Liebster Ernst! Konstanz,
21.6.1942
Auf einer Decke liegend schreibe ich dir jetzt, und es sieht
auch dementsprechend aus. Wir sind beim Baden. Es weht ein starker Wind und die
Wellen schlagen ans Ufer. Wir waren erst ein bißchen erschrocken, als wir hier
ankamen und meinten, wir könnten gar nicht baden, da es ein kühler Wind ist,
aber es ging dann doch prima. Nur mit dem Schwimmen war es nicht viel. Die
Wellen waren zu hoch. Aber wir haben auch so unseren Spaß gehabt. Vor allen
Dingen war ich zum ersten Mal wieder im See. Das ist doch immer wieder schön.
Wenn man nur nicht so Hunger vom Baden bekäme. Ich habe zum Essen Zwieback von
Dir und Marmelade mitgenommen. Da brauche ich nicht gar so viel Brot. Das ist
ja immer ein bißchen knapp bei uns, aber es wird ja vom September an auch
besser, denn vom 10.Jahr ab bekommt Helga nicht mehr 500g pro Woche weniger wie
ich, sondern 500g mehr, so daß ich in der Woche also 1000g ausmacht, d.h.
natürlich, wenn die Rationen gleich bleiben
Im Gegensatz zum vorigen Mal ist Helga heute nicht aus dem
Wasser zu bekommen, während es Jörg eher friert. Gerade ist er wieder hier und
hat Hunger. Also wollen wir mal essen.
Nachdem wir gegessen hatten, haben wir uns langsam angezogen
und sind Heim gegangen. Gegen ¼ 7 waren wir hier. Wir haben Abendbrot gegessen,
wobei ich wieder nicht sitzen konnte vor kribbeln. Das ist immer wieder
dasselbe. Auch jetzt noch, um 9, muß ich ab und zu aufspringen. Es ist, als ob
man in einem Ameisenhaufen sitzt. Aber fein war das baden doch. Wir haben auch
ein sonniges, windgeschütztes Plätzchen hinter einer Hecke gehabt. Da konnten
wir uns aufwärmen. Braun sind wir auch geworden.
Weißt Du, wen ich gestern gesehen habe? Den Rickert. Er
sprach mit einer Frau. Die versoffene Stimme hat er immer noch. Der Brief von
ihm an alle Kameraden, den du mir mitgeschickt hast, war ja für ihn typisch.
Voll und ganz von sich eingenommen, als wenn er den ganze Kram allein schmeißt.
Als wir heute heim kamen und hörten, daß Tobruk genommen
wurde, war ich doch erstaunt. Ich hätte nicht gedacht, daß es so schnell geht.
Die vielen Bombardierungen von Malta haben sicher dazu beigetragen, daß wir
Nachschub nach Afrika bringen konnten und daß die Engländer nicht genügend
bekamen. Es muß in der furchtbaren Hitze ein schwerer Kampf sein.
22.6.
Jetzt will ich den Brief fertig schreiben, denn Jörg nimmt
ihn mit, wenn er zur Schule geht. Gerade komme ich vom Garten. Ich habe erst
mit einem Düngemittel gegossen und dann habe ich an die Tomaten noch eine
Stange getan, da ich bei jeder Pflanze noch einen Nebentrieb stehen gelassen
habe. Auch anbinden mußte ich sie wieder, denn sie wachsen gut und es hängen
auch schon kleine grüne Tomaten dran. Auch die Gurken stehen bis jetzt gut da.
Vielleicht bekommen wir diesmal mehr, wie im vergangenen Jahr, wo ja alle
Pflanzen kaputt gegangen waren. Die Johannisbeeren sind schon ziemlich rot und
die Kinder möchten sie am liebsten jetzt schon pflücken. Ich muß sie immer
vertrösten.
Gerade habe ich deinen lieben Brief vom 4.6. bekommen. Du
schneidest darin nochmal die Sache von Papa an und ich kann dir nur in allem
zustimmen, was du schreibst. Eingewickelt hat das Fräulein Papa auf jeden Fall.
Und aufdringlich ist sie auch. Ich hatte dir ja geschrieben, daß Siegfried mir
noch einen Brief schicken wollte, in dem er die Unterredung mit Papa schildert.
Wahrscheinlich werde ich noch eine Zeit lang warten müssen. Er wird während dem
Kursus kaum Zeit haben. Interessieren würde es mich ja schon, was bei der
Unterredung herausgekommen ist. An Erna werde ich heute noch schreiben und ihr
mitteilen, daß ich mich freue, wenn sie her kommt.
Zwei Päckchen hast Du auch auf den Weg gebracht und hast dir
extra die Schokolade abgespart. Du sollst doch so etwas auch für dich
verwenden, denn sonst hast du doch auch keine Süßigkeiten. Für diesmal will ich
nicht schimpfen, sondern dir recht sehr danken. Aber das nächste Mal mußt du´s
selber essen, nicht wahr, Du lieber Ernst.
Nun muß Jörg zur Schule und ich beende meinen Brief. Ich
grüße und küsse dich recht herzlich Deine
Annie.
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