Mein lieber Ernst! Konstanz, 15.6.42
Auch heute ist es wieder spät geworden, ehe ich zum
Schreiben komme. Am Morgen hatte ich zu putzen, dann zu bügeln, dann Essen zu
kochen. Am Nachmittag war ich in der Stadt einkaufen, dann musste ich Jörg beim
Zusammenbau eines Flugzeugmodells helfen, dann haben wir Abendbrot gegessen und
hinterher habe ich noch Marmelade eingekocht. So ist der Tag vergangen.
Heute Morgen erhielt ich von Papa ein Päckchen mit einigen
Zeitungen und für Jörg Modellierbogen für einen Zerstörer, ein Flugzeug und
Soldaten. Von Erna erhielt ich auf mein Schreiben einen Brief, über den ich
mich gefreut habe, da er vernünftig geschrieben ist. Ich schicke dir morgen
eine Abschrift mit. Heute bin ich schon zu müde.
16.6.
Eigentlich wollte ich gestern weiter schreiben, aber mir
fielen dabei immer die Augen zu. Ich bin dann gleich ins Bett gegangen und habe
doch nicht gut geschlafen, sondern lauter dummes Zeug durcheinander geträumt.
Nun nochmal zu Erna´s Brief. Ich kann ihr nur Recht geben,
wenn sie nicht mit Pap und seiner Frau zusammen wohnen will. Es klappt jetzt
schon nicht, geschweige denn nachher. Papa will nicht einsehen, dass sich, wenn
er heiratet, vieles ändert. Aber es ist doch so. Ich werde ja z.B. auch nicht
mehr nach Leipzig in Ferien reisen, denn was soll ich bei einer fremden Frau?
Doch für heute genug davon. Ich werde ja sehen, was ich weiter für Briefe
bekomme.
Eben kam der Briefträger und brachte mir deinen lieben Brief
vom 3.6. Daß man es doch so merkt, wenn Deutsche da sind. Daß da gleich so viel
größere Ordnung herrscht. Mit der Feldbestellung müssen wir uns ja hier nicht
mehr plagen. Wenn dort richtig angepackt wird, kann ja wohl die Versorgung
weitgehend gesichert werden. Aber in diesen Jahren ist wohl noch mit viel
Sabotage zu rechnen.
Das ist gut, wenn du dort jemanden aus Lindenberg getroffen
hast, der auch Alfred Seifert kennt. Wie doch manchmal der Zufall spielt.
Über Gewittermangel haben wir hier auch nicht zu klagen. Im
Anschluß an das letzte Gewitter regnet es noch immer mit kurzen Unterbrechungen
und es ist sehr kühl geworden. Das ist schade für die Erdbeeren und manches Heu
auf dem Land geht auch kaputt. Ca. 15 Pfund Erdbeeren haben wir bisher
geerntet. Am Sonntag haben die Kinder Vater 2 Pfund runter gebracht. Seine
Erdbeeren wird er ja schon vermissen.
Nun will ich dir noch von den Kindern aus der Schule
erzählen. Jörg ist zum ersten Mal an den Ohren gezogen worden, weil er in der
Religion gegessen hat. Helga hätte sich ja da schwer gekränkt, aber Jörg macht
sich da nichts draus. „Religion ist gar keine richtige Schule und ich habe
schon mal gegessen, da hat er mich bloß nicht erwischt.“ Als ich die Kinder mal
rein rufen wollte, hörte ich gerade, wie sich Jörg mit anderen Buben unterhielt
über Tatzen usw. Jeder wußte was, was er angestellt hatte und Jörg lachte ganz
zufrieden, dass er auch mit etwas aufwarten konnte. Ganz große Töne hat er
gemacht.
Bei Helga ist es nun ganz anders. Ich schrieb dir ja schon,
dass ihr das Kopfrechnen etwas schwer fällt. D.h. zuhause, wenn ich mit ihr
übe, geht es ganz gut, aber wenn sie etwas aufgeregt wird, ist es aus. So auch
manchmal in der Schule, wenn es schnell gehen soll. Einmal kam sie auch heim.
Da hat sie die Lehrerin vor gerufen und angeschimpft. Das wäre die Höhe, sie
sollte sich was schämen, wenn sie das nicht mal könnte usw. Vorige Woche war
wieder was anderes. Da hatte Helga etwas nicht richtig verstanden und demgemäß
auch geschrieben. Da hat die Lehrerin auch getobt und zuletzt das Heft auf die
Erde gepfeffert. Helga kränkt sich darüber schwer. Daß die Lehrerin aber sonst
mit ihr zufrieden sein muss zeigt doch, dass sie meinte, sie könne mit in die
Hauptschule. Ich weiß garnicht, ob ich dir schon mal davon geschrieben habe.
Mittwochs ist doch Spielschar. Ich lasse Helga ja wegen der Frau Synkwiß nicht
mehr hin gehen.
Die Kinder, die nun nicht in die Spielschar gingen, bekamen
jedesmal so viel Hausaufgaben auf. Außerdem wurde jedesmal gefragt, warum sie
nicht gingen. Da bin ich mal in die Schule gegangen und habe der Lehrerin
gesagt, dass sie von mir aus nicht gehen darf. Das wollte sie vorher der Helga
nicht glauben, da sie nicht den Grund angegeben hatte. Ich fand es aber nicht
nötig, dass alles in die Klasse hinausposaunt wird. Aber wie mir scheint, ist
die Lehrerin überhaupt neugierig. Zum Muttertag war auch so ein Theater. Helga
mußte einen Aufsatz darüber schreiben. Zufällig mußte sie auch vorlesen. Als
sie an den Satz kam:“…mußte sich meine Mutter die schönen Geschenke ansehen“
mußte sie aufhören und die Lehrerin sagte:“ Hör mit Geschenken auf. Was werdet
ihr schon für schöne Geschenke haben. Hättet ihr Eurer Mutter lieber Blumen
geschenkt, da hätte sie mehr Freude gehabt.“ Ist das nicht ein Quatsch? Wenn
sie von ihren Kindern (sie hat 3) lieber Blumen mag, ist das ihre Sache. Ich
habe mich jedenfalls sehr über ihre viele Mühe gefreut. Blumen hätten sie
bestimmt leichter kaufen können, denn überall hat man Kinder mit einem
Blumenstock gesehen. Und nachdem ich den wunderschönen Strauß von Dir bekam,
wäre der Blumenstock vielleicht in den Hintergrund getreten. So aber stand der
Strauß da, davor das Messer und der Teller und das kleine Buch. Dazu die Karten
und Zettel mit viel Liebe gemalt. Aber das hatte die Lehrerin doch erreicht,
daß sich Helga die ganze Zeit Gedanken machte, ob ich mich über ihre Sachen
auch wirklich gefreut habe.
Bei unserem Apfelbaum sieht man schon die kleinen Äpfel
leuchten. Wenn alle groß würden, gäbe es eine gute Ernte. Es kommt aber noch
sehr auf´s Wetter an.
Nun will ich schließen. Ich muß an´s Kochen denken. Sei
recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! Konstanz,
16.6.42
Diesmal müssen wir schon beizeiten an deinen Geburtstag
denken, wenn dich der Brief noch erreichen soll. Du bist ja diesmal an diesem
Tag auch nicht daheim und noch weiter weg, wie beim letzten Mal. Aber in
unseren Gedanken werden wir bei dir sein.
Ich wünsche dir für das kommende Lebensjahr vor allem, daß
du gesund bleibst und daß es dir nicht schlecht gehen möge. Weiter wünsche ich,
auch mit als Wunsch für uns, daß du in nicht zu langer Zeit wieder einmal
Urlaub bekommst, und daß wir uns alle nach dem Krieg gesund wiedersehen.
Ich hätte dir gern zum Geburtstag einige kleine
Überraschungen bereitet, aber es ging nicht zu machen. So mußte ich mich darauf
beschränken, dir nur eine Kleinigkeit zu backen. Aber um dir doch eine kleine
Freude zu machen, habe ich die Kinder einige Male photografiert und schicke dir
die Aufnahmen, zusammen mit zwei Bildern, die wir während deines Urlaubs
gemacht haben, mit. Ich hoffe, daß sie dir gefallen.
Im vergangenen Jahr hatten wir ja gehofft, daß du dieses
Jahr wieder daheim wärst. Leider ging dieser Wunsch noch nicht in Erfüllung.
Vielleicht ist es nächstes Jahr der Fall. Das wäre ja eine große Freude. Die
Hoffnung darauf wollen wir nicht aufgeben. Wie waren doch die Jahre schön, als
du daheim warst. Und die Geburtstage
waren immer liebe Feste, nicht wahr? Vielleicht können wir sie doch bald
wieder zusammen feiern.
Verlebe deinen Geburtstag gesund und denke daran, daß wir
mit unseren Gedanken bei dir sind.
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich, Deine Annie.
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