Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 339 vom 30.5.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 30.5.42

Ich erhielt heute deinen lieben Brief vom 16.5. Du entschuldigst dich ja fast wegen des vorhergehenden Briefes, und doch hat er mir gut gefallen. Es war ein Rückblick und ein Besinnen. Ich beneide dich manchmal fast, dass du so schöne Briefe schreiben und einem so alles vor Augen führen kannst.  Denken tue ich oft an die Dinge, aber schreiben kann ich sie nicht und ich habe manchmal den Eindruck, dass dir meine Briefe wohl recht trocken und nüchtern vorkommen werden. Es ist ja auch fast nur alltägliches, was ich schreibe. Ich möchte wohl manchmal viel Zärtliches und Liebes an dich schreiben, aber dann kann ich es nicht, und ich muß es auch meist fest in mir verschließen, damit die Sehnsucht nach dir nicht zu groß wird. Denn das ist nicht gut, wo ich dich doch jetzt mit aller Sehnsucht nicht heim holen kann. Einmal ist es mir so gegangen und es waren schlimme Tage, bis ich mein Herz wieder zur Ruhe gebracht hatte. Denn sonst kann man ja die Zeit nicht durchstehen.
Deine Schilderung über den Spaziergang im Park hat mich gefreut. Ich bitte dich nur, sei vorsichtig, denn die Leute dort sind doch wohl auch nicht einwandfrei.
So ist es nun, du freust dich, dass du ein bisschen französischen Cognac bekommst, und ich habe welchen hier und trinke keinen. Na, wenn du wieder mal auf Urlaub kommst (nicht wahr, ich habe eine vorauseilende Phantasie?) hast du wenigstens ein bisschen Vorrat da.
Ich schicke dir die Zeitung von heute zu, ab Montag erhältst du sie direkt vom Verlag zugeschickt.
Unser Jörg verkitscht jetzt immer was. Vorgestern für seine Patronen ein Seitengewehr aus dem Weltkrieg, heute für 5 Pfg. 3 kleine Papierzelte, die er sich selber geschnitten und bemalt hatte. Diese 5 Pfg. wollte er einmal nicht sparen und ist dafür von der Schule bis zum frieden mit dem Omnibus gefahren.
Ich habe heute 40.-Mk. auf die Sparkasse geschafft, sodass wir jetzt 293.- drauf haben. 40.-Mk habe ich für Briketts dabehalten, diese will ich in den nächsten Tagen bestellen.
Nun laß mich schließen. Ich grüße und küsse dich mit sehnsuchtsvollem Herzen und großer Liebe, Deine Annie.

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