Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 341 vom 1.6.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 1.6.42

Heute bin ich reichlich mit Post von dir versorgt worden, 3 Briefe, vom 19., 20. und 21., sowie die 2 Päckchen mit Butter habe ich erhalten. Ich habe es doch wirklich besser, wie du. Wie lange musst du vergeblich auf Post warten. Es freut mich nur, dass du den kurzen Brief, den ich mit einer anderen Nummer ab gesandt hatte, doch erhalten hast.
Du wirst doch sicher nicht an Herrn Wittenburg wegen der Päckchen geschrieben haben. Auf meinen Brief wegen dem Geld habe ich noch keine Antwort von ihm bekommen. Vielleicht schreibst du mir mal, an welche Adresse ich es schicken soll. Ob an den Zahlmeister oder so.
Die Leute müssen dort wahrhaftig sehr ärmlich dran sein. Man kann sich das gar nicht so vorstellen.
Ich weiß nicht, ob ich dir´s schon mal geschrieben habe. Bei Stromeyer schaffen gegangene Russen, die haben sich zuerst gar nicht miteinander zu reden getraut und wenn Pause war, haben sie weiter geschafft und trauten sich nicht, aufzuhören. Wenn der Saal von ihnen ausgekehrt wurde, haben sie sich aus dem Dreck Brotkrumen, Apfelbutzen usw. aufgelesen und schnell in die Tasche getan. Einer hat auch schon gesagt, Deutschland sei gut, er wolle da bleiben. Auch die Ukrainer, die dort wegfahren, werden erstaunt sein, wenn sie nach Deutschland kommen.
Wenn ich auch nicht mehr so furchtsam bei den Maikäfern bin, so kann ich mir doch was Schöneres vorstellen, als dort spazieren zu gehen, wo sie nur so rumbrummen. Du hast sicher lachen müssen, wenn du dir vorgestellt hast, wie es wäre, wenn ich mit dort gewesen wäre.
Ich glaube dir gern, dass du bald nicht mehr weißt, was du schreiben sollst, wenn du so lange keine Nachricht von uns hast. Hoffentlich hast du nicht mehr zu lange warten müssen.
Die Impferei bei Euch ist ja sehr unangenehm, aber eben doch nötig. Denn krank sein ist noch viel schlimmer. Hoffentlich überstehst du das Impfen gut und es nimmt dich nicht so mit.
In dem Friseurladen würde es mir dort auch grausen. Es ist nur gut, dass du dir gleich hinter dem Haarschneiden den Kopf gewaschen hast. Ja, dort muß man sich ja an manches gewöhnen, wovon wir hier gar keine Ahnung haben.
Ich hatte heute Wäsche und habe auch alles trocken bekommen. Am Nahmittag habe ich noch für Vater die Rente geholt und die Miete bezahlt. Jetzt habe ich schon bald wieder Schlaf. Lange bin ich sicher nicht mehr munter, aber den Brief schaffe ich noch fort.
Ich grüße und küsse dich wieder recht herzlich, Deine Annie.

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