Montag, 14. August 2017

Brief 390 vom 31.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                       Konstanz, 31.7.42

Heute erhielt ich gleich 4 Päckchen, Nr.15,16,18 und 25 mit Brot, 1 Dose Fisch, 1 Dose Fleisch, Schokolade und Bonbons. Ich danke dir für alles sehr. Wir haben uns recht gefreut. Jeden Tag sitzen jetzt Erna und ich zusammen und jede schreibt an ihren lieben Mann. Siegfried hatte schon zu Erna gesagt, sie solle sich von mir anstecken lassen und viel schreiben. Das wird aber auch besorgt. Wir erleben ja auch jeden Tag nun Sachen, denn das immerwährende Gleichmaß ist ja unterbrochen. Wir machen ja auch Ferien. Heute waren wir in der Stadt. Erst hat uns Erna im Cafe Adler zu einem Stück Kuchen, und dann im Cafe Müller in der Wilhelmstraße zu einem Eis eingeladen. Die Kinder waren sehr froh darüber. Zu morgen hat sie ihnen ein Eis aus der Eisdiele versprochen, denn sie wollen morgen mal allein in die Stadt gehen und evtl. noch was für mich einkaufen. Dazu hat ihnen Erna schon je 1,50Mk. geschenkt. Ich habe ja verschiedenes zu besorgen und kann sowieso nicht gut mit.
Aus dem Garten haben wir gestern und heute die roten Tomaten und Gurken geholt. Gestern gab es Kohlrabi und Möhren, morgen holen wir Bohnen. Zu kaufen brauche ich an Gemüse so gut wie nichts. Das freut mich immer wieder.
Unser Jörg ist ein richtiger Lausebengel geworden. Nie ist er um Antwort verlegen. Dabei überlegt er alles ganz genau. Da hat er seinen Bauernhof aufgebaut und sagt:
„Jede Henne hat jetzt ein Kind, bloß der Hahn nicht. Der braucht auch keins und kriegt auch keins. Ich kriege ja schließlich auch keine Kinder.“
Jetzt essen die Kinder immer von den Äpfeln, die runter fallen. Ich wollte gestern auch mal probieren. Mit hat´s den ganzen Mund zusammen gezogen, Erna ebenfalls. Ich sage zum Jörg: „Die sind ja ganz sauer!“ „Was“, sagt er „sauer? Saftig sind die und gut!“
Als die Kinder auf der Reichenau ohne Anzug badeten, sagte Jörg:
“ Ich brauche mich doch nicht schämen, schließlich sehen ja alle Menschen gleich aus.“
Solche Aussprüche tut er jetzt immer. Man vergisst sie nur immer wieder.
Ich hoffe, dass es dir gut geht und dass du gesund bist. Ich weiß ja nicht, wo du jetzt bist und ob ich bald Nachricht bekomme, ist auch nicht bestimmt. Jedenfalls denke ich immer mit viel Liebe an dich. Ich grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie.

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