Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 340 vom 31.5.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 31.5.42

Der Sonntag ist auch wieder vorbei. Jetzt regnet es draußen, genau, wie am Vormittag, nur über Mittag hat es sich etwas aufgeheitert. Wir waren daheim, und ich habe mich etwas ausgeruht. Von der Gartenarbeit der Woche war ich doch etwas kaputt. Am liebsten ginge ich auch bald in´s Bett, aber Vater kommt erst noch und bringt die Wäsche für Morgen zum waschen.
Einen Brief habe ich heute nicht zu beantworten, aber dafür will ich dir ein paar Sachen von unseren beiden Lausern erzählen.
Gestern kam Jörg atemlos, aber strahlend angerannt „Aber jetzt bin ich gefegt“ waren seine ersten Worte. Dann hat er nach und nach erzählt. Er ist noch mit dem Werner, Richard und Gusti zu den Bauvereinshäusern in die Austraße gegangen, um mit anderen Buben zu kämpfen. Aber die haben ihren Eltern geklingelt, und erst ist die Mutter von dem einen gekommen und dann ist ihnen der Vater mit dem Rad hinterher, weil sie in den Hof eingedrungen waren. Jörg ist entkommen, aber den Richard hat er  erwischt. „Warum lasst ihr denn die Buben nicht in Ruhe“ habe ich gefragt. Da kam ich aber schön an. „Erst wollen sie mitkämpfen, dann haben die Feiglinge gar nicht mitmachen wollen, da haben wir angefangen. Da haben sie nachher sogar noch geklingelt.“ Unser Lauser weiß überhaupt manchmal nicht mit seiner Kraft wohin. Da fehlst Du, dass er sich mal mit dir rumkampeln  könnte. Manchmal stürzt er sich auf den Richard und versucht, ihn auf die Erde zu bringen, was ihm auch meist gelingt.
Helga macht wieder andere Sachen. Sie denkt sich Märchen und Geschichten aus. Da es sie schon immer geärgert hat, dass es fast keine Lieder mit meinem Namen gibt, hat sie mir heute eins gemacht. Nun hör mal zu:
„Marianne, Marianne, wo bist du die ganze Zeit?
Jeden Morgen, jeden Abend steh ich hier in diesem Kleid.
Hast Du mich vergessen und liebst du einen andern
Komm doch her und liebe mich und keinen andern.“
Na, was sagst du nun? Voll Freude hat Helga mir´s vorgesagt und ich durfte sie auch bestimmt nicht auslachen.
Ich weiß nicht, ob ich dir schon geschrieben habe, dass Kurt wieder bei seiner alten Kompanie in Karlsruhe ist. In der kommenden Woche will er ja nun auf Urlaub kommen.
Von Vater soll ich dir Grüße bestellen. Er liest gerade die Zeitung. Vorhin hat er noch die Wäsche gebracht. Er will heute bald wieder gehen, weil er einen Kuchen im Ofen hat. Ich hätte ja die Ruhe nicht, ich hätte immer Angst, dass er verbrennt.
Nun gehe ich doch bald schlafen. Nur den Brief bringe ich noch fort.
Schlaf du auch gut, mein lieber ernst, wach gesund wieder auf und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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