Mein liebster Ernst! Konstanz,
13.8.42
Heute habe ich 4 Briefe zu beantworten, die vom 5. Und 6.8.,
die ich gestern erhielt, und die vom 30.7. und 4.8., die heute ankamen. Gestern
bin ich nicht zum Schreiben gekommen. Aus Deinen Briefen habe ich nun ersehen,
dass du von deinem bisherigen Standort weggekommen bist. Der Brief von dem Tag,
an dem dir die Versetzung bekannt gegeben wurde, habe ich zwar noch nicht
erhalten, und so weiß ich eigentlich erst alles halb und reime mir alles
zusammen. Der Brief vom 6.8. kam ja gestern zuerst, und als ich las „…jetzt, wo
ich aus diesem Gebiet heraus komme….“, war ich ganz verdutzt, und habe
natürlich sehnlich auf die vorhergehenden Briefe gewartet, die mir Erklärung
bringen sollten. Das ist ja nun auch größtenteils geschehen, weiß ich doch
jetzt, dass du weiter nach Süden kommen sollst.
Dass Deine Kameraden nicht gerade erfreut sind, kann ich mir
denken, denn jeder käme eben doch gerne aus diesem Gebiet heraus. Aber du hast
ja nicht um diese Versetzung gebettelt, und so kann dir niemand einen Vorwurf
machen, auch dein bisheriger Chef nicht, wenn er auch noch so wütend ist.
Nun will ich mal nach und nach die Briefe beantworten. Wie
ich dir schon schrieb, ist ja Erna schon wieder abgefahren. Ich kann nur immer
wieder sagen, dass es sehr schöne 14 Tage waren, die wir hier verlebt haben.
Erna hat mir Verschiedenes von Leipzig erzählt, hat aber nie auf Papa
geschimpft, wie es Papa, nach seinem letzten Brief wieder zu urteilen,
wahrscheinlich annimmt. Ich habe feststellen können, dass Erna wirklich in
keiner Weise übertreibt, denn was sie erzählt hat, stimmt mit meinen
Erinnerungen an das Wesen von Papa vollständig zusammen. Erna hat doch ihren
Schrank mit den Sachen von Siegfried verschlossen. Aber sie gibt immer wieder etwas
davon zu dem täglichen Essen dazu, einmal Ölsardinen, einmal etwas Butter, die
sich Siegfried selber abgespart hat, einmal etwas Käse, was sie eben so von
Siegfried manchmal hat. Erna sagt, sie ist froh, dass sie immer mal so was
extra hat, da kann sie Papa ins Geschäft immer belegte Brote mitgeben. Dass sie
nun die Sachen nicht offen stehen lässt, nimmt ihr Papa übel. Er selber
schließt aber auch seine sämtlichen Schränke zu, so dass Erna auch Wäsche usw.
nicht versorgen kann, sondern ihm ebene so hinlegen muss. Das hat sie ihm auch
gesagt.
Einmal war Erna einen Tag bei Siegfried. Als sie heim kam,
sagte eine Bekannte, ob sie nicht mit in einen besonders guten Film gehen
würde. Sie hat es gern getan und hat Papa Brot, Butter und eine Dose Ölsardinen
hingestellt. Als sie heim kam, saß Papa bei einer Schüssel Eingebrocktem. Als
sie ihn fragte, warum er nicht die
Ölsardinen genommen und sich Brot geschmiert hätte, meinte er, das sei er nicht
gewöhnt, dass er sich das alles selber
machen müsste. Er wäre abends kaputt, da wolle er nicht erst noch mit den
Sachen anfangen. Außerdem sei das Brot hart gewesen. Erna hat ihm dann gesagt,
da hätte er ja schließlich die Rinde abschneiden können. Dann hat Papa zu Erna
gesagt, Lotte hätte den Kopf geschüttelt, dass sie gleich wieder ins Kino
gerannt sei.
In Leipzig kommt doch der kleine Steffen von nebenan immer
zu Erna, wie er früher schon zu Mama gekommen ist. Als das Frl. Ludwig einmal
da war, fragte sie, was er denn hier wolle. Erna sagte, dass er sie öfter
besuchen würde. „Das könnte ich nicht vertragen, Kinder machen mich nervös“,
meinte darauf Frl. L. Erna sagte: mich nicht“, darauf sagte Frl. L. erbost
„gehen sie erst mal so lange ins Geschäft, wie ich.“ In dem Haus verstehen sich
doch alle Leute gut, und es besteht eine gute Hausgemeinschaft. Als Frl. L. zu
Pfingsten mit ihrer Mutter kam, ging gerade eine Frau die Treppe herunter. Frl.
L. meinte „aha, da kommt wohl gleich wieder die ganze Hausgemeinschaft
angerannt“. Dass sie sich damit keine Freunde schafft, kannst Du Dir denken.
Als der kleine Steffen wieder mal da war, fragte er Papa:
„Was ist das für eine Frau?“ Papa sagte: „ Das ist die neue Oma“. Da ist er
gleich davon gerannt und hat gesagt: „Das ist keine Oma, meine Oma ist tot. Die
Frau mag ich nicht.
Sorge hat Papa scheinbar wegen der alten Frau. Ins
Altersheim will sie nicht, darum hat das Frl. gleich die Bedingung gestellt,
dass die Mutter mit hin kommt. Nun ist die alte Frau so, überall dabei sein, ja
alles hören und sehen. Auf´s Sofa legt sie sich nicht, weil sie Angst hat, sie
könnte darauf sterben, darum sitzt sie lieber. Also lauter solche Eigenheiten.
Da hab ich ja auch meine Bedenke, ob das lange gut geht. Und gerade, da sie
sich so pflegt, nichts schafft, auch nicht das Geringste, kann sie noch lange
leben. Das sind so einige Kleinigkeiten, die mir Erna erzählte. Im Übrigen sagt
sie, sie habe sich jetzt mit allem abgefunden. Hoffentlich klappt es mit der
Wohnung. Erna fährt ja nicht gerade gern wieder nach Leipzig zurück, da wir ja,
wie ich dir schon schrieb, mit dem kurzen Brief von Papa, in dem er gleich
wieder annahm, wir hätten vergessen, ihm bei der Ankunft von Erna eine Karte zu
schreiben, eine kalte Dusche bekommen haben. Aus den kurzen Worten „na,
gleich“, merkte man seine Verärgerung. Nun kam ja inzwischen wieder ein langer
Brief an mich, über den ich mich auch nicht gefreut habe. Papa ist immer so
verbiestert und misstrauisch. Ich weiß tatsächlich nicht, was er hat. Wir legen
ihm doch gar nichts in den Weg. Aber ich finde, das Frl. hat keinen guten
Einfluss auf ihn. Während Mama früher immer beschwichtigte, hetzt die scheinbar
noch auf. Na, mir soll es gleich sein. Ich habe ja an Papa gleich wieder
geschrieben und sende den Durchschlag mit. Ich bitte Dich, schreib Du in der
ganzen Angelegenheit gar nichts mehr. Ich glaube, Papa weiß jetzt selber nicht,
was er will.
Dass Papa wegen dem Schrank geschrieben hat „Trotzdem die
Unkosten einschließlich Fracht doch immerhin beträchtlich sind, will ich
absehen, Euch hierfür irgendetwas zu berechnen“ finde ich nicht schön. Darum
habe ich auch geschrieben, er soll mir die Kosten ruhig aufgeben. Das zahlen
wir auch noch. Weißt Du, wenn man schon etwas schenkt, dann nicht mit den
Worten. Diese Art kränkt doch direkt, oder empfindest Du das nicht so? Papa hat
den Schrank bahnlagernd geschickt. Ich kann ihn aber doch nicht gut
transportieren, wenn er so schwer ist, darum war ich heute auf der Bahn und
habe bestellt, dass mir der Schrank bei Eintreffen geschickt wird. Das wird
auch nicht die Welt kosten, und ich tue mir wenigstens keinen Schaden.
Der Brief, in dem die Urkunden waren, war vollkommen offen.
Der Umschlag war an beiden Seiten kaputt gegangen. Das war schon einmal der
Fall, wo mehrere Schreiben drin waren. Das hält der Umschlag scheinbar nicht aus.
Ich war erstaunt, dass die Urkunden alle noch da waren. Es waren 3 Urkunden,
ein Brief von Bernburg mit handschriftlichen Bemerkungen, der
Verssetzungsbefehl und ein Brief von mir drin. Ich denke, dass nichts verloren
ging. Wenn Du einen stärkeren Brief schickst, dann nimm bitte einen anderen
Umschlag. Es wäre schade, wenn mal etwas verloren ginge.
Der Geburtstagsbrief für Helga mit dem Geld drin ist gestern
auch angekommen. Ich hebe ihn noch auf. Den Durchschlag davon habe ich gelesen.
Du hast wieder sehr lieb geschrieben. Helga wird sich bestimmt sehr freuen. Auf
den Geburtstag freut sie sich ja heute schon.
Im Garten hat das schlechte Wetter keinen Schaden gemacht.
Im Gegenteil, der Regen war so gut, dass alles prima gewachsen ist, und gießen
hat man fast nie brauchen. Das tut einem wohl. Bloß so ein ganz gutes
Bohnenjahr ist nicht, aber für uns langt es schon. Hoffentlich ist das Wetter
für die übrige Ernte genauso gut gewesen, denn das ist ja für die ganze
Ernährung wichtig. Vom Apfelbaum haben wir bis jetzt so etwa 70 Pfund Fallobst
gehabt. Da mache ich immer Apfelmus davon, das wir früh auf´s Brot streichen.
Zum Sterilisieren ist es noch nichts, da es noch ziemlich sauer ist. Damit
warte ich noch eine Weile. Apfelringe will ich später auch machen. Die haben
sich vom vorigen Jahr sehr gut gehalten.
Die Adresse von Kurt ist wieder Feldpostnummer 19655. Ich
hatte gedacht, ich hätte dir schon seine andere Adresse mitgeteilt. Aber viel
Zweck hätte es sowieso nicht gehabt, denn sie hat sich ja drei Mal geändert.
Erst die Adresse von der Genesungskompanie, dann von seiner richtigen Kompanie,
und dann bald darauf die Feldpostnummer. Bis du die Adresse gehabt hättest,
wäre sie schon nicht mehr gültig gewesen.
Wie ich dir schon schrieb, haben wir ja den Geburtstag von
Jörg auf dem Hohentwiel und hinterher im Cafe bei Torte und Eis verlebt. Das
war ja sein Wunsch. Ausführlicher habe ich dir ja schon in einem anderen Brief
davon geschrieben. Ich denke, dass er dir sicher nachgeschickt worden ist.
Päckchen hast Du auch wieder für uns fertig gemacht. Ich
danke dir recht herzlich dafür und hoffe auch,
dass alles gut ankommt. Du schreibst, du weißt, dass wir nicht zu viel
zuhause zu essen haben. Es kommt mir vor, als ob du dir in dieser Beziehung
besonders in letzter Zeit Sorgen machen würdest. Dazu ist aber kein Grund
vorhanden. Wir bekommen ja immer noch dieselben Rationen, wie vorher und kommen
gut aus. Besonders, da wir ja noch den Garten haben. Wenn es mit dem Brot ein
wenig knapp war, so bessert sich das ja jetzt auch, nachdem Helga 10 Jahre alt
wird. Die Kartoffelversorgung mit neuen Kartoffeln hat hier bei uns dieses Jahr
auch richtig geklappt, so dass wir bisher noch nie ohne Kartoffeln gewesen
sind. Für alle Fälle hätten wir ja auch noch unsere eigenen. Aber die lasse ich
gern noch ein Weilchen in der Erde. Übrigens wegen Schweinemist war ich heute
auf der NSV. Ich bekomme ein Kubikmeter, sobald sie wieder Mist haben. Das
putzige ist nämlich, dass sie fast keinen Mist haben, da die Nachfrage so groß
ist. Einen Schein dafür habe ich nun heute bekommen. Der Kubikmeter kostet
wieder 4 Mk.
Gestern und heute habe ich mich wieder an die Gartenarbeit
gemacht. Es war ja wieder nötig. Gestern habe ich alles aufgelockert und die
kleinen Wege gleich nochmal umgegraben, damit das Unkraut unter die Erde kommt.
Überall haben wir das Unkraut entfernt (die Kinder haben dabei feste
mitgeholfen), besonders bei den Kartoffeln war es arg. Aber jetzt sieht alles
wieder ordentlich aus. Die 4 oberen reihen Erdbeeren habe ich heute ausgeputzt
und umgegraben. Morgen wollte ich mir die unteren Reihen vornehmen, aber ich
muss eine kleine Pause einschalten, und setze einmal einen Tag aus. Dafür
schaffe ich erst wieder mal im Haus. Es wird schon alles noch fertig werden.
Grünkohl habe ich gestern auch noch gesetzt.
14.8.42
Mein liebster Ernst!
Weg geschickt habe ich den Brief nicht, weil ich meine, es
ist besser, ich warte deine neue Adresse ab, da bekommst Du den Brief
vielleicht schneller, als wenn er erst umgeleitet werden müsste. Heute habe ich
die Briefe vom 3., 7., 8., 9.8 und den Brief
für Vater bekommen, den ich ihm am Geburtstag geben werde.
Briefe hast Du ja nun auch wieder von mir bekommen, nachdem
die Umleitung in Gang gekommen ist. Mit den anderen, die ich inzwischen wieder
geschrieben habe, wird es ja wohl länger gedauert haben, nachdem du nun
abermals einen Ortswechsel vorgenommen hast. Gut ist ja, wenn der Wittenburg
schreibt, dass deine Versetzung nach dem Osten eigentlich nur infolge eines
Irrtums zustande gekommen ist. Du musst es ja jetzt ausbaden. Aber du wirst
dich auch in das hineinfinden, denn du bist ja nicht so, dass du ewig etwas
nachtrauerst, was nun einmal sich nicht ändern lässt.
Du wirst sicher schon gewartet haben, dass dir Jörg von
seinem Geburtstag schreibt. Er hat sich´s auch schon vorgenommen und ich denke,
dass er morgen schreiben wird.
Er ist ja jetzt immer nicht mehr zu halten und rennt von
morgens bis abends draußen herum. Als Erna noch da war und wir öfter
fortgefahren sind, meinte er manchmal „nicht mal mehr spielen kann man, immer
muss man fort.“ Aber nun nutzt er es aus, dass er raus kann. Etwa über eine
Woche habe sie ja noch Ferien.
Für Helga ist der Geburtstagsbrief auch gekommen. Ich hab
nachgesehen, ob das Geld noch da war. Es ist aber alles in Ordnung. Da wird
sich Helga zum Geburtstag auch freuen, denn sie war schon ganz traurig, und nur
im Hinblick auf ihren Geburtstag zu trösten, dass sie noch nicht so viel Geld
wie Jörg auf der Sparkasse hat. Jörg sagt doch immer: „Oh, über 100.-Mk. habe
ich schon, 117 Mk. sogar, gell, so viel Geld hast Du noch nicht auf einmal
zusammen gehabt.“
Die Familienzusammenstellung, die wir von Onkel Kurt noch
hier haben, habe ich dir abgeschrieben und schicke sie dir mit. Ich denke, dass
du die meinst, denn eine andere habe ich nicht gefunden.
Wenn Helga den neuen Lehrer ¼ Jahr hat, werde ich einmal hin
gehen, und mit ihm sprechen. Vorher hat es keinen Zweck, weil er die Kinder ja
noch gar nicht kennt.
Du fragst mich, ob ich Resi wieder einmal getroffen habe.
Die Begegnung habe ich dir doch genau beschrieben. Wir haben uns doch im
Omnibus getroffen, als wir ins Kino gehen wollten. In den Farbfilm. Da haben
wir dann nebeneinander gesessen.
Bis das Geld, was ich nach Frankreich geschickt hatte, an
seinem Bestimmungsort ist, hat es aber gute Weile. Ich dachte, das sei schon
lange erledigt, derweil liegt es immer noch auf der Zahlmeisterei. Na,
Hauptsache, es wird noch alles erledigt.
Für das Geld, das du mir zu meinem Geburtstag schenken
willst, danke ich dir sehr. Ich werde es mir überlegen, ob ich jetzt etwas
brauche. Wenn nicht, dann spare ich es mit. Geld wird ja nicht schlecht.
15.8.
Vorhin bekam ich deinen lieben Brief vom 10.8., aus dem ich
ersehen habe, dass es dir doch recht ist, wenn ich die Briefe weiterhin
einstweilen an Deine alte Adresse schicke, da sie dir auf dem Kurierwege
nachgesandt werden und du glaubst, dass es doch verhältnismäßig schnell gehen
wird. Also schicke ich jetzt diesen Brief fort. Ich habe noch einige
Photografien von Erna´s Aufenthalt hier. Die schicke ich aber erst dann weg,
wenn ich deine neue Nummer weiß. Ich hoffe, dass dir das recht sein wird.
Vielleicht hast Du sie dann auch bald. Dein Geburtstagsbrief für mich kam
vorhin auch mit an. Ich habe ihn zur Seite gelegt und öffne ihn erst am
Geburtstag. Nun lass mich schließen. Ich hoffe, dass dich der Brief bald erreicht
und grüße und küsse Dich recht, recht herzlich, Deine Annie.
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