Montag, 14. August 2017

Brief 398 vom 8.8.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 8.8.42

Heute waren wir nun noch in Überlingen. ½ 11 sind wir weggefahren und waren ¼ 1 dort. Wir haben uns die Stadt gründlich angesehen, ebenso den Stadtgarten. Es war auch diesmal wieder schön. Erna hat Überlingen von allen Städten am See, die sie gesehen hat, am besten gefallen. Nach dem Ansehen sind wir in unsere Konditorei gegangen und haben einmal Eis, ein Stück Zwetschgenkuchen und ein Eisbecher mit Nougat und Früchten gegessen. Du siehst, schlecht haben wir nicht gelebt. Wir sind hinterher noch ein bißchen herumgestiefelt und dann mit dem Dampfer ½ 5 heimgefahren. Der nächste Dampfer fährt erst gegen 9 Uhr, das wäre zu spät geworden. Wir hatten ja auch soweit alles gesehen.
Ehe wir heute Morgen wegfuhren, bin ich noch Einkaufen gefahren. Dabei traf ich den Briefträger, den ich gleich nach Briefen gefragt habe. Und wirklich habe ich drei Briefe von Dir erhalten. Ich war ganz glücklich, denn Briefe vor Dir, das ist das Schönste, was mir der Tag bringen kann. Es ist so lieb von Dir, dass du immer schreibst, wenn es möglich ist. Wenn Du auf der Fahrt einige Tage nicht schreiben konntest, so verstehe ich das natürlich vollkommen. Dafür ist der Brief vom 25./26.7. besonders lang. Die anderen zwei Briefe sind vom 28.7. und 2.8. Ich danke dir für alle immer wieder recht sehr. Von Eurer Fahrt und Eurer Unterkunft hast Du mir ja nun erzählt. Trostlos muss es ja dort sein und es ist ganz gut, wenn man sich ein paar Illusionen vorgaukelt. Vielleicht wird es dadurch ein wenig erträglicher. Wie gut haben wir es doch noch hier daheim. Wir haben unser Heim und zu essen haben wir auch. Wenn wir uns vielleicht auch etwas einschränken müssen, so haben wir uns doch daran gewöhnt. Es ist ja schließlich Krieg.
Im Übrigen merkt man eigentlich von Einschränkungen nicht so viel. Du solltest nur den Fremdenverkehr hier sehen. So viele Fremde hat es hier, man glaubt es nicht. Und von ärmlicher Kleidung sieht man auch nichts, sondern alle sind gut, ja sogar sehr gut gekleidet. Und wenn die Leute hungern müssten, würden sie auch nicht reisen. Also nein, so schlecht, wie es Euch vielleicht manchmal erzählt wird, geht es uns in der Heimat nicht. Wie es in den bombardierten Gegenden ist, weiß ich natürlich nicht, aber meist maulen ja die am meisten, die nichts zu erdulden haben.
Hoffentlich schafft Ihr es noch, dass Ihr Eure Unterkunft bis zum Winter wohnlich einrichten könnt, vor allem auch Fensterscheiben und Türen bekommt. Es wäre ja sonst schlimm, denn wenn es dort kalt wird, dann gleich richtig. Hoffentlich tritt die Kälte ziemlich spät ein, damit unsere Truppen noch vorwärts kommen.
Mit Wanzen hast Du dort also auch schon Bekanntschaft gemacht. Hoffentlich hast Du persönlich noch nichts mit diesen Viechern auszustehen. Darauf verzichtet man ja gern.
Ich habe heute daran gedacht, als wir so durch Überlingen gingen, wie schön es doch wäre, wenn du hier wärst. Auch bei den anderen Ausflügen ist es mir so gegangen. Wie schöne Fahrten haben wir doch vor dem Krieg gemacht. Wir haben heute auch darüber gesprochen. Die Fahrten um den See, oder die Fahrten mit dem Zelt in Wangen, Klausenhorn usw. Ach, der Erinnerungen sind ja so viele. Man denkt doch immer wieder gern daran.
Du lieber Ernst, laß mich heute wieder schließen. Wir wollen den Brief noch wegschaffen, sonst käme er erst morgen Nachmittag mit. Erna ist mit ihrem Brief an Siegfried schon fertig und wartet.
Ich wünsche Dir, daß Du immer gesund bleibst und denke stets an dich. Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von deiner Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen