Mein liebster Ernst! Konstanz, 31.5.42
Der Sonntag ist auch wieder vorbei. Jetzt regnet es draußen,
genau, wie am Vormittag, nur über Mittag hat es sich etwas aufgeheitert. Wir
waren daheim, und ich habe mich etwas ausgeruht. Von der Gartenarbeit der Woche
war ich doch etwas kaputt. Am liebsten ginge ich auch bald in´s Bett, aber
Vater kommt erst noch und bringt die Wäsche für Morgen zum waschen.
Einen Brief habe ich heute nicht zu beantworten, aber dafür
will ich dir ein paar Sachen von unseren beiden Lausern erzählen.
Gestern kam Jörg atemlos, aber strahlend angerannt „Aber
jetzt bin ich gefegt“ waren seine ersten Worte. Dann hat er nach und nach
erzählt. Er ist noch mit dem Werner, Richard und Gusti zu den Bauvereinshäusern
in die Austraße gegangen, um mit anderen Buben zu kämpfen. Aber die haben ihren
Eltern geklingelt, und erst ist die Mutter von dem einen gekommen und dann ist
ihnen der Vater mit dem Rad hinterher, weil sie in den Hof eingedrungen waren.
Jörg ist entkommen, aber den Richard hat er
erwischt. „Warum lasst ihr denn die Buben nicht in Ruhe“ habe ich
gefragt. Da kam ich aber schön an. „Erst wollen sie mitkämpfen, dann haben die
Feiglinge gar nicht mitmachen wollen, da haben wir angefangen. Da haben sie
nachher sogar noch geklingelt.“ Unser Lauser weiß überhaupt manchmal nicht mit
seiner Kraft wohin. Da fehlst Du, dass er sich mal mit dir rumkampeln könnte. Manchmal stürzt er sich auf den
Richard und versucht, ihn auf die Erde zu bringen, was ihm auch meist gelingt.
Helga macht wieder andere Sachen. Sie denkt sich Märchen und
Geschichten aus. Da es sie schon immer geärgert hat, dass es fast keine Lieder
mit meinem Namen gibt, hat sie mir heute eins gemacht. Nun hör mal zu:
„Marianne, Marianne, wo bist du die ganze Zeit?
Jeden Morgen, jeden Abend steh ich hier in diesem Kleid.
Hast Du mich vergessen und liebst du einen andern
Komm doch her und liebe mich und keinen andern.“
Na, was sagst du nun? Voll Freude hat Helga mir´s vorgesagt
und ich durfte sie auch bestimmt nicht auslachen.
Ich weiß nicht, ob ich dir schon geschrieben habe, dass Kurt
wieder bei seiner alten Kompanie in Karlsruhe ist. In der kommenden Woche will
er ja nun auf Urlaub kommen.
Von Vater soll ich dir Grüße bestellen. Er liest gerade die
Zeitung. Vorhin hat er noch die Wäsche gebracht. Er will heute bald wieder
gehen, weil er einen Kuchen im Ofen hat. Ich hätte ja die Ruhe nicht, ich hätte
immer Angst, dass er verbrennt.
Nun gehe ich doch bald schlafen. Nur den Brief bringe ich
noch fort.
Schlaf du auch gut, mein lieber ernst, wach gesund wieder
auf und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.
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