etwas Watte getan. Jetzt kann sie sie gut tragen. Ich bin nur gespannt, wie lange Jörg die Schuhe noch trägt, denn er hat doch alles gleich kaputt.
Gerade ist Vater wieder fort gegangen. Er hat mir noch ½ Pfund Gries, einige Fleischbrühwürfel, eine Maggisuppe und ein Backpulver geschenkt, alles Sachen, die ich ganz gut brauchen kann. Ich habe ihm noch ein Paket Tabak und einige Zigarren gegeben. Die kann er wieder brauchen. So hilft man sich gegenseitig aus.
Gestern habe ich wieder ein bisschen die Küche umgeräumt. Den Kindertisch haben wir in das Kinderzimmer getan und den kleinen Tisch einstweilen auf den Speicher gestellt. Das Regal mit der Brotmaschine steht nun zwischen den zwei Türen und die kleine Truhe von Vater mit dem Werkzeug usw. steht in der Ecke, wo die Schlüssel hängen. Da haben wir jetzt wieder ziemlich Platz geschaffen.
Es sieht nicht alles so gedrängt aus. Sitzen können  die Kinder am Kindertisch ja sowieso nicht mehr richtig, er dient nur zum Aufbewahren von allerlei Sachen und die könne  sie sich ja auch aus dem Kinderzimmer holen.
Dadurch, dass Vater da war, ist es nun bereits um 4 Uhr geworden und ich muss jetzt weiter schaffen, sonst werde ich bestimmt nicht mehr fertig. Du bist mir bitte deshalb auch nicht böse, wenn ich schon mit schreiben aufhöre.
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

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