Sonntag, 30. Juli 2017

Brief 389 vom 30.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                      Konstanz, 30.7.42

Gestern bin ich nicht zum Schreiben gekommen. Erna an Siegfried übrigens auch nicht. Wir hatten gestern eine solche Tour hinter uns, dass wir zum Schreiben viel zu müde waren. Am Vormittag waren wir in der Stadt, wo wir auf dem Wirtschaftsamt in der Zollernstrasse die Kohlenkarten holen mussten. Wir haben dann Essen gekocht und sind um ¼ 3 Uhr mit dem Postomnibus nach der Reichenau gefahren. Der Omnibus war so voll, dass man kaum wusste, wo man hintreten sollte. Es fährt aber am ganzen Nachmittag nur einer. Am Anfang der Reichenau war Passkontrolle und Erna war froh, dass sie auch ihre Kennkarte hatte. In Mittelzell konnten wir endlich aussteigen, was direkt eine Erholung war. Wir haben uns die Kirchen angesehen und sind bis Niederzell gelaufen und dann immer am See entlang bis zum Löchnerhaus und noch weiter bis zum Anfang der Insel. Am Ufer, wo wir auch schon mit dem Paddelboot waren, ganz in Niederzell, wo wir auch schon unser Zelt aufgebaut hatten, haben die Kinder gebadet. Wir hatten ja keine Badeanzüge mit, aber es ging auch so, vor allen Dingen, weil keine Leute da waren. Wir sind mit den Füssen im Wasser gelaufen, da wir leider beide nicht baden konnten. Aber am Samstag oder Sonntag wollen wir das nachholen.
Als wir am Ausgang der Insel waren, war es bereits um 7 Uhr. Der Omnibus, mit dem wir aber wahrsche4inlich sowieso nicht mitgekommen wäre, fuhr aber bereits um 6 Uhr. Also sind wir z Fuß heim gelaufen.
Wir waren aber todmüde, als wir daheim waren, und die Füße haben gebrannt. Die Kinder sind auf dem Heimweg barfuß gegangen, da ging es besser. Heute haben wir uns aber nichts vorgenommen, sondern wollen uns ausruhen. Es wird sonst zu viel und macht keine Freude. In den nächsten Tagen gehen wir mal auf den Hohentwiel. Nächste Woche wird es aber werden, denn morgen muss ich Geld und Kartoffelkartenholen, am Samstag aber die Rente für Vater und die Miete bezahlen.
Nun will ich Dir noch Deinen Brief vom 15.7. beantworten, den ich vorgestern erhielt, ebenso die Briefe vom 6., 7. Und 17.7., die ich gestern bekam.
Über die Sache von Papa mache ich mir jetzt keine Sorgen mehr. Er muss wissen, was er tut. Ein besonders überzeugendes Bild habe ich von dem Fräulein nicht bekommen, aber das ist auch seine Sache. Ich heirate sie ja nicht. Papa ist auch immer noch derselbe. Ganz gut, aber leicht aufbrausend. Er kann schimpfen, will aber nichts einstecken. Na ja, du kennst ihn ja selber.
Dass ich meinen Humor nicht ganz verloren habe, da bin ich froh. Man kann ihn manchmal brauchen, sogar manchmal ganz gut.
Siegfried hatte ja inzwischen geschrieben, dass er diesen scharfen Brief an uns in Aufregung geschrieben hat, und das er inzwischen sich alles nochmal reiflich überlegt hat und einsieht, dass es am besten ist, man lässt alles seinen Lauf gehen.
Die Beschreibung deiner Dienstreise war mir wieder sehr interessant. Man bekommt einen kleinen Einblick in die dortige Lebensweise. Über die Tischsitten war ich erstaunt. Wenn die Kinder flegelhaft essen, kann man also sagen, sie essen russisch. Es gibt doch komische Sitten auf der Welt. Gegessen habt ihr nicht schlecht, aber vielleicht bekommt ihr es nicht gleich wieder so gut. Empfangen seid ihr auch gut worden. Wie bist Du dir da vorgekommen? Wie ein hohes Viech?
Die Rosen zu deinem Geburtstag waren aus unserem Garten. Ich habe nicht gemeint, weil ich den Teller zerbrochen habe, bekam ich die Belohnung. Sondern da Scherben Glück bringen musst du, da dein Geburtstag war, im kommenden Jahr Glück haben. Das ist mir das Wichtigste.
Beim Esswaren einkaufen habe ich mir ja noch nicht so viel Zeit verlaufen, wie andere Leute, weil wir den Garten haben. Aber wegen anderen Sachen vergeht auch viel Zeit. Manche Geschäfte haben jetzt Montag, Mittwoch und Donnerstag vormittags geschlossen, andere wieder Mittwochnachmittags. Andere haben Betriebsferien. Das kann man sich natürlich nicht alles merken, und so kommt es, dass man wegen Kleinigkeiten, die man aber braucht, 2 – 3 Mal rennen muss, ohne dass man es aber deswegen schon erhalten haben muss, denn manchmal ist es ausverkauft oder kommt erst in der folgenden Woche usw. Aber das sind ja alles Sachen, die sich noch mit Humor ertragen lassen. Und sonst haben wir ja nicht viel zu klagen. Denn zu essen haben wir ja noch, wenn es auch manchmal knapp zugeht.
Mit dem Kartoffelkäfer war es ja so, dass er schon in Kreuzlingen und auf der Reichenau war und wahrscheinlich irgendwie nach dem Heidelmoos gekommen ist. Zum Suchdienst wurden ja gleich Schulklassen eingesetzt, so dass die Verbreitung aufgehalten wurde. Bei uns habe ich bis jetzt glücklicherweise noch keinen entdeckt.
Ist der Schnupfen und die Magenverstimmung ohne größere Störungen vorüber gegangen? Hoffentlich hast Du nicht zu sehr darunter zu leiden gehabt. Ich hoffe jedenfalls, dass du wieder ganz gesund bist.
Das Päckchen Nr.19 mit den Stumpen ist gestern auch angekommen, während die anderen Nummern vorher noch unterwegs sind. Ich hebe die Stumpen für den Geburtstag mit auf.
Es ist noch nicht ganz sicher, ob Siegfried abgelöst wird. Im anderen Zug sind schon welche abgelöst und ältere Leute eingesetzt worden. Diese haben aber die Sache, das ewige fahren und manchmal Tag und Nacht munter sein, sowie verbinden usw. nicht vertragen und sind wieder durch jüngere Leute ersetzt worden.
An uns schreibt ja Siegfried meist  sehr wenig Inhaltsreiches. Aber es ist ja so, dass wir ihm auch meist keine Sachen schreiben, die uns näher angehen. Erna hat mir von Siegfried einige Briefe vorgelesen, die er an sie geschrieben hat, über die ich wirklich gestaunt habe. Er hat wirklich gut und gar nicht so oberflächlich, wie es an ihm manchmal scheinen mag, geschrieben. Erna sagt überhaupt, dass sich Siegfried, seit sie verheiratet sind, sehr geändert habe. Manchmal hat sie früher etwas Sorge gehabt, weil er manchmal so grob und so war, aber jetzt sei er so gut und fürsorglich zu ihr. Das freut mich ja auch sehr.
Aus Donaueschingen erhielt ich heute ein Päckchen von Kurt. Er schickt seine Aktenmappe mit einigen Bürsten sowie Filmen her. Er schreibt:
Liebe Annie und lieber Vater! Heute schicke ich einige Sachen, die ich nicht mitnehmen kann. Wir sind ganz plötzlich zu einer Marschkompanie versetzt worden. Gestern Abend sind wir hier angekommen und heute geht es wahrscheinlich schon weg. Den Brief von ernst habe ich gestern erhalten. Mein Urlaub nach Konstanz war schon genehmigt, morgen wäre ich wahrscheinlich gekommen. Nach meinem Urlaub wäre ich zum Afrika-Korps versetzt worden. Nun ist die Anforderung von der alten Kompanie gekommen, da kann man eben nichts machen. Vorgestern war ich nochmal bei Fricks. Meine neue Anschrift schicke ich noch, sobald es geht. Für heute grüßt Euch und die Kinder gez. Kurt
Hat Kurt nicht ein Pech? Kurz vorm Urlaub muss er wieder abrücken und wenn er nach Afrika gekommen wäre, hätte er´s vielleicht auch besser gehabt, wie in Russland. Na ja, man kann eben wirklich nichts machen.
Zeitungen schicke ich heute auch wieder an dich ab. Jetzt wirst du sie ja sicher noch länger nicht bekommen, als bisher. Aber diese Sachen kann man ja immer noch lesen.
Nun lass mich für heute wieder schließen. Bleib gesund uns lass es dir soweit gut gehen. Hoffentlich hast du die Übersiedlung nach der neuen Unterkunft auch gut hinter dich gebracht.
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

Brief 388 vom 28.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                        Konstanz, 28.7.42

Nun geht wieder ein schöner Tag vorbei. Wir sind am Morgen gegen 9 Uhr auf die Mainau gelaufen und haben uns alle in Ruhe angesehen. 1.15 Uhr sind wir nach Meersburg gefahren. Wir sind durch die Stadt gestiefelt und haben uns das Schloss angesehen. Und nun muss ich sagen, dass ich bei der Besichtigung sehr angenehm enttäuscht war. Rumgeführt wurde man nicht mehr, sondern bekam einen Führer, den man wieder abgeben musste, in die Hand gedrückt. Wir haben viel mehr gesehen, als man früher besichtigen konnte. Erst die Zimmer der Droste, dann die Schmiede, den Rittersaal, Waffengang, Kapelle, Gerichtssaal, Burgverließ. Das letzte war besonders interessant. In der Mitte des Zimmers ist ein rundes Loch (Angstloch genannt), da sieht man ganz in die Tiefe. (Jetzt ist unten Licht angebracht!) Durch dieses Loch, 1 Meter im Durchmesser, konnten die Gefangenen beobachtet werden. An der Seite, außerhalb des Verließes, ging eine Treppe bis ca. 2 Meter über dem Boden. Da befand sich eine Tür. Später ist scheinbar die Treppe noch bis ganz hinunter gebaut worden. An der Wand im Zimmer sind einige Sätze photographiert, die Gefangene in die Wand geritzt haben. Einer hat mich besonders berührt: “Gebt mir den Frieden“ heißt er. Was mag dieser Mensch wohl gelitten haben? Ein anderer schrieb: „Christus ist meine Hoffnung“. So sind noch einige Sachen da.
Wie geschrieben stand, sind einige auch zum Tode des Verhungerns verurteilt worden.
Nach dem Verließ haben wir zwei Zimmer mit alten Trachten besichtigt und dann einen unterirdischen Gang, der im Pferdestall in 1,5 Meter Höhe beginnt und so breit ist, dass gerade ein Mann laufen kann. Er wurde von 400 Bergknappen um 1300 gebaut. Als 1334 die Burg belagert wurde, vergeblich, wurden durch den Gang, der bis zum See hinunter ging, während der Nacht Lebensmittel zur Burg gebracht.Nach der Burg haben wir uns die kath. Kirche ganz auf dem Berg angesehen. Später sind wir mit der Fähre und dem Omnibus heimgefahren.
Jörg war heute ein richtiger Clown. Auf der Fähre war auch ein Heuwagen. Wir standen auf so einem hohen Turm an der Seite der Fähre. Plötzlich sagt Jörg ganz trocken: „Wenn jetzt hier ´ne Kuh wäre, die hätte zu fressen.“ Er hat noch so manchen Unsinn gemacht.
Wir haben heute alle ganz frische Farben bekommen, von der Luft und der Sonne. Müde sind wir auch geworden.
Ich möchte dir noch für deinen lieben Brief vom 15./16. Danken, den ich heute Abend im Briefkasten vorgefunden habe. Beantworten tue ich ihn morgen, denn mir fallen jetzt die Augen zu. Die 20.-Mk. für Jörg sind heute früh auch gekommen. Ich werde nun sehen, wie ich sie verwenden kann, ob ich evtl. etwas zu kaufen bekomme.
Ich grüße und küsse dich wieder recht herzlich und denke immer an dich Deine Annie.

Brief 387 vom 27.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                          Konstanz, 27.7.42

Post habe ich ja keine bekommen, aber sonst habe ich dir zu erzählen. Erstens muss ich dir sagen, dass ich mich sehr freue, dass Erna da ist. Ich verstehe mich mit ihr prima und wir haben schon manchen Spaß miteinander gehabt. Erna hilft mir immer mit, und so ist die Arbeit schneller gemacht und ich habe auch freie Zeit. Heute Morgen bin ich noch etwas einkaufen gefahren, dann haben wir zusammen Bohnen gepflückt, haben sie geschnipselt und Kartoffeln geschält. Wir konnten bald essen und sind dann gegen 1 Uhr in die Stadt gegangen. Wir haben uns soweit alles angesehen. Um 2 bin ich auf´s Rentamt gegangen und habe für Vater eine Rechnung bezahlt. Dann sind wir in die Eisdiele gegangen und haben Eis gegessen. Dann haben wir die Kinder zum Scala gebracht, wo ein Film, „Das große Spiel“ gegeben wurde, wo Kinder hin durften, während wir in „Die Hochzeit im Bärenhof“ mit Heinrich George, Paul Wegener, Ilse Werner, Ernst von Klipstein, waren. Das haben wir wirklich nicht zu bereuen brauchen. Es war einfach wunderbar. Erstens mal spannend und dann so, dass man einfach mitleben musste. Zum Lachen gab es auch manches. Eine gute Mischung. Nach dem Kino haben wir die Kinder getroffen und haben dann nochmal für 20 Pfg. Eis gegessen. Wir waren noch bei Tengelmann und sind dann heimgegangen. Da haben wir gegessen und sind dann noch auf den Bismarckturm gegangen, wo wir zwei Taschen voll Lindenblüten gepflückt haben. ½ 10 Uhr waren wir wieder zuhause, wo die Kinder in´s Bett gegangen sind. Wir haben uns nun an´s Schreiben gesetzt. Es ist nun 11 Uhr. Nachher bringen wir die Briefe noch fort.
Morgen, wenn es schön ist, wollen wir nach der Mainau und nach Meersburg. Wir nehmen uns etwas Brot mit und abends essen wir die Makkaroni, die Erna mitgebracht hat. Sie hat auch noch einige Pfund Zucker, Kunsthonig und eine Dose Fisch mitgebracht. Für mich brachte sie einen Briefhalter mit und von Papa eine schwarze, etwas gemusterte Halskette und ein Armband für mich.
Wir haben uns heute von Papa unterhalten, und Erna hat sehr vernünftige Ansichten. Sie spricht gar nicht gehässig von ihm und sagt auch, dass er sehr viele gute Seiten hat. Sie musste aber dieselben Erfahrungen mit ihm machen, wie wir, dass er wohl schimpfen, aber selber nichts einstecken will. Als du von Leipzig weggegangen warst, hat Papa auch gemeint, du hättest Erna aufgehetzt. Ein Zeichen davon, wie schlecht er dich kennt. Aber mir geht es ja nicht besser, schrieb er doch im vorletzten Brief, dass er glaubt, dass wir über ihn herziehen würden. Aber wenn man sich über die Sache unterhält, ist es doch kein herziehen. Man kann ja nicht um alles wie um einen heißen Brei herumgehen.
Erna ist ja mit dem Fräulein Lotte per Du. Nicht auf ihre Veranlassung, aber damit kein Krach wird, weil es Papa vorgeschlagen hat. Siegfried mag das Fräulein gar nicht und ist auch per Sie. Ein komisches Ding muss das Fräulein ja schon sein, denn wenn Erna ihr Kaffee nachgießen wollte, hat sie das entsetzt abgewehrt und gemeint „nein, nein, ich will doch noch einen Mann haben“. Erna meint wir sollen jetzt die ganze Sache ruhen lassen.
Erna hat auch von deinem Besuch berichtet. Was du alles erzählt hast, wie ihr fortgegangen seid usw. Sie kann dich gut leiden.
Ich bin heute von der N.S.V. verpflichtet worden, jede Woche 2 Stunden im Ziegelhof zu schaffen. Es werden Knöpfe an Uniformen angenäht usw.  Das ist Arbeit für eine Firma, da aber der Platz fehlt, wird im Ziegelhof geschafft. Das Geld habe ich dem Roten Kreuz zur Verfügung gestellt. Wenn ich jeden Tag schaffen müsste, würde ich es selber nehmen, aber so nicht. Weigern kann man sich nicht, dass man die Arbeit nicht machen will. Es ist Kriegsdienst. Es wird gearbeitet von früh 8 Uhr bis abends 8 Uhr jeweils 2 Stunden. Wenn man mehr tut, sind sie auch nicht böse. Ich schaffe mal die 2 Stunden und mache es gern, denn es hat mich schon manchmal bedrückt, dass ich so nirgends mithelfe.
Doch nun für heute Schluss. Es ist schon ½ 12 Uhr. Es ist bald Schlafenszeit. Ich grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie.

Brief 386 vom 26.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                        Konstanz, 26.7.42

Nun haben wir Erna hier. Wir waren am Bahnhof und sind gleich mit dem 12 Uhr Zug bis Petershausen zurück gefahren. So hatten wir nur einen kurzen Weg und brauchten keinen Wagen. Wir haben bald Mittag gegessen und dann haben wir uns erzählt und sind mal in den Garten gegangen. Nun schreibt Erna an Siegfried und ich schreib an Dich. Wir wollen den Brief ½ 5 noch zum Kasten bringen.
Als wir am Nachmittag fortgehen wollten, kam gerade dein lieber Brief vom 14.7. Ich habe ihn gleich mitgenommen und unterwegs gelesen. Über Deine Verwechslung mit den Holzkläpperlen habe ich nun auch lachen müssen. Diese Dinger sind ja auch ein Kriegserzeugnis, also ist es schon gut entschuldbar, wenn du damit nicht Bescheid weißt. Viel Freude erlebt man ja nicht mit den Kläpperlen, denn die halbe Zeit sind sie kaputt, aber es ist das einzige Bezugsscheinfreie. Die anderen leichten Schuhe bekommt man nur auf Bezugsschein II. Aber dazu haben die Kinder noch zu viele feste Schuhe.
Mit den Beeren ist es nun bald ganz Schluß. Das große Bäumchen hatte 13-14 Pfund Beeren. Beim kleinen haben wir ca. 7 Pfund gepflückt und die anderen sind noch dran. Beim Vorbeigehen holen sich die Kinder, und auch ich, immer mal ein paar. Das schmeckt a besten. Zum Zustutzen der Sträucher wäre es gut, wenn Du hier wärst. Ich kenn mich da nicht aus und weiß nicht, was ich wegschneiden soll.
Erna hat mir heute von Alice´s Vater erzählt. Dieser Mann ist 6 Jahre mit Mama gegangen. Er hat gesagt, wie oft er es bereut hätte, Mama damals nicht geheiratet zu haben. Es sei eine Jugendtorheit gewesen, die er bitter bereut habe und die doch nicht mehr gutzumachen sei. Seine Frau sei auch gut gewesen, aber eine Mathilde sei es doch nicht gewesen. Mit ihr wäre er bestimmt mehr vorangekommen. Seine Frau hat es in der Erziehung der Kinder, er hat drei, manchmal fehlen lassen. Sie hat ihnen Geld zugesteckt usw., von dem er nichts wissen durfte. Mama sei auch früher schon so gut gewesen. Darum hätte er Mama auch jetzt noch geheiratet, nachdem seine Frau gestorben sei.
Gestern kam dein Päckchen Nr.14 an. Leider war das Brot nicht mehr gut. Es tut einem immer leid. Aber es lässt sich nicht ändern. Freuen tut es mich aber doch, dass du immer so lieb an uns denkst.
Nun laß mich schließen. Morgen schreibe ich ja wieder, du lieber, lieber, guter ernst. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.
Auch von mir recht herzliche Grüße, Deine Schwägerin Erna.

Dienstag, 25. Juli 2017

Brief 385 vom 24.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                         Konstanz, 24.7.42

Als ich heute Vormittag vom Lebensmittelkarten holen heim kam, waren deine lieben Briefe vom 12. Und 13.7. und die Päckchen Nr.12 und 13 angekommen. Beide Päckchen haben leider sehr gelitten und kamen halb ausgepackt an. Außerdem war das eine Brot, wahrscheinlich von einer Maus, fast ausgefressen. Das andere Brot war noch soweit gut.
Du hast dieses Jahr im Freien schon mehr gebadet, wie wir. Vielleicht wird das Wetter hier auch bald mal besser. Heute ist jedenfalls mal ein ganz sonniger Tag.
Den Brief an Kurt werde ich weitersenden. Mit Alices Vater ist es schon so eine Sache. Ich kann ja Alice einesteils verstehen, dass es sie interessiert, ihren Vater kennen zu lernen. Ich werde ja von Erna hören, was es für ein Mann ist. Vielleicht hat er eingesehen, wie Unrecht er Mama getan hat, wenn es auch jetzt viel zu spät ist.
Bei den Stachelbeeren habe ich schon oft an die Sprüche vom Zahn gedacht. Es ist eben doch gut, wenn man sich nach niemand richtet, sondern tut, was man selber für richtig findet.
Ich bin noch fest beim Schaffen. Heute habe ich die Betten noch frisch überzogen und schlafe nun ab heute in Deinem Bett. Alle Wäsche habe ich soweit gewaschen, damit ich nicht während des Besuchs mit großer Wäsche anfangen muss. Dann habe ich auch unsere Briefe aus dem Nachtschränkchen weg getan und verschiedene Sachen weggeschlossen, die Erna, sollte sie doch ein wenig neugierig sein, nicht gerade sehen muss. Morgen will ich nun noch einen Kuchen backen. Leider gibt es nirgends ein Backpulver zu kaufen, so dass ich mir etwas mehr Zeit nehmen und einen Hefekuchen backen muss. Dann denke ich, dass ich mit allem fertig bin.
In den nächsten Tagen gibt es sicher wieder Lindenblüten. Evtl. muss eben Erna mal mitgehen zum Pflücken. So viel brauchen wir ja nicht, da ich alle Dosen mit Tee schon gefüllt habe. An der Bahn bei der Kaserne konnte ich auch schon ein paar Lindenblüten pflücken.
Jörg wird sich sicher über deinen Geburtstagsbrief freuen, der heute auch angekommen ist. Ich habe ihn einstweilen aufgehoben.
Wo wirst Du jetzt sein? Schon in deiner neuen Unterkunft? Ich denke immer daran. Die Hauptsache ist, dass du gesund bist, und das hoffe ich ganz fest. Bleibe es auch weiterhin und nimm viele herzliche Grüße und Küsse von Deiner Annie.

Brief 384 vom 23.7.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 23.7.42

Heute bekam ich Deinen lieben Brief vom 11.7. Wenn es so gekommen ist, wie du dachtest, werde ihr ja heute schon lange unterwegs, evtl. schon an eurem neuen Ort sein. Die Fahrerei wird sicher nicht leicht gewesen sein. Wenn bei Euch solches Wetter ist, wie hier, meist Regen, werden ja die Straßen unergründlich sein. Bei uns in der Zeitung sieht man immer wieder Bilder vom Vormarsch, und man meint, alles müsste stecken bleiben. Umso mehr muss man immer wieder über die Leistungen staunen, die vollbracht werden.
Du machst mir so einige Vorschläge, wo wir hin gehen sollen mit Erna, und es freut mich, dass Du dasselbe meinst, was ich mir so ausgedacht hatte. Wenn nur das Wetter noch besser wird.
Du hast Dich gewundert, dass ich so selbständig war und einfach 1.Klasse im Dampfer gefahren bin. Ja, weißt du, wenn ich mit dem Pfennig rechnen muss, richte ich mich ein. Aber da es nicht ganz so knapp zuging, meinte ich, wir könnten´s uns mal ein wenig schöner machen. Man muss ja selbständig werden, wenn man immer alleine ist.
Gestern war ich doch im Film. „Ein falscher Fuffziger“ wurde gespielt, mit Adele Sandrock, Theo Lingen usw. Es war ganz schön. Die Kinder haben mich abgeholt und wir sind dann langsam heimgegangen. Eigentlich wollte ich noch schreiben, aber Vater kam noch, da ist nichts draus geworden. Heute Morgen war ich in der Stadt und habe Zeitungen für Dich besorgt. „Das Reich“ schicke ich gleich nachher mit fort, die anderen morgen, damit die Post nicht so viel auf einmal bekommt. Morgen früh muss ich wieder zu Tengelmann fahren, da gibt es sicher Bonbons. Da habe ich noch was für Jörg. Er rechnet ja schon immer aus, wieviel Tage es noch bis zum Geburtstag sind. Außerdem warten natürlich beide jetzt auf Erna. Ich bin heute auch schon beim restlichen putzen, denn die letzten 2 Tage werde ich schlecht dazu kommen. Morgen gibt es ja Lebensmittelkarten, die muss ich holen und anzumelden sind sie auch noch. Und am Samstag will ich doch einen Kuchen backen. Die Tage werden schnell vorbei sein.
Ich kann heute schlecht schreiben. Vorhin habe ich mir nämlich den rechten Daumen eingeklemmt. Das brennt ziemlich.
Bleib gesund und sei herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 383 vom 21./22.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                            Konstanz, 21.7.42

Eigentlich wollte ich heute Abend gar nicht mehr schreiben, aber es lässt mir keine Ruhe. Du wirst fragen, warum ich bei Tag nicht geschrieben habe. Da ging es nicht, du lieber Kerl. Ich habe fest genäht. Ich hatte doch ein Dirndlkleid (wie beiliegendes Muster). Das konnte ich nicht mehr anziehen, weil das Oberteil kaputt war. Der Rock war aber noch gut. Da habe ich für Helga noch ein Kleid draus gemacht. Dazu habe ich ihr gleich noch eine weiße Bluse mit Puffärmeln und grünem Durchzugsband genäht. Helga sieht in dem Kleid so frisch aus, dass ich meine Freude dran habe. Etwas Unnützes hängt nicht mehr rum und was Nützliches ist draus geworden. Gestopft und ausgebessert habe ich auch noch. Damit wird man ja nie fertig, immer kommt etwas Neues hinzu.
Das Wetter war heute auch nicht besonders. Meist Regen. Erst waren die Kinder oben, aber als das Wetter ein wenig aufhellte, habe ich sie rausgeschickt. Das ist ja eine Rasselbande. Sie stecken voller Übermut und Rauflust. Bei der Rumbalgerei wird das Regal weggestoßen, alles liegt kunterbunt durcheinander, man schwebt dauernd in Angst, sie rennen sich die Köpfe ein. Unten im Garten hebt sich Jörg die kleinen, heruntergefallenen Äpfel auf und ißt sie mit Appetit. Er findet, sie schmecken prima. Gegen drei von den Äpfeln hat er vor einigen Tagen zwei Fliegerhefte eingetauscht, die er gerne haben wollte. Die Äpfel waren ja für ihn leicht zu beschaffen.
                                                                                                                        22.7.

Heute hat sich das Wetter etwas gebessert. Da bin ich gleich am Morgen, als Helga noch schlief, mit Jörg in den Garten gegangen. Wir haben Tomaten angebunden und sonst sauber gemacht. Es hängen schon viele Tomaten an den Stöcken. Auch Gurken wird es viel geben. Die Pflanzen hängen voll Blüten und auch kleine Gurken hängen schon dran. Die ersten Stangenbohnen gibt es auch, das Kraut köpfelt sich überall. Also im Allgemeinen steht alles schön da.
Nachher will ich in´s Kino gehen. Die Kinder holen mich ab und kaufen inzwischen was für meinen Geburtstag ein. Sie wollten schon vorgestern gehen, aber da war es nichts geworden durch den Regen.
Der Briefträger hat mich heute wieder vergessen und hat mir nichts gebracht.
Nun laß mich schließen, damit ich mich noch fertig machen kann. Wahrscheinlich schreibe ich heute Abend noch.
Ich grüße und küsse dich recht sehr und denke immer an Dich, Deine Annie.

Brief 382 vom 20.7.1942


Mein liebster, bester Ernst!                                                               Konstanz, 20.7.42

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 8.7., in dem Du mir den Schluss deiner Reise erzählst. Den vorhergehenden Brief habe ich noch nicht bekommen, aber ich denke, dass er auch nicht mehr so lange auf sich warten lassen wird. Sehr bedauert habe ich es, zu hören, dass dein Chef versetzt wird, mit dem du dich so gut verstanden hast. Es soll einem eben nie zu gut gehen. Du wirst ja sehen, ob es sich machen lässt, dass er dich anfordern kann. Ich wünsche dir jedenfalls das Beste. Das weißt du ja auch. Mühelos war ja der Schluss der Reise nicht, wenn ihr dauernd mit dem Wagen von der Straße gerutscht seid und ihn immer wieder aus dem Dreck ziehen musstet. Das sind russische Verhältnisse.
Die Geburtstagsfeier wurde durch die Versetzungsgeschichte auch noch gestört. Aber sonst hast Du den Abend wohl ganz angenehm verbracht. Es freut mich sehr, dass wir dir mit den Bildern und den Päckchen eine kleine Freude bereitet haben. Es ist ja sowieso nicht viel, was man dir schicken kann.
Das Päckchen Nr.11 mit Brot ist heute gut angekommen. Nur kleine Stellen waren schimmlig. Das Brot hilft uns immer wieder mit und wir danken dir sehr dafür. Es hat auch einen sehr guten Geschmack.
Von Papa erhielten wir heute ein Paket mit Zeitungen, Romanen und einer schönen bunten Kette und einem Holzarmband für Helga, beides, wie Papa schreibt, Schwarzwälder Arbeit. Helga hat sich sehr gefreut und hat Papa vorhin einen Brief geschrieben. Ich hab ihm auch geschrieben und zwar hab ich von der ganzen strittigen Angelegenheit gar nichts erwähnt. Ich werde ja sehen, ob Papa damit zufrieden ist. Ich wäre sehr froh, wenn ein bißchen Ruhe eintreten würde. Ich habe schon manchmal gedacht, hätte Papa mit dem Fräulein doch etwas gewartet und hätte nach einem Jahr die ganze Bekanntschaft begonnen, ich glaube, alles wäre nicht so schlimm geworden. Denn man hatte ja immer schon damit gerechnet, dass er vielleicht wieder heiratet. Aber dass er schon so kurz nach Mamas Tod ein Verhältnis begonnen hat, das kann man ihm doch schwer verzeihen. Aber es hat ja jetzt alles keinen Zweck mehr und wir wollen sehen, dass wir soweit mit ihm in Frieden auskommen. Wir werden ja sehen, ob es geht. Durch Erna werde ich ja auch bald erfahren, was eigentlich daheim alles so gelaufen ist.
Heute haben wir richtigen Landregen. Und kühl ist es geworden. Da ist es am schönsten zuhause. Helga geht heute für mich einkaufen. Ich hab seit gestern etwas Halsweh und 2 kleine Eiterblüten am Gaumen, die mir beim Schlucken weh tun. Darum möchte ich mal heute nicht raus gehen und mal lieber richtig gurgeln. Helga freut sich ja, wenn sie mit dem Omnibus fahren kann. Mit der Gartenarbeit ist es wegen dem Regen ja nun nichts geworden, aber dafür machen wir es uns zuhause gemütlich. Das ist auch mal fein. Da kann man mal wieder richtig kramen in Schubladen usw. und kann kleine Sachen erledigen, die immer liegen geblieben sind. Du siehst also, auch so ein Regentag hat etwas Gutes.
Gerade hat mich Jörg wieder dazu angestellt, dass ich ihm ein Haus male. Heute Morgen und auch gestern Nachmittag habe ich es schon tun müssen. Du siehst also, an Langeweile gehe ich nicht zugrunde. Ich finde ja meine Malerei nicht besonders schön, aber den Kindern gefällt´s , und das ist in diesem Fall ja die Hauptsache.
Für das Bett von Jörg hatte ich doch immer eine kleine Steppdecke. Der Bezug war ja nicht mehr gut und ich habe sie immer weiß überzogen. Diese Decke ist nun für das Bett, oder eigentlich für Jörg, zu klein geworden. Da hatte ich nun von Mama noch einen roten Stoff da, so eine Art Fahnentuch. Damit habe ich Decke nun überzogen und abgesteppt. Den restlichen Stoff habe ich nun als abziehbaren Überzug drüber getan. Nun könne die Kinder die Decke zum Spielen verwenden, was sie auch gerne tun, denn sie ist schön warm und weich. Sie können auch gut drauf turnen. So erfüllt sie doch noch einen Zweck und wenn ich sie doch mal für´s Bett an die Füße verwenden will, brauche ich sie ja nur weiß beziehen.
Heute hat Papa ein Illustriertes Jahrbuch aus dem Jahr 1877 mitgeschickt. Wo doch diese Sachen noch her kommen? Es stehen aber nette Sachen drin und Helga ist gerade beim Lesen. Ich habe ja für solch alte Bücher immer eine kleine Schwäche und mag sie gar nicht wegwerfen. So habe ich ja auch noch den alten Kalender von 1852, den ich mal von Mama bekommen habe.
Ich weiß nicht, ob ich dir schon geschrieben habe, dass ich von Siegfried eine Karte aus Traunkirchen bei Gmunden und aus Linz erhalten habe. Sie haben zum ersten Mal in der Ostmark ausgeladen. Heute bekam ich eine Karte aus Magdeburg, wo Erna Siegfried einen Tag besucht hat.
Helga hat folgenden Brief an Papa geschrieben:
Lieber Papa! Heute erhielten wir Dein Paket. Als Mutterle auspackte, freute ich mich schon auf die Zeitungen, weil ich immer gern die Blödsinne hinten auf den Zeitungen lese. Aber diesmal packte Mutterle nicht nur die Zeitungen aus, nein, sie packte eine schöne Kette und ein schönes Armband aus. Da habe ich mich gefreut. Mutterle hat mir erst gar nichts gesagt, sie wollte mich überraschen. Die Sachen sind auch sehr schön, Mutterle gefällt das Armband besonders gut. Also lieber Papa, ich danke dir sehr. Ich hätte bald vergessen, dass ich dir für die Zeitungen danke, also ich danke dir für die Zeitungen.
Ich freue mich schon auf nächsten Sonntag, den 26.Juli, da kommt Tante Erna auf Besuch, da freu ich mich schon so sehr. Heute Abend, wenn der Omnibus wieder fährt, fahre ich gleich hinein und schaffe den Brief zur Post. Nicht nur wegen dem Brief fahre ich hinein, auch weil ich noch für Mutterle einkaufen muss. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. Viele Grüße und Küsse von Deinem Jörg.
Jetzt hab ich mir fast noch den ganzen Brief zerrissen, ich bin in der Maschine hängen geblieben. Schön sieht der Brief ja nun nicht gerade aus, aber du musst bitte darüber hinweg sehen.
Ich grüße und küsse Dich nun wieder recht herzlich und hoffe, dass Du gesund bist und dass es dir soweit gut geht. Bald werde ich ja sicher von dir hören, wo du bist. Nochmals viele Küsse von Deiner Annie.


Brief 381 vom 19.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                     Konstanz, 19.7.42

Der halbe Sonntag ist wieder vorbei. Die Kinder waren am Vormittag in der Wochenschau, während ich zuhause meine Arbeit erledigt habe. Bei dem Gang nach dem Kino ist den Kindern noch ein kleines Missgeschick passiert. Beide sind fortgegangen. Am Schneckenbuckel angekommen, musste Helga nochmals auf´s Klo. Sie geht zurück. Jörg läuft einstweilen weiter bis zum Bettelgässle. Helga weiß nicht, dass er dortrum ist und geht den Schneckenbuckel runter. Nach einer ¼ Std. kommt Jörg und fragt, wo denn Helga bleibt. Als ich sage, dass sie schon längst fort ist, ist er ganz verbiestert. Er ist im Bettelgässle immer auf und ab gegangen. Um ihm nun zu helfen, habe ich gleich das Rad geholt und wollte ihn ein Stück fahren, bis wir Helga sehen. Den Schneckenbuckel runter sind wir auch gekommen, dann habe ich Panne bekommen, weil sich ein Nagel in den Reifen gebohrt hat. Also musste Jörg allein weitergehen und ich bin wieder heim, wo ich erst gleich mal mein Rad repariert habe. Wie mir die Kinder vorhin sagten, ist Jörg gerade 5 Minuten vor Anfang des Films angekommen. Helga hatte auch schon geheult, weil sie Jörg verloren hatte und außerdem hatte er doch das Geld.
Von Kurt habe ich heute einen Brief bekommen. Ich habe noch nicht mal seinen ersten beantwortet, aber nachher will ich ihm gleich schreiben. Er weiß ja auch diene Adresse nicht mehr, trotzdem ich sie ihm schon ein paar Mal gesagt und geschrieben habe. Er verlegt die Zettel immer wieder und ins Notizbuch schreibt er es nie, trotzdem er eins hat. Kurt ist jetzt wieder bei seiner alten Kompanie und muss auch wieder Dienst mitmachen. So streng, wie die Rekruten hat er es aber nicht, schreibt er, das Verwundetenabzeichen mache schon etwas aus.
Ich sitze jetzt hier mit ganz wilden Haaren herum, ich hab sie nämlich soeben gewaschen und will sie noch trocknen lassen. Helga kommt mit dem waschen auch gleich dran.
Das Wetter ist heute so halb und halb. Mit dem baden im Freien ist es schon seit einiger Zeit nichts, es ist immer etwas kühl. Vor allem hat´s öfter Gewitter und Regen.
Gestern hab ich im Garten hinterm Haus, wo die Setzlinge und die Erbsen standen, umgegraben und Rosenkohl hingepflanzt. Drüben im Garten kommen jetzt auch die Möhren, die ich noch gesät hatte. Dieses Jahr hab ich den Schwung im Garten schon mehr raus, wie im vergangenen. Voriges Jahr war ich natürlich auch krank und konnte nicht so schaffen, wie ich wollte. Dieses Jahr hab ich aber vor allem reichlich gesät und gesetzt, damit ich immer etwas zum Verbrauchen habe. Ich weiß auch jetzt besser, wie und was man gleich nachsetzen kann. Na ja, man wird mit der Zeit immer ein bißchen gescheiter. Meinst Du nicht auch?
In letzter Zeit haben wir uns wieder mal die Busch-Bücher heraus gesucht und schauen sie uns an. Man findet doch immer wieder Gefallen daran.
Im Garten haben wir jetzt auch wieder Blumen, Dahlien und Studentenblumen. Da müsstest Du Jörg wieder sehen. Immer fragt er, ob er sich nicht ein paar holen darf. Die bringt er dann herauf und stellt sie selber in eine Vase. Es gefällt ihm zu gut.
Vorhin war Helga noch bei Vater und hat die gestrige Zeitung geholt. Ich schicke sie dir doch hin, und Vater war gestern Abend mit lesen nicht fertig geworden. Da sagte ich ihm, dass er sie mitnehmen soll und die Kinder holen sie. Jörg war aber ein bißchen zu bequem dazu, so ist Helga allein gegangen. Den Nutzen hat Jörg zwar auch davon gehabt, denn Vater hat für jeden 10 Pfg. mitgegeben, trotzdem sie gestern Abend erst 15 Pfg. erhalten haben. Aber das Geld könne  sie ja immer brauchen. Sie haben mir heute schon angekündigt, dass sie mir morgen schon etwas zum Geburtstag kaufen wollen. Sie denken doch schon frühzeitig daran, nicht wahr?
Den Durchschlag von dem Brief an Kurt, den ich nachher noch schreiben will, schicke ich dir morgen mit, jetzt wird es zu spät, denn es ist gleich ½ 5, da wird doch der Briefkasten geleert.
Ich grüße und küsse Dich für heute wieder recht herzlich und hoffe, dass ich recht bald wieder einen Brief von Dir bekomme, Deine Annie.

Brief 380 vom 19.7.1942


Mein liebster Ernst !                                                              Konstanz, 19.7.42

Heute bekommst du nun die gewünschten Abschriften. Das vorige Mal habe ich also nicht alles richtig gemacht. Hoffentlich ist es diesmal besser.
Auch auf die Gefahr hin, dass Du mich plötzlich für vergnügungssüchtig hältst, muss ich dir sagen, dass ich gestern nochmal im Kino war, und zwar habe ich mir den ersten Farbtonfilm angesehen. Ich muss sagen, er hat mir gut gefallen. Er heißt „Frauen sind doch die besseren Diplomaten“ mit Marika Rökk. Als ich mit den Kindern in die Stadt fuhr, sie mussten doch zum Turnen,  trafen wir Resi. Die wollte auch in denselben Film. Wir sind dann zusammen gegangen. Wie ich erfuhr, war sie jetzt ca. 8 Wochen im Krankenhaus. Sie ist operiert worden, hatte zwei eingeklemmte Brüche, Gebärmutterknickung und noch etwas, ich hab´s vergessen. Seit vergangener Woche ist sie wieder zuhause, muss nur mit dem einen Bein noch etwas steif gehen, weil die Operationsnarbe vom Leib bis zum Schenkel geht und noch ziemlich frisch ist. Fritz ist an der Kanalküste als Melder an einem Granatwerfer. Wie mir Resi sagte, kommt bei Lämmels bald das 6.Kind an. Ihre Schwester Friedhild, die seit 2 Jahren mit einem von der Gestapo verheiratet ist, bekommt fast zur gleichen Zeit eins.
Als wir heim kamen, waren deine beiden lieben Briefe vom 30.6. und 2.7. angekommen. Ich hab mich riesig gefreut. Als ich las, dass Du noch alle Abschriften brauchst, habe ich mich gleich gestern Abend noch daran gesetzt und bin auch fast fertig geworden. Den Rest habe ich heute Morgen geschrieben und will nun gleich noch deine lieben Briefe beantworten.
Sehr interessiert hat mich dein Brief über die fremdländischen Soldaten. Ich hatte schon in dem einen Vortrag über Sewastopol von tatarischen Soldaten gehört, meinte aber dann, ich hätte mich verhört. Da hieß es auch, dass diese sich gut geschlagen haben. Die Leute dort werden unter den Partisanen auch zu leiden haben, dass sie froh sind, wenn sie ihnen nicht wehrlos gegenüber stehen müssen.
Das Geld von Frankreich ist bisher noch nicht zurückgekommen, und so glaube ich, dass die Dienststelle die Angelegenheit doch erledigen konnte.
Zum Geburtstag warst Du also wahrscheinlich gar nicht in deiner Unterkunft. Na, vielleicht habt ihr hinterher gefeiert. Hoffentlich ist trotzdem dein Geburtstag nicht gar so schlecht verlaufen.
Es ist heute wieder sehr heiß. Ich habe vor, mit den Kindern heute Nachmittag baden zu gehen. Da muss ich aber jetzt noch fest schaffen, damit ich wenigstens mit dem Nötigsten fertig werde.
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 379 vom 18.7.1942


Mein liebster Ernst !                                                              Konstanz, 18.7.42

Eigentlich müsste ich heute gar nicht schreiben, wo du von Helga schon so einen langen Brief erhältst. Aber böse wirst du nicht sein, wenn ich auch noch einige Zeilen beifüge. Vor allem möchte ich den Erhalt des Päckchens Nr.10 bestätigen. Das Brot ist tadellos angekommen. Da haben wir wieder eine zusätzliche Ration. Wir freuen uns sehr. Einen Brief habe ich leider jetzt einige Tage nicht bekommen, d.h. von dir. Von Papa kam heute einer. Er ist über meinen letzten Brief sehr erregt. Ich möchte doch das Frl. aus dem Spiel lassen. Sie würde nicht auf eine baldige Heirat drängen, sondern sie sei sehr zurückhaltend, da sie weiß, dass wir so gegen sie eingestellt sind. Er ist sehr damit einverstanden, dass wir vorläufig nichts in der Sache erwähnen und würde uns nur das Datum seiner Verehelichung mitteilen. Er schreibt dann noch, wenn er Tatsachen von Erna berichte, so sei das doch kein Schlechtmachen und so könne er nicht mehr mitmachen, selbst auf die Gefahr hin, dass wir uns alle von ihm entfernen würden. Er beschwört mich, dass doch wenigstens ich vernünftig sein solle und schreibt zum Schluss, es solle dies nun das letzte sein, was er über alles schriebe, so bedauerlich es sei, glaubte er doch, bei seinen Kindern Verständnis zu finden. Am besten wird es sein, wir lassen jetzt die ganze Sache auf sich beruhen, wenigstens so lange es geht.
Ich komme jetzt öfters mal zu Vater runter. Gestern habe ich ihm auf seine Mangelkarte, die ich jetzt immer hier habe, auch 2 Pfund Johannisbeeren besorgt, die ich ihm am Abend runter gebracht habe. Heute habe ich ihm ein Brot mitgebracht, das er sich aber selbst abholen will, da er ja meist am Samstag zu uns kommt. Manchmal bringe ich ihm ja auch was aus dem Garten.
Unser Apfelbaum hat viele Äpfel, die Zweige hängen bis auf die Brombeeren herab. Wenn nichts noch dazwischen kommt, gibt es eine gute Ernte. Das freut uns sehr.
Nachher will ich noch eine Weile in den Garten gehen. Es ist wieder ein Stück umzugraben und neu zu bepflanzen, außerdem hat es wieder so viel Unkraut, dass man gar nicht alles gleich machen kann. Am Montag werden mir die Kinder dabei helfen.
Wenn Helga schreibt, dass sie jeden Sonntag in die Wochenschau gehen, so ist das ja ein bißchen übertrieben; zwei Mal waren sie bisher drin. Aber es interessiert sie so, dass ich sie gerne gehen lasse.
Nun hoffe ich, dass ich recht bald wieder einen Brief von dir erhalte. Recht gern wüßte ich schon, wo du jetzt bist. Bleib mir nur gesund, wir denken immer mit viel Liebe an dich.
Und so grüße und küsse ich dich auch heute wieder herzlich, sehr sehr herzlich Deine Annie

Brief 378 vom 16./17.7.1942


Mein liebster Ernst !                                                              Konstanz, 16.7.42

Nun ist der große Tag herangekommen, wo die Kinder die Zeugnisse erhalten haben. Sie sind wieder gut ausgefallen. Die Kinder haben sie dir gleich abgeschrieben. Die guten Zeugnisse haben wir heute gefeiert, indem wir zusammen in die Stadt gegangen sind und Eis gegessen haben. Dann haben wir uns noch eine Weile in den Stadtgarten gesetzt. Es war ein netter Nachmittag. In der Eisdiele haben wir Frau Lämmel getroffen. Sie läßt dich grüßen. Sie ist mir heute schöner vorgekommen, als sie früher war.
Bei der Gebhardskirche haben sie heute die drei Glocken herunter genommen. Bei der letzten habe ich zugesehen. Wie ich dort stehe, kommt ein Mann, Typ Spießer und Meckerer, hoher Stehkragen, Klammer, wie ein Radfahrer von anno dazumal, auch so eine Mütze hatte er auf.er spricht mich an:“ Nicht wahr, es ist doch ein schauerlicher Anblick, wie die Glocken so herunter genommen werden?“ Ich:“ Wieso?“ Er:“ Wieso!!?“ „ Na ja,“ sage ich, „Glocken sijd doch auch im Weltkrieg herunter genommen worden.“
Da hat er sich abgewendet und ist davon geradelt. Der hat auch gemeint, er kann meckern. Ich wollte noch sagen, wenn er im Krieg nichts Schauerlicheres sieht, soll er froh sein, aber er war schon fort. Die Soldaten haben bestimmt schon schauerlichere Sachen gesehen.
Jetzt ist hier gesammelt worden: Tornister, Zeltbahnen, Kochgeschirr, Becher usw. gegen Entschädigung. Meinst Du, ich sollte von unseren Sachen auch was geben?
Morgen haben die Kinder vor den Ferien zum letzten Mal Schule und zwar nur bis 11 Uhr. Jörg hat zur Pflege während der Ferien heute einen Schlangenkaktus mitgebracht, der sonst in ihrem Schulzimmer steht.
Helga verliert jetzt alle Milchzähne. Bis jetzt sind schon drei Backenzähne heraus gegangen und der eine Eckzahn wackelt auch schon. Das alles innerhalb 2 – 3 Wochen. Die neuen Zähne sind inzwischen schon ziemlich gewachsen.

                                                                                                            17.7.
Bis hierher habe ich den Brief gestern Abend geschrieben, nun, ehe ich einkaufen fahre, will ich ihn beenden. Ich habe heute von Erna einen Brief bekommen, dass sie erst am 26.7. um 11:55 hier ankommt und nicht am 20., da sie ihre Kennkarte noch nicht hat, die sie ja hier im Grenzgebiet braucht. Sie bekommt sie erst in der kommenden Woche. Da kommt Erna um dieselbe Zeit, wie wir im vergangenen Jahr nach Leipzig gefahren sind.
Heute kam endlich das Päckchen Nr.8 an. Bei dem Brot war leider mehr verschimmelt, wie beim anderen. Es war ja auch viel länger unterwegs. Das Gute werden wir uns aber schmecken lassen und danken dir dafür.
Nun grüße und küsse ich dich recht herzlich Deine Annie.

Brief 377 vom 15.7.1942


Mein lieber, guter Ernst !                                                     Konstanz, 15.7.42

Heute bekam ich schon Deinen lieben Brief vom 10.7., den Du wahrscheinlich einem Kameraden mitgegeben hast. Das Wichtigste ist ja, dass Du wahrscheinlich jetzt schon nicht mehr in M. bist, sondern dass Ihr ziemlich vorgerückt seid. Es interessiert mich sehr, wo du wohl jetzt hin gekommen bist.
Ich glaube ja auch, dass die Postbeförderung wohl nun nicht mehr so regelmäßig sein wird. Das wird mir schwer werden, aber man muss es eben hinnehmen. Wenn Du nur gesund bleibst, das ist das Wichtigste.
„Das Reich“ schicke ich dir also auch weiterhin. Ich freue mich, dass ich das kann, und dass du es nicht bei Papa bestellt hast.
Zum Baden sind wir seit Freitag noch nicht wieder gekommen, denn es ist immer kühl gewesen und heute hat es den ganzen Tag geregnet. Eine Badegelegenheit hattet Ihr also auch, aber jetzt wird es wohl schon wieder damit vorbei sein, wenn Ihr dort fortgekommen seid.
Um den Garten bin ich auch sehr froh, man hat doch Manches, was man sonst gar nicht zu sehen bekäme. Man kann sich auch immer mal mit was helfen.
Inzwischen haben die Kinder ja nun an dich geschrieben und ich glaube, du freust dich sicher darüber.
Ich weiß ja nun nicht, ob du damit einverstanden bist, dass ich deinen Brief an Papa zurückgehalten habe. Es ist sonst alles recht, nur weil du schreibst, dass es am besten ist, wir führen eine glatte Trennung herbei, habe ich ihn nicht wegschicken wollen, wo doch Siegfried sich einstweilen soweit geeinigt hat. Aber das habe ich dir ja schon mitgeteilt und vielleicht ist deine Antwort, was ich da tun soll, schon unterwegs.
Das Güllen hat schon viel Arbeit gemacht, aber es war nötig. Den Kartoffeln merkt man es an, dass sie keinen Mist bekommen haben, die haben gar nicht so richtig üppig geblüht. Sobald ich einige Kartoffeln raus gemacht und dadurch Platz bekommen habe, hole ich dieses Jahr Schweinemist.
Fuchsen willst du mich also auch, indem du schreibst, dass die Änderung in der Wohnung eigentlich schon lange fällig gewesen sei. Ich habe diesmal wirklich nur zugesehen, dass ich ein bißchen mehr Platz bekomme.
Ich habe heute drei Gläser Erbsen und Möhren sterilisiert. Ich bin gespannt, ob sie sich halten. Freuen würde es mich schon.
Nun gehe ich schlafen, es ist schon um 11 Uhr. Vielleicht träume ich von dir. Das würde mich freuen. Ich grüße und küsse dich wieder recht herzlich  Deine Annie.

Brief 376 vom 14./15.7.1942


Mein lieber Ernst !                                                  Konstanz, 14.7.42

Heute bekam ich deinen lieben Brief vom 1.7., in dem du wegen den Papieren wegen der Stadt anfragst. In deinem Luftfeldpostbrief hattest du ja deine Bitte wiederholt, so daß ich die Sachen schon vor einigen Tagen wegschicken konnte. Originalbriefe habe ich ja keine weggeschickt, sondern Abschriften gemacht, soweit solche nicht schon vorhanden waren. Ich hoffe, dass ich alles richtig gemacht habe. Ich bin gespannt, ob du bei der Stadt etwas erreichen wirst, an Befürwortung von deinem Chef fehlt es scheinbar nicht.
Das Päckchen Nr.9 mit Brot kam heute auch an. Ein kleiner Fleck war schimmelig, alles andere ist gut zu verwenden und zwar nicht nur als Suppe usw. sondern es ist noch so weich, dass wir´s schneiden und mit Butter beschmiert essen können. Ein paar Brote haben wir heute schon gegessen und es hat sehr gut geschmeckt. Wir danken dir sehr dafür.
Den heutigen Tag habe ich in der Hauptsache mit nähen verbracht. Gestern Abend habe ich drüben die Stachelbeeren von den Sträuchern gepflückt. Es waren noch 8 Pfund. Die habe ich heute in Flaschen eingemacht. Die beiden Sträucher haben 15 Pfund Beeren gehabt. Dabei ist nicht mitgerechnet, was die Kinder so gegessen haben. Ein paar Pfund macht es sicher aus. Vom großen Bäumchen habe ich bis jetzt 8 ½ Pfund geholt, vom kleinen 6 Pfund. An beiden sind aber noch viele Beeren dran.
Heute habe ich auch die ersten 3 Pfund Buschbohnen gepflückt. 1 Pfund habe ich davon Vater gebracht, ebenso einige Stachelbeeren. Er hat mir dafür gleich wieder 1 Pfund Nudeln mitgebracht.
Von Samstag ab haben die Kinder Ferien. Vorher bekomme sie ja noch Zeugnisse.

                                                                                                            15.7.

Ich nehme den Brie jetzt mit, wenn ich einkaufen fahre und Jörg dabei gleich in die Schule bringe. Das mag er gern, wenn er fahren kann. Er kommt mittags auch öfter mal mit dem Omnibus heimgefahren, wenn es andere Buben bezahlt haben. Er findet immer wieder jemand der es ihm bezahlt. Helga dagegen mag das gar nicht, sie fährt auch nicht mit, wenn es ihr jemand bezahlen will, wie es schon öfter der Fall war. Sie sagt, ich will nicht, dass jemand sagen kann, er hat mir was bezahlt und mir´s dann vorhalten kann.
Ich grüße und küsse dich, mein lieber Ernst, recht herzlich, Deine Annie.

Donnerstag, 13. Juli 2017

Brief 375 vom 13.7.1942


Mein liebster Ernst !                                                  Konstanz, 13.7.42

Gestern habe ich einmal nicht geschrieben, ich wußte tatsächlich nicht, was ich schreiben sollte. Ich habe gestern ein wenig geschafft und mich ein wenig ausgeruht. Am Abend kam noch Vater herauf. Er brachte mir ein Pfund Gries mit, den Frau Frick geschickt hatte. Vater ist eben doch ein guter Kerl, der auch immer wieder an uns denkt.
Heute habe ich dir wieder einiges zu berichten. Helga hatte heute Morgen ihre Griffelschachtel vergessen. Ich habe sie ihr in die Schule gebracht und bei dieser Gelegenheit gleich einmal mit der Lehrerin gesprochen. Sie sagt, dass sie mit Helga sehr zufrieden sei. Ich sagte, dass es wohl manchmal beim Rechnen nicht so klappen würde, jedenfalls hätte Helga schon öfter geweint, weil sie nicht mit ihr zufrieden gewesen sei. Helga wäre sowieso empfindsam und machte sich gleich um alles Gedanken. Die Lehrerin meinte, das käme ja bei jedem Kind vor, dass es einmal dies oder jenes nicht könnte. Sie hatte nicht gewußt, dass Helga so empfindsam sei. Sie hätte wohl manchmal geschimpft, aber manche Kinder brauchten das, um sich wieder anzustrengen. Ich fragte auch gleich wegen der höheren Schule oder der Hauptschule. Die Lehrerin glaubt, dass Helga in die höhere Schule kommen könnte. In die Hauptschule käme sie wohl sicher. 1/3 der Klasse käme für die Hauptschule in Frage, und die Kinder, die dazu ausgewählt werden, müssen hinein gehen. Die Hauptschule ist genau wie die höhere Schule, auch Fremdsprachen usw. würden gelehrt, nur kostet es nichts im Gegensatz zur höheren Schule, wo eben meist nur diejenigen hingehen können, die Geld haben. Sie hätten jetzt erst wieder einen Fall gehabt, wo ein Kind zur Hauptschule abgelehnt worden ist, während sie in der höheren Schule noch angenommen wurde. Auch der Lehrer Keller würde seine Tochter in die Hauptschule gehen lassen. Die Lehrerin hat mir geraten, nach ca. ¼ Jahr zu Helga´s neuem Lehrer zu gehen und mit ihm wegen dieser Sache zu reden. Es wäre eben gut, wenn der Lehrer oder die Lehrerin die Eltern der Kinder kennen würde, sie könnten sich dann ein anderes Bild von den Kindern machen. Ich sollte ihm auch sagen, dass Helga empfindsam sei, dass er sich etwas danach richten könnte. Frau Fitz hätte die Klasse gern behalten, aber sie glaubt nicht, dass es möglich ist.
Da siehst du erst mal, was immer geredet wird. Resi sagte mir, sie hätte gehört, dass man sich zu allerhand verpflichten muss, wenn das Kind in die Hauptschule geht, z.B. dass es später in staatliche Dienste eintritt, erst mit soundso vielen Jahren heiratet usw. Ich habe gleich gesagt, dass ich das nicht glauben könnte, wollte mich aber doch nochmal erkundigen. Nun ist also an dem gar nichts dran.
Von Elsa erhielt ich heute einen Brief. Sie schreibt, dass Gerhard bei den Kämpfen am Don dabei sei. Er habe unbändige Sehnsucht nach Hause, vor allem nach einem Bad und nach sauberer Wäsche.
Heute Morgen habe ich mich wieder an´s Nähen gemacht und bin ganz schön voran gekommen. Am Nachmittag muss ich noch in die Stadt einkaufen und Schulbücher für Helga bestellen. Sie hat einen abgestempelten Schein von der Schule bekommen, dass sie die Bücher braucht. Im Allgemeinen wird es nämlich jetzt so gemacht, dass die höhere Klasse ihre Bücher an die folgende Klasse verkauft. Nun bekomm aber nur der gebrauchte Bücher, der auch seine verkauft hat. Helga, und natürlich noch verschiedene andere Kinder, kann das nicht, weil sie die Bücher ja für Jörg aufhebt. Darum braucht sie die Bescheinigung.
Helga kam heute ganz freudestrahlend heim und sagte, wie nett die Lehrerin heute mit ihr gewesen sei. Sie habe sie sogar einmal angelacht. Da siehst du doch, wie dankbar Helga für ein bißchen Freundlichkeit ist.
Das schönste Spiel von unseren Kindern ist jetzt, wenn sie sich mit einer Decke vors Haus auf die Wiese legen. Da spielen sie mit den Puppen oder Soldaten, lesen oder turnen. Dort ist es doch schön schattig.
Ich habe mir schon die ganzen Tage überlegt, ob du wohl noch in M. bist, oder ob ihr auch schon weiter vorgerückt seid, denn die Front hat sich dort bei Euch doch ziemlich nach vorn geschoben. Ich werde ja sich bald davon hören.
Du hattest doch einmal angefragt, ob Kurt nicht gesagt hätte, wo er verwundet worden sei. Wenn ich mich noch genau erinnere, war es bei Wjasma, denn in Witebsk ist er in ein Lazarett gekommen. Das steht auch auf dem Untersuchungsschein.
Nun will ich mich wieder fertig machen, um in die Stadt zu kommen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 374 vom 9.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 11.7.42

Heute erhielt ich deine lieben Briefe vom 27. Und 28.6. Dann kam noch ein Brief von Papa, mit dem ich erst einmal beginnen will, denn das Unangenehme nimmt man immer zuerst dran. Da ich nicht weiß, ob du einen Durchschlag bekommen hast, lege ich ihn dir bei. Er ist wieder ganz echt Papa. Er weiß nicht, was er will. Jetzt bin ich sogar „meine Verehrteste“ geworden, doch lieb, nicht wahr? Und wie schön sich das schickt, dass Erna hier her kommt, da kann wenigstens das Fräulein mit ihrer Mutter bei ihm sein. Was soll er sonst auch tun, nicht wahr? Er kann sich gar nicht anders helfen. Als ob Mama früher nicht auch einmal verreist war und er allein geblieben ist. Außerdem ist er ja Wochentags im Geschäft. Aber weißt Du, darauf gehe ich gar nicht mehr ein. Es ist mir jetzt tatsächlich gleichgültig, was er macht. Ich habe ihm ja heute gleich geantwortet und hoffe, dass es dir recht ist.
Nun zu deinen Briefen. Du hast dir eine Art Schleier gewünscht, den man über den Kopf ziehen kann. Ich hab dir nun etwas fertig gemacht. Ich denke, dass du es gebrauchen kannst. Erst wollte ich das Band zum Durchziehen machen, aber so, wie es jetzt ist, kannst Du den Schutz locker oder fest über das Gesicht spannen, wie es gerade praktisch ist. Evtl. kann man das Band auch mal ganz weglassen, da die Hülle ja bis auf die Schultern reicht. Ich kann dir noch so eine Hülle anfertigen, möchte aber erst wissen, ob es so für dich praktisch ist, oder ob du einen anderen Wunsch hast.
Bei der Todesanzeige der Pessler handelt es sich um die Schwester der Hadwig Pessler, die Kurt gekannt hat. Wie Kurt sagt, soll sie eine Entfettungskur gemacht haben und hat sich dabei die Schwindsucht geholt.
Als Du auf meinem Brief „G.B.“ gelesen hast, wußtest Du also doch gleich, um was es sich handelt. Da habe ich es ja recht gemacht.
Der Brief von Erna ist mir auch klarer vorgekommen, als Paps Briefe. Vor allem ist er nicht so gehässig. Ich habe ja Papa auch meine Meinung geschrieben.
Ich bin gespannt, wie das Brot ankommt, das du geschickt hast. Fein wärs ja, wenn es noch ganz gut wäre. Ich könnte es gut gebrauchen. Ein lieber Kerl bis du aber, dass du immer gleich an uns denkst und uns solche Sachen schickst. Ich möchte dir immer wieder danken.
Gestern haben wir es ganz gut erwischt mit dem Baden gehen. Ich habe wieder mal richtig schwimmen können, was immer besonders schön ist. Helga und Jörg habe ich es auch beibringen wollen. Helga stellt sich ganz gut dabei an, und ich glaube, sie würde es bald lernen, wenn wir öfter gehen könnten. Bei Jörg geht es noch nicht ganz so gut. Er ist so oft bockig. Wenn es nicht gleich geht, wie er will, macht er nicht mehr mit. Bei Helga habe ich lachen müssen. Sie hat öfters Wasser geschluckt, hat aber das Üben nicht aufgegeben. Zuletzt hat sich Jörg dann entschlossen, auch wieder mitzumachen. Nachdem wir ziemlich lange im Wasser waren, haben wir uns fertig gemacht und sind Heim gegangen. Und wie gut haben wirs erwischt. Auf dem Heimweg fing schon der Donner zu grollen an, und einige Tropfen haben wir auch noch abbekommen, aber der richtige Regen kam erst, als wir schon daheim waren. Dann ging aber ein mächtiges Gewitter los, eigentlich waren es mehrere. Dazu war es stürmisch und es hat sehr abgekühlt, auch heute ist es noch kühl und windig. Heute wäre es also mit dem Baden nichts geworden. Ich hatte schon Mal im Hallenbad gefragt, ob dort Kinder Schwimmunterricht bekämen, aber damit war es nichts. Die Lehrkräfte sind alle eingezogen.
Nun muss ich dir noch was berichten. Helga hatte doch das braune Wandbrett über ihrem Bett hängen für die Nachttischlampe. Das brauchte ich nun für die Stube für die Hängepflanzen. Da habe ich Helga von kleinen Brettchen, die mir dein Vater mal mitgebracht hat, ein kleines, neues Wandbrett gemacht. Mit Farbe, die ich noch von dem Streichen der Küche da hatte, habe ich es gestrichen. Als ich damit fertig war, fiel mir ein, dass die Platten unserer Nachttische und des Waschtischs so rissig und abgenutzt sind. Da müsste doch diese ganz helle Farbe schön aussehen, dachte ich, denn der Ton ist genau wie der weiße Schrank im Kinderzimmer. Gedacht, getan. Erst habe ich es an unauffälliger Stelle probiert und es sah prima aus. Da habe ich nun diese Platten überstrichen. Ich wollte erst abwarten, wie sie werden, wenn sie trocken geworden sind. Das ist nun soweit, und nun kann ich dir auch schreiben, dass es fein geworden ist. Nun sind auch die schwarzen Flecken am Waschtisch weg, die von dem Handtuchhalter immer da waren. Es sieht wie neu aus.
Nun lass mich schließen. Ich bringe den Brief noch auf die Post, damit er bald fort kommt, denn der Kasten wird öfter geleert.
Ich grüße dich ganz herzlich und gebe dir viele, viele Küsse, du mein allerliebster ernst, Deine Annie.

Brief 373 vom 9.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 9.7.42

Heute schreibe ich dir wieder einen Flugpostbrief. Damit die 10g nicht überschritten werden, schreibe ich auf so dünnem Papier.
Ich möchte Deinen Flugpostbrief vom 29.6., den ich gestern erhielt, beantworten. Das ist immer wieder schön, wenn man mal schneller einen Brief bekommt. Gestern bin ich nicht mehr zum Schreiben gekommen. Ich war gegen Abend nochmal kurz im Garten und habe einige Kohlrabi gesetzt, Möhren und Winterrettich gesät. Weiter konnte ich nichts machen, denn mein Kopfweh war noch nicht weg. Heute geht es mir wieder gut. Ich war vorhin gerade in der Stadt und habe dir einige Zeitungen besorgt, die ich heute Nachmittag gleich wegschicke.
Du schreibst von den Kindern, dass es dir schon recht ist, dass Jörg sich nicht alles zu Herzen nimmt. Mir geht es auch so, und manchmal wünschte man, Helga bekäme etwas davon ab. Aber da geht ja leider nicht zu machen. Wenn sich Jörg mit seinen Taten in der Schule hervor tut, so will ich das ganz bestimmt nicht verhindern. Er ist doch ein Bub und soll ruhig ein bißchen rauhbautzig sein. Ein Muttersöhnchen will ich ja nicht erziehen. Man könnte ihn ja nicht einmal schimpfen, wenn sein Vater genau so Sachen gemacht hat, nicht wahr? Wenn er nichts Schlimmeres anstellt, geht es schon.
Bei der Gartenarbeit müssen die Kinder immer ein wenig mithelfen, wenn sie es auch nicht immer gerne tun. Manchmal macht es ihnen ja Freude, aber eben nicht immer. Zu viel lasse ich sie ja auch nicht tun, aber mal Unkraut heraus reißen oder wegschaffen, das ist ja nicht so anstrengend. Auch beim Beerenzupfen haben sie mir helfen müssen, das haben sie aber ganz gerne gemacht, weil sie ziemlich viel dabei essen durften.
Wie ich dir vorgestern schrieb, habe ich ja nun den Brief an Papa nicht weitergesandt, weil sich Papa und Siegfried soweit geeinigt haben. Ich wollte da nicht nochmals anfangen. Wenn du aber meinst, ich soll ihn weiterschicken, so mußt du mir nochmals schreiben. An Siegfried habe ich den Brief weitergeleitet und ihm dazu geschrieben, dass ich den Brief an Papa, von dem in deinem Brief die Rede ist, hier behalten habe. Ich werde ja sehen, was Papa auf meinen letzten Brief antwortet, von dem Du ja inzwischen den Durchschlag erhalten hast.
Wenn Du für Jörg zum Geburtstag 20.-Mk schickst, so werde ich zusehen, dass ich vielleicht etwas zum Anziehen für ihn bekomme, evtl. eine Jacke oder sowas. D.h., wenn sie jetzt im Sommer schon zu haben ist. Sonst lege ich ihm das Geld auf´s Sparkassenbuch, wie du schon geschrieben hast. Gestern habe ich gerade noch ein ganz einfaches Holzschiffchen  für Jörg bekommen können. Viel ist nicht dran, aber ich weiß, dass er sich so eins schon öfter gewünscht hat. Es kostete 1,50Mk., viel Geld, nicht wahr? Aber eine kleine Freude möchte man ihm doch machen. Und wenn es ihm nur gefällt, das ist ja die Hauptsache.
Wenn nichts dazwischen kommt, erhalten wir ja nun bald Besuch von Erna. Ich will ihr gerade heute noch schreiben, sie soll sich wegen einer Zulassungskarte erkundigen. Bei uns sind die Tage vom 21. Bis 27.7. frei. Vor und nachher braucht man eine Zulassungskarte, mit der man aber auch nur 150 Km fahren kann. Das ist sicher vor allem wegen dem Ferienanfang gemacht worden. Ich freue mich eigentlich schon, wenn Erna kommt. Da hab ich mal ein paar Tage jemand hier.
Dich wundert es, dass es Kirschen auf Karte gibt. Ja, da haben wir doch die Mangelwarenkarte. Auf 3 Nummern hat es Kirschen gegeben,  auf 2 Nummern Fisch. Auf einen Abschnitt mit Buchstaben gibt es Briefumschläge und Briefbogen usw. Außerdem haben wir ja auch noch die Haushaltungskarte für Obst und Gemüse. Da habe ich vorgestern Aprikosen bekommen und gestern 2 Wirsinge. In kurzer Zeit brauche ich ja nichts mehr zu kaufen, denn jetzt gibt es bald Bohnen. Ich denke, schon in einer halben Woche. Auch die neuen Kohlrabi sind bald soweit und ebenso die Möhren. Auch Erbsen habe ich nochmal. Bei Ausgabe der Haushaltungskarte wurde ja auch gefragt, ob man Selbstversorger ist. Ich habe aber gesagt, nur teilweise, denn so frühes Gemüse hätte ich doch nicht. Wie ich gesehen habe, haben es die anderen genauso gemacht. Wenn man selber ernten kann, kauft man sowieso nichts mehr. Aber die Karte läuft bis Dezember, und da ist man vielleicht doch froh, wenn man mal Pflaumen usw. bekommt. Denn bei sowas bin ich besonders für die Kinder scharf hinterher. Die sollen bekommen, was nur geht. Sie sind doch jetzt im wachsen. Da sollen sie nach Möglichkeit nichts entbehren.
Die Briefmarken, die du mir in einem der letzten Briefe mitgeschickt hast, hebe ich wieder im Album auf. Ich hatte es vergessen, Dir zu bestätigen, dass die Marken angekommen sind.
Nun kommen die Kinder bald Heim und ich will mit schreiben aufhören.
Ich grüße und küsse Dich, mein lieber Mann, recht herzlich Deine Annie.

Brief 372 vom 7.7.1942


Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 7.7.42

Heute erhielt ich deine lieben Briefe vom 23., 24., 25. Und 26.6. Außerdem das Päckchen Nr.6 mit Eiercognac. Ich danke dir für alles recht sehr. Ehe ich dir auf deine Briefe antworte, will ich dir vom Päckchen schreiben. Erst wusste ich gar nicht, was in dem Päckchen wohl drin sein könnte. Dann kam die Flasche zum Vorschein. Alkoholiker, wie ich nun mal bin, habe ich sie gleich aufgemacht und probiert. Zuerst habe ich den Cognac unverdünnt mit Zucker getrunken, was zur Folge hatte, dass es mir ein wenig drehend geworden ist, es war vielleicht auch gleich ein bißchen zu viel. Aber geschmeckt hat es prima.
Als Helga kam, habe ich ihr etwas fertig gemacht, sehr mit Milch verdünnt. Sie hat es aber nicht mögen. Da habe ich es auch noch getrunken, und es hat mir noch besser geschmeckt, als erst. Jörg habe ich es dann auch so zurecht gemacht gegeben, und der hätte am liebsten gar nicht mehr mit trinken aufgehört. Du siehst, die Sache hat also Anklang gefunden, und wenn du noch sowas schicken kannst, nehmen wir es gerne an, vorausgesetzt, dass du keine Angst um mich hast.
Nun zu den Briefen. Du hast mir die Briefe an Siegfried und Papa mitgeschickt, damit ich sie weiterleiten soll. Den Brief an Siegfried werde ich abschicken. Den Brief an Papa behalte ich mal einstweilen noch hier, da ja inzwischen sich manches geändert hat. Denn Siegfried ist ja nun mit Papa zu einer vorläufigen Einigung gekommen, und da möchte ich nicht von unserer Seite jetzt alle Fäden zerreißen. Da ständen wir wieder allein da. Siegfried hat ja eingesehen, dass es am besten ist, man hält den äußeren Schein aufrecht. Viel hat er und auch wir ja nicht mehr mit ihm zu tun, wenn er heiratet. Aber Erna hätte sicher noch mehr auszustehen, wenn plötzlich Schluss gemacht würde, und sie ist eben doch noch in Papas Wohnung. Siegfried hat mir heute auch geschrieben und ich schicke dir den Brief mit. Vernichten tue ich deinen Brief noch nicht, denn es könnte ja sein, man kann ihn mit einem anderen Datum versehen noch verwenden. Auf meinen letzten Brief erhielt ich von Papa heute eine kurze Mitteilung des Inhalts, dass er mir herzlichst für meinen letzten Brief dankt und ihn bald beantworten wird. Er schickt mir gleichzeitig Zeitungen mit. Ich werde ja sehen, was er schreibt. Ein Blatt habe ich mir ja nicht vor den Mund genommen in meinem letzten Schreiben. Ein Bild von Mamas Grab, das Papa mir heute mitschickte, lege ich dir bei.
Wenn ich Klage darüber geführt habe, dass ich mit Vater nichts als die alltäglichen Dinge besprechen kann, so ist das bestimmt nicht so gemeint, als ob ich ihn nicht leiden könnte. Du weißt ja, ich achte ihn sehr. Er ist doch sonst ein guter Kerl. Das ist ja schon immer so gewesen, dass er vom Geschäft usw. erzählt. Damit habe ich mich auch abgefunden, aber du wirst es ja selber wissen, manchmal kommt man sich ganz verlassen vor. Da habe ich dann die Sehnsucht, dass du hier wärst, und ich mit dir sprechen könnte, wie früher. So hatte ich dir ja auch gestern geschrieben. Ich sehe ja auch immer gleich wieder ein, dass es nicht zu ändern geht und dass wir uns bescheiden müssen. Du darfst es auch nicht als Klage auffassen.
Leider sind wir noch nicht viel dazu gekommen, zum Baden zu gehen. Es war bis jetzt immer zu viel zu tun, und eine Weile war ich immer so müd und kaputt, dass mir gar nichts richtig von der Hand gehen wollte.
Wie ich schon schrieb, habe ich jetzt erst mal alles soweit gestopft und genäht, wenigstens das Wichtigste. Wenn ich den Garten fertig habe, muss ich noch Vaters Unterhosen ausbessern, bei Jörgs neuen Nachthemden die Ärmel etwas verkürzen. Seine alten Nachthemden sind ihm alle zu eng und zu kurz geworden. Nun habe ich von den weißen Hemden welche genommen, die wir noch von Mama haben, die sind richtig lang, nur die Ärmel sind noch zu lang. In der Weite sind sie auch richtig, ich habe die schmalsten herausgesucht. Auch ein Kleid sollte ich für Helga noch nähen, aber das ist nicht gar so wichtig, denn ich hab ihr ja jetzt das grüne Kleid von Dora auch verlängert. Ich hoffe, dass ich ein bißchen Zeit habe, wenn Erna hier ist. Heute war ich mit Helga im Garten und habe die Erdbeeren noch ausgeputzt. Morgen will ich bei den anderen Sachen weiter sehen.
Möhren haben wir gestern auch schon aus dem Garten geholt, und von den Stachelbeeren haben wir uns auch schon einige weiche herausgesucht. Es dauert nicht mehr lange, bis sie alle reif sind.
Bis jetzt habe ich mit dem Vorschaltwiderstand keine Schwierigkeiten mehr gehabt. Wahrscheinlich wird er einen kleinen Defekt von dem Transport her gehabt haben, denn sei t er repariert ist, habe ich auch im Apparat keine Störungen mehr, wenigstens nicht viele, während es früher manchmal schauderhaft gerauscht hat.
Die Erdflöhe im Garten habe ich ja überwunden. Da die Zigarrenasche nicht ausreichte, hatte ich mir doch ein Mittel dagegen gekauft, und seitdem hatte ich Ruhe. Sollte die Raupenplage auftreten, so gehen die Raupen beim bestäuben mit diesem Pulver auch kaputt.
Es hat doch noch einige Brombeerblüten gegeben, so dass wir doch nicht ganz ohne diese Beeren sein brauchen, wenn es auch nur welche zum so essen sind. Die Stachelbeeren haben uns bisher noch nicht enttäuscht.
Bei Gelegenheit werde ich mal zu der Lehrerin von Helga gehen und mit ihr wegen der höheren Schule reden. Ich glaube ja, dass es für Helga zu viel wird. Jörg ist robuster.
Der Wittenburg hat auch hier her noch nicht geschrieben. Vielleicht will er mit der Sache nichts zu tun haben. Wenn du ja an den Henkes selber schreiben konntest, ist es ja gut. Du wirst ja sehen, was er antwortet.
Das Kurzgeschichtenheft, das ich dir geschickt habe, habe ich nicht gekauft. Es ist von Papa. Ich habe auch noch eins hier.
Der Keks ist mir wirklich immer ein Rückhalt. Man weiß doch, es ist für alle Fälle noch etwas da. Ich suche ja auch immer das Verzehrte wieder zu ergänzen.
An dem Holzpanzer hat Jörg schon seine Freude. Meist geht er jetzt früh 1 – 1 ½ Stunden früher fort, um vor der Schule noch beim Panzer zu sein, Patronen zu sammeln usw. den Soldaten sehen sie dabei auch zu. Das ist doch der größte Spaß. Als Jörg heute Heim kam, brachte er einen Riesenrettich mit nach Hause. Die Buben waren zu den Soldaten in der Jägerkaserne gegangen und hatten gefragt, ob sie einen Rettich bekommen könnten, unser Jörg natürlich auch mit. Mit großem Stolz brachte er den Rettich mit. Er meinte, da hätten wir doch schon was zum Abendbrot.
Jetzt waren die Kinder gerade da und haben wegen dem Abendessen reklamiert. Da muss ich den Brief an Siegfried nachher schreiben. Helga hat ja heute schon einen Brief an dich abgeschickt. Jörg will morgen schreiben.
Die Nachttischlampe von Helga macht jetzt überhaupt nicht mehr mit. Ich habe mich schon oft nach einer Neuen erkundigt, konnte aber bisher keine erhalten. Heute sagten sie mir nun  in einem Geschäft, dass sie wahrscheinlich bald welche bekämen. Da muss ich mal ein bißchen danach springen. Einstweilen habe ich Helga unsere Tischlampe hingestellt. Sie ist nur ein wenig zu groß. Aber kurze Zeit geht es schon.
In der vergangenen Woche ist „Das Reich“ gar nicht angekommen. Erst heute konnte ich es bekommen und hat mir die Frau auch gleich die Zeitung von dieser Woche mitgegeben, so daß ich alle zwei gleich wegschicken konnte.
Nun laß mich schließen. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

                                                                                                                        8.7.

Lieber Ernst!
Ich wollte gerade den Brief fort bringen, da kam der Briefträger und brachte mir dein Päckchen Nr.7. Leider ist die Flasche ganz zerbrochen und ausgelaufen. Meinst du, dass du trotzdem welche schicken willst? Ich weiß nicht, wie du denkst.
Nochmals viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.

Brief 371 vom 6.7.1942


Mein liebster Ernst !                                                  Konstanz, 6.7.42

Es war so, wie ich gestern früh kurz schrieb, ich bin gestern nicht mehr zum Schreiben gekommen. Ich habe gebügelt, gewaschen, gestopft. Gestern Abend um 11 Uhr war ich mit allem soweit fertig. Heute Vormittag war ich nun im Garten, habe alles geharkt und Unkraut raus gemacht. Bis zu den unteren Erdbeeren bin ich gekommen. Die will ich Morgen machen. Am Nachmittag war es zu heiß zum Schaffen. Da ich sowieso in die Stadt musste, bin ich in den Film „Dorf im roten Sturm“ gegangen. Kinder durften nicht mit. Da sind sie zuhause geblieben. Ich hatte erst ein wenig Sorge deshalb, aber sie waren so brav. Als ich Heim kam, war ein Zettel an der Küchentür befestigt, der sieht so aus:

Liebes Mütterlein
Komm herein
Freud dich über uns
Kinderlein

Auf dem Tisch lag ein Zettel und lauter Studentenblumen lagen rings herum. Auf dem Zettel stand:
Mütterlein
Komm herein
Heute wollen wir
Fröhlich sein

An der Schlafzimmertür hatte Jörg noch einen Zettel befestigt: Sei heut fröhlich.
Als ich die Küche betrat, wurde ich noch mit einem Lied empfangen. Schöner kann man doch nicht begrüßt werden. Dazu hatte Helga noch abgewaschen und Jörg seine Schulaufgaben gemacht. Ich habe mich bestimmt sehr gefreut.
Gestern Morgen haben doch die Kinder den Brief für dich in die Stadt gebracht. Ich habe ihnen je 20 Pfg. mitgegeben und ihnen gesagt, sie können sie verbrauchen, wie sie wollen, entweder zu Eis, oder sie können sich wiegen usw. Am Mittag kamen sie wieder Heim. Da haben sie sich für das Geld die Wochenschau angesehen. Ich konnte die Wochenschau ja heute auch sehen. Bei den Kämpfen um Sewastopol haben sie ja kolossale Geschütze gehabt. Schon beim Sehen kann man sich die ungeheure Wucht vorstellen. Furchtbar hart müssen diese Kämpfe gewesen sein. Ich habe mir da heute gerade einen Vortrag im Radio angehört.
Einige Tage habe ich jetzt keinen Brief erhalten. Ich warte so sehr darauf. Wie schlimm muss es da für dich gewesen sein, einige Wochen nichts von uns gehört zu haben. Ich wünschte sehr, dich hier zu haben. Manchmal bin ich doch sehr einsam, trotz der Kinder. Von allem kann man doch nicht mit ihnen reden. Aber man muss sich damit trösten, dass es ja noch vielen anderen auch so geht und du hast es ja auch nicht leichter.
Nun grüße und küsse ich dich wieder recht herzlich  Deine Annie.

Brief 370 vom 4./5.7.1942


Mein liebster Ernst, liebes Geburtstagskind!                                            Konstanz, 4.7.42

Den ganzen Tag haben wir ganz besonders fest an dich gedacht. Dein Bild, in dem großen Rahmen aus Frankreich, steht in der Stube auf dem Tisch, davor ein Strauß von Rosen und ein Strauß von Studentenblumen und von weißen Blumen, die ich nicht mit Namen kenne, sowie ein Johannisbeerkuchen, den wir morgen essen. Dein Bild in der Küche schmückt auch eine Rose. Zu deinen Ehren gab es heute einen Pudding und einen kleinen Kuchen. Hoffentlich hast Du deinen Geburtstag soweit gut verlebt, vor allen Dingen gesund.
Ich habe heute auch einige kleinere Erlebnisse gehabt. Vor allen Dingen habe ich einen Teller zerschmissen. Da Scherben ja Glück bringen sollen und dein Geburtstag war, habe ich mich nicht sehr geärgert.
Als ich heute Morgen die Zeitung lese, steht eine Anzeige drin „Trachtenjacke zw. Markgrafenstr. Und Flughalle verl. Gegen Bel. Abzugeben bei Geyer, Markgrafenstr.67“. Wie ich das vorlese, sagt Jörg „der Bub sitzt in der Schule neben mir“. Ich bin gleich runter gefahren und habe den Leuten gesagt, daß ich die Jacke beim Fundamt abgegeben habe. Der Mann war nur daheim und wollte meine Adresse wegen der Belohnung. Ich wollte aber keine haben. Nun haben sich die Leute die Adresse beim Fundamt geben lassen und heute Abend brachte mir die Frau, die übrigens sehr nett war, 5 Mk. Ich wollte sie nicht nehmen, aber sie hat das Geld einfach her gelegt. So habe ich ohne Mühe 5 Mk. verdient.
Gestern bin ich nicht dazu gekommen, dir zu schreiben. Ich hatte dauern zu rennen. Erst wegen Fisch 1 ½ Stunden anstehen, nachmittags wegen Kirschen wieder eine Stunde. Vater hat sich aber gefreut, daß ich sie ihm mitgebracht habe. Nachmittags 5 Uhr musste ich noch einmal in die Stadt wegen anderem Fisch auf eine andere Nummer der Mangelkarte, der am Morgen nicht mit ausgegeben wird, sondern erst von 5-7 Uhr. Am Abend bin ich noch zu Vater gefahren und habe ihm die Kirschen gebracht. Zwischendurch haben wir noch ca. 3 Pfund Johannisbeeren gepflückt und die Stachelbeeren geputzt. Heute hatte ich auch den ganzen Tag zu tun mit Marmelade kochen, Kuchen backen, Einkaufen fahren, Treppe putzen usw. Morgen, wenn auch Sonntag ist, muss ich meine große Wäsche bügeln, dann am Montag muss ich unbedingt in den Garten gehen. Überall muss ich harken, ein Beet umgraben, und das Unkraut wächst mir bald über den Kopf. Dazu müssen wir auch noch die Kartoffeln nachsehen, denn leider hat man sehr viel Kartoffelkäfer im Heidelmoos, also dort hinten, wo der Maier wohnt, gefunden. Da heißt es aufpassen. Es wäre ja um alle Sachen so schade.
Weißt Du, wer Vater geworden ist? Der Ernst Hagenauer hat einen Günter bekommen. Bei Büsings kommt auch bald ein Kind an, ebenso bei dem früheren Fräulein Waibel uns gegenüber. Die ältere Tochter von Wettsteins hat auch einen Buben bekommen. Es ist doch eine Beruhigung, dass sich die edle Familie B. weiterhin vermehrt. Von Demut während diese Zeit, die sie einmal der Frau Wohlsen gepredigt hatte, ist ja leider nichts zu spüren. Sie ist rabiater als je. Vor einigen Wochen hat sie in der Laube die Frau Kuhnert, die sie wegen anderen Sachen verklagt haben, von hinten überfallen und hat ihr mehrere Ohrfeigen runtergehauen. Die hat wieder geschlagen und die zwei prügelnden Frauen müssen wirklich ein erhebendes Bild abgegeben haben.
Nun ist Vater Heim gegangen. Es ist ½ 12 Uhr. Ich gehe nun auch schlafen. Vater hat doch jetzt eine ganze Zeit in der Stadt schaffen müssen, jetzt ist er wieder draußen auf dem Fl., da hat er es ein bißchen näher.

                                                                                                                                    5.7.
Mein lieber Ernst!
Dein Geburtstag ist nun schon wieder vorbei. Wenn ihr noch dort seid, so wirst du heute vielleicht auch Kuchen haben. Wir haben unseren Johannisbeerkuchen vorhin gegessen. Sowas schmeckt immer nach mehr.
Vater hatte mir doch vor einigen Tagen Mehl für einen Kuchen für Jörg´s Geburtstag mitgegeben. Dafür hat er nun gestern von unseren beiden Lausern Küsse bekommen. Das läßt er sich gerne gefallen und freut sich sehr, denn er lacht dabei ganz froh.
Die Kinder bringen jetzt diesen Brief in die Stadt, denn unser Briefkasten wird erst am Abend wieder geleert. Für die ist es gleich ein Spaziergang.
Ich weiß nicht, ob ich heute Abend nochmal zum Schreiben komme. Vielleicht musst du heute mit diesen wenigen Zeilen vorlieb nehmen. Du wirst denken, mit dem Schreiben werde ich jetzt bummelig, aber das ist nicht der Fall. Ich habe jetzt nur so viel zu tun.
Schreiben will ich dir nur noch, dass ich gestern für Helga ein Jungmädchenbuch zum Geburtstag bekommen habe. Für Jörg gibt es nichts weiter, als Soldaten und zwar nur zwei Stück. Ich habe zwei Reiter genommen.
Nun will ich ans Schaffen gehen, sonst bin ich am Abend noch nicht fertig.
Ich grüße und küsse dich recht herzlich Deine Annie.