Mein liebster Ernst! Konstanz, 29.5.42
Ganz erstaunt war ich heute, als ich schon deinen lieben
Brief vom 23. erhielt, nachdem ich zuletzt den vom 15. bekam. Vielleicht hast
du ihn einem Kameraden mitgegeben, denn er ist am 28. in Wien abgestempelt
worden. Jedenfalls war es für mich eine richtige, schöne Überraschung. Leid hat
es mir nur getan, dass du auch am 23. noch keinen Brief von uns hattest, denn
ich hatte bestimmt damit gerechnet, dass du wenigstens nach 14 Tagen, so am
21./22. einen Gruß von uns bekommen würdest.
Zu Pfingsten sind wir ja nicht über den See gefahren, wie du
gehofft hattest. Es soll auch ein furchtbarer Betrieb gewesen sein und ich gehe
da lieber da hin, wo es ein bisschen stiller ist.
Wenn du nicht hier bist, muß ich mich sowieso immer zwingen,
einmal fort zu gehen. Ich habe zu nichts rechte Lust, vor allem noch am
Sonntag.
Wenn du schreibst, du hast noch keinen Kameraden gefunden,
mit dem du mal deine Gedanken austauschen kannst und der eine habe so
eigenartige Ansichten, so muß ich dir sagen, mir geht es hier auch so. Über die
Ansichten von deinem Vater rege ich mich auch manchmal auf, sobald das Gespräch
über das ganz alltägliche hinaus geht. Er ist sonst ein guter Kerl, aber über
Politik usw. kann ich nicht mit ihm reden. Gestern war ich auch über etwas
anderes enttäuscht. Ich habe doch jetzt immer im Garten geschafft und habe ihn
bestimmt in Ordnung und alles steht gut da. Ich habe mich nun gefreut und
zeigte ihn AUCH Vater. Ich dachte, vielleicht sagt er, dass alles schön in
Ordnung sei. Das hätte mich bestimmt gefreut. Aber nein, das erste war, dass er
meinte, ich hätte die Kartoffeln falsch geharkt, die müssten doch gehäufelt
sein. Ich sagte ihm, das käme auch noch dran, aber erst müssten sie so geharkt
werden. „Na, ich habe sie immer gleich gehäufelt“ war die Antwort. Ich konnte
ihm aber zeigen, dass es die anderen genau wie ich gemacht haben. Das ist
eigentlich alles nicht der Rede wert, aber jetzt, wo ich eigentlich immer nur
ein halbes Leben mit Arbeit führe, hätte mir eine kleine Anerkennung wohl
getan. Du musst nun nicht denken, dass ich es nicht verstehe, wie einsam du
dort bist. Ich habe hier immer noch unsere Kinder, bin also viel besser dran,
wie du, und ich lebe auch noch in der Heimat. Es ist also gar kein Vergleich zu
dir.
Du schreibst, dass du dir zwei Tafeln Schokolade aufgespart
hast und sie uns schicken willst. Lieber Ernst, bitte, spar dir doch nicht
alles für uns ab. Dir wird eine Tafel Schokolade bestimmt auch nichts schaden.
Du hast doch dort auch nicht viel. Nicht wahr, denke bitte auch an dich.
Helga war heute zum ersten Mal beim KdF-Turnen. Bisher
klappte es nie. Erst war sie krank, dann war wegen der Ferien kein Turnen. Aber
heute kam sie freudestrahlend heim, so gut hatte es ihr gefallen. Sie freut
sich schon auf das nächste Mal.
Von Papa erhielt ich gestern einen Brief, von dem du ja auch
einen Durchschlag bekommen hast. Ich bin froh, dass alles soweit in Ordnung
ist, denn es ist mir schrecklich, sich so dauernd hin und her zerren zu müssen.
Papa will ja nun doch in seinen Ferien herkommen und vielleicht kann ich da
noch mal mit ihm reden. Wie ich aus dem Brief ersehe, klappt es ja in Leipzig
gar nicht mehr, und ich bin bald der Meinung, Papa und Erna und Siegfried
sollten sich bald trennen. Eine lebt ja dem anderen zu Leid. Papa lässt sich
von der Heirat nicht abbringen, und ein gutes Einvernehmen kommt doch nicht
mehr zustande. Ein Bild von dem Fräulein schicke ich dir heute mit. Sie ist mit
einem Kreuzle angezeichnet.
Heute regnet es einmal richtig kräftig. Das ist so gut. Der
Boden war schon wieder strohtrocken und man musste immer gießen. Als es sich am
Vormittag bewölkte, habe ich gleich noch die Kartoffeln im Garten hinterm Haus
geharkt. Vorläufig bin ich nun mit der meisten Arbeit im Garten einmal fertig.
Nächste Woche will ich erst wieder einmal nähen. Am Montag habe ich ja erst
Wäsche.
Heute schicke ich noch einige ältere Zeitungen an dich ab.
Es sind welche von Papa.
Nun grüße und küsse ich dich für heute recht herzlich, Deine
Annie.
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